Protocol of the Session on June 22, 2000

Meine Damen und Herren, eines müssen wir an unserem Antrag ändern. Inzwischen hat der Bundesrat der Änderung des Ausländergesetzes zugestimmt. Wir können ausdrücklich feststellen, dass sich Niedersachsen bereits entsprechend unserem Antrag verhalten hat. Niedersachsen hat im Gegensatz zu anderen Bundesländern, z. B. Bayern, von

Anfang an zu dieser Änderung gestanden. Das Verfahren hat sich durch die Ablehnung einiger Bundesländer sehr in die Länge gezogen.

(Zuruf von Frau Pothmer [GRÜNE])

- Es ist durch den Bundesrat gegangen, Brigitte. Du kannst es mir glauben.

Niedersachsen hat also zu den Befürwortern des eigenständigen Aufenthaltsrechts nach zwei Jahren gehört. Kritiker argumentieren, dass die Regelung, in Härtefällen Frauen ein eigenständiges Aufenthaltsrecht ohne bestimmte Ehedauer zuzubilligen, Scheinehen Tür und Tor öffnen würde. Aber dies betrifft Ausnahmefälle, nicht die Mehrheit, meine Damen und Herren.

Folgendes Beispiel ist nicht konstruiert, sondern entspricht der Wirklichkeit. Wenn eine ausländische Frau einen Pädophilen heiratet, was sie vor der Eheschließung nicht gewusst hat, und er sich nach einem Jahr scheiden lässt, weil die Kinder nicht den Erwartungen entsprochen haben, musste die Frau nach dem alten Recht gehen. Nach dem neuen Recht ist das ein Härtefall.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung ist festgehalten, dass die nationale Bekämpfung des Frauenhandels verstärkt wird. Dazu leistet Niedersachsen bereits einen Beitrag, den wir mit dem vorliegenden Antrag verstärken wollen. Er führt einzelne Maßnahmen nicht explizit auf. Beispielsweise meine ich, dass ein Programm zur Bekämpfung des Frauenhandels in den Herkunftsländern mit den dortigen Institutionen speziell auf die Gegebenheiten der einzelnen Länder abgestimmt werden muss. Ich meine nicht, dass wir ein allgemein gültiges Programm für jede Situation in dem betreffenden Land erarbeiten können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, ich habe die Hoffnung, dass wir nach der Diskussion und der Arbeit in den Ausschüssen zu einem gemeinsamen Ergebnis im Interesse der traumatisierten Frauen kommen können.

Zum Schluss noch eines: Frauenhandel ist ein lukratives kriminelles Geschäft. 1998 hieß es im Bericht des Sachverständigen im Familien- und Frauenausschuss seinerzeit in Bonn:

„Die Schlepperbanden machen allein in Europa jährlich etwa 7 Milliarden Dollar Gewinn mit der sexuellen

Ausbeutung und sklavenähnlichen Behandlung der Frauen.“

Damit hat der Frauenhandel mit dem Drogenhandel gleichgezogen. Vielleicht wäre es für diese verbrecherischen Banden eine besondere Strafe, wenn es möglich wäre, ihnen mit dem in Niedersachsen erfolgreich praktizierten Mittel der Gewinnabschöpfung das mit der Ware Frau verdiente Geld entziehen zu können und dem Opfer Frau zugute kommen zu lassen.

(Beifall bei der SPD – Frau Pothmer [GRÜNE]: Warum habt ihr das nicht aufgenommen?)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Frau Kollegin Pothmer, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hemme, in der Beschreibung des Problems und in der Analyse der Situation sind wir uns wohl weitgehend einig. Deswegen werde ich das nicht wiederholen. Ich will aber noch einmal betonen, dass ich sehr froh darüber bin, dass die rot-grüne Bundesregierung in Bezug auf das eigenständige Aufenthaltsrecht der Frauen diesen Schritt unternommen hat, der zwar dringend nötig war, aber leider jahrelang verzögert worden ist. Ich hoffe, dass auch die CDU-Fraktion noch einmal betont, dass es ein richtiger Schritt war. Manchmal kann man auch durchaus ein lobendes Wort sagen.

Ich bin auch froh, dass es die Beratungsstelle in Hannover gibt, und begrüße es, dass endlich eine Frauenschutzwohnung eingerichtet wird. Auch das war dringend nötig. Es ist deshalb richtig, dass das in Angriff genommen wird.

