Lebens ist für uns alle eine wichtige Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Diskussion um die Novellierung des § 218 StGB seinerzeit gesagt: Die Parlamente haben die Pflicht zur Beobachtung und gegebenenfalls zur Nachbesserung, wenn es neue Erkenntnisse gibt.
Wir sprechen heute über ein sehr sensibles Thema. Daher ist es wichtig, genau zu überlegen, was man tun sollte. Ich finde es auch wichtig zu betonen - Frau Mundlos hat das schon getan -, dass der § 218 mit den bestehenden Regelungen - ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 12. Woche ist nicht strafbar, wenn eine Beratung erfolgt ist - nicht zur Debatte steht.
Es ist auch schon angesprochen worden, dass 1995 im Bundestag eine Änderung des § 218 a Abs. 2 StGB beschlossen wurde, und zwar wurde die embryopathische Indikation durch die medizinische Indikation ersetzt. Danach sind Schwangerschaftsbrüche nach der zwölften Woche dann nicht strafbar, wenn Gefahr für das Leben der Schwangeren oder die Gefahr körperlicher oder seelischer Beeinträchtigung der schwangeren Frau besteht. Jetzt wird nicht mehr überprüft, Frau Helmhold, inwieweit eine embryopathische Indikation zu einem Abbruch führt - also eine Behinderung, eine nicht reversible Schädigung des ungeborenen Kindes. Wenn man bedenkt, wie eine Frau dadurch beeinträchtigt sein kann, dann ist es durchaus vorstellbar, dass ein Abbruch durch eine Behinderung des Kindes ausgelöst wird. Das überprüft man nicht mehr. Das muss aber vor dem Hintergrund von aktuellen medizinischen Erkenntnissen durchaus noch einmal durchdacht werden.
Es gibt keine zeitliche Befristung des Abbruchs und keine Pflicht zur Beratung mehr. Das ist ja neu festgelegt.
Die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche nach medizinischer Indikation ist seit 1996 rückläufig. Auch die Anzahl der Spätabbrüche ist rückläufig. Spätabbrüche sind Schwangerschaftsabbrüche nach der 23. Woche. Nach heutigem medizinischen Stand ist das ein Zeitpunkt, zu dem ein Frühchen durchaus schon lebensfähig sein könnte.
2003 gab es 217 Spätabtreibungen, 2005 noch 171. Die Zahl hat sich also verringert. Trotzdem sollten wir darüber nachdenken, ob alle entsprechenden Regelungen richtig sind.
Chance gibt, den Eltern Sorgen zu nehmen, Schwangerschaftsrisiken zu mindern und Fehlbildungen und schwere Erkrankungen früh zu erkennen, eventuell sogar pränatal zu therapieren oder gleich nach der Geburt sehr schnell zu therapieren, sodass dem Kind geholfen ist.
Nur in wenigen Fällen ist zu erwarten, dass das Kind nicht lebensfähig ist oder eine schwere Behinderung haben wird. Das Problem ist, dass die Diagnosen erst im fortgeschrittenen Stadium - auch heute noch - möglich sind, also nicht schon bis zur zwölften Woche. Wenn die Frauen und ihre Partner dann die Diagnose erhalten, dass das Kind tatsächlich behindert oder schwerbehindert ist, dann befinden sie sich in einer verzweifelten Situationen und könnten unter dem Druck stehen, kurzfristig zu handeln. Dabei besteht natürlich die Gefahr übereilter Entschlüsse. Nach einem Abbruch besteht dann auch die Gefahr, dass psychische Probleme bei den Eltern als Folge entstehen. Das war häufig zu beobachten.
Es ist also Hilfe für die Frauen nötig. Das wurde hier schon verschiedentlich betont. Daher muss man Wege finden, wie man diese Hilfe geben kann. Ich beziehe mich in diesem Zusammenhang auf einen Antrag der FDP-Bundestagsfraktion aus dem März 2005, in dem die folgenden fünf Punkte vorgesehen sind:
Erstens. Eine werdende Mutter hat das Recht auf Wissen, aber auch das Recht auf Nichtwissen. Sie hat das Recht auf umfangreiche begleitende Informationen.
Zweitens. Bei der Diagnose einer fetalen Erkrankung ist eine umfangreiche medizinische, gegebenenfalls auch humangenetische, psychosoziale und auch lebenspraktische Beratung erforderlich.
Drittens. Ein Abbruch nach pathologischem Befund sollte erst nach einer Frist von drei Tagen vorgenommen werden. Frau Helmhold, ich denke, dass das schon sinnvoll ist. Denn es kann sein, dass sich eine Mutter unter Druck anders entscheidet, als wenn sie noch einmal drei Tage darüber nachgedacht hat. Ich halte eine solche Regelung für sinnvoll.
