Protocol of the Session on June 26, 2003

Der Konvent hat im Europäischen Rat von Thessaloniki am 20. Juni 2003 einen Gesamtentwurf der neuen Europäischen Verfassung vorgelegt. Dieser ist von den Staats- und Regierungschefs als historischer Schritt zur Förderung der Ziele der europäischen Integration begrüßt und als eine gute Ausgangsbasis für die kommende Regierungskonferenz bezeichnet worden. Die Verhandlungen sollen so rechtzeitig abgeschlossen werden, dass der Vertrag so bald wie möglich nach dem 1. Mai 2004 unterzeichnet werden kann. Es ist sicherlich zu früh, die Ergebnisse des Konvents abschließend zu bewerten. Der Entwurf ist noch nicht vollständig. Insbesondere der für die Länder wichtige Teil 3 mit den fachpolitischen Einzelermächtigungen fehlt noch. Gleichwohl lässt sich festhalten, dass der Verfassungsentwurf in denen

vom Konvent abschließend beratenen Teilen 1 und 2 aus Ländersicht einen insgesamt ausgewogenen Kompromiss darstellt. Wenn man einen Kompromiss hat, Frau Kollegin Merk, dann soll man hinterher nicht nachkarten und sagen, wer was gemacht hat.

Zu der einvernehmlichen Länderhaltung hat die am vergangenen Freitag von CDU und CSU gemeinsam verabschiedete Position zum Stand des EUVerfassungsvertrages entscheidend beigetragen. Einen wichtigen Beitrag zur Durchsetzung von Länderpositionen haben auch Sie seitens des Landtages bereits geleistet. Ich bedanke mich ausdrücklich für die Vorlage des Entschließungsentwurfs der Regierungsfraktionen vom 2. Mai, der wichtige Vorläufer in der vergangenen Legislaturperiode hatte, und für die vielen materiellen Anregungen, die in dieser Entschließung enthalten sind.

Lassen Sie mich nun auf einige Details des Konventsentwurfs eingehen. Er sagt klar und deutlich, welche Ziele und Kompetenzen die Union hat. Er gibt Auskunft über die Rechte seiner Bürger, die Befugnisse, Verantwortlichkeiten und Entscheidungsverfahren ihrer Organe. Er erkennt ausdrücklich an, dass wir keinen europäischen Superstaat haben wollen und dass Kompetenzen wie Steuern, Außenpolitik und Verteidigung in der Prärogative der Mitgliedstaaten verbleiben. Die demokratische Legitimation als Union der Bürgerinnen und Bürger und der Staaten wird gestärkt. Ich nenne nur die Festlegung des Mitentscheidungsverfahrens als Regelfall. Die Handlungs- und Funktionsfähigkeit der EU wird verbessert. Dazu soll die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen beitragen. Es gibt überaus wichtige Bausteine hin zu mehr Transparenz und Effizienz. Die Bestellung eines hauptamtlichen Präsidenten des Europäischen Rates und eines europäischen Außenministers ist hier ein Signal. Ich nenne die Eingliederung der Grundrechtscharta in die Verfassung. Ich weise darauf hin, dass sie nicht gegen irgendwelche Konservativen durchgesetzt worden ist, sondern im Grundrechtekonvent erarbeitet wurde. Der Vorsitzende hieß Roman Herzog, der mit Sicherheit nicht jemand ist, der nicht als konservativ bezeichnet werden kann. Das, was dort erarbeitet wurde, ist dann in Teil 2 eingearbeitet worden.

Darüber hinaus konnten wichtige Anliegen der deutschen Länder umgesetzt werden. Dies betrifft z. B. eine bessere Kompetenzabgrenzung, klarere Kompetenzausübungsregelungen, die Schaffung eines präventiven Frühwarnsystems zur Subsidia

ritätskontrolle und verstärkten Rechtschutz mit einem Klagerecht für beide Kammern der nationalen Parlamente bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips. Ebenso wurde der Ausschuss der Regionen gestärkt. Wichtig ist auch das Bekenntnis zur Wahrung der Identität der Mitgliedstaaten einschließlich ihrer lokalen und regionalen Selbstverwaltungen, insbesondere die Anerkennung des Status von Kirchen und der Religionsgemeinschaften.

Für den dritten Teil haben wir ein spezielles Anliegen: Im Bereich der Asyl- und Einwanderungspolitik muss der Zugang von Staatsangehörigen aus Drittstaaten zum nationalen Arbeitsmarkt mitgliedstaatliche Angelegenheit bleiben. Im Bereich der Einwanderung müssen die Mitgliedstaaten weiterhin über das Maß der Einwanderung aus Drittstaaten entscheiden. Am Einstimmigkeitserfordernis ist hier festzuhalten. Im sozialpolitischen Bereich muss die Zuständigkeit für die Organisation, Finanzierung und Leistung der sozialen Sicherungssysteme sowie für die Sozialhilfe bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Ferner wehren wir uns gegen eine neue Zuständigkeit der EU für die Bestimmung der Ausgestaltung von Leistungen der Daseinsvorsorge.

