Protocol of the Session on January 26, 2007

Zur Einbringung steht schon Herr Kollege Lenz von der SPD-Fraktion bereit. Herr Lenz, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Noch vor Ostern will die Bundesregierung mit dem sogenannten Altersgrenzenanpassungsgesetz schrittweise das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre erhöhen. Ab dem Jahrgang 1964 wäre demnach nur noch nach 45 Versicherungsjahren ein abschlagsfreier Renteneintritt mit 65 Jahren gegeben. Gleichzeitig läuft die auf Ende 2009 befristete bezuschusste Altersteilzeit aus, die einen frühzeitigen Renteneintritt mit 62 Jahren ermöglichte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich gibt es eine Vielzahl von Gründen, über die Lebensarbeitszeit neu zu diskutieren. Auf der einen Seite wissen wir: Die durchschnittliche Rentenbezugsdauer hat sich von 1960 bis heute um knapp neun Jahre nach oben entwickelt, ist gestiegen. Diese Entwicklung wird aufgrund des medizinischen Fortschritts sicherlich - wenn vielleicht auch nicht in einer solchen Steigung - anhalten. Sie wirkt sich natürlich auf die Rentenversicherungssysteme aus.

Zweitens. Die langfristige Entwicklung des Erwerbstätigenpotenzials wird zumindest im Bereich der Hochqualifizierten auch eine verlängerte Lebensarbeitszeit erforderlich machen. Wir werden in einigen Jahren in bestimmten Berufen einen Fachkräftemangel haben.

Aber wir wissen auf der anderen Seite auch: Die anhaltende Massenarbeitslosigkeit wird nicht von heute auf morgen zu beseitigen sein. Ganz im Gegenteil: Sie verfestigt sich im Bereich der gering qualifizierten Langzeitarbeitslosen und trägt zur finanziellen Schwächung der Sozialversicherungssysteme bei. Aber vor allem wissen wir auch: Es gibt eine Vielzahl von Jobs, bei denen die Aussicht, bis 67 zu arbeiten und dann noch gesund in die Rente zu kommen, schier unvorstellbar ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, versetzen Sie sich einmal in die Lage eines Gießereiarbeiters

oder einer Altenpflegerin, die jahrzehntelang in Schicht arbeiten und dabei insbesondere schwere körperliche Arbeit leisten müssen. Für die meisten dieser Kolleginnen und Kollegen ist schon das heutige Renteneintrittsalter kaum erreichbar.

(Zustimmung bei der SPD)

„Rente mit 67“ bedeutet für diese Menschen also nichts anderes als eine verdeckte Rentenkürzung, und das bei Renten, die heute schon kaum auskömmlich sind und es in Zukunft noch weniger sein werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die SPD-Fraktion ist deswegen davon überzeugt: Wir brauchen zukünftig eine viel stärkere Differenzierung beim Renteneintrittsalter.

(Zustimmung bei der SPD)

Das Instrument der bezuschussten Altersteilzeit kann dafür ein Rechtsrahmen sein, insbesondere wenn die Tarifvertragsparteien zu einer Weiterentwicklung im Sinne einer stärkeren Differenzierung bereit sind, wovon zumindest ich nach zahlreichen Gesprächen, die wir mit Vertretern der Einzelgewerkschaften geführt haben, ausgehe.

Auch im Arbeitgeberlager wird die Fortführung der Altersteilzeit durchaus befürwortet. Wir konnten dazu in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung vom 28. Dezember einiges von Herrn Dr. Horst Neumann, Arbeitsdirektor bei Volkswagen, oder auch von Herrn Kröncke lesen. Ganz aktuell zitiere ich Herrn Kannegießer, der hier sicherlich allen bekannt sein dürfte, aus der Welt von heute:

„In der letzten Phase der Erwerbstätigkeit muss es bei der Arbeitsbelastung, in der Arbeitszeit und auch beim Renteneintritt weiterhin Flexibilität geben. Deswegen werden wir auch in Zukunft auf das Instrument der Altersteilzeit setzen.“

Auch im Niedersächsischen Landtag, meine Damen, meine Herren, scheint Arbeiten bis 67 ja nicht unbedingt attraktiv zu sein. Zumindest müssen wir das der Ankündigung unseres geschätzten Landtagspräsidenten entnehmen, der am letzten Wochenende bekannt gegeben hat, dass er im nächsten Jahr mit 63 aus dem Niedersächsischen Landtag ausscheiden möchte. Ob er dabei wirklich von Herrn Stoiber gelernt hat, wie der Weser

Kurier am 23. Januar titelte, sei an dieser Stelle einmal dahingestellt.

(Bernd Althusmann [CDU]: Wie war das mit Frau Merk?)

