Tagesordnungspunkt 34: Erste Beratung: Keine Schwächung der Rechtsgewährung durch pauschale Stellenstreichungen in der Justiz - Antrag der Fraktion der SPD Drs. 15/477
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weg mit der Laschheit im Rechtssystem, her mit nachträglicher Sicherungsverwahrung, Verschärfung des Jugendstrafrechts und Anwendung des Erwachsenenstrafrechts auf Heranwachsende - so haben Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, Ihre rechtspolitischen Absichten in den letzten Jahren formuliert. Das waren teilweise Scheindebatten. Ein Zuwachs an Sicherheit lässt sich darüber sicherlich nicht erreichen. Sie haben offenbar darauf gesetzt, dass die Bevölkerung für diese Themen besonders empfänglich sei.
Solange Sie in der Opposition waren, haben Sie den Ruf nach einem starken Staat vehement mit der Forderung nach personellen Verstärkungen in Gerichten, Staatsanwaltschaften und Gefängnissen verknüpft. Zu Unrecht haben Sie in einer Großen Anfrage vom November letzten Jahres sogar unterstellt, die Situation der Justiz habe sich in den 90er-Jahren in Niedersachsen verschlechtert, was falsch war; denn von 1990 bis 2002 ist die Zahl der Stellen für Richter und Staatsanwälte von 2 252 auf 2 337 gestiegen.
Sie hingegen - so Ihr Wahlprogramm - wollten die Funktionsfähigkeit unserer Gerichte sicherstellen und laut Koalitionsvereinbarung außerdem die Funktionsfähigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaften stärken. Gehalten haben Sie keines dieser Versprechen. Trotz erheblicher Zuwächse bei den Eingängen streichen Sie mindestens 23 Stellen bei Richtern und Staatsanwälten. Über die globale Minderausgabe schneiden Sie noch tiefer in den Personalbestand ein. Man muss befürchten, dass die Justiz Ende 2004 im Personalbestand rund 60 Richter und Staatsanwälte weniger haben wird als zurzeit, und das angesichts stark steigender Eingangszahlen, wie wir sie im Antrag dargestellt haben.
der Justiz Überlegungen, wie die Rechtsgewährung trotz steigender Eingangszahlen mit dem vorhandenen Personal garantiert werden kann. Was Sie aber machen, ist der denkbar schlechteste Weg. Sie verschärfen die Überlastungssituation dermaßen, dass die berechtigte Erwartung der Bürger auf eine angemessene Verfahrensdauer und ein Mindestmaß an einzelfallgerechten Entscheidungen vollends infrage gestellt wird. Dieser Umgang mit der Justiz zeigt, dass Sie inzwischen die Bedeutung der Rechtssicherheit allein nach fiskalischen Parametern bemessen. Dies zeigt auch, wie wenig Ihnen die Justiz wert ist. Sie drängen die Justiz in permanent zunehmende Überlastungssituationen.
Kriminalprävention findet zuerst im Vorfeld der Gefahrenabwehr statt. Aber wir wissen auch, dass eine zügige Aburteilung oft spezialpräventiv wirksamer ist als das Strafmaß selbst. Das gefährden Sie aber, wenn Verfahren nicht mehr zeitnah geführt werden können. Durch rechtspopulistische Aktionen wie die nachträgliche Sicherungsverwahrung versuchen Sie, einen starken Staat darzustellen. Stark ist aber nur der Staat, der eine angemessene Balance zwischen Repression und Prävention findet. Dazu gehört eine gut ausgestattete Justiz.
Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich deutlich die Pflicht des Staates bekräftigt, Gerichte und Staatsanwaltschaften personell so auszustatten, dass rund um die Uhr der Justizgewährsanspruch sichergestellt ist, und zwar auch in Zeiten leerer Kassen. Vor jede Personalreduzierung gehört zunächst eine sorgfältige und fundierte Aufgabenkritik. Ich sehe sie bei Ihnen nicht. Konzepte zum kreativen Sparen sind nicht erkennbar, jedenfalls nicht ausgereift.
In den 90er-Jahren war das noch anders. Die Personalentwicklung war, wenn doch gespart werden musste, stets durch technische Verbesserungen - wie z. B. SOLUM, SOLUM-STAR, EUREKA und ähnliche technische Möglichkeiten abgestützt. Wenn Sie, Frau Ministerin, auf Stelleneinsparungen durch die Übertragung der Handelsregister auf die Industrie- und Handelskammer setzen, so ist das unrealistisch. Der Bund wird sich voraussichtlich - wie mir der justizpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Stünker, mitgeteilt hat - vernünftigerweise gegen die dafür notwendige Öffnungsklausel aussprechen.
Sofern Sie sich hier auf die sechs zusätzlichen Stellen bei Amts- und Landgerichten berufen wollen, sage ich Ihnen: Der Zuwachs an Eingängen, wie er in unserm Antrag genannt ist, erfordert ein Vierfaches - nicht ein Vielfaches, sondern ein Vierfaches dieser zusätzlichen Stellen. Diese sechs Stellen werden durch die globale Minderausgabe im nächsten Jahr in kurzer Zeit aufgezehrt werden.
