Protocol of the Session on February 23, 2001

Obwohl die DNA-Analysedatei des Bundeskriminalamts noch im Aufbau ist, haben aus Niedersachsen veranlasste Speicherungen von DNAIdentifizierungsmustern schon jetzt in 322 Fällen zur Aufklärung von erheblichen Straftaten geführt. Lassen Sie mich exemplarisch den Fall einer jungen Frau erwähnen, die im Jahr 1984 nach dem Besuch einer Diskothek einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Sie werden sich vielleicht noch an die entsprechenden Pressemeldungen erinnern. Ihre Leiche fand man in einem See in der Nähe von Hannover. Die Ermittlungen führten trotz intensiver Bemühungen zu keinem Ergebnis. Trotz der ansonsten hohen Aufklärungsquoten bei Tötungsdelikten waren die zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten in diesem Fall erschöpft, ein Ergebnis, das sicherlich nicht befriedigen kann. Erst im letzten Jahr gelang es über einen Abgleich des damals gesicherten Spurenmaterials mit den in der DNA-Datei gespeicherten molekulargenetischen Proben, den Täter zu ermitteln. Dieser Mann war im Rahmen des Gesetzes zur Abgabe von Körperzellen in Niedersachsen aufgefordert worden, die anschließend gespeichert wurden und zum Abgleich zur Verfügung standen. Ohne die DNADatei und ohne den Abgleich mit dem Spurenmaterial aus dem Jahr 1984 wäre dieser Fall wahrscheinlich nie aufgeklärt worden.

Zu Frage 2: Nein. Molekulargenetische Körperzellenuntersuchungen nach dem DNA-IFG werden in Niedersachsen ausschließlich aufgrund richterlicher Anordnung durchgeführt. Gemäß Artikel 97 Grundgesetz sind Richterinnen und Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Die Überprüfung einzelner gerichtlicher Entscheidungen gehört somit nicht zu den Befugnissen der Landesregierung. Im Übrigen besteht für die Landesregierung kein Zweifel daran, dass die mit derartigen Verfahren befassten Gerichte bei Ihren zukünftigen Entscheidungen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend beachten werden. Wir haben dafür Vorsorge getroffen, indem wir die Staatsanwaltschaften mit Erlass vom 24. Januar 2001 über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts unterrichtet haben. Über die Oberlandesgerichte wird der Beschluss nebst Begründung in diesen Tagen auch den Gerichten zur Kenntnis gegeben.

Zu Frage 3: Der Landesregierung sind keine weiteren Fälle bekannt. Wie ich bereits eingangs ausgeführt habe, handelt es sich bei den vom Bundesverfassungsgericht aufgehobenen Beschlüssen des Amts- und Landgerichts um einen Einzelfall, in

dem die hier betroffenen Gerichte dem Erfordernis einer ausführlichen Auseinandersetzung in der Sache und entsprechender Begründung ihrer Entscheidung nicht in dem vom Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung geforderten Maß entsprochen haben. In den anderen beiden Fällen hat das Bundesverfassungsgericht nämlich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die beiden angefochtenen Entscheidungen der anderen Gerichte dem Erfordernis einer zureichenden Sachaufklärung Rechnung tragen.

Um es noch einmal ausdrücklich zu betonen: Das Bundesverfassungsgericht hat weder die Verfassungskonformität des DNA-IFG infrage gestellt noch die an den Begriff der Straftat von erheblicher Bedeutung in § 81 g StPO gestellten Anforderungen kritisiert. Hier ging es allein um einen Fall, in dem das Gerichte die Gründe für seine Entscheidung nicht hinreichend geprüft und dargelegt hatte. Es erscheint also durchaus denkbar, dass der Beschwerdeführer aufgrund einer sorgfältiger begründeten Entscheidung des Landgerichts demnächst eine Entnahme von Körperzellen zum Zweck der Identitätsfeststellung erdulden muss. Ich danke Ihnen.

