Protocol of the Session on November 15, 2000

Ich will es Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen, weil Sie es immer wieder vergessen, Herr Plaue: Dieses Land ist vom Mittelstand abhängig. Zu 80 % stellt der Mittelstand die Arbeitsplätze.

(Zuruf von Plaue [SPD])

Es wäre ein Signal gewesen, Herr Plaue, wenn jemand aus dem Mittelstand gekommen wäre, denn dann hätten wir Hoffnung gehabt, dass die SPD endlich eine neue Wirtschaftspolitik macht. Denn das machen Sie nicht.

(Beifall bei der CDU - Zuruf von Möhrmann [SPD])

Lassen Sie mich eine letzte Bemerkung zu Herrn Professor Pfeiffer machen. Herr Plaue, Sie hätten nicht immer hierhin gucken sollen, sondern auch einmal in Ihre Reihen.

(Plaue [SPD]: Das habe ich getan! Selbst das haben Sie nicht wahrge- nommen! Sie haben auch Wahrneh- mungsprobleme!)

Ich bin gespannt, wie leidensfähig Ihre Fraktion eigentlich ist.

(Mühe [SPD]: Ihr kennt euch mit Lei- densfähigkeit aus!)

Denn mit Professor Pfeiffer bekommen wir jemanden, der Thesen aufgestellt hat, die mit Ihrer Linie in der Vergangenheit wirklich nichts zu tun haben.

Ich bin sehr gespannt, wie es weitergehen wird. Ich hoffe, dass es im Sinne einer positiven Politik für unser Land tatsächlich neue Impulse gibt. Wir werden die 100 Tage abwarten. Ich hoffe wirklich, dass wir zu einer besseren Politik kommen werden. Wir sind auf jeden Fall dabei, dies kritisch zu beäugen und daran zu arbeiten.

(Zurufe von der SPD)

Wir werden den Ministerpräsidenten daran messen, ob er endlich aufhört, große Sprüche zu machen. Dieses Land braucht Taten. Das hat er in den elf Monaten nicht geschafft, meine Damen und Herren. - Vielen Dank.

(Starker Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sie wiederholen sich doch! Das ist doch langweilig!)

Meine Damen und Herren, das Wort hat jetzt der Ministerpräsident. Seine Redezeit liegt bereits in der Überschreitung der vereinbarten Redezeit. Damit erhöhen sich auch anteilig die Redezeiten der Fraktionen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine, wir sollten die Hitze der Debatte ein bisschen auf das zurückführen, worum es geht. Es ist doch ganz normal, dass die Oppositionsparteien nicht mit den Entscheidungen einer Regierung bei der Kabinettsumbildung zufrieden sind. Sie wären nur dann zufrieden, meine Damen und Herren, wenn ich die Grünen oder die CDU ins Kabinett mit aufgenommen hätte. Das konnte ich aber nicht machen.

Herr Golibrzuch, es hat schon in der Zeitung gestanden, dass Sie gern unter der CDU Finanzminister werden wollen. Ich verstehe es, dass es Sie drängt, ins Kabinett zu kommen. Ich konnte das aber nicht machen. Sie müssen noch 20 Jahre warten; dann ist die CDU soweit, mit Ihnen eine Koalition zu binden.

(Beifall bei der SPD - Fischer [CDU]: Ihre Arroganz ist unbeschreiblich!)

Frau Harms, ich danke Ihnen ausdrücklich für die faire Behandlung der zukünftigen Kabinettsmitglieder. Ich meine, es gehört auch hierher, das zu sagen. Ich finde es fair, was Sie gemacht haben. Dass Sie bei Ministerinnen, die Sie selbst zum Rücktritt aufgefordert haben, wie bei Frau Merk, Krokodilstränen weinen,

(Frau Pothmer [GRÜNE]: Wir haben sie nicht zum Rücktritt aufgefordert!)

halte ich sozusagen für einen kreativen Umgang mit der historischen Wahrheit in diesem Hause. Sie haben Frau Merk hier verfolgt. Wir haben sie geschützt.

