Frau Ministerin, gestatten Sie eine Nachfrage zur Sozialtherapie. Ist es richtig, dass Sie im jetzigen Entwurf des Vollzugsgesetzes des Landes Niedersachsen die bisherige Mussregelung in eine Sollregelung abgeschwächt haben? Wird Sozialtherapie jetzt nicht mehr zwingend vorgeschrieben, bzw. findet eine Aufweichung gegenüber der bisherigen Regelung statt?
Ich halte die Sozialtherapie nach wie vor für ein ganz wichtiges Element und ein notwendiges Behandlungsprogramm im Rahmen unserer Vollzugsangebote. Wir haben auch das in unserem Entwurf zum Ausdruck gebracht. Ich möchte Ihnen hier § 11 - Verlegung in eine sozialtherapeutische Einrichtung - auszugsweise vorlesen:
- dann werden die Vorschriften des Strafgesetzbuches genannt, die sich auf Sexualstraftaten beziehen; auf diese Vorschriften will ich jetzt nicht im Einzelnen eingehen
2. eines Verbrechens gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit...
verurteilt worden sind, sollen in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt werden, wenn die dortige Behandlung zur Verringerung einer erheblichen Wiederholungsgefahr angezeigt ist.“
Herr Meihsies, ich habe in meiner Antwort auch auf die noch aufzubauende Prognoseabteilung in Hannover hingewiesen. Die Sollvorschrift hat den Hintergrund, dass wir das Angebot der Sozialtherapie auch an Menschen richten wollen, die keine Sexualstraftaten, sondern andere gefährliche Straftaten begangen haben. Nach dem jetzigen Strafvollzugsgesetz wird so nicht verfahren. Deswegen wollen wir die gerade erwähnte Möglichkeit eröffnen. Wir möchten flexibel sein und möchten das genannte Angebot dort machen, wo es am sinnvollsten einzusetzen ist. Die Sozialtherapie werden wir also noch ausweiten.
Das habe ich jetzt gerade überhaupt nicht verstanden, aber wir können vielleicht heute Nachmittag noch einmal darüber diskutieren. Es gibt schon jetzt einen Mangel an Sozialtherapie für schwere Sexualstraftäter. Jetzt wollen Sie die Sozialtherapie auch noch auf andere Täter ausweiten. Wie soll das funktionieren, wenn wir heute schon einen Mangel haben? - Darüber können wir, wie gesagt, aber vielleicht nachher noch reden.
Wir haben es weiterhin mit dem Problem zu tun, dass es für die Behandlung von schweren Sexualstraftätern eine ungenügende Zahl an fachlich versierten Therapeuten und Gutachtern gibt. Das wird uns immer wieder bestätigt. Es gibt sehr wenige Leute, die sich dafür überhaupt interessieren. Das ist ja auch ein sehr schweres Fach. Meine konkrete Frage lautet: Was tut die Landesregierung eigentlich konkret, um die sehr geringe Zahl fachlich versierter Gutachter und Behandler von Sexualstraftätern zu erhöhen?
Herr Briese, es ist in der Tat ein Problem, zu einer ausreichenden Zahl qualifizierter Therapeuten zu gelangen. Wir haben in unserem Gesetzentwurf die Doppelbegutachtung gefährlicher Straftäter vorgesehen und wollen diese nun in der Praxis umsetzen. Man muss dann natürlich vermehrt auf entsprechende Therapeuten zurückgreifen können. Daraus resultiert für uns ein besonderes Problem. Wir haben deshalb das erwähnte Prognosezentrum im Visier, das wir bis zum Ende des Jahres einrichten wollen. Über die Vernetzung mit Krankenhäusern und entsprechenden Einrichtungen möchten wir damit bessere Möglichkeiten eröffnen, um nicht nur die Doppelbegutachtungen vorzunehmen, sondern in einem Wechsel zu erreichen, dass wir möglichst viele Straftäter qualifiziert begutachten und betreuen können.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, ich bin trotz allem der Auffassung, dass wir die Wahrheit hier nicht zu fantasievoll auslegen sollten. Ich weise darauf hin, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung keine alleinige Idee des Landes Niedersachsen ist. Vielmehr hatten seinerzeit die Länder Hessen, Baden-Württemberg, Bayern etc. zeitgleich ebenfalls Landesgesetze zu diesem Thema in der Mache. Dies war also eine bundesrepublikanische Angelegenheit.
