Protocol of the Session on October 12, 2006

3. In welcher Weise fließen die Erkenntnisse aus Forschungsprojekten zu umfassenderem Küstenschutz, z. B. aus dem Projekt ComCoast, in den Generalplan Küstenschutz ein?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Herzlichen Dank, Frau Kollegin Steiner. - Für die Landesregierung spricht Herr Umweltminister Sander. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Auswirkungen des Klimawandels im Hinblick auf den Küstenschutz werden von der Landesregierung seit Jahren sorgfältig beobachtet. Wesentliche Grundlage bildet hierbei der Pegel Norderney-Riffgat. Von ihm gibt es seit über 100 Jahren Messwerte.

Die Auswertung der Pegelaufzeichnungen ergibt einen Anstieg des mittleren Tidehochwassers von 25 cm in 100 Jahren. Die Pegelbeobachtungen lassen gegenwärtig keine Rückschlüsse auf einen stärkeren Anstieg des mittleren Tidehochwassers zu. Deshalb werden die 25 cm bei der Berechnung der Deichhöhen als Vorsorgewert für die nächsten Jahrzehnte berücksichtigt.

Die in der Anfrage erwähnte IPCC-Studie aus dem Jahr 2001 weist für den Anstieg des mittleren Meeresspiegels eine relativ große Bandbreite von 9 bis 88 cm vom Jahr 1990 bis zum Jahr 2100 auf. Diese große Bandbreite beruht auf naturwissenschaftlichen Kenntnisdefiziten und auf unterschiedlichen Szenarien für die weltwirtschaftliche Entwicklung sowie für politische Entscheidungen zum Klimaschutz. Das tatsächliche Maß des zukünftigen Meeresspiegelanstiegs kann heute von niemandem genau vorhergesagt werden.

(Anneliese Zachow [CDU]: Außer von Frau Steiner!)

Es ist deshalb vernünftig, zunächst und so lange von einem fortgeschriebenen Anstieg in der bisher gemessenen Größenordnung auszugehen, bis zukünftige Messungen höhere Werte anzeigen.

Wie ich bereits in der Beantwortung der Anfrage von Herrn Janßen im Juni-Plenum dieses Jahres ausgeführt habe, bleiben durch die eingeplanten Reserven hinreichende Reaktionszeiten für eine Nacherhöhung der Deiche, wenn ein Trend zu einer stärkeren Erhöhung erkennbar werden sollte. Das bedeutet: Mit der eingeplanten Reserve von 25 cm für die Berechnungen der Deichhöhen können wir einen wirksamen Küstenschutz sicherstellen.

Dieses Vorgehen ist insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil die in Niedersachsen in Erdbauweise ausgeführten Deiche im Bedarfsfall ohne größere technische Probleme nacherhöht werden könnten. Bei massiven Bauwerken wie Sielen oder Sturmflutschutzwänden wird eine Nacherhöhung von bis zu 90 cm bereits heute konstruktiv berücksichtigt. Im Übrigen entspricht diese Vorgehensweise grundsätzlich auch der Praxis in den Niederlanden.

Beim geplanten Ausbau von Weser oder Elbe wird hinsichtlich möglicher Auswirkungen vorsorglich ein höherer säkularer Meeresspiegelanstieg berücksichtigt. Von den zuständigen niedersächsischen Behörden ist den jeweiligen Vorhabenträ

gern ein Anstieg des Meeresspiegels um 90 cm aufgegeben worden.

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Kleine Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

Zu 1: Solange keine gesicherten Grundlagen für einen beschleunigten Anstieg des Meereswasserspiegels vorliegen, geht der neue Generalplan Küstenschutz, der zum Jahresende veröffentlicht wird, von einem Anstieg von 25 cm in 100 Jahren aus.

Zu 2: Massive Baustoffe wie Asphalt oder Beton werden bereits seit langer Zeit im Küstenschutz eingesetzt, insbesondere in stark beanspruchten Bereichen, die dem Tideeinfluss regelmäßig ausgesetzt sind. Insofern ergibt sich für die Landesregierung keine Veranlassung, über Alternativen oder Ergänzungen zu Klei und Sand als Deichbaumaterial nachzudenken; sie sind ihr hinlänglich bekannt.

Die Landesregierung hält an der Position fest, dass - abgesehen von den erwähnten und schon praktizierten Ausnahmen - die „grünen“ Deiche grundsätzlich erhalten werden sollten. Über die optimale Bauausführung ist jedoch immer im Einzelfall zu entscheiden.

