Protocol of the Session on March 31, 2000

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns vernünftig an diese Sache herangehen, Symbole heraussuchen, die wirklich tragen, und nicht mit Gewalt in einem Flächenland an einem Freitag einen autofreien Tag durchführen, mit dem wir ganze Wirtschaftsbereiche lahm legen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Der Abgeordnete Schwarzenholz hat für zwei Minuten das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es hat ja in Deutschland schon autofreie Tage gegeben. Es stimmt, es waren Sonntage. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass ich in Braunschweig auf einer sechsspurigen Innenstadtstraße Fußball gespielt habe. Das war damals in einer bestimmten Krisensituation, in der deutlich geworden war, dass es so eigentlich nicht weitergehen konnte. Aber dann ging es doch fröhlich so weiter. Der kurze Schock war schnell vorbei. Die Motorisierung hat inzwischen ein Ausmaß angenommen, das wir uns damals nicht hätten vorstellen können.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Als dann ein Regierungswechsel in Berlin anstand, gab es zumindest bei Menschen, die nicht aus Niedersachsen kommen und den Bundeskanzler nicht so genau kannten, die Erwartung, dass die Möglichkeit besteht, im Verkehr tatsächlich ein Umsteuern herbeizuführen.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Wenn ich mir nun aber das ansehe, was SPD und Grüne z. B. im Bundesverkehrswegeplan auf die Beine stellen und was auch hier die großen Fraktionen an Verkehrsprojekten im Autobahnbereich fordern - darüber haben wir gerade in den letzten Tagen wieder diskutiert -, dann kann ich nur feststellen: Es nützt uns doch überhaupt nichts, symbolhaft am 22. September einen autofreien Tag zu fordern, wenn das nicht in eine Politik eingebettet ist, die tatsächlich ein Umsteuern herbeiführt.

Der Ausbau der Straßen hat bei uns ein solches Ausmaß angenommen, dass die Landkreise und Städte den Unterhalt nicht mehr finanzieren können. Wir wissen zwischenzeitlich, dass die Bun

desregierung plant, im Zuge des weiteren Autobahnausbaus Bundesstraßen, weil er sie nicht mehr halten kann, zu Landesstraßen herabzustufen und die Unterhaltslast an das Land abzugeben. Wir wissen, dass der Unterhalt des gesamten Straßennetzes Deutschlands im Prinzip nicht mehr finanzierbar ist. Spätestens das müsste uns doch zum Nachdenken anregen und dazu bringen zu sagen: Wir müssen umsteuern. Man kann dieses Straßennetz in dieser Form doch gar nicht mehr erhalten, geschweige denn ausbauen und erweitern.

Es ist also keine grundsätzliche Änderung zu erwarten. Von daher verstehe ich, ehrlich gesagt, nicht, warum sich die Grünen auf einen solchen Symbolantrag reduzieren und nicht ernsthaftere Vorschläge machen, die tatsächlich zu einem Umsteuern im Verkehrsbereich führen.

Der Kollege Wenzel hat das Wort.

Lieber Kollege Schwarzenholz, Ihr Beitrag spricht für sich, und deswegen werde ich ihn auch nicht kommentieren, zumal Ihnen sicherlich klar ist, dass dies nicht die einzige Initiative ist.

Es handelt sich hierbei um eine symbolische Aktion, um nicht mehr, aber auch nicht weniger.

(Frau Zachow [CDU]: Aber am fal- schen Tag und am falschen Ort!)

Immerhin haben sich die Europäer schon vor der europäischen Einigung auf einen gemeinsamen Kalender verständigt. Das heißt, dieser Termin fällt in allen Ländern auf einen Werktag. Insofern ergeben sich sicherlich ähnliche Diskussionen und auch ähnliche Schwierigkeiten aus einer solchen Terminlegung. Aber ich finde, das ist auch eine Herausforderung.