Frau Hemme, Sie haben betont, dass in dem Antrag keine detaillierten Maßnahmen aufgeführt worden sind. Ich meine, dass der Antrag an der Stelle spannend geworden wäre, wo Sie auch einmal hätten sagen können, mit welchen Instrumenten und Maßnahmen Sie den betroffenen Frauen, deren Situation Sie richtig geschildert haben, helfen wollen. Ich meine, es hätte einem Entschließungsantrag gut angestanden, hierzu einen Vorschlag zu unterbreiten. Ich möchte die Debatte deswegen gern mit einem eigenen Vorschlag anreichern und kündige in diesem Zusammenhang einen entsprechenden Änderungsantrag an.

Meine Damen und Herren, seit 1997 existiert ein Erlass, der darauf abzielt, die Opfer der Zwangsprostitution als Zeuginnen zu gewinnen, um den Menschenhändlern einen entsprechenden Prozess machen zu können.

(Zustimmung von Frau Pawelski [CDU])

Was geschieht aber derzeit mit den Frauen, die sich als Zeuginnen zur Verfügung gestellt haben und nicht Teil des Opferschutzprogramms sind? Dabei möchte ich gleich darauf hinweisen, dass es zwar um die Ausweitung des Opferschutzprogramms geht, aber es geht auch um die Frauen, die sich außerhalb dieses Programms zur Verfügung stellen und dann eine entsprechende Duldung für die Dauer des Prozesses erhalten. Dieser Prozess zieht sich dann, wenn er überhaupt stattfindet, zwei Jahre oder länger dahin. In dieser Zeit sind die Frauen zur Tatenlosigkeit verdammt. Sie sind kriminalisiert, sozial isoliert, finanziell abhängig und werden mangelhaft betreut – ohne Arbeitserlaubnis und Weiterbildungsangebote. Im Höchstfall wird ihnen ein Sprachkurs angeboten.

(Frau Pawelski [CDU]: Deshalb macht das ja keine Frau!)

Meine Damen und Herren, am Ende dieses Prozesses – wenn die Frauen ihn überhaupt durchstehen – steht für sie die Abschiebung; im Regelfall bekanntlich ohne Perspektive im Heimatland.

Ich frage Sie: Welches Opfer sollte ein Interesse daran haben, sich nach dem, was es schon erlebt hat, auch noch dieser Prozedur auszusetzen? In diesem Bereich gibt es in der Tat einen dringenden Handlungsbedarf, Frau Hemme.

Ich sagte bereits, neben der Ausweitung des Zeugenschutzprogramms geht es natürlich auch darum, sichere Unterbringungsplätze außerhalb der Region zu finden, in der sie gewirkt haben. Es geht auch um die medizinische Versorgung, um finanzielle Hilfe, und vor allen Dingen um Qualifizierungsangebote und um Hilfen in den Herkunftsländern. Aber das alles kostet viel Geld, Frau Hemme. Das Bewusstsein für die Probleme dieser Frauen allein hilft leider nicht weiter.

Ich beziehe mich auch noch einmal auf den Modellversuch, den es seit dem 1. Juli 1999 gibt, in dem es um die Abschöpfung von Verbrechensgewinnen geht. Allein in der Zeit vom März dieses Jahres an ist ein Reinerlös in Höhe von

4,5 Millionen DM erzielt worden. Dieses erwirtschaftete Geld fließt derzeit in die bodenlosen Löcher des Haushaltes von Herrn Aller, meine Damen und Herren. Es besteht – zumindest aus meiner Sicht – kein Zweifel daran, dass diese Mittel den Opfern und damit auch den Opfern von Zwangsprostitution zur Verfügung stehen sollten. Den Hinweis, das ließe sich nicht regeln, Frau Hemme, akzeptiere ich nicht.

Wenn wir in den Haushaltsberatungen davon ausgehen, dass diese Mittel zur Verfügung stehen, die – so bitter das auch klingt – letztlich von diesen Frauen erwirtschaftet worden sind, dann liegt es auch an der SPD-Fraktion, ob sie den Mut, die Energie und die Kraft hat, durchzusetzen, dass für die Hilfsprogramme für die betroffenen Frauen Mittel aus diesem Topf umgewidmet werden. – Ich danke Ihnen.