Viertens war in dem Antrag vorgesehen, dass bei Schwangerschaftsabbruch nach medizinischer Indikation ein Weigerungsrecht der Ärzte und Ärztinnen gewährleistet ist. Eine Ausnahme ist, wenn Gefahr für das Leben der Mutter besteht.
Der fünfte Punkt ist ein Wunsch, den wir schon verschiedentlich geäußert haben: Wir würden gerne das Embryonenschutzgesetz dahingehend ändern, dass man eine PID, also eine Präimplantationsdiagnostik, unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht. Denn so könnte eine ganze Menge zum Schutz der ungeborenen Kinder getan werden.
Das Fazit ist: Frauen und Eltern in schwierigen Situationen brauchen unsere Hilfe. Wir müssen aber auch auf den Schutz ungeborener Kinder achten und auf der Grundlage aktueller medizinischer Erkenntnisse die bestehenden Regelungen überprüfen. Es sind gemeinsame Anstrengungen erforderlich, um den Frauen Hilfe zu geben und ungeborene Kinder zu schützen.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. Die Parlamentarischen Geschäftsführer haben sich noch einmal zusammengetan und Folgendes beschlossen: Vor der Mittagspause sollen die Tagesordnungspunkte 3, 4, 7 und 8 behandelt werden. Die Tagesordnungspunkte 5, 6 und 9 sollen nach der Haushaltsberatung heute Abend behandelt werden.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist eine der dringenden ethischen Herausforderungen unserer Zeit, für die Regelung der Spätabtreibung eine angemessene Lösung zu finden. Dies ist ein in mehrfacher Hinsicht sehr schwieriges Thema - sowohl medizinisch als auch technisch, als auch ethisch - im Konfliktfeld zwischen den Nöten der werdenden Mutter und dem Schutz des ungeborenen Embryos auf Leben.
Es ist völlig richtig, dass wir in diesem Hause klarstellen, dass es nicht um eine generelle Infragestellung des § 218 geht. Vielmehr geht die Diskussion, glaube ich, in die richtige Richtung.
Ausgangspunkt meiner Einschätzung ist Folgendes: Der Fortschritt in der Medizin ist in den letzten Jahren rasant gewesen. Ungeborene können bereits ab einem sehr frühen Zeitpunkt außerhalb des
Mutterleibes überleben. Meine Besuche auf den Stationen für Frühchen haben mir sehr deutlich vor Augen geführt, wie weit die Neonatologie hier bereits vorangeschritten ist. Für viele Eltern bieten diese Stationen eine unglaubliche Chance darauf, dass ihre viel zu früh geborenen Kinder trotz allem überleben. Sie hoffen und bangen mit ihren Kindern. Sie ringen um jeden Tag, und sie nutzen die Möglichkeit der Medizin und der fortgeschrittenen Technik. Diese Technik bietet sicherlich Chancen. Aber wir müssen uns auch der politischen Verantwortung stellen, die aus der Fortentwicklung der medizinischen Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik folgt.
Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Wir dürfen die Eltern nicht alleine lassen. Sie brauchen Unterstützung, Begleitung und Hilfe, um diese für sie sehr schwere Phase meistern zu können. Auch die Tatsache, dass medizinischer und technischer Fortschritt ungeborenen Kindern immer früher eine Überlebensmöglichkeit bietet, verschärft den Konflikt immens. Wir sind aufgefordert, für jedes Kind zu kämpfen, damit uns keines verloren geht. 171 Spätabtreibungen bundesweit im Jahre 2005 sollten Veranlassung genug sein, zu handeln und den rechtlichen Schutzauftrag für das ungeborene Leben im allgemeinen Bewusstsein wieder zu beleben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang zwei Punkte ansprechen. Erstens. Frauen brauchen bereits vor der Nutzung der medizinischen Möglichkeiten der Pränataldiagnostik Beratung, und zwar medizinische und gegebenenfalls auch psychosoziale Beratung. Es stellen sich für die Frau viele Fragen. Diese sollten vorher geklärt sein.
Zweitens. Bei der Reform des § 218 StGB hat sich der Gesetzgeber mit sehr guten Gründen dafür entschieden, dass ein Abbruch allein wegen der Behinderung eines Kindes nicht möglich ist. Diese sogenannte embryopathische Indikation wurde ersatzlos aus § 218 a StGB gestrichen. Ein Abbruch ist heute nur dann nicht rechtswidrig, wenn dieser unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der
Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann.
