Protocol of the Session on June 22, 2000

Wir müssen mehr dazu ermuntern, dass hier eine Kooperation zwischen den Behörden und diesen Hilfsorganisationen, zwischen der Polizei, Ordnungsämtern usw. stattfindet.

Wir benötigen gemietete Wohnungen. Die Mitarbeiter betreuen die Opfer, knüpfen Kontakte zu Hilfsorganisationen im Heimatland. Hier müssen wir noch mehr tun.

Obwohl sich Polizei und Justiz verstärkt um die Aufdeckung von Frauenhandel bemühen, kommen die Täter in Niedersachsen weiterhin selten vor Gericht. Denn kaum eine der verschleppten Frauen bleibt bis zur Aussage in Deutschland. Immer noch ereignen sich Fälle, dass Abschiebungen durch die Ausländerbehörde vorgenommen werden, ohne

dass die Polizei, die diese Zeuginnen gerade vernommen hat, darüber informiert wird. Im Niedersächsischen Innenministerium spricht man daher von einer ganz schwierigen Grauzone. Manche Verfahren müssten eingestellt werden, weil es sich nicht nachweisen lasse, dass sich die Frauen unter Zwang prostituierten. Darüber hinaus wollen viele Frauen so schnell wie möglich ausreisen. Als Zeuginnen stehen sie danach nicht mehr zur Verfügung. Die Frauen haben einfach Angst. Immer wieder hören wir das in unseren Gesprächen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wir brauchen die Aussagen, aber die Angst der Frauen ist berechtigt - so ein Staatsanwalt in Osnabrück -; spätestens nach der Rückkehr in das Heimatland sind sie kaum noch zu schützen. - Das wissen wir. Die Opfer haben auch kaum eine Chance, sich zu wehren. Oftmals wird in Razzien festgestellt, dass es Frauen in einem fremden Land gibt, die der Sprache kaum mächtig sind. Sie sind in Osteuropa aufgewachsen, haben nur kyrillische Schriftzeichen kennen gelernt und können unsere lateinische Schrift gar nicht lesen. Sie können auch nicht einmal sagen, in welcher Straße sie sich befinden. Eingeschüchtert und bedroht sind sie alle Mal.

Ich meine, es ist wichtig, dass wir die Landesregierung auffordern, die Polizeikräfte zur Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und Menschenhandel weiter personell zu verstärken. Bordelle und bordellähnliche Betriebe müssen wesentlich stärker als bisher überprüft werden. Dazu gehören die Kontrollen, um Verstöße gegen das Ausländerrecht festzustellen, aber auch Kontrollen, um Verstöße gegen kommunale Satzungen, behördliche Verfügungen und Gesundheitsauflagen aufzudecken. Ein Bordellbesitzer muss wissen, dass er jederzeit kontrolliert werden kann. Das wollen wir verbessern.

Es ist wichtig, dass wir den Opfern helfen. Je besser wir den Opfern helfen, umso größer sind die Chancen, dass wir die Täter überführen. Ich meine, es muss Schluss sein mit diesem Menschenhandel, der zu den ekelhaftesten Verbrechen in unserer heutigen Zeit gehört. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht

vor. Ich schließe damit die Beratung. Wir kommen zur Ausschussüberweisung.

Der Ältestenrat hat empfohlen, diesen Antrag federführend an den Ausschuss für Gleichberechtigung und Frauenfragen zu überweisen und die Ausschüsse für innere Verwaltung, Sozial- und Gesundheitswesen sowie Rechts- und Verfassungsfragen mitberatend zu beteiligen. - Andere Vorstellungen sehe ich nicht. Dann ist das so beschlossen.

Ich rufe als letzten Tagesordnungspunkt vor der Mittagspause jetzt auf, nämlich

Tagesordnungspunkt 32: Erste Beratung: Offensive für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik an unseren Schulen - Antrag der Fraktion der CDU Drs. 14/1672

Zur Einbringung hat der Kollege Klare das Wort.

(Frau Litfin [GRÜNE]: Die Ministerin ist gar nicht da!)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben diesen Antrag eingebracht, weil wir hier einen ganz dringenden Handlungsbedarf sehen. Wir haben festgestellt, dass an niedersächsischen Schulen gravierende Defizite in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zu verzeichnen sind.

(Rolfes [CDU]: Soll das jetzt ohne Landesregierung ablaufen?)