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Frau Kollegin Schliepack hat jetzt das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Drei Jahre ist es jetzt her, dass die CDU-Landtagsfraktion ihre Große Anfrage zum Menschenhandel in Niedersachsen in die Beratung im Niedersächsischen Landtag eingebracht hatte. Vor dem Hintergrund mehrerer Entschließungen des Europäischen Parlamentes hatten wir in 38 Fragen - also sehr ausführlich - nachgefragt nach den Umständen der Anwerbung von Frauen und Mädchen in Drittländern, insbesondere nach Kidnapping von Frauen und Mädchen. Wir hatten nachgefragt nach Straftaten, die in Deutschland oder einem Drittland an den Frauen oder Mädchen verübt werden, um sie gefügig zu machen. Wir hatten nachgefragt nach den Verbindungen der Menschenhändler zu dem Bereich der Organisierten Kriminalität. Und wir hatten nachgefragt nach der Lebenssituation der Prostituierten in Bordellen und bordellähnlichen Betrieben usw. Manche von Ihnen mögen sich noch an diese Debatte erinnern.

In einem sehr ausführlichen Antwortschreiben berichtete die Landesregierung über ihre Erkenntnisse. Ich hatte damals den Eindruck, dass die Landesregierung verstanden hatte, dass sie hier mehr tun müsse. Ein Schritt in die richtige Richtung war sicherlich die Einrichtung einer gesonderten Beratungsstelle für ausländische Opfer von

Frauenhandel, „Kobra“ zum Beispiel. Der Arbeitskreis der CDU-Landtagsfraktion hat sich in Besuchen und Gesprächen von der Arbeitsweise dieser Koordinierungsstelle in Hannover überzeugen können.

Wenn wir den heute vorliegenden Antrag der SPD-Landtagsfraktion richtig verstehen, will sie den Haushaltsansatz für „Kobra“ und den der Frauenschutzhäuser wohl deutlich erhöhen, denn sie fordert die Landesregierung auf, die Beratung und soziale und psychische Betreuung von Zwangsprostituierten zu verbessern. In der Tat reichen 250.000 DM für „Kobra“ nicht aus, um eine landesweite Bekämpfung der Zwangsprostitution zu gewährleisten und Hilfestellung für die betroffenen Frauen zu geben.

Wie gut ist es da zu wissen, dass es in Braunschweig und in Osnabrück darüber hinaus weitere gemeinnützige Einrichtungen wie z. B. „Solwodi“ gibt, die sich allerdings nicht über eine Landesförderung freuen können, sondern auf Spenden angewiesen sind. Glücklicherweise gibt es vernünftige Richter, die die Bußgelder für solche Einrichtungen bestimmen. Wir sind also gespannt darauf, wie der Haushaltsansatz für 2001 aussehen wird.

Der Antrag der SPD-Landtagsfraktion lässt aber auch erkennen, dass sich in den vergangenen drei Jahren die Situation der Zwangsprostituierten nicht verbessert hat und der Menschenhandel nicht eingedämmt oder gar verhindert worden ist. Nach wie vor gibt es unter uns Sklavenhandel und Ausbeutung von Menschen in der schlimmsten Form. Das ist ein Skandal unglaublichen Ausmaßes.

(Beifall bei der CDU)

Was sich in Bordellen, Bars und Wohnungen abspielt, hat nichts mit Bordsteinschwalbenromantik zu tun. Es geht hier um Gewalt, es geht um Ausbeutung, und es geht um Menschenhandel.

(Beifall bei der CDU - Frau Pawelski [CDU]: So ist es!)

Wie Menschenhandel ausgehen kann, haben uns die schlimmen Bilder von Dover jetzt gezeigt, wo 58 Menschen grauenvoll sterben mussten.

Der Missbrauch und die Ausbeutung von Menschen geschieht täglich auch bei uns. Nach Schätzungen von Terre des Femmes - Sie haben es schon erwähnt - gehen täglich etwa eine Million Männer in Deutschland zu Prostituierten. Ein

Großteil der erfragten sexuellen Dienstleistungen wird von ausländischen Frauen erbracht. Früher hatten wir noch die Bordelle, in denen zwei oder drei deutsche Prostituierte waren. Heute haben wir die Einrichtungen, in den zehn oder zwölf Ausländerinnen - ausschließlich Ausländerinnen - angeboten werden, die von professionell organisierten Banden nach Deutschland geholt werden. Ich will nicht auf die Zahlen von vor drei Jahren eingehen, weil ich meine, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt, die hier nicht genannt werden konnte. Interessant wäre sicherlich noch einmal ein aktueller Bericht über den Stand der Zahlen. Es ist davon auszugehen, dass es nicht weniger geworden sind, sondern eher mehr.