Nach dieser Vorschrift kommt es damit auf die Lage der Schwangeren, auf ihr Leben, auf ihre Gesundheit an. Aber auch, wenn die medizinische Indikation gestellt ist, sollten die Dinge nicht übereilt werden. Die Frauen wie auch die Männer werden ihr gesamtes Leben mit ihrer einmal getroffenen Entscheidung leben müssen. Hier sollten wir uns noch eines vergegenwärtigen. Es handelt sich hier um werdende Eltern. Es handelt sich um Eltern, die sich auf ihr Kind gefreut haben. Es handelt sich um werdende Eltern, bei denen in den langen Schwangerschaftswochen zuvor eine Beziehung zwischen Mutter und Kind entstanden ist. Ein Abbruch dieser Schwangerschaft ist unglaublich belastend. Um sicherzustellen, dass die Entscheidung überdacht ist, sollte ausreichend Bedenkzeit zwischen der Feststellung der medizinischen Indikation und dem Abbruch liegen. Eine Ausnahme ist selbstverständlich dann zu machen, wenn das Leben der Mutter akut gefährdet ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte in Anbetracht der veränderten technischen und medizinischen Möglichkeiten eine Diskussion über Spätabtreibungen anstoßen mit dem Ziel, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Auch wenn der Bund gefordert ist, diese Rahmenbedingungen zu setzen, glaube ich, sind wir alle aufgefordert, dieses Thema gesellschaftlich zu diskutieren, um den Eltern die schwierige eben beschriebene Entscheidung zu erleichtern, sie ihnen vor allem zu erleichtern, ohne sie zu bevormunden. - Schönen Dank.
Nachdem die Landesregierung in der Aktuellen Stunde die Redezeit um zwölfeinhalb Minuten überzogen hat, erteile ich der Abgeordneten Frau Hemme nach § 71 drei Minuten Redezeit. Frau Hemme!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zum Thema Spätabtreibungen, das wir im Rahmen der Aktuellen Stunde behandeln, hat das Bundesverfassungsgericht eine Beobachtungs- und eventuelle Nachbesserungspflicht auferlegt. Dieses Thema ist in der Koalitionsvereinbarung aufgegriffen worden. Sowohl SPD als auch CDU haben dieses Thema als Aufgabe für diese Legislaturperiode angenommen.
Die Ministerin bedauert, dass dieses Thema in der Öffentlichkeit nicht genügend angenommen worden ist. Ich sage: zum Glück; denn dieses Thema ist so sensibel, dass es sich nicht für Schlagzeilen eignet.
Mit Blick darauf, dass das Thema im Rahmen einer Aktuellen Stunde behandelt wird, frage ich mich auch, wo hier die Aktualität ist; denn das Thema wird schon seit langem bearbeitet. Bereits in der letzten Wahlperiode des Bundestages sind zu dem Thema Anträge gestellt und Anhörungen durchgeführt worden. Daher kann von Aktualität eigentlich nicht die Rede sein.
Die relative Ruhe, die die Ministerin beklagt, ist ein Indiz dafür, dass alle Beteiligten das als ein sehr sensibles Thema ansehen.
Fortschritte in der Medizin müssen selbstverständlich angewandt werden, und es muss geprüft werden, wie sie dieses Thema verändern können. Aber das ist sachlich abzuarbeiten. Das Thema ist sowieso mit so viel Emotionen besetzt, dass wir uns darum bemühen müssen, daran sachlich heranzugehen. Wir wollen vor allem keine USamerikanischen Verhältnisse. Deshalb legen wir - genau wie die Vorrednerin - großen Wert darauf und werden es aktuell sehr intensiv begleiten, dass wir keine erneute allgemeine Debatte über den § 218 StGB anstoßen.
Es kann nur darum gehen, ob die Regelungen aus der damaligen Zeit noch dem medizinischen Fortschritt entsprechen. SPD und Grüne haben in der vergangenen Legislaturperiode des Bundes einen gemeinsamen Antrag eingebracht, in dem es um die von Frau Helmhold schon angesprochenen Beratungspflichten oder Beratungsmöglichkeiten geht, um psychosoziale und nicht nur medizinische Beratung. Um mehr geht es nicht. Deshalb fordere ich Sie auf, sachlich bei dem Thema zu bleiben und es nicht, Frau Ministerin, als Profilsuche zu nutzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich muss mich entschuldigen. Ich habe Frau Hemme eben Redezeit gegeben. Das war nach der Geschäftsordnung eigentlich nicht möglich.
Ich habe das nicht gewusst. Das ist eben beim Präsidentenwechsel passiert. Es tut mir leid; es ist leider passiert.