Wir meinen, dass die Schülerinnen und Schüler in Niedersachsen - natürlich nicht nur da, aber hier sind wir verantwortlich - nicht genügend Schlüsselqualifikationen für diesen Bereich haben, um in der Wissenschafts- und Informationsgesellschaft so bestehen zu können, wie sie bestehen sollten.

Ich möchte ein Zitat von Professor Binnewies voranstellen, der Lehrstuhlinhaber für anorganische Chemie an der Universität Hannover ist und bis vor kurzem Dekan des Fachbereichs war:

„Viel bedeutender für den Studienerfolg ist das aktive Wissen und Ver

ständnis von elementaren Grundlagen der Mathematik und Physik. Dieses betrifft alle natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächer, von deren Absolventen die deutsche Wirtschaft in den erfolgreichen und expansiven Bereichen Maschinen-/Anlagenbau und Elektrotechnik/Chemie maßgeblich abhängig ist."

Ich finde, das ist ein wichtiges Zitat. Es macht deutlich, dass wir einerseits verpflichtet sind, diese Defizite aufzuarbeiten, um den Jugendlichen eine Perspektive zu geben. Das ist schon ein Wert für sich. Aber es ist andererseits auch wichtig, dass wir den Standortfaktor Bildung in der Wirtschaft unterstützen. Das wollen wir mit diesem Antrag erreichen.

Ministerpräsident Gabriel

(Wulff (Osnabrück) [CDU]: Wo ist der eigentlich?)

hat eine Schwerpunktsetzung im Bildungs- und Ausbildungsbereich bei den neuen Informationsund Kommunikationstechnologien gesetzt und dieses Politikfeld zur Chefsache gemacht. Frau Jürgens-Pieper hat eine besondere Förderung des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts angekündigt.

Danach, was ich festgestellt habe - jetzt neu und auch in den letzten Monaten und Jahren -, sind das immer leere Worte geblieben. An niedersächsischen Schulen und Hochschulen sind die notwendigen Grundlagen nicht geschaffen worden. Es fehlt insbesondere an qualifiziertem Ausbildungspersonal. Diese Entwicklung kann man seit 1990 verfolgen. Niedersachsen war auf diesem Gebiet in der Bundesrepublik Spitze; seit 1990 ist genau das Gegenteil passiert. Wir sind hinten runtergefallen. Die Frage des Einsatzes von neuen Medien im Unterricht ist in der ganzen Zeit verschlafen worden.

(Beifall bei der CDU)

Ich will einige Fakten aufzählen: Bei den Eignungstests der Bundeswehr für alle Wehrpflichtigen liegt Niedersachsen beim Rechnen ebenso wie bei der Rechtschreibung im Vergleich zu den westdeutschen Flächenländern auf dem letzten Platz. Das ist jetzt in einer Befragung des Sozialwissenschaftlichen Instituts festgestellt worden. Die Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg

liegen weit vorn. Niedersachsen liegt beim Vergleichsmaßstab Rechnen und Rechtschreiben an letzter Stelle; das muss man sich einmal vorstellen! Das ist natürlich auf irgendwelche Defizite zurückzuführen.

Physik- und Chemieunterricht führen an niedersächsischen Gymnasien, insbesondere in der Oberstufe, nur noch ein Schattendasein. Man muss sich vorstellen: Nur noch 29 % der Oberstufenschüler in Niedersachsen erhalten Physikunterricht, nur noch 37 % Chemieunterricht. Das kann keine Perspektive sein, um möglicherweise in diesen Fächern zu studieren oder zu arbeiten.

(Coenen [CDU]: Das ist das Chaos!)

An niedersächsischen Schulen zeichnet sich heute schon ein dramatischer Fachlehrermangel im naturwissenschaftlich-mathematischen Bereich ab. Wir haben heute schon Stellen, die nicht mehr besetzt werden können, wie die Landesregierung auch in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Ortgies geschrieben hat. Man brauchte einen Physik- und Chemielehrer; der war aber nicht zu finden, also konnte die Stelle nicht besetzt werden. Das sind doch Alarmzeichen, auf die man reagieren muss. Das heißt, jetzt zu reagieren, ist sowieso schon zu spät. Wenn man jetzt reagiert, werden die Leute erst in fünf Jahren fertig, und das reicht uns natürlich überhaupt nicht aus.