Trotz dieser vielen offenen Punkte, so meine ich, sind wir auf einem guten Wege. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Herr Minister, vielen Dank. - Frau Kollegin Kuhlo, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der jetzt vom Konvent vorgelegte Entwurf für eine Europäische Verfassung mag auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs vielleicht noch leicht modifiziert werden. In den wesentlichen Punkten sind aber keine Veränderungen mehr zu erwarten.

Wir von der FDP-Fraktion sind sehr froh, dass jetzt mit den beiden ersten Teilen das Kernstück einer Verfassung vorliegt, das einmalig in der Geschichte die Europäische Union als Wertegemeinschaft definiert. Es handelt sich um einen Kompromiss, der natürlich nicht alle Punkte berücksichtigt, der aber bei der Unterschiedlichkeit der

Interessenlagen der demnächst 25 Mitgliedstaaten beachtlich und insgesamt positiv zu bewerten ist.

Auch wenn im Bereich der gemeinsamen Außenund Sicherheitspolitik weiterhin das Einstimmigkeitsprinzip gelten soll, was wir als FDP-Fraktion ausdrücklich bedauern, so bringt doch die Möglichkeit von Entscheidungen mit doppelt qualifizierten Mehrheiten erheblich mehr Handlungsfähigkeit. Mehr Bürgernähe, mehr Transparenz, mehr Demokratie und mehr Handlungsfähigkeit als gemeinsame Zielsetzung der Verfassung sind mit dem vorliegenden Kompromiss im erweiterten Europa möglich. Das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament wird zukünftig maßgeblich die Wahl des Präsidenten der Europäischen Kommission beeinflussen und auf diese Weise mehr Demokratie für EU-Bürgerinnen und –Bürger bringen.

Die Reduzierung der Kommission ab 2009 auf 15 Mitglieder wird deren Handlungsfähigkeit deutlich stärken. Der Verzicht auf das Rotationsprinzip und die Verlängerung der Amtsperiode des Präsidenten auf zweieinhalb Jahre werden ebenfalls mehr Handlungsfähigkeit bringen und für Kontinuität sorgen. Im Rahmen eines Frühwarnmechanismus und mit eigenem Klagerecht können die nationalen Parlamente zukünftig über die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips wachen. Mit der Festschreibung der Grundsätze der sozialen Marktwirtschaft sowie den Zielen Vollbeschäftigung und einem hohen Maß an Umweltschutz sind die wesentlichen Rahmenbedingungen für die Wirtschafts- und Sozialpolitik im Sinne liberaler Politik festgeschrieben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, dies sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass eine große Übereinstimmung erzielt werden konnte. Ich sagte bereits: Wie bei einem Kompromiss natürlich nicht anders möglich, sind nicht alle Forderungen erfüllt. Auch im CDU/FDP-Antrag sind Forderungen enthalten, die im Konventsentwurf nicht realisiert worden sind. So verständigte sich der Konvent nicht auf einen expliziten Bezug zum Christentum, stellte aber fest, dass die kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen zu den Werten gehören, auf die sich die Gemeinschaft stützt. Hier besteht Nachbesserungsbedarf.

Wir verfallen angesichts des Verfassungsentwurfs nicht in Jubelstimmung, halten ihn aber unter Berücksichtigung der vorhandenen Interessengegensätze für einen großen Erfolg. Wir sind überzeugt,

dass am Ende des Prozesses ein Verfassungswerk vorliegen wird, das einerseits die Werte und das Demokratieverständnis der Nationalstaaten widerspiegelt und andererseits klare Kompetenzabgrenzungen und gestärkte Handlungsfähigkeit sichert. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Frau Kollegin Langhans, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Inzwischen ist die Zeit über den Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP hinweggegangen.

(Zustimmung bei der SPD)

Der Europäische Konvent hat sich nach fast eineinhalbjähriger Beratung auf den Entwurf einer Europäischen Verfassung geeinigt. Alle Gruppen im Konvent - Regierungen, Abgeordnete der Nationalparlamente und des EU-Parlaments sowie Mitglieder der Kommission - haben ihre Zustimmung erklärt. Auch wenn noch nicht alle inhaltlichen Fragen geklärt sind - insbesondere nicht die Fragen der Zuständigkeiten der EU in den einzelnen Politikfeldern -, kann man die Verfassung als einen Erfolg für Europa bezeichnen. Sie wird Europa demokratischer und effizienter machen. Sie wird helfen, Entscheidungsprozesse für die Bevölkerung durchschaubarer zu machen.

Natürlich gibt es auch berechtigte Kritik, die wir nicht verschweigen wollen. Ich will sie hier kurz benennen.

Ein allgemeiner Übergang zu Mehrheitsentscheidungen wäre mehr als wünschenswert gewesen. Die Stärkung des Europäischen Parlaments hätten wir uns etwas deutlicher gewünscht; denn der Souverän in Europa ist und bleibt die Bürgerin und der Bürger.

Aber insgesamt hat der Konvent seinen Auftrag, eine Verfassung für eine transparentere und bürgernähere Union zu schaffen, erfüllt. Diesen Weg gilt es fortzusetzen und weiterzuentwickeln, meine Damen und Herren, hin zu einem Europa der Bürgerinnen und Bürger und gleichermaßen zu einem Europa der Regionen.