Zu 3: Das Vorhaben von ComCoast ist noch nicht abgeschlossen und hat somit noch keine bewertbaren Ergebnisse geliefert. Nach Abschluss des Projektes werden die Ergebnisse vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) bewertet. Sie werden gegebenenfalls auch nach Vorlage des Generalplans Küstenschutz in die zukünftigen Planungen für den Küstenschutz einfließen. Das gilt im Übrigen für alle relevanten Forschungen und Gutachten zum Küstenschutz.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Herzlichen Dank, Herr Minister. - Die erste Zusatzfrage stellt Frau Kollegin Steiner. Bitte!

Frau Präsidentin! Der Herr Minister hat gerade in der Beantwortung, vor allem der ersten Frage, ausgeführt, solange keine gesicherten Grundlagen für andere Daten vorlägen, würden die jetzigen Annahmen mit einem Anstieg um 25 cm verwen

det. Der 2001 erstellte Generalplan Küstenschutz Schleswig-Holstein geht aber bereits von einem Meeresspiegelanstieg um 50 cm aus, und auch das ist schon niedrig gerechnet. Bei KRIM, diesem tollen Projekt „Klimawandel und präventives Risiko- und Küstenschutzmanagement an der deutschen Nordseeküste“, wird bereits ein Anstieg des Meeresspiegels um 55 cm und des mittleren Tidenhubs um 25 cm bis zum Jahr 2050 angenommen, also in einem halben Jahrhundert.

Daher frage ich Sie: Wie kommen Sie dazu oder was berechtigt Sie, in Ihrem für Ende 2006 angekündigten Generalplan Küstenschutz lediglich einen so geringen Meeresspiegelanstieg von 25 cm pro Jahrhundert anzunehmen?

Danke schön. - Für die Landesregierung hat Herr Umweltminister Sander das Wort. Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Steiner, Ihnen ist wahrscheinlich aber auch bekannt, dass der zitierte Plan von Schleswig-Holstein aus dem Jahre 2001 andere Methoden anwendet,

(Dorothea Steiner [GRÜNE]: Ja!)

aber - und das ist das Entscheidende - zu den gleichen Ergebnissen kommt wie wir hier in Niedersachsen. Wir müssen diese Ergebnisse zugrunde legen; nur die können wir auch als Maßstab nehmen. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden jetzt irgendeine Zahl aus der Luft greifen, beispielsweise 40 cm, die Sie gerade so in den Raum gestellt haben. Dann würden wir im Grunde genommen Geld verschwenden. Wir können Küstenschutz doch nur auf der Grundlage gesicherter Daten betreiben und nicht aus dem Gefühl oder aus dem Bauch heraus. Sonst würden Sie doch etwas anderes gefährden. Dann müssten Sie andere Maßnahmen, die im Generalplan Küste vorgesehen sind, den wir jetzt fortschreiben und neu aufstellen werden, vernachlässigen. Das wäre das Ergebnis. Vielleicht kennen Sie das Beispiel, Frau Kollegin Steiner: Die Kette hält nur so lange wie das schwächste Glied.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Die nächste Frage stellt Frau Kollegin JanssenKucz. Bitte!

Frau Präsidentin! Herr Minister, wie Ihnen bestimmt bekannt ist, gibt es in England und Dänemark detaillierte Analysen über Überflutungsszenarien bei einer Sturmflut. Internationale Forschungsprojekte, auch mit deutscher Beteiligung, verfolgen auch einen solchen Ansatz. Was passiert - das ist ja die Kernfrage -, wenn die Deiche nicht mehr halten? Das interessiert mich als Küstenbewohnerin und auch die Menschen bei uns in der Region wirklich sehr stark. Wir haben gestern über das Thema „höchste Sicherheit“ gesprochen. Auch hier geht es um höchste Sicherheit. Auch Ihr NLWKN räumt doch ein, dass es keine absolute Deichsicherheit geben kann.

Von daher die Frage an Sie: Gibt es solche Risikoanalysen auch für die niedersächsische Küste, oder machen Sie Ihre Risikoabschätzungen einfach irgendwo so munter drauf los, wie man so schön sagt „Pi mal Schnauze“?

(Zustimmung bei den GRÜNEN)

So ganz parlamentarisch war das nicht. - Herr Minister Sander, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin, wir arbeiten ebenfalls bei ComCoast mit, und zwar im Bereich Neßmersiel. Wenn dieses Projekt abgeschlossen ist und wir auch andere Erkenntnisse aus anderen Forschungsvorhaben haben, werden diese natürlich in unsere neuen Berechnungen und in unsere neuen Küstenschutzmaßnahmen mit einfließen. Entscheidend ist doch, dass wir nach menschlichem Ermessen gesicherte Daten haben. Und weil uns das so wichtig ist, haben wir den letzten Generalplan Küstenschutz aus den 70er-Jahren fortgeschrieben. Deshalb hat diese Landesregierung diesen neuen Plan aufgestellt, der im Entwurf jetzt fertig ist. Er ist in zwei Teile gegliedert, in den Festlandschutz und in den Inselschutz. Wenn dieser fertig ist, dann können wir Ihnen detailliert sagen, an welchen Stellen - nämlich dort, wo ein Unterbestick vorhanden ist - wir dringend nach

bessern müssen. Das ist eine Vorgehensweise, wie sie von der langfristigen und nachhaltigen Planung her nicht besser sein könnte.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Frau Kollegin Korter.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Sander, ich stelle fest: Die Frage meiner Kollegin Janssen-Kucz haben Sie nicht beantwortet.