Fast alle Bordelle sind voll von Osteuropäerinnen. Die Frauen werden von Händlern angeworben; manchmal wissen sie, dass es um Prostitution geht, oft nicht. Für 1.000 DM bis 3.500 DM werden die Opfer im wahrsten Sinne des Wortes verkauft und müssen diese „Kosten“ zunächst abarbeiten. Wer nicht will, wird gezwungen. 50 % von ihren Einnahmen verlangt der Bordellbetreiber, weitere 20 % bis 30 % der Zuhälter, und von dem Rest müssen die Frauen oft noch zu völlig überhöhten Preisen Schutzmittel, Kleidung und Ähnliches bei ihren Besitzern kaufen. Natürlich müssen sie auch für Nahrung und Schlafplatz bezahlen.

Die CDU-Landtagsfraktion hat vor drei Jahren eine Reihe von Forderungen aufgestellt, um den Menschenhändlern das Handwerk zu legen und die Opfer zu schützen. Diese Forderungen sind nur zum Teil erfüllt worden. Dazu gehört, dass betroffene Frauen umfassende soziale und rechtliche Beratung erhalten, um die Aussagebereitschaft zu erhöhen. Dazu gehören ein verbessertes Bleiberecht für betroffene ausländische Frauen und auch Hilfe bei der Unterbringung und der Beschaffung von Arbeit. Dazu gehört auch die Hilfe bei der Rückkehr in das Heimatland. Ebenso wichtig ist, dass wir nach wie vor mit aller Härte gegen Menschenhändler vorgehen müssen. Wer Frauen zur Prostitution zwingt, sie verschleppt und bedroht, muss mit empfindlichen Freiheitsstrafen rechnen.

(Beifall bei der CDU)

Ausländische Kriminelle müssen ausgewiesen werden, um ihre Strafe im Heimatland zu verbüßen.

(Beifall bei der CDU)

Das waren meine Worte vor drei Jahren; sie gelten leider heute noch.

Noch immer erfahren wir, dass Richter eben nicht das von uns geforderte obere Maß bei der Verhängung von Freiheitsstrafen für skrupellose Menschenhändler ausnutzen. Im Jahre 1998 hat das Landeskriminalamt Zahlen bekannt gegeben, wonach in Niedersachsen in Gerichtsverhandlungen 318 Opfer von Menschenhandel festgestellt worden sind. Dennoch kommt es nicht genug zu Prozessen vor dem Landgericht. Die Zeuginnen haben einfach Angst; Frau Hemme hat darauf hingewiesen. Das sagten uns auch die Beraterinnen in den Koordinierungsstellen.

Die Umsetzung des niedersächsischen Erlasses für mehr Zeugenschutz bereitet Schwierigkeiten. Noch immer gibt es Richter, die es ablehnen, Angeklagte und Öffentlichkeit während der Aussage auszuschließen. Beim Schutz des Zeugen gebe es noch Schwierigkeiten, räumt das Justizministerium ein. Auch komme die Einrichtung von abgeschirmten Zimmern, aus denen die Aussagen durch Videokameras in den Verhandlungssaal übertragen werden können, nur schrittweise voran. Immerhin: Wer sich zur Aussage gegen die Peiniger entscheidet, darf bis zur Hauptverhandlung im Lande bleiben.

Besonders wichtig ist dabei, dass wir uns der Betreuung dieser Frauen annehmen. Darum kümmern sich z. B. solche gemeinnützigen Vereine wie „Solwodi“. Die gibt es im Lande Niedersachsen zu wenig. Hier können und müssen wir noch etwas mehr tun.

(Beifall bei der CDU)

Wir müssen mehr dazu ermuntern, dass hier eine Kooperation zwischen den Behörden und diesen Hilfsorganisationen, zwischen der Polizei, Ordnungsämtern usw. stattfindet.