Es geht in keiner Weise um Zwang. Vielmehr geht es darum, Menschen für die Idee zu gewinnen, an diesem Tag ihren Alltag einmal etwas anders zu gestalten. Das werden nicht 100 % der Menschen machen, weil viele dies gar nicht können. Viele Menschen sind in der Mobilität eingeschränkt, wenn sie beispielsweise auf dem Lande wohnen und keine Alternative zum Auto haben, aber auch, wenn sie, je nach Beruf, nicht alleine entscheiden können, wie sie ihre Wege machen.

Aber ich meine, hierin liegt gerade die Herausforderung, darüber nachzudenken, wie wir in Städten und Gemeinden positive Beispiele schaffen können, wie wir das Bewusstsein erweitern und das Wissen um die Nahverkehrssysteme und um Alternativen verbessern können. Dies ist sicherlich eine spannende Herausforderung für uns und auch für alle Kommunen, die sich beteiligen werden. Ich glaube, dies werden sicherlich einige tun. Vielleicht können wir auch noch einmal an unsere Nachbarländer Frankreich und Italien herantreten, die sich beim letzten Mal stärker beteiligt haben, und vielleicht die eine oder andere Idee austauschen. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass gerade Italien bei einem solchen Projekt federführend ist. Das hat mich, ehrlich gesagt, am meisten überrascht, als ich vom letzten autofreien Tag in der Zeitung gelesen habe.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wenzel. - Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Beratung, und wir kommen zur Ausschussüberweisung.

(Minister Fischer: Herr Präsident, ich hatte mich gemeldet! - Frau Pawelski [CDU]: Jetzt ist das abgeschlossen! Hat er sich nicht schriftlich gemel- det?)

- Entschuldigung. Das tut mir sehr leid, Herr Minister. Der Präsidentenwechsel hat das mit sich gebracht. Sie haben selbstverständlich das Wort.

Herr Präsident, es sei Ihnen natürlich verziehen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 1899 stand in einer amerikanischen Zeitschrift eine Einschätzung über die Bedeutung des Autos, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Deshalb gestatten Sie mir bitte, dass ich zitiere:

„Die Verbesserung der städtischen Lebensbedingungen durch die Einführung der Motorwagen könne man kaum überschätzen, heißt es da. Die Straßen blieben sauber, seien staubund geruchslos, befahren von Fahrzeugen, die sich auf Gummireifen sanft und geräuschlos dahin bewegten

und einen großen Teil der Nervenbelastung des modernen Lebens ausschalteten.“

(Heiterkeit bei der SPD)

So weit die Utopie von damals. Heute, über hundert Jahre später, wissen wir: Es ist alles anders gekommen. Das Rattern von Eisenreifen, das Klappern von Hufen und der Geruch der Ausscheidungen von Tieren bleiben uns inzwischen zwar tatsächlich erspart, aber wir wissen: An ihre Stelle sind andere Belästigungen getreten. Frau Somfleth hat das deutlich gemacht.

Die Träume von damals haben sich also nicht erfüllt. Im Gegenteil. Vor allem in den Ballungsräumen ist das Auto inzwischen zu einem Albtraum geworden.

Der Traum von heute heißt nun: autofrei. Herr Wenzel, ich will Ihnen mit dieser Reminiszenz nicht unterstellen, dass Sie sich die gute alte Zeit zurückwünschen, aber ich will eines sagen. Mit Träumen allein ist es nicht getan. Die Dinge sind mitunter komplexer, als sie scheinen. Nicht überall kann man vom Auto auf Busse, Bahnen oder das Fahrrad umsteigen. In einem Flächenland wie Niedersachsen gilt das allemal. Das hat Frau Zachow hier richtig hervorgehoben. Ohne eine echte Alternative wird uns auch ein autofreier Tag im Jahr der Lösung unserer Mobilitätsprobleme kaum näher bringen, selbst dann nicht, wenn dieses Thema europaweit angegangen wird, wie Sie hier betont haben.