Zum Justizbeschleunigungsgesetz findet beim Bund im November eine Sachverständigenanhörung statt. Erst nach deren Auswertung wird das Gesetzgebungsverfahren seinen weiteren Gang nehmen. Das entlastet und hilft 2004 bei uns in der Justiz also auch nicht mehr.
Ihre Ankündigung, zugunsten von Stellen für Strafrichter und Staatsanwälte bei den Zivilrichtern einzusparen, Frau Ministerin, war nicht besonders durchdacht. Das werden Sie inzwischen selbst haben einsehen müssen; denn die Präsidien der Gerichte entscheiden allein, wie die Aufgaben verteilt werden. Da haben Sie nichts mitzureden; da haben Sie keine Kompetenz.
Bei unserem Antrag geht es darum, rechtzeitig auf die stark steigenden Eingangszahlen und darauf hinzuweisen, was Sie mit Ihren Absichten anrichten. Sie werden Gerechtigkeitslücken zu verantworten haben. Betuchte Bürger und Firmen werden dann noch stärker ihre Gerichtsentscheidungen bei hochkarätig besetzten Schiedsgerichten suchen. So wächst dann die Gefahr einer Rechtsgewährung von unterschiedlicher Qualität.
Warum das alles? - Weil Sie, meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, die Erfüllung von Wahlversprechen auf Kosten anderer Bereiche betreiben. Auch die Justiz hat dies mit auszubaden. Nein, meine Damen und Herren, in guten Händen ist die Justiz bei dieser Regierung nicht. Danke schön.
Bevor ich der Ministerin das Wort erteile, möchte ich der guten Ordnung halber die Beschlussfähigkeit feststellen. - Frau Ministerin, bitte!
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige klarstellende Bemerkungen zu den Zahlen und auch einige inhaltliche Anmerkungen zum Antrag und dessen Begründung, Letzteres umso mehr, als die Zielrichtung des Antrages bisher nicht recht deutlich erscheint.
Immerhin wurde und wird der Haushaltsplanentwurf der Landesregierung zurzeit in den Ausschüssen debattiert, und der Landtag wird alsbald entscheiden. Warum also diese Landtagsdebatte zum Haushalt hier vorziehen?
Es trifft zu, dass im Personalbereich der ordentlichen Gerichte und Staatsanwaltschaften 49,45 Vollzeiteinheiten eingespart werden müssen, davon 23 im richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst. Hierbei ist aber auch zu berücksichtigen, dass gleichzeitig knapp 40 kw-Vermerke zunächst um ein weiteres Jahr, bis zum 31. Dezember 2004, verlängert worden sind. Es trifft auch zu, dass sich die Strafverfahren, was die Dauer der Verfahren anbelangt, in den letzten drei Jahren positiv entwickelt haben; sie sind kürzer geworden.
Auch muss im Jahre 2004 noch eine globale Minderausgabe von 4,9 Millionen Euro erwirtschaftet werden. Dies bedeutet eine weitere enorme Kraftanstrengung und ist mangels Einsparpotenzial bei den sächlichen Verwaltungsausgaben in der Tat auch nicht ohne zusätzliche Eingriffe in den Personalhaushalt zu leisten.
Warum sehen wir die Notwendigkeit, der Justiz trotz allgemein hoher Belastung einen Personalabbau von gut 1 % ihres Personalvolumens zumuten zu müssen, einer Justiz im Übrigen, deren Engagement und Leistungsfähigkeit auch und gerade in diesem Haus über alle Fraktionen hinweg anerkannt ist?
Ich möchte im Interesse der in der Justiz arbeitenden Menschen nicht wiederholen, wer aus der jeweiligen Rolle der Regierung oder Opposition heraus wann was zum Ausstattungsgrad oder zur Bewertung, z. B. von Verfahrensdauern, gesagt hat. Ich empfehle Ihnen, meine Damen und Herren, hierzu die Lektüre der Großen Anfrage der CDU-Landtagsfraktion vom 6. November 2002 nebst der ebenso ausführlichen Antwort der dama
Klar ist eines: Die Einsparungen sind schmerzhaft. Es blieb uns aber keine andere Wahl. Bei der wirklich katastrophalen Haushaltslage des Landes kann nur die gemeinsame Anstrengung aller Ressorts der Beginn der Haushaltskonsolidierung sein. Also musste auch der Justizhaushalt seinen Beitrag leisten. Dazu stehe ich auch uneingeschränkt. Nach meiner festen Überzeugung müssen wir diese Haushaltslage als Chance zum Wandel verstehen. Damit meine ich die Notwendigkeit einer umfassenden Strukturreform der Justiz. Nur so können die Funktionsfähigkeit der Justiz und der Justizgewährungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger auf Dauer gesichert werden.
Wir müssen uns die Frage stellen: Welche Aufgaben sind unabdingbar, um den Rechtsfrieden in unserer Demokratie zu gewährleisteten? Von den übrigen Aufgaben können wir uns trennen. Davon gibt es eine ganze Reihe.