(Oestmann [CDU]: Ein bisschen we- niger wäre mehr gewesen!)

Der Abgeordnete Schröder stellte die erste Zusatzfrage.

Herr Minister, welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dem Hinweis im aktuellen Tätigkeitsbericht des Landesdatenschutzbeauftragten, nach dem Unverdächtige, die zur Abgabe ihres genetische Fingerabdrucks im Rahmen so genannter Massenreihenuntersuchungen aufgefordert werden, über die Speicherung und die Weitergabe der so gewonnenen Daten nicht ordnungsgemäß belehrt werden?

Herr Minister!

Sie zieht daraus die Erkenntnis, dass diejenigen, die für derartige Maßnahmen zuständig sind, dar

über zu belehren sind, dass sie diese Regelungen zu beachten haben.

Frau Stokar von Neuforn!

Ich frage die Landesregierung ganz konkret: Warum hat sie es bisher abgelehnt, die ihr schriftlich vorliegenden Vorschläge des Landesbeauftragten für den Datenschutz zur Neugestaltung der Vordrucke und auch zur umfassenden Belehrung der Betroffenen in irgendeiner Weise aufzunehmen und zu übernehmen, sodass dieser Punkt nach wie vor Gegenstand des aktuellen Tätigkeitsberichts des Landesbeauftragten für den Datenschutz ist?

Herr Pfeiffer!

Frau Stokar, ich muss Ihnen schlicht widersprechen. Wir lehnen das, was der Datenschutzbeauftragte sagt, nicht ab.

(Frau Stokar von Neuforn [GRÜNE]: Sie setzten es aber auch nicht um!)

- Wir lehnen es nicht ab, wir setzen es um.

Weitere Zusatzfragen? - Frau Stokar von Neuforn stellt eine weitere Zusatzfrage.

(Voigtländer [SPD]: Jetzt fragen Sie aber mal ein bisschen ehrlicher!)

Ich frage die Landesregierung - das ist eine Verständnisnachfrage -: Kann ich Ihre Antwort jetzt so werten, dass die Niedersächsische Landesregierung - nachdem es nunmehr fast ein Jahr lang Auseinandersetzungen über dieses Thema gegeben hat die Vorschläge, die der Niedersächsische Datenschutzbeauftragte zum genetischen Fingerabdruck und zur niedersächsischen Praxis unterbreitet hat, nunmehr umsetzen will? Dies würde mich sehr erfreuen und mir auch ersparen, diese Fragen hier ständig zu stellen.

Bitte keinen Kommentar! - Herr Minister, bitte!

Wir werden den Bericht des Landesdatenschutzbeauftragten eingehend prüfen und Ihre Anregungen aufgreifen. Ich kann Ihnen nur versichern, dass wir das ernst nehmen, was dort vorgetragen wird, und dass wir danach verfahren werden.

Damit ist diese Frage beantwortet.

Wir kommen jetzt zu der Frage der Abgeordneten Ehlen und Wojahn. Das ist

Frage 5: Gabriel stellt EU-Marktordnung in Frage Zuckerrübenstandort Niedersachsen gefährdet

Herr Wojahn!

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ministerpräsident Gabriel hat in seiner Regierungserklärung am 24. Januar 2001 u. a. die EU-Zuckermarktordnung kritisiert bzw. in Frage gestellt.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Da in Niedersachsen der Zuckerrübenanbau wirtschaftliches Standbein für ganze Regionen ist und die Änderung der gegenwärtigen Marktregulierungsinstrumente katastrophale Auswirkungen auf die landwirtschaftlichen Betriebe und die Arbeitsplätze in der Zuckerwirtschaft hätte, fragen wir die Landesregierung:

1. Beabsichtigt sie, die EU-Zuckermarktordnung aus niedersächsischer oder bundesrepublikanischer Sicht in Frage zu stellen?

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

2. Wie groß ist der Anteil des Zuckerrübenanbaus am Einkommen der Landwirtschaft in den Zuckeranbauregionen Niedersachsens?