Bitte gestatten Sie mir, noch einmal auf die Nachsorgeprogramme zurückzukommen. Diese haben nichts mit Führungsaufsicht und Bundesrecht zu tun, sondern sie haben etwas mit Kriminalitätsvermeidung durch Therapie, die anerkanntermaßen großartige Erfolge aufweisen könnte, zu tun. Deshalb noch einmal die Frage: Sind Landesprogramme in dieser Hinsicht geplant, um Opferschutz pur zu realisieren?
Liebe Frau Bockmann, ich halte es für hochgradig gefährlich, im Vollzug keine Therapie durchzuführen und sie stattdessen nach der Entlassung anzubieten.
Wir müssen die Therapie vor allen Dingen während des Vollzuges hoch qualifiziert durchführen, und wir müssen uns die Frage stellen - dieses Thema wird im Rahmen der Führungsaufsicht eine große Rolle spielen; in dem Änderungsentwurf zur Führungsaufsicht ist dieses Thema angesprochen -, ob wir im Rahmen der Führungsaufsicht nicht verstärkt auf die sogenannten forensischen Ambulanzen zurückgreifen müssen bzw. forensische Ambulanzen einrichten wollen. Das wird dann dafür Sorge tragen, dass man über Auflagen gegebenenfalls den besonders gefährlichen Straftäter oder den noch gefährlichen Straftäter dauerhaft beobachten und ihm im Falle des Falles entsprechende Behandlungsmöglichkeiten anbieten kann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir werden heute Nachmittag das Justizvollzugsgesetz diskutieren. Dazu und auch zur Frage der Resozialisierung hat es schon sehr viele Äußerungen gegeben, und manche dieser Äußerungen scheinen mir von einem Menschenbild geprägt zu sein, bei dem man sagt: Jeder - und sei er noch so unwillig - wird, wenn wir ihn nur genug therapieren, letzten Endes schon resozialisiert werden können, und von ihm wird dann keine Gefahr mehr ausgehen.
Ich gehe davon aus, Herr Briese, dass die Wirklichkeit wie immer im Leben sehr differenziert ist. Ich bin davon überzeugt, dass es eine gewisse Anzahl von Tätern geben wird, bei denen wir relativ sicher sagen können: Er ist therapiert. Von ihm wird keine Gefahr mehr ausgehen. - Es wird aber auch Täter geben, von denen wir sicher sagen können: Er ist nicht therapierbar. Von ihm wird Gefahr ausgehen. - Diesen Täter können wir aufgrund unserer Initiativen in die Sicherungsverwahrung nehmen.
Das Problem werden die Strafgefangenen dazwischen sein. Das Problem werden also diejenigen sein, bei denen wir keine sichere Entscheidungsgrundlage haben, um die Frage beantworten zu können: Wird er gefährlich sein, oder wird er nicht gefährlich sein? - Mich würde in dem Zusammenhang insbesondere die jetzt auch in der Presse thematisierte Datei interessieren: Was kann der Datenaustausch im Rahmen einer solchen Datei für den Opferschutz bewirken?
Sehr geehrter Herr Biester, ich habe schon in der Antwort darauf hingewiesen, dass wir in Niedersachsen noch keine Rückfallstatistik haben. Auch bundesweit gibt es noch keine Rückfallstatistik. Aber gerade zur Sozialtherapie bzw. zu den Behandlungsmethoden besagen entsprechende Studien aus dem angloamerikanischen Raum, dass es in bestimmten Bereichen, auch im Bereich der Sexualstraftaten, Menschen mit sehr hoher krimineller Energie gibt, die schlicht nicht therapierbar sind. Es gibt aber auch den Hinweis, dass genau in dem mittleren Bereich das Rückfallrisiko durch Therapien um bis zu 10 % gesenkt werden kann. Genau da müssen wir ansetzen.