Meine Damen und Herren, ich sagte zu Anfang, die Zeit sei über Ihren Antrag hinweggegangen. Hinweggegangen ist die Zeit allerdings nicht über die Intentionen, die dieser Antrag auch weiter enthält. Sie erweisen sich in Ihrem Antrag als Bremser und Bedenkenträger. Sie fordern schon heute, die Grenzen der EU klar zu ziehen. Meine Damen und Herren, um es hier einmal deutlich sagen: Es gibt keine politische Alternative zu einem erweiterten Europa.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Türen müssen offen bleiben, um weiter Frieden und Demokratie in Europa zu sichern. Am Beispiel Kosovo wird das übrigens sehr deutlich.

Das noch sehr zarte Pflänzchen eines Demokratisierungsprozesses kann nur dann weiter gedeihen, wenn dem Kosovo eine Option für Europa eingeräumt wird. Davon habe ich mich selbst überzeugen können. Ich bin nicht die Einzige in diesem Parlament, die das getan hat.

Immerhin sind Sie in Ihrem Antrag einem Kritikpunkt unsererseits gefolgt, meine Damen und Herren: Sie haben die Achtung und Toleranz gegenüber anderen Weltreligionen und Glaubensgemeinschaften in Ihren Antrag aufgenommen.

Dennoch gibt es weitere Kritikpunkte. Sie suggerieren eine große Skepsis der Bürgerinnen und Bürger gegenüber der Union. Wenn das so sein sollte, dann sollten Sie sich mit aller Kraft dafür einsetzen, diese Bedenken auszuräumen. Dieses Engagement sehe ich allerdings nicht. Ich teile im Übrigen auch nicht Ihre Auffassung.

Die Europäische Union und die Öffentlichkeit sind oft schon weiter als ihre nationalstaatlichen Regierungen.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung von Heidrun Merk [SPD])

Das haben die gemeinsamen Demonstrationen gegen den Irak-Krieg am 15. Februar in London, in Rom, in Madrid, in Barcelona, in Berlin und in Paris eindrucksvoll bewiesen.

Meine Damen und Herren, die Vision eines gestärkten gemeinsamen Europas darf nicht verloren gehen. Da, meine ich, bleiben Sie mit Ihrem Antrag deutlich hinter der europäischen Debatte zurück.

(Beifall bei den GRÜNEN und Zu- stimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe daher die Beratung zu den Tagesordnungspunkten 27 und 28.

Wir kommen zu den notwendigen Abstimmungen.

Zunächst zu Tagesordnungspunkt 27: Wer der Beschlussempfehlung des Ausschusses zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Das war eine deutliche Mehrheit.

Wir kommen jetzt zu der Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 28. Wir stimmen zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD und, falls dieser abgelehnt wird, dann über die Beschlussempfehlung des Ausschusses ab.

Wer dem Änderungsantrag der SPD-Fraktion zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.

Wir kommen jetzt zur Beschlussempfehlung des Ausschusses. Wer ihr zustimmen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmenthaltungen? - Der Beschlussempfehlung ist gefolgt.

Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt auf

Tagesordnungspunkt 29: Zweite Beratung: Hilfe für Intensivtäter - Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 15/59 - Beschlussempfehlung des Ausschusses für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit Drs. 15/195 - Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 15/274

Eine Berichterstattung ist nicht vorgesehen.

Zur Beratung hat sich der Kollege Thorsten Thümler gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! In den vergangenen Jahren mussten wir immer wieder Besorgnis erregende Meldungen über den Anstieg krimineller Delikte von Kindern feststellen. Insbesondere die Gewaltbereitschaft der Täter im Kindesalter schockiert uns alle. Das eine oder andere Mitglied dieses Hauses kann sich an den Fall Arthur im September 2002 erinnern. Ein damals zwölfjähriger Junge versetzte mit 29 Taten - zu nennen sind hier Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Diebstähle und Einbrüche - die Landeshauptstadt Hannover und insbesondere Schüler in Angst und Schrecken. Die Abstände solcher Veröffentlichungen in den Medien werden immer kürzer. Es ist leider festzuhalten, dass die Zahl gewaltbereiter Kinder und Jugendlicher größer und das Alter der Täter immer niedriger werden. Eltern, Lehrer, Sozialarbeiter und zuallererst Jugendliche und Kinder sind verunsichert. Oftmals wissen sowohl die Eltern als auch die Kinder nicht, wie sie sich gegen solche Übergriffe wehren können. Die Menschen haben zum Teil das Vertrauen in einen wirkungsvollen Schutz durch den Staat gegen solche Übergriffe verloren.

(Beifall bei der CDU und Zustim- mung bei der FDP)

Die neue Landesregierung sowie die sie tragenden Fraktionen haben in den vergangenen Wochen deutliche Signale gegeben, dass sie den Menschen dieses Vertrauen wieder geben wollen.

(Beifall bei der CDU und Zustim- mung bei der FDP)