3. Wie hoch ist die Stützung der Zuckerproduktion über öffentliche Mittel aus Land, Bund und EU?

Die Antwort gibt der Minister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Bartels.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ministerpräsident Gabriel hat in der Regierungserklärung am 24. Januar 2001 zur „Neuausrichtung des Verbraucherschutzes und der Agrarpolitik in Niedersachsen“ deutlich gemacht, dass die Landesregierung aufgrund der BSE-Krise die Chance sieht, „Grundsatzpositionen bei der Erzeugung sowie der Ver- und Bearbeitung von Nahrungsmitteln kritisch zu überprüfen und die notwendigen Veränderungen vorzunehmen“. In diesem Zusammenhang zeigte er Fehlentwicklungen auf, die zu erkennen und zu benennen ein wichtiger Schritt sind, um das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen. Auf den Prüfstand gehöre auch die EU-Agrarpolitik. Zur Zuckermarktordnung sagte Ministerpräsident Gabriel - ich zitiere aus dem Stenografischen Bericht über die 67. Sitzung am 24. Januar 2001, ausgegeben am 1. Februar 2001 -:

„Bei Zucker haben wir eine Überproduktion von ca. 40 %. Über EUübliche Instrumentarien wie Quotensysteme oder garantierte Abnahmepreise wird der Zucker subventioniert und auf dem Weltmarkt verkauft. Dritte-Welt-Ländern, deren einzige Einnahmequelle oft die Ausfuhr von Zucker ist, wird mit unseren Steuergeldern die Existenzsicherung erschwert.“

Meine Damen und Herren, die Neuausrichtung der Agrarpolitik kann die Zuckermarktordnung nicht unberücksichtigt lassen. Damit wird sie jedoch, wie auch der Zuckerrübenanbau in Niedersachsen, nicht in Frage gestellt. Festzustellen ist, dass bei allen Reformen der gemeinsamen Agrarpolitik - der GAP-Reform im Jahre 1992 und der Reform im Rahmen der Agenda 2000 - die Zuckermarktordnung unberücksichtigt blieb. Es kann schon deshalb nicht verwundern, wenn die Landesregierung - wie auch die EU-Kommission - geprüft wissen will, ob hier grundsätzlich und langfristig

noch eine Politik gegeben ist, die den Interessen der Bauern, der Steuerzahler und unseren internationalen Verpflichtungen gerecht wird.

Gerechterweise muss aber auch gesagt werden, dass die Mindestpreise seit 15 Jahren unverändert geblieben sind und insofern für die Erzeuger real eine Preissenkung erfolgte. Höhere Referenzen für die Dritte-Welt-Länder am Weltzuckermarkt, insbesondere aber auch höhere Lieferungen in die EU, sind aus Sicht dieser Länder verständlich. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob tatsächlich wesentliche Marktanteile bei einem Wegfall der Quotensysteme zugunsten dieser Staaten erreicht werden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Zu bedenken ist, dass bereits jetzt aus den AKP-Staaten 1,6 Millionen t Zucker eingeführt werden können. Aufgrund der Antwort der EUKommission zu dem Sonderbericht Nr. 20/2000 des Europäischen Rechnungshofes über die Verwaltung der Gemeinsamen Marktorganisation für Zucker wird die Kommission eine Studie durchführen, bei der alle Aspekte des Wettbewerbs in den wichtigsten Lebensmittelsektoren, u. a. auch Zucker, untersucht werden. Diese Untersuchung wird zeitgleich für die anderen Lebensmittelbereiche - Fleisch, Milch, Getreide usw. - erfolgen.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Fragen wie folgt:

Zu 1: Niedersachsen hat zusammen mit den anderen Bundesländern anlässlich der Beratungen des Vorschlages einer Verordnung des Rates über die Gemeinsame Marktorganisation für Zucker im Bundesrat am 21. Dezember 2000 den Vorschlag der Kommission abgelehnt und sich dabei insbesondere gegen die nur bis zum 30. Juni 2003 vorgesehene Fortsetzung der Quotenregelung gewandt. Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert worden, sich in den Verhandlungen auf europäischer Ebene weiterhin für eine Verlängerung der derzeit geltenden Zuckermarktordnung um weitere sechs Jahre einzusetzen. Die Laufzeit sollte den Agenda-2000-Beschlüssen einschließlich der mittelfristigen Finanzplanung der EU angepasst werden, um den Zuckerrübenanbauern und der Zuckerindustrie die notwendige Planungssicherheit für ihre Unternehmensentscheidungen zu geben. Der Bundesrat hält diesen Zeitraum auch für die fundierte Analyse für erforderlich, die von der Kommission im Hinblick auf die Wettbewerbssitu

ation in der Nahrungsmittelindustrie, die Auswirkungen durch die Änderungen der Quotenregelung, die Erweiterungsverhandlungen der EU und die Entwicklung bei den WTO-Verhandlungen vorgeschlagen wurde. Der Bundesrat votierte ferner dafür, angesichts der vorgesehenen umfassenden Analyse eine Streichung oder Umgestaltung bewährter Instrumente zum jetzigen Zeitpunkt abzulehnen.

Zu 2: Niedersachsen ist mit 130 000 ha Rübenanbaufläche und einem Produktionswert von 650 Millionen DM pro Jahr bzw. 15 % der gesamten pflanzlichen Erzeugung mit Abstand das größte Anbaugebiet in Deutschland. In den Zuckerrübenanbauregionen Niedersachsens kommen rund 50 % des Einkommens der pflanzlichen Produktion aus dem Zuckerrübenanbau.

Zu 3: Die Zuckermarktordnung der EU ist weitgehend haushaltsneutral. Die Exporterstattungen und der Lagerkostenausgleich werden von der Zuckerwirtschaft selbst aufgebracht. Deshalb wird auch erwogen, das bewährte Lagerkostenausgleichssystem und die Versorgung durch Mindestlagerbestände beizubehalten, um eine kontinuierliche Marktversorgung und verlässliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Die Zuckerfabrikation wird aus öffentlichen Mitteln nationaler Herkunft - Bund und Land - nicht unterstützt. Die Nettokosten der Gemeinsamen Marktordnung für Zucker für den Haushalt der EU beliefen sich im Jahr 1998 auf 706 Millionen Euro, im Jahr 1999 auf 909 Millionen Euro und werden im Jahr 2000 833 Millionen Euro betragen. Die Nettokosten entsprechen den Kosten für die Ausfuhr der Menge an Zucker, nämlich 1,6 Millionen t pro Jahr, die aus den AKP-Ländern und Indien eingeführt wird.

Für eine Zusatzfrage der Kollege Hogrefe!

Herr Minister, wahrscheinlich teilen Sie die Auffassung, dass die Zuckererzeugung am Prinzip der Nachhaltigkeit ausgerichtet sein muss. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Zuckererzeugung in Mitteleuropa, speziell in Niedersachsen, im Vergleich zu der in Brasilien, Neuseeland oder Australien?

Herr Bartels!

Herr Abgeordneter Hogrefe, für die Fruchtfolge ist der Anbau von Zuckerrüben natürlich sehr gut, weil es eine Hackfrucht ist. Wir haben das Prinzip der Nachhaltigkeit hier realisiert. Es kann hier und da sicherlich noch ergänzt werden, aber es ist hier realisiert worden. In Brasilien, das Sie gerade ansprachen, gibt es den Zuckerrohranbau, der sich auch auf die Umwelt auswirkt. Das ist ebenfalls bei den Ländern zu berücksichtigen, die in Konkurrenz zum Zuckerrübenanbau und zur Zuckerherstellung in Europa stehen. Auch dort gibt es durchaus begrenzende Faktoren und begrenzte Möglichkeiten der Erweiterung.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)