Auch wenn Sie sagen, dass dies eine symbolische Aktion sei, Herr Wenzel, so kann ein solches Vorhaben doch nur dann Erfolg haben, wenn ihm ein vernünftiges und durchdachtes Konzept zugrunde liegt. Das liefern Sie aber nicht. Deshalb gebe ich in diesem Punkt ausnahmsweise Herrn Schwarzenholz Recht, der dies kritisiert hat. Sie schlagen hier nämlich nur potemkinsche Dörfer vor, mit denen den Bürgern vorgegaukelt wird, dass es eine dauerhafte echte Alternative zum Auto gebe. Da machen Sie sich die Sache, wie ich finde, entschieden zu einfach.

Vor allem - das ist hier schon mehrfach gesagt worden - haben Sie den Zeitpunkt schlecht gewählt. Ich dachte erst, dass Ihnen entgangen ist, dass zu diesem Zeitpunkt die EXPO stattfindet. Sie haben es hier aber selbst angemerkt. Wir alle sind davon überzeugt, dass die EXPO ein Erfolg werden soll. Dafür haben sich viele engagiert; nicht

nur in Hannover. In den kommenden Monaten werden sich in diesem Land noch viel mehr Menschen als Gastgeber für die ganze Welt engagieren. Das bedeutet aber auch: Wir stoßen an Grenzen, die Kapazitäten sind ausgelastet.

Das gilt nicht nur für den Bereich der Infrastruktur. Das gilt nicht weniger auch für die planungs- und die organisatorischen Kapazitäten z. B. von Kommunen und Landkreisen, von Verbänden und Institutionen, von Vereinen, sozialen Initiativen und ehrenamtlich tätigen Menschen, von denen Sie, Herr Wenzel, hier zusätzliche Aktivitäten und Aktionen in Sachen autofreie Stadt erwarten und einfordern. Das gilt selbstverständlich insbesondere auch für den öffentlichen Personennahverkehr. Das Thema EXPO-Zuschlag bei der Bahn wird uns hier gleich noch beschäftigen. Über das „SchöneWochenend-Ticket“ haben wir schon in der vergangenen Sitzung diskutiert.

Zusätzliche Aktionen wie autofreie Tage würden das ganze System restlos überfordern, erst recht an einem Freitag, wie es der 22. September in diesem Jahr ist. Dies würde ein Verkehrschaos hervorrufen.

Um nun die Akzeptanz des ÖPNV bei der Bevölkerung zu wecken, wäre dieser Symbolismus eine kontraproduktive Angelegenheit. Meiner Meinung nach kann das auch von Ihnen so nicht gewollt sein; denn Alternativen zum Auto müssen von den Menschen positiv erfahren werden. Alles andere wäre kontraproduktiv.

Meine Damen und Herren, ein autofreier Tag ohne vernünftiges Konzept, das den Bürgern nachhaltig wirksame Alternativen zum Auto bietet, nährt nur Illusionen, macht keinen Sinn und ist nur Aktionismus. Ein autofreier Tag zur EXPO bringt nur ein Verkehrschaos. Das aber kann niemand wollen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Minister. Nunmehr liegen mir wirklich keine Wortmeldungen mehr vor. Das heißt, die Letzte lag mir auch nicht vor. Okay. - Ich schließe die Beratungen.

Wir kommen zur Ausschussüberweisung. Mir ist mitgeteilt worden, dass die Fraktionen übereingekommen sind, den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr mit diesem Antrag federführend zu befas

sen und die Ausschüsse für Umweltfragen sowie für innere Verwaltung mitberatend tätig werden zu lassen. Andere Vorstellungen sehe und höre ich nicht. Dann ist dies einmütig so beschlossen. Damit können wir jetzt den Tagesordnungspunkt 30 verlassen.

