Protocol of the Session on November 10, 2006

Herr Minister, das ist wichtig vor dem Hintergrund unseres Disputs, den wir immer über die Anwendung der Regeln der Technik in Bezug auf Lathen führen. Hier sagt uns der Projektleiter Magnetschwebebahn, dass schon dadurch Sicherheitslücken entstehen können.

Es geht weiter:

„Bei einem komplexen und innovativen Bahnsystem wie der Magnetschwebebahn genügt eine Definition von Sicherheitsvorschriften allein als Antwort auf negative Erfahrungen bei der Magnettechnik oder anderen vergleichbaren Verkehrssystemen nicht.“

Er schreibt weiter:

„Deshalb fordert der Verordnungsgeber eine weitere, prospektive Betrachtung einer Magnetschwebebahnanlage: die Aufstellung eines Sicherheitskonzeptes für jede konkrete Magnetschwebebahnanlage, das eine Beurteilung der Sicherheit im technisch-physikalische Sinn in Bezug auf das Gesamtsystem ermöglicht.“

Genau das lag in Lathen aber nicht vor. Diese Definition trifft zu: Es ist eine Magnetschwebebahnanlage, Herr Minister. Offensichtlich werden wir hier in Niedersachsen von Ihrem Ministerium mit einem anderen Sicherheitsstandard konfrontiert, als es das Eisenbahn-Bundesamt gegenüber anderen Magnetschwebebahnanlagen vorhat.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das stimmt so nicht!)

Die DB Magnetbahn schrieb das schon im März 2005.

Warum diese Unterschiede? - Sie haben immer wieder betont: Nirgendwo gibt es einen höheren Sicherheitsstandard als in Lathen. Es gibt keinen Unterschied zu dem, was in Schanghai oder München geplant ist. - Hier wird definitiv von einer völlig anderen Herangehensweise, von einem anderen Sicherheitsansatz gesprochen, als Ihr Ministerium, Ihre Landesbehörde bisher dort vorsieht.

Genau diese Beurteilung der Sicherheit des Gesamtsystems fehlt auf der Transrapidversuchsstrecke im Emsland bis heute. Offensichtlich ist, dass im Ergebnis die Industrie, die Betreiber, der TÜV und die Behörden kollektiv die Notwendigkeit der

Einbeziehung der umgebauten Lastwagen in ein automatisches Sicherungssystem zusammen mit dem jeweiligen Transrapidversuchsfahrzeug in Lathen immer wieder ignoriert haben.

(Bernd Althusmann [CDU]: Das stimmt doch nicht!)

Genau das ist eine der zentralen Fragen, Herr Minister, die auch nach vier Anläufen im Wirtschaftsausschuss und im Plenum immer noch nicht geklärt sind.

Wie kam es dazu, dass trotz dieser Hinweise das Wirtschaftsministerium seiner Verantwortung für die Sicherheit der Anlage, die nach dem Versuchsanlagengesetz und der aktuellen Betriebsgenehmigung dem Ministerium bzw. seiner Behörde in Obhut gegeben ist, vor dem Unfall nicht ausreichend gerecht geworden ist?

(Jörg Bode [FDP]: Was?)

Hinzu kommt die unrühmliche Geschichte der immer wieder von Ihnen selbst, Herr Minister Hirche, korrigierten Aussagen gegenüber dem Parlament zur Vorgeschichte und zu den Rahmenbedingungen auf der Transrapidversuchsanlage, die das Vertrauen in den abschließenden Wahrheitsgehalt des jeweils erreichten Kenntnisstandes zusätzlich untergraben haben.

Auf dem Höhepunkt der eigenen Verstrickung versuchen Sie sogar den Befreiungsschlag mit der Beauftragung des Landesrechnungshofes zur Überprüfung der eigenen Behörde.

(Hans-Werner Schwarz [FDP]: Wel- che Verstrickung eigentlich?)