Herr Minister Sander, im Zuge des Anstiegs des Meeresspiegels werden Deicherhöhungen unerlässlich sein. Wir wissen, dass die Deiche wegen ihrer unterschiedlichen Zusammensetzung nicht unbegrenzt tragfähig sind. Deshalb meine Frage: In welchem Umfang und bei welchen bestehenden Deichen ist es bisher zu Absackungen und Grundbrüchen gekommen? Hintergrund der Frage ist, dass man nicht unbegrenzt immer noch obendrauf packen kann.

Danke schön. - Für die Landesregierung hat Herr Minister Sander das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte Ihnen eben gesagt, dass wir einen Generalplan Küste erarbeiten. In diesem Generalplan Küste werden alle einzelnen Deichabschnitte aufgeführt, insbesondere die, für die jetzt dringend eine Erhöhung ansteht. Eine Erhöhung muss aus unterschiedlichen Gründen stattfinden. Erst dann, wenn wir dies haben, kann ich Ihnen genauestens sagen - dies könnte ich Ihnen schon heute sagen; ich bräuchte ja nur den Entwurf zu zitieren -, an welchen Stellen wir in den nächsten Jahren unsere Deichsicherungsmaßnahmen schwerpunktmäßig durchführen müssen. Nachdem wir jetzt an der Krummhörn den letzten Deich seit 1962 erhöht haben, werden wir - dies ergibt sich aus dem Entwurf des Plans - verstärkt an den Weserdeichen eine Erhöhung vornehmen müssen.

(Zustimmung von Dr. Philipp Rösler [FDP])

Herzlichen Dank. - Die nächste Frage stellt Herr Kollege Haase.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister Sander, im Küstenraum wissen wir ja mittlerweile, dass nicht nur der Meeresspiegel kontinuierlich ansteigt - die Messreihen beweisen dies; Frau Steiner hat in ihrem Redebeitrag die internationalen Ergebnisse vorgestellt -, sondern dass wir es im ostfriesischen Raum zusätzlich mit Senkungen des Festlandes zu tun haben. Deshalb frage ich die Landesregierung: Berücksichtigt sie bei der Planung des Küstenschutzes für die nächsten Jahre gerade auch die Sackungen des Festlandes infolge der Erdgasförderung, die im niederländischen Modell mit mittlerweile 50 bis 80 cm beim Festland berechnet werden? Wie wird dies in den Generalplan Küste eingearbeitet?

Herzlichen Dank, Herr Kollege Haase. - Für die Landesregierung antwortet Herr Umweltminister Sander. Bitte schön!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Haase, Ihnen ist ja bekannt, dass dies immer in die Berechnungen eingeflossen ist und auch in der Zukunft einfließen wird. Die Komponenten, die berücksichtigt werden, sind zum einen der Untergrund und zum anderen das Deichvorland - je mächtiger und tiefer, desto besser. Auch die Senkungen werden in die Berechnungen einfließen.

(Hans-Dieter Haase [SPD]: Haben Sie Daten?)

Danke schön. - Die nächste Frage stellt Herr Kollege Klein.

Der Minister erwartet für seine Planungen gesicherte Erkenntnisse in Bezug auf den Anstieg des Meeresspiegels. Wir müssen aber feststellen, dass wir gesicherte Erkenntnisse bei dieser Frage immer nur im Nachhinein haben und dass es, was

die zukünftige Beurteilung betrifft, immer nur um Prognosen geht. Von daher frage ich: Wie gehen Sie mit der Tatsache um, dass gerade in den letzten Monaten vermehrt und an vielen Stellen internationale Institute zu dem Schluss gekommen sind, dass es eine deutliche Beschleunigung des Meeresanstiegs gegenüber den bisher vorliegenden Prognosen geben wird, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Naturkatastrophen, die wir inzwischen weltweit erleben, und auch das schnellere, sich im Grunde genommen potenzierende Abschmelzen der Gletscher entsprechende Indizien dafür sind? Warum ignorieren Sie diese Warnungen und bestehen auf Ihren 25 cm pro Jahrhundert, die nun wirklich nicht mehr aktuell sind?

(Beifall bei den GRÜNEN)

Danke schön, Herr Kollege Klein. - Für die Landesregierung antwortet Herr Umweltminister Sander.