(Zurufe von den GRÜNEN)

Ich will Ihnen in einer Frage Recht geben. Zunächst einmal ist es für niemanden schön, wenn er nach zehn Jahren Arbeit aus dem Kabinett ausscheidet und zu Recht der Auffassung ist, dass die Arbeit erfolgreich war. Ich sage aber, wir müssen uns auf die Zukunft hin anders orientieren. Ich finde es angenehm und fair, dass die drei Minister die Möglichkeit einer Neuorientierung eröffnet haben. Dass Sie das nicht freut, verstehe ich. Aber ich meine, dass es auch eine menschlich glanzvolle Leistung ist.

Aber es gibt einen, Frau Harms, bei dem ich Ihnen Recht geben möchte. Herr Dr. Weber ist in einer besonders schwierigen Situation. Das ist ganz einfach: Ich wollte nicht, dass er wegen Vorwürfen zurücktritt, die nicht zutreffen und bei denen er sich keine Versäumnisse vorzuwerfen hat, und ich wollte ihn nicht - das sage ich in etwas unparlamentarischer Form - der johlenden Meute zum Fraß vorwerfen. - Das ist der Grund.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD - Busemann meldet sich zu Wort - Plaue [SPD]: Der Richtige hat sich gemeldet!)

Herr Ministerpräsident, die Fraktionen - auch dann, wenn sie in der Opposition sind - als Meute zu bezeichnen, ist einen Ordnungsruf wert.

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Sie können sich entschuldigen!)

Ja, das wäre der Fall, wenn ich beide in der Opposition ausdrücklich gemeint hätte, Herr Präsident.

(Frau Hansen [CDU]: Wen meinen Sie denn dann?)

Das wollte ich also nicht. Ich wollte eine Kabinettsumbildung machen, die nichts mit ungerechtfertigten Vorwürfen gegenüber dem Justizminister zu tun hat. Das ist für Dr. Weber eine außerordentlich schwierige Situation gewesen.

(Zuruf von Lindhorst [CDU])

Ich bin ihm zu Dank verpflichtet, dass er das mit großer Solidarität gemeinsam mit der SPD getragen und trotzdem die Neuorientierung ermöglicht hat, meine Damen und Herren.

(Starker Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, zur Frage der Interimszeit: In jedem großen Unternehmen ist es normal, dass, wenn ein Wechsel unter den Führungskräften ansteht, die Leute nicht von heute auf morgen vor die Tür gesetzt werden - jedenfalls nicht, wenn sie sich nichts vorzuwerfen haben. Außerdem sind hier Übergangsfristen völlig normal. Die sind bei uns mit vier Wochen sogar relativ kurz. Ich halte das für angemessen. Es ist übrigens der ausdrückliche Wunsch der Minister, das so zu handhaben. Ich finde, dass das auch Normalität im Umgang signalisiert.

Dass ausgerechnet die Grünen, die bereits zu Beginn einer Wahlperiode erklären können, wer am Ende der Wahlperiode zukünftig nicht mehr für die Arbeit zur Verfügung stehen wird - die haben ja Übergangsfristen von vier oder fünf Jahren; dabei wissen die Menschen schon vorher, dass sie hinterher wegen des Rotationsprinzips nicht mehr mitmachen können -, das kritisieren, das verstehe ich nicht.

(Beifall bei der SPD - Frau Harms [GRÜNE]: So schnell, wie in dieser Legislaturperiode die Minister rotiert sind, sind sie bei uns noch nie rotiert!)

- Melden Sie sich doch noch einmal zu Wort, Frau Harms. Ich habe doch gesagt: Ich finde es normal, dass Sie hier protestieren. Das gehört zu dem parlamentarischen Spiel, das hier gespielt wird.