Dieses Vorgehen einer Landesregierung, mit selbst veranlassten Sonderermittlungen zu versuchen, der direkten Überprüfung durch das Parlament zu entgehen, hat in Niedersachsen schon etliche Vorläufer - auch bei anderen Landesregierungen. Ich habe dazu eine richtige Stellungnahme des Kollegen Busemann in der 40. Plenarsitzung am 17. Dezember 1999 gefunden. Ich zitiere Herrn Busemann:

„Wo ist eigentlich die rechtsstaatliche Legitimation dafür, in diesem Lande Sonderermittler einzusetzen? Gibt es Dinge, die strafrechtliche Relevanz haben? - Dann ist die Staatsanwaltschaft zuständig.... Gehen solche Dinge z. B. in den politischen Bereich

über? - Dann gibt es eben einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der alles zu klären hat. Irgendwelche Mitteldinge dazwischen im diffusen Raum, in der Grauzone dürfen nicht sein.“

(Beifall bei den GRÜNEN - Wolfgang Jüttner [SPD]: Ist er Jurist?)

Ich meine, Herr Busemann hat in diesem Fall die Situation sehr korrekt beschrieben. Diese Ausführungen lassen sich genauso auf unsere heutige Lage anwenden. Deshalb macht es nicht nur die definitive Absage des Eisenbahn-Bundesamtes erforderlich, dass wir als Parlament jetzt durch die rechtlichen Möglichkeiten eines Untersuchungsausschusses eine schärfere Gangart bei der Aufklärung einlegen. Auch Sie, Herr Kollege Jüttner, sind mit Ihrer Fraktion gefordert, sich an Ihren eigenen Aussagen in dieser Frage messen zu lassen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Eine klare Gewissheit mit belastbaren Fakten lässt sich nach unseren bisherigen Erfahrungen offenbar erst durch vollständige Akteneinsicht, Zeugenladungsrecht und vereidigte Aussagen im Rahmen eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses herbeiführen.

Im Untersuchungsausschuss wäre es eben nicht so, wie noch im rundblick am Dienstag behauptet wurde, dass sich das Eisenbahn-Bundesamt der Befragung mit Hinweis auf laufende staatsanwaltschaftliche Ermittlungen pauschal entziehen könnte, so wie es das jetzt gegenüber dem Verkehrsausschuss macht.

Wir werden sehen, wie viel uns bei der jetzt nachgeschobenen Befragung der DB Magnetbahn offenbart wird und wie viel in der einfachen Ausschussberatung in zwei Wochen aus dem Grund, dass es sich um Betriebsgeheimnisse handelt, oder aus sonstigen Gründen nicht beantwortet wird.

Der sachliche Umfang eines Aussageverweigerungsrechtes ist dagegen in einem Untersuchungsausschuss im Rahmen der Strafprozessordnung eng umgrenzt und betrifft lediglich Aussagen, die zur eigenen strafrechtlichen Belastung oder zur Belastung von Angehörigen führen könnten. Dies ist dann jeweils im Einzelfall zu begründen und kann nicht pauschal als Grund zum Nicht

erscheinen genommen werden. Nur im Untersuchungsausschuss kann der bisherige enge Ring des Korpsgeistes der über lange Jahre gemeinsam mit Transrapidplanung und -betrieb betrauten Fachleute aufgebrochen werden, um die Abläufe und Verantwortlichkeiten aufzuklären.

Auch die persönliche oder schlicht wirtschaftlich begründete Aussageverweigerung wegen Befangenheit der weiter gefassten wissenschaftlichen Fachwelt kann nur durch das Ladungsrecht eines Untersuchungsausschusses aufgehoben werden, damit wir auch von dieser Seite objektive Bewertungen zur Sicherheitstechnik und zum Genehmigungsstandard auf der Versuchsanlage erhalten.

Das Unglück in Lathen konnte geschehen, weil Experten, TÜV, Betreiber und Behörden die umgebauten Lastwagen, die jeden Tag auf der Strecke fuhren, nicht als Teil der Transrapidtechnik verstanden haben wollten. Noch immer setzt das „Zitierkartell“ alles daran, seine Transrapidtechnik verbissen zu verteidigen, anstatt bei der Aufklärung konstruktiv und vorbehaltlos mitzuwirken und einzugestehen, dass die fehlende Einbindung der Werkstattwagen ein vermeidbares Risiko darstellte.