Ich rufe jetzt auf

Tagesordnungspunkt 31: Erste Beratung: Arbeitsfähigkeit der Steuerverwaltung sicherstellen - Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drs. 14/1492

Zur Einbringung dieses Antrags hat der Kollege Golibrzuch das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die niedersächsische Finanzverwaltung musste in den letzten Jahren mehrere hundert Stellen abbauen. Das ist gut, weil der Finanzminister, was den Abbau von Stellen und Einsparungen angeht, eine Vorbildfunktion wahrnehmen soll. Das ist auch in denjenigen Bereichen unproblematisch, in denen wir wie in der Staatshochbauverwaltung oder beim Niedersächsichen Landesamt für Bezüge und Versorgung Überkapazitäten haben. Es ist allerdings nicht unproblematisch, sondern dann sogar hochdramatisch, wenn solche Maßnahmen die Einnahmeverwaltung des Landes und damit die Finanzämter treffen, weil der Haushaltsgesetzgeber damit an dem Ast sägt, auf dem er sitzt.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der CDU)

Es ist richtig, meine Damen und Herren, dass in den Finanzämtern die eine oder andere Steuer nicht mehr geprüft wird, weil sie nicht mehr erhoben wird. Ich nenne hier nur einmal die Vermögensteuer. Es ist richtig, dass die eine oder andere Stelle aufgrund von Automatisierung überflüssig geworden ist. Wer nun aber meint, dass er aus diesem Grunde bei den Finanzämtern Stellen streichen kann, der übersieht, dass durch eine komplizierte Steuergesetzgebung, durch einen bürokratischen Aufwand, der zu betreiben ist, und auch durch eine erfolgreichere Steuerfahndung eine erhebliche Mehrarbeit auf die Finanzverwaltung zugekommen ist, die die erstgenannten Stellenstreichungen bei

weitem überkompensiert. Das heißt, wir haben in den Finanzämtern heute eher mehr Arbeit zu bewältigen, als das vor fünf Jahren der Fall gewesen ist.

Angesichts dieser Situation ist es richtig - wir finden das toll und haben das auch immer gefordert -, dass die Betriebsprüfung und die Steuerfahndung in der Finanzverwaltung verstärkt werden. Herr Aller, das ist noch ein gemeinsames Ergebnis von Rot-Grün von Anfang der 90-er Jahre. Dieses Ergebnis kann aufgrund der langjährigen Ausbildung aber erst heute voll zum Tragen kommen.

Nicht mehr nachvollziehen kann ich aber, wenn der Innendienst, der dafür zuständig ist, dass das, was von der Steuerfahndung entdeckt wird, und das, was an Außenständen tatsächlich vorhanden ist, eingetrieben wird, gleichzeitig so geschwächt wird, dass er und mit ihm die gesamte Finanzverwaltung nicht mehr arbeitsfähig sind.

Die Situation ist die, dass in den letzten Jahren aufgrund der systematischen Ausdünnung des Innendienstes bei den Finanzämtern ein erheblicher Teil der vollstreckbaren Titel nicht mehr beigetrieben werden konnte. Wenn Sie, Frau Leuschner, sich einmal die Vollstreckungsstatistik - die ist dafür maßgeblich - anschauen, dann werden Sie feststellen, dass im Jahr 1998 ein vollstreckbares Titelvolumen von 1,2 Milliarden DM nicht mehr bearbeitet worden ist. Sie werden außerdem feststellen, dass im Jahr 1999 ein vollstreckbares Titelvolumen in der Größenordnung von 1,9 Milliarden DM nicht mehr bearbeitet worden ist. Das heißt, die Frage, ob diese Titel beigezogen werden können oder ob die Schuldner im Einzelfall nicht zahlungsfähig sind, kann derzeit überhaupt nicht mehr geprüft werden. Diese Fälle werden in den Finanzämtern schlicht liegen gelassen, weil es an dem Personal fehlt, das erforderlich ist, um dem Staat seine Einnahmen zu sichern. Dieser Zustand ist angesichts der Situation der Landeskasse jedoch geradezu unerträglich.

Durch die Schwächung des Innendienstes ist bis jetzt allein in Niedersachsen ein Bearbeitungsvolumen von 7,5 Milliarden DM aufgelaufen, das hier nicht mehr bearbeitet wird. Das ist zum Teil gestundet, das ist zum Teil ausgesetzt, das ist zum großen Teil aber der Tatsache geschuldet, dass diese Titel nicht mehr bearbeitet werden können.