Meine Damen, meine Herren, wir wollen den Generationenvertrag durch Verlängerung der geförderten Altersteilzeit fortschreiben. Herr Ministerpräsident Wulff, der heute bei dieser Debatte leider nicht dabei ist, hat ja bereits vor mehreren Monaten in einem Gespräch mit einem Betriebsratsvorsitzenden aus der Metallindustrie gute Argumente dafür zu hören bekommen. Ihm ist auch das Memorandum der IG-Metall-Bezirksleitung bekannt.

Wir wollen, dass besonders belastete Beschäftigte auch zukünftig zu akzeptablen wirtschaftlichen Bedingungen früher aus dem Arbeitsleben ausscheiden können und ihren Arbeitsplatz für junge Leute frei machen. Dies war ja im Prinzip das Geheimnis der bezuschussten Altersteilzeit. Zuschüsse gab es nur dann, wenn die Plätze, die Ältere auf der einen Seite frei gemacht haben, auf der anderen Seite von Jungen übernommen worden sind. Dadurch wurde die Übernahme von Auszubildenden möglich. Das soll auch in Zukunft so sein.

Wir fordern Sie deshalb auf, eine Gesetzesinitiative für den Fortbestand der geförderten Altersteilzeit zu ergreifen. Der Arbeitsmarkt in Niedersachsen wird es Ihnen danken, und wir würden es Ihnen natürlich auch danken. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Danke schön, Herr Lenz. - Für die CDU-Fraktion hat sich Herr Kollege Hillmer zu Wort gemeldet. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag kommt nicht überraschend. Seit einigen Wochen äußert sich Herr Jüttner bereits an verschiedenen Stellen in dieser Richtung. Dass er jetzt Herrn Lenz statt seiner selbst in die Debatte schickt, sei ihm verziehen. Die Woche ist ja schon hart genug gewesen.

An diesem Antrag ist nicht der Inhalt interessant, sondern die politische Standortverschiebung der

SPD-Landtagsfraktion unter Herrn Jüttner. Sie lassen uns an einem innerparteilichen Konflikt über die Frage von Altersteilzeit und Rente mit 67 teilhaben. Wir müssen erkennen, dass Herr Jüttner in dieser Frage der PDS-Linkspartei deutlich näher steht als der Bundes-SPD.

(Zuruf von der SPD: Das ist doch Quatsch!)

Der SPD-Vorsitzende Beck, den ich hier zitieren möchte, vertritt in dieser Frage nämlich eine völlig eindeutige Haltung. Er sagte:

„Die Übergangsregelungen zur Frühverrentung mit staatlicher Förderung können nicht weitergeführt werden. Wir müssen aussteigen aus den Systemen, die zu Frühverrentungen geführt haben. Diese sind nicht durchzuhalten, wenn die Menschen immer älter werden und die Anzahl der Arbeitenden sinkt. Was Franz Müntefering vorgelegt hat, ist unabdingbar.“

Ich habe mir nicht träumen lassen, dass ich als Abgeordneter der CDU-Fraktion einmal in die Situation komme, Herrn Beck und Herrn Müntefering gegen ihre eigenen Parteifreunde aus Niedersachsen zu verteidigen.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich tue das aber gerne, weil ich fest davon überzeugt bin, dass ein so langfristig wirkendes Instrument wie die Rente nicht Gegenstand tagespolitischer Auseinandersetzungen sein darf. Die Rentenversicherung ist immer vom Grundkonsens aller demokratischen Parteien getragen worden. Die Menschen müssen sich darauf verlassen können, dass wir alle mit ihrer Zukunftssicherung verantwortlich umgehen.

Das tun Sie nicht. Wider besseres Wissen und gegen die Fakten setzen Sie auf blanken Populismus. Herr Lenz und Herr Jüttner, Sie dürfen niemals Verantwortung für die Rente bekommen - und sonst besser auch nicht.

Wie stellen sich die Fakten dar? - Ich hätte Ihnen empfohlen, vor Ihrer Initiative mit den Mitgliedern der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ zu sprechen. Dann hätten Ihnen Frau StiefKreihe, Frau Heiligenstadt, Herr Meyer, Herr Harden oder auch Frau Modder gesagt, dass wir we

niger arbeitsfähige Menschen haben werden, die sehr viel mehr Ruheständler als heute versorgen müssen. Heute versorgen 100 Arbeitende 44 Ruheständler. Bis 2050 verschiebt sich das Verhältnis unter Status-quo-Annahme auf 100 : 91. Die entsprechenden Sozialversicherungsbeiträge wird keines unserer Kinder mehr bezahlen können und wollen.