Herr Schünemann, ich bin vor dem Hintergrund, dass ausgerechnet Sie mich in Sachen Menschenführung kritisieren, gespannt, was Sie eigentlich intern zu Ihrem eigenen Fraktionsvorsitzenden sagen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn wir die Kabinettsumbildung mit der CDUFraktion machen müssten, dann müssten die erst einmal üben, dass sie ihre eigenen Mitarbeiter rechtskonform umsetzen und dass nicht die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden beim GBD Rechtsgutachten gegen den eigenen Fraktionsvorsitzenden beantragen müssen, um ihm zu zeigen,

was rechtlich möglich ist. Da bin ich doch schon sehr erstaunt.

Herr Ministerpräsident, es sind fünf Minuten vergangen.

Meine Damen und Herren, bei uns ist das jedenfalls nicht so. Herr Schünemann scheint seine Rolle bei Herrn Wulff mit der von Herrn Senff bei mir verwechselt zu haben, was das Thema Mehrheitsbeschaffung angeht.

(Möllring [CDU]: Das scheint euch a- ber getroffen zu haben!)

Herr Schünemann, ich bin ganz beruhigt, was die Einschätzung meiner Person durch Sie angeht. Ich finde das auch normal; denn was sollten Sie mir gegenüber anderes sagen? Was mich beruhigt, ist, dass die Sozialdemokratie in diesem Land nach einer Umfrage des NDR - nicht von uns - in allen Politikfeldern deutliche Kompetenzvorsprünge vor Ihnen hat, und das hat Gründe.

(Starker, anhaltender Beifall bei der SPD)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Harms.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, ich hatte mir schon vor dieser Debatte klargemacht, dass ich natürlich einen Fehler machen würde, wenn ich versuchen wollte, diese Abläufe nach meinen Vorstellungen von Menschenführung in einer Fraktion oder nach meinen Vorstellungen von Umgang, der sich untereinander gehört, zu bewerten oder Sie als Akteur danach zu bewerten. Ich meine, man sollte Sie am besten an Ihren eigenen Vorstellungen, die Sie immer wieder öffentlich erklärt haben, messen.

Ich habe mir einmal einen Essay aus dem „Spiegel“ herausgesucht, der vor einigen Monaten erschienen ist, und mir daraus drei Thesen des Ministerpräsidenten Gabriel - damals noch jung im Amt - als Bewertungsmaßstab vorgenommen. Das fängt an mit dem Satz von Siegmar Gabriel: Glaubwürdigkeit ist politisch eigentlich keine

Tugend mehr. - Das stand im Mittelpunkt und sollte wohl provozieren. Ich finde, dass Sie im Zuge dieser Kabinettsumbildung, wie Sie sie betrieben haben, tatsächlich klargestellt haben, dass Sie das im Zweifelsfall ernst meinen, also dass das Agieren eines Politikers wichtiger ist als die Glaubwürdigkeit, die er dabei transportiert.

Der zweite Satz, der im Zusammenhang mit den Abläufen der letzten Monate ebenfalls interessant ist, lautet: Politiker sollten ihre Entscheidungen immer unaufgeregt und nachvollziehbar treffen. Sie haben jetzt wieder einen Anlauf genommen, zu erklären, wer geht und wer warum kommt. Ich kann das nicht nachvollziehen. Möglicherweise wird die Amtsführung der drei Neuen das dann später erklären. Die Unaufgeregtheit kann ich in Niedersachsen nun überhaupt nicht feststellen. Dass Sie, wie Sie es gestern behauptet haben, keine Verantwortung für die Gerüchteküche hätten, die über Monate in Gang gesetzt worden ist, das kann ich Ihnen einfach nicht abnehmen. Die Indiskretionen, die permanent betrieben worden sind, sind ja in einem solchen Regierungsapparat wohl nur möglich, wenn das Betriebsklima in dieser Firma namens Kabinett überhaupt nicht gut ist, und für dieses Betriebsklima ist im Zweifelsfall - das weiß ich selber, wenn mein Betrieb auch kleiner ist immer der Chef bzw. die Chefin verantwortlich.

(Beifall bei den GRÜNEN)