Für die Datei, die wir zum Ende des Jahres mit Inkrafttreten des Justizvollzugsgesetzes erstellen wollen, wird natürlich über die Prognoseabteilung eine Risikobeurteilung der Gefangenen, die in diesen Bereich fallen, durchgeführt. Diese Informationen sind sehr wichtig für Polizei und andere Justizbehörden wie Staatsanwaltschaft und dann eben auch die Führungsaufsicht, um passgenauer auf diese entlassenen, nach unserer Einschätzung
sehr wohl noch gefährlichen Straftäter reagieren zu können. Das ist das Ziel, das wir mit unserer zentralen Datei, in Abstimmung mit dem Innenministerium auch für die Polizei, dann auch bundesweit verfolgen; denn unsere Straftäter - das muss man sagen - sind nicht unbedingt so lokal verwurzelt, dass sie nicht auch in anderen Bundesländern rückfällig werden.
c) Verdreifachung der Zahl der Krippenplätze und ein verpflichtendes Vorschuljahr Anfrage der Fraktion der SPD Drs. 15/3620
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Bundesfamilienministerin Frau von der Leyen fordert, die Zahl der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren auf rund 750 000 zu verdreifachen. Nach diesem Vorstoß hat sich Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen nach Meldungen des Stern vom 21. Februar 2007 außerdem für ein „Pflichtvorschuljahr für alle Kinder“ ausgesprochen. Es solle dem Schulbeginn vorangestellt werden und die Vorbereitung auf die Schule verbessern.
Nun hat die Forderung nach einer Vorschule oder Vorklasse gerade in Niedersachsen eine lange wechselvolle Geschichte. Gerade von konservativer Seite ist sie, insbesondere aus ideologischen Gründen, immer abgelehnt worden. Im Grundgesetz heißt es dazu im Artikel 7 Abs. 6:
Der Artikel findet seine Begründung in der Weimarer Republik; denn im Kaiserreich hatte es Vorschulen allein für Kinder von Reichen gegeben, die dort auf das Gymnasium vorbereitet wurden.
Mit Blick auf die verfassungsrechtliche Situation in Deutschland wird eine Vorschulpflicht ohne Verfassungsänderung als nicht umsetzbar angesehen. Es kommt hinzu, dass nach der Föderalismusreform I eine Mitfinanzierung des Bundes, wie von Frau von der Leyen angeboten, ausgeschlossen ist.
Auch ist ein Zugriff auf bisher im Ehegattensplitting verwendete finanzielle Mittel für Belange der frühkindlichen Bildung aus ideologischen Gründen, gerade von konservativer Seite, immer abgelehnt worden. Hier sieht man eher eine Lösung in der Erweiterung des Ehegattensplittings in Richtung eines Familiensplittings. Dies führte aber zu zusätzlichen Belastungen der öffentlichen Haushalte. Überlegungen, nötige Steigerungen des Kindergeldes bei gleichzeitigem Wegfall von Kinderfreibeträgen zur Finanzierung frühkindlicher Bildung zu verwenden, werden von CDU/FDP ebenfalls abgelehnt.
1. Wie bewertet sie die Aussagen der Bundesfamilienministerin bezüglich der Verdreifachung der Zahl der Betreuungsplätze für Kinder unter drei und der Vorschulpflicht, der Aussichten einer Verfassungsänderung bezüglich der Vorschulverpflichtung und der Mitfinanzierung des Bundes und zur Erweiterung des Ehegattensplittings in Richtung Familiensplitting, auch jeweils bezüglich der zusätzlichen finanziellen Belastung des Landes Niedersachsen und seiner Kommunen?
2. Mit welchem geschätzten Ausgabevolumen, unter Beachtung des Konnexitätsprinzips, ist niedersachsenweit bei einem Ausbau von altersgerechten Krippenplätzen und bei einer flächendeckenden freiwilligen Vorklasse bei der Einrichtung und mit welchen laufenden Folgekosten für das Land und für die Kommunen zu rechnen?
3. Nach Ansicht von Frau von der Leyen helfen „normale Kindertageseinrichtungen“ Kindern aus bildungsfernen, sozial schwachen und aus Migrantenfamilien nicht, da sie häufig die Kindertageseinrichtungen gar nicht besuchen, obwohl die wirtschaftliche Jugendhilfe schon heute gerade diese Familien häufig beitragsfrei stellt. Mit welchen konkreten Konzepten sollen in Niedersachsen insbesondere auch Eltern dieser Kinder vom Besuch eines Krippenplatzes, vom Besuch eines Kindergartens und des Sprachtests überzeugt werden?
Herzlichen Dank, Frau Kollegin Eckel. - Für die Landesregierung antwortet Herr Minister Busemann. Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Forderung von Frau Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen, die Zahl der Betreuungsplätze für Kinder bis 2013 auf dann 750 000 zu verdreifachen, hat in der Öffentlichkeit eine sehr große Zustimmung erfahren.