Die einzig sinnvolle Lösung, diese Belastung der jüngeren Generation abzumildern, ist die Verschiebung des faktischen Renteneintrittsalters von heute 60 Jahren auf 65 oder 67 Jahre. Natürlich ist es für viele Menschen eine Herausforderung, bis 67 fit und arbeitsfähig zu bleiben. Wir reden dabei durchaus über Gießereiarbeiter. Die Debatte bezieht sich aber genauso auf Bankmitarbeiter und Versicherungsmitarbeiter. Die Maßnahmen treffen die heute 40-Jährigen als Erste. Das muss man deutlich sagen. Es ist redlich, ihnen heute die Wahrheit zu sagen und sie auf diese Situation vorzubereiten. Es ist hingegen unredlich, die Menschen in trügerischer Sicherheit zu wiegen und sie später mit den Realitäten zu konfrontieren, als es nötig ist.

Wir müssen feststellen, dass die Erwerbstätigenquote bei den 55- bis 60-Jährigen in Deutschland im Jahre 2003 nur noch bei 39,2 % lag. Zum Vergleich führe ich Schweden an. In Schweden, das auch nicht als unsoziales Land bekannt ist, arbeiten noch 69 % dieser Altersgruppe. Weniger als 2 % der über 55-Jährigen in Deutschland nehmen überhaupt noch an Weiterbildung teil. Die Initiative „50 plus“ unseres Bundesarbeits- und -sozialministers Müntefering zielt genau auf diese Berufsgruppe. Sie zielt darauf ab, Angehörige dieser Berufsgruppe wieder verstärkt in Arbeit zu bringen.

(Vizepräsidentin Silva Seeler über- nimmt den Vorsitz)

Die Verlängerung der Altersteilzeit wäre ein fatales Signal, für das schneller, als Sie glauben mögen, ein hoher Preis zu zahlen wäre. Mit Frühverrentung lösen wir heute keine Probleme. Wir schaffen uns damit aber unnötige Probleme in der Zukunft. Wir sollten das knappe Geld besser in Weiterbildungssysteme investieren, eine Kultur des lebenslangen Lernens fördern und älteren Arbeitnehmern Perspektiven im Arbeitsmarkt eröffnen, statt unsere Sozialsysteme zusätzlich zu belasten und den Frühausstieg zu subventionieren. Die demografische Uhr tickt unabhängig von ideologi

schen Wunschvorstellungen. Es ist heute bereits fünf nach Altersteilzeit.

In der Begründung zu Ihrem Antrag führen Sie an, dass die frei werdenden Arbeitsplätze jungen Menschen zugute kommen. Dieses Argument ist durch die Praxis widerlegt. Allein in Niedersachsen sind vor dem Auslaufen der Regelung Ende letzten Jahres rund 1 000 Altersteilzeitverträge geschlossen worden, u. a. bei VW und Continental. Ich zitiere dazu aus dem Tagesspiegel die Einschätzung von Judith Kerschbaumer vom ver.di-Bundesvorstand:

„Da Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch darauf haben, in Altersteilzeit zu gehen, haben vor allem die Unternehmen zugestimmt, die ohnehin Personal abbauen wollen. Die Unternehmen haben die Altersteilzeit als Personalabbauinstrument genutzt.“

Von ver.di wird ganz deutlich „als Personalabbauinstrument genutzt“ gesagt.

Wenn es den Unternehmen bei der Personalanpassung hilft und die Arbeitnehmer mit den Vereinbarungen einverstanden sind, verbietet niemand den Sozialpartnern eine Altersteilzeit.

(Ernst-August Hoppenbrock [CDU]: Sehr richtig!)

Allerdings können die Sozialsysteme und die öffentliche Hand dafür nicht mehr in Anspruch genommen werden.

Ein zweiter Punkt muss klargestellt werden: Wer krank und nicht mehr arbeitsfähig ist, muss natürlich nicht bis 67 arbeiten und soll auch nicht durch überhöhte Rentenabschläge bestraft werden. Aber jeder soll sich frühzeitig darauf einstellen, dass ein noch längerer Lebensabschnitt im Ruhestand etwas später als heute beginnt. Wer gesund und arbeitsfähig ist, soll länger arbeiten dürfen und muss auch länger arbeiten.

(Gerd Will [SPD]: Kann er doch!)

Verantwortliche Politiker, zu denen ich über die CDU hinaus Herrn Beck und Herrn Müntefering zähle,

(Zurufe von der CDU und von der SPD)

- jawohl, das tue ich in dieser Frage - stellen sich den demografischen Realitäten unserer Gesellschaft. Herr Gysi und Herr Jüttner betreiben Populismus und streuen den Menschen Sand in die Augen. Sie sagen den Älteren, was sie gern hören, und verschweigen den Jüngeren den Preis, den sie dafür zu zahlen haben. Sie dürfen nicht darauf hoffen, die CDU-Fraktion bei einem Kampf gegen die Bundes-SPD und die Koalition in Berlin an Ihrer Seite zu haben. Die Menschen in Niedersachsen dürfen sich darauf verlassen, dass wir ihnen die Wahrheit sagen, auch wenn sie kurzfristig schmerzhaft ist. - Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)