Die Einschreibungszahlen für die Lehramtsfächer Chemie und Physik sind in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen. Im Jahresmittel haben sich für die 112 zur Verfügung stehenden Studienplätze im Fach Chemie lediglich zehn Studentinnen und Studenten eingeschrieben. Im Jahre 2005 das ist die Perspektive - stehen für unsere niedersächsischen Grundschulen, Hauptschulen, Realschulen, Orientierungsstufen und Gesamtschulen etwas mehr als fünf neue Chemielehrerinnen und Chemielehrer zur Verfügung. Im Fach Physik sieht die Situation genauso dramatisch aus. Im Jahre 2005 bekommen wir nicht einmal eine Hand voll Physiklehrerinnen und Physiklehrer. Das sind doch Situationen, die uns umtreiben müssten.

(Frau Körtner [CDU]: Horrorzahlen sind das!)

Meine Damen und Herren, im Fach Mathematik sieht das nicht ganz so dramatisch aus, doch decken die Studienanfängerzahlen nach offiziellen Angaben der Landesregierung auch hier nicht

einmal ein Drittel des Bedarfs an Mathematiklehrerinnen und Mathematiklehrern. Oder das Beispiel Technik: In Technik sind im Jahresmittel lediglich drei Einschreibungen erfolgt, erforderlich wären 122. Das sind Perspektiven, die uns große Sorgen machen. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

(Frau Körtner [CDU]: Das sind keine Perspektiven!)

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Herr Ministerpräsident Gabriel hat jetzt an einigen Schulen die Berufsfachschulen Informatik für Realschulabsolventinnen und Realschulabsolventen eingerichtet. Hier kann man sagen: Diese Schulversuche sind zwar mit Lehrerstunden gut versorgt - wie soll das auch anders sein? die Schulen mussten erklären, dass Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stehen -, aber jetzt leiden die anderen Angebote in der berufsbildenden Schule. Einige Beispiele: Berufsbildende Schule Informatikassistent: 70,6 % Unterrichtsversorgung; Berufsfachschule technischer Assistent für Information: 76,1 % Unterrichtsversorgung; Berufsfachschule kaufmännischer Assistent für Wirtschaftsinformation: 75 % Unterrichtsversorgung.

(Zuruf von Frau Vockert [CDU])

Das sind doch katastrophale Ergebnisse. Hier fällt mehr als jede vierte Unterrichtsstunde aus. Wohin soll das führen?

(Beifall bei der CDU)

Im Fach Informatik, dem Fach, über das wir seit mehreren Wochen aufgrund der Diskussion über die Green Card so lange und so oft reden, stehen an Berufsschulen im Jahresmittel acht Studienplätze zur Verfügung, von denen lediglich fünf besetzt sind. Angesichts einer Schwundquote von 50 % wir sind uns einig, dass man damit rechnen muss und entsprechender attraktiver Angebote aus der Industrie dürfte keine einzige dieser Studentinnen oder kein einziger dieser Studenten je eine niedersächsische Schule sehen. Das ist die Perspektive, für die Sie Verantwortung getragen haben und noch tragen.

Meine Damen und Herren, auch ein Ländervergleich lässt nichts Gutes ahnen, wie Sie vermuten werden. Niedersächsische Studienanfänger verfügen im Ländervergleich über völlig unzureichende Kenntnisse in den Grundlagenfächern Mathematik und Physik. Auch dies ist - neben anderem - durch

eine Erhebung von Professor Binnewies aus Hannover bewiesen worden.

Die Niedersächsische Landesregierung hat im Jahre 1996 die Zahl der Studienanfängerplätze im Bereich Informatik durch Streichung des entsprechenden Fachbereichs in Hildesheim von 500 auf 400 gekürzt.

(Zuruf von der SPD: Wir haben vor- hin darüber diskutiert, dass das nicht stimmt!)

Verantwortlich war unser heutiger Bundeskanzler. Auch das ist ein Beispiel dafür, dass man falsche Perspektiven gesetzt hat. Wenn ich heute eine Green Card-Diskussion anfange, muss ich mich zumindest meiner Sünden von damals noch erinnern. Dazu habe ich ja wohl eine Verpflichtung.

(Beifall bei der CDU - Wulf (Olden- burg)[SPD]: Was soll denn das? Wir haben das heute schon ausführlich diskutiert. Das sind keine Sünden!)

Meine Damen und Herren, wenn man sich einmal die Geschichte der letzten zehn Jahre - ich habe vorhin kurz darauf abgehoben - anschaut, dann kann ich sagen, dass insbesondere in Zeiten der rot-grünen Landesregierung, beispielsweise über die Umweltpolitik, eine Technikfeindlichkeit regelrecht geschürt worden ist. Technik wurde nicht als Zukunftschance begriffen, sondern als Wurzel der meisten Übel.

(Frau Körtner [CDU]: Das stimmt!)