Ich habe dies bereits an anderer Stelle vorgetragen und möchte deshalb an dieser Stelle nur noch Stichworte benennen: die Zusammenlegung der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten und der Arbeitsgerichte mit den ordentlichen Gerichten, die Privatisierung der Registerführung und auch die Verbesserung der Kostenstrukturen innerhalb der Justiz.
Meine Damen und Herren, ich darf zusammenfassen: Der Landeshaushalt und damit auch der Justizhaushalt stehen unter enormem Druck. Darin liegt zugleich eine große Chance für durchgreifende Reformen auch dieser Justiz. Diese Chance, meine Damen und Herren, gilt es jetzt zu ergreifen, anstatt es lediglich bei Streitigkeiten über einzelne Haushaltspositionen zu belassen, die im Übrigen in den letzten Jahren im Geschäftsbereich als ausgesprochen unerquicklich betrachtet wurden. Was den Geschäftsbereich der Justiz angeht, kann ich nur sagen, dass meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mir gegenüber sehr wohl zum Ausdruck gebracht haben, dass sie froh sind, endlich ein Endbild dieser Justiz vorgestellt zu bekommen, und danach ihre zukünftige Arbeit ausrichten werden. Das wird eine gute, eine kraftvolle dritte Gewalt in diesem demokratischen Rechtsstaat sein. - Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Grüner-Seite können wir dem ersten Teil des Entschließungsantrages der SPDFraktion zustimmen. Die Justiz in Niedersachsen soll empfindliche Einsparungen leisten. Dieser Aderlass wird an die Substanz gehen. Der Patient Justiz bräuchte eigentlich eine Bluttransfusion, aber kein weiteres Ausbluten.
Wir wissen: Die Zeiten sind, wie sie sind. Allerdings sollte sich die neue bürgerliche Mehrheit, wie sie sich gerne selber klassifiziert, nicht immer hier hinstellen und sagen, seit dem 2. Februar sei alles anders geworden.
Passenderweise sitzt neben der Justizministerin der Wissenschaftsminister Stratmann. In Ihrem Wahlprogramm haben Sie gesagt, Sie wollen sowohl die Hochschulen fördern als auch die Justiz verbessern. - Beides machen Sie jetzt aber nicht.
Interessant ist in meinen Augen der Antrag unter Nr. 2 b. Die SPD-Fraktion will, dass die Landesregierung aufgefordert wird, grundsätzliche Überlegungen darüber anzustellen, wie die niedersächsische Justiz ihren gesetzlichen Auftrag erfüllen kann, ohne dass es zu Verfahrensverzögerungen kommt. Ich meine, es lohnt sich, darüber einmal gründlicher nachzudenken.
Warum ist unsere Justiz so stark belastet? Deutschland ist das Land mit der klagefreudigsten Gesellschaft schlechthin. Das mag die Rechtsanwälte unter Ihnen freuen, die Richter nervt es vielfach, weil teilweise Nichtigkeiten vor den Gerichten ausgetragen werden. Schwerpunktmäßig betrifft das die Zivilgerichte - das wird in dem Antrag deutlich -, aber es geht auch um Strafsachen. Es muss also darum gehen, einen Streit nicht vorschnell über Anwälte und Gerichte auszufechten, sondern außergerichtliche Streitbeilegung zu fördern. Das ist dann für alle Beteiligten billiger und geht meistens auch schneller.
Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist die Mediation. Im Bereich der Mediation wurde in Niedersachsen vieles angestoßen. Die neue Landesregierung verfolgt in meinen Augen dieses Konzept leider nur noch halbherzig. Das ist ein Fehler.
Bei den Strafprozessen haben wir ebenfalls zu viele Fälle von Kleinkriminalität. Viele Staatsanwälte und Strafrichter müssen sich intensiv mit Beschaffungskriminalität und Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz befassen. Wir müssen zu einer anderen, rationalen und weniger repressiven Drogenpolitik kommen, mit der wir die Gerichte entsprechend entlasten können.
- Das ist nicht der falsche Weg, Herr Nacke. Oberstaatsanwälte, Richter, Rechtsprofessoren und auch viele Polizeipraktiker fordern dies.
Wer demgegenüber ständig Gesetzesverschärfungen in allen möglichen Bereichen fordert - das ist bei der CDU leider Volkssport -, betreibt ABM für die Justiz. Völlig abwegig ist es, dort auch noch massiv Stellen einzustreichen.
Meine Damen und Herren, nun vielleicht noch einige Worte zur deutschen Gerichtsstruktur. Das deutsche Gerichtswesen ist ein sehr komplexes System. Daher finde ich es vernünftig, einmal grundsätzlich darüber nachzudenken, was man an dieser Struktur vereinfachen kann. Andere Länder kommen mit einfacheren Systemen sehr gut zurecht. Die Zusammenlegung von verschiedenen Gerichtszweigen, wie es die Landesregierung plant, um Synergien herzustellen, ist in meinen Augen überdenkenswert, genauso wie die Frage, ob kostenlose Gerichtsbarkeiten noch Sinn machen. Falsch ist dagegen die Abschaffung von Widerspruchsverfahren, wie sie von Niedersachsen und Baden-Württemberg vorangetrieben wird.