Wenn dann jemand außerhalb dieses Kreises der Eingeweihten und Transrapid-Entwickler wagt, einfache technische Sicherungen, wie z. B. Lichtschranken, vorzuschlagen, die das Unglück verhindert hätten, dann wird er pauschal wegen seines mangelnden Einblickes diskreditiert. Woher soll er einen solchen Einblick auch haben? Denn alles, was dort entwickelt wird, ist ja geheim!

(Beifall bei den GRÜNEN - Jörg Bode [FDP]: Das ist doch Unsinn!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es darf in so einem gravierenden Fall nicht sein, dass nur die bisherigen Akteure wegen ihres Einblickes in die Betriebsabläufe und internen Sicherheitsvorgaben von Teilen des Parlaments als Fachleute anerkannt werden und unabhängige Fachleute nur allgemein veröffentlichte Informationen haben, um ihre Bewertung zu untermauern. Die TransrapidExperten orientieren sich mit ihrer Entwicklung an der Luftfahrttechnik, können einen Zug mit 400 km/h schweben lassen und sollen dann nicht in der Lage gewesen sein, schlichte motorgetriebene Werkstattwagen, die täglich verkehren, im Betrieb technisch automatisch abzusichern, obwohl ihnen das Sicherheitsrisiko durchaus bekannt

war? - Diesen unglaublichen Widerspruch, den kein vernünftiger Mensch begreifen kann, müssen wir aufklären.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Das sind wir als Parlament den bisher allein belasteten Fahrdienstleitern und den Hinterbliebenen der Opfer schuldig. Wenn wir unsere Verantwortung ernst nehmen, darf es heute nicht darum gehen, ob im Fraktionszwang CDU und FDP vielleicht dagegen stimmen und ob die SPD heute oder in 14 Tagen oder sonst irgendwann unseren Antrag unterstützt.

(Glocke der Präsidentin)

Heute sollte es darum gehen, was jede einzelne Abgeordnete, jeder einzelne Abgeordnete mit seinem Gewissen gegenüber diesen Menschen, den bisher allein Beschuldigten und den Angehörigen der Opfer, verantworten kann. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei den GRÜNEN)

Danke sehr, Herr Hagenah. - Für die SPD-Fraktion hat jetzt Herr Kollege Will das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der schreckliche Unfall vom 22. September 2006 auf der Transrapidstrecke in Lathen im Emsland, bei dem von 29 Mitfahrenden 23 getötet und die Übrigen zum Teil schwer verletzt wurden, hat Deutschland wie einen Schock getroffen. Viele technikinteressierte Bürgerinnen und Bürger und auch viele Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus sind in den letzten Jahrzehnten mit dem Transrapid gefahren, und keiner hat wohl geahnt, welche potenzielle Gefahr diese Fahrt in sich birgt.

Unser Mitgefühl gehört den Verletzten und den Angehörigen der Verunglückten, aber auch die vielen freiwilligen Helfer der Feuerwehren und von Rettungsdiensten, die schreckliches Leid erleben mussten, haben wir nicht vergessen.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich möchte ihnen noch einmal ausdrücklich für ihre Arbeit danken.

Gleichwohl steht seit Ende September nun die parlamentarische Aufarbeitung dieses Unglücks an, und zwar aus mehreren zwingenden Gründen.

Erstens. Wir sind den Toten, den Hinterbliebenen und den Verletzten gegenüber in der Pflicht, alles Menschenmögliche zu tun, um die Ursachen dieses schlimmen Unfalls aufzuklären. Wir müssen alles tun, um die Verantwortlichkeiten der am Testbetrieb Beteiligten in Lathen und mögliche Fehler im Erteilen und im Umgang mit staatlichen Genehmigungen zu klären.

(Beifall bei der SPD)

Zweitens. Wenn die Transrapidtechnologie eine Zukunft im Regelbetrieb in Deutschland und im Ausland haben soll, sind alle Beteiligten verpflichtet, ihren freiwilligen Beitrag zur Aufklärung der Unfallursachen einzubringen. Mit Halbwahrheiten, Vernebelungen oder mit einem Verniedlichen der Probleme ist hier keinem geholfen.

(Beifall bei der SPD)

Auch das Vernichten von Unterlagen bereits nach zehn Jahren, wie es der TÜV bei der öffentlichen Anhörung erklärt hat, erhöht eben nicht gerade die Glaubwürdigkeit und Transparenz.