Protocol of the Session on January 27, 2000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Tributylzinnverbindungen werden - wie aus der kürzlichen Diskussion zu Belastungen in Textilien inzwischen allgemein bekannt ist - insbe

sondere als so genannte Antifoulingmittel in Schiffsanstrichen eingesetzt.

Aus einer Stellungnahme des Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) geht hervor, dass diese Verbindungen zu Organschädigungen führen und vor allem das Immunsystem beeinträchtigen können. Hierfür sind jedoch entsprechend hohe Dosierungen und Einwirkzeiten erforderlich.

Die in der Anfrage angesprochenen Effekte von Tributylzinn auf das Hormonsystem von Menschen sind bisher ausschließlich aus Laboruntersuchungen an Zellgemischen abgeleitet worden. Um hierzu eine schlüssige Aussage treffen zu können, müssen nach Auffassung des BgVV zusätzliche Untersuchungen an Labortieren vorgenommen werden.

Dieses vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu 1 und 2: Orientierende Untersuchungen der Arbeitsgemeinschaft für die Reinhaltung der Elbe ergaben 1996 in der Muskulatur von Aalen maximal 6 Mikrogramm TBT pro Kilogramm und in der Muskulatur von Flundern maximal 12 Mikrogramm TBT pro Kilogramm. Im Weichkörper von 1994 seitens der Forschungsstelle Küste des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie untersuchten Miesmuscheln lagen die TBT-Werte zwischen 19 und 70 Mikrogramm pro Kilogramm, wobei die höheren Werte lediglich bei jüngeren, nicht verzehrsrelevanten Muscheln nachgewiesen wurden.

Die unter Verwendung eines Sicherheitsfaktors von 100 seitens der Weltgesundheitsorganisation angesetzte täglich duldbare Aufnahmemenge von 0,25 Mikrogramm TBT pro Kilogramm Körpergewicht und Tag wird nach der Stellungnahme des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin nur im Fall des täglichen Hochverzehrs - d. h. mindestens 200 Gramm pro Tag - und einer Mindestkontamination von 100 Mikrogramm TBT pro Kilogramm überschritten.

Sowohl die bei den angesprochenen orientierenden Untersuchungen ermittelten Gehalte bei Speisefischen und Muscheln als auch die in den aktuellen Meldungen angegebenen Stichprobengehalte sind unter Beachtung der Stellungnahme des BgVV von der Größenordnung her für eine Beeinträchtigung der Verbrauchergesundheit also nicht als riskant einzustufen. Sie sind jedoch, meine Damen und

Herren, beachtenswert, und es bedarf - auch nach Auffassung des Bundesgesundheitsministeriums einer Aufarbeitung des Problems anhand repräsentativer Proben, um eine sachgerechte Bewertung der Belastungssituation von Speisefischen und Muscheln aus den Fanggebieten der Nordsee vornehmen zu können.

Im Staatlichen Veterinäruntersuchungsamt für Fische und Fischwaren wird nach den jetzt vorliegenden methodischen Vorgaben des BgVV die hierfür erforderliche Methode zurzeit installiert. Da es sich um komplizierte Untersuchungen handelt, wird erst in einigen Wochen mit verwertbaren Ergebnissen zu rechnen sein.

Wie aus einer Studie der Umweltstiftung WWF-Deutschland hervorgeht, handelt es sich bei der Belastung des Meerwassers mit den in Rede stehenden Organozinnverbindungen um ein weltweit bedeutsames Problem, das insbesondere in Ländern mit extrem hohem Fischverzehr gesundheitlich relevant ist.

Initiativen zur Problembereinigung sind insofern zwar von Landesseite zu begrüßen. Vorrangig sind aber die Bundesregierung und die EU gefordert, den Sachverhalt rechtlich aufzuarbeiten und damit eine Basis für die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen zu schaffen sowie auf eine weltweite Eintragsreduzierung hinzuwirken. Neben der bereits vorliegenden EU-Richtlinie 99/51/EG, die das In-Verkehr-Bringen von Antifoulingfarben erschwert, werden auch EU-weit gültige TBT-Höchstmengen für marine Lebensmittel festzusetzen sein, die unter anderem auch die Einfuhr belasteter Produkte aus Drittländern unterbinden. Die Landesregierung fordert im Bundesrat weiterhin ein generelles TBT-Verbot.

Zu 3: Aus der eingangs genannten Stellungnahme des BgVV geht hervor, dass die Frage, inwieweit die Gesamtbelastung durch Organozinnverbindungen aus unterschiedlichen Quellen bedingt ist, bisher nicht abschließend beantwortet werden kann. Insoweit wäre auch die Frage nach der Gesamtbelastung zurzeit nur spekulativ zu beantworten. An solchen Spekulationen will ich mich nicht beteiligen. In welcher Größenordnung hierbei die Aufnahme von Organozinnverbindungen durch den Verzehr von Speisefischen und Muscheln von Bedeutung ist, kann erst nach Vorliegen der erwähnten repräsentativen Untersuchungsergebnisse beurteilt werden.

Die bisher ermittelten Mengen an organischen Zinnverbindungen in Textilien stellen für sich allein nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen keine konkretisierbare Gesundheitsgefahr dar. Mit einer Ausnahme liegen alle bisher hier bekannt gewordenen Konzentrationen unter 0,1 Milligramm TBT je Kilogramm Textilie. Lediglich im Schaumstoffpolster einer Radlerhose wurden in Baden-Württemberg 100 Milligramm Tributylzinn je Kilogramm festgestellt. Im Gegensatz zur Aufnahme mit der Nahrung ist bei Textilien zudem zu berücksichtigen, dass nur die von den Fasern ablösbaren Verbindungen auf den Menschen einwirken können.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Als erste Vorsorgemaßnahme ist den Verbrauchern zu raten, verdächtige Textilien vor dem ersten Tragen zu waschen; da Tributylzinnverbindungen wasserlöslich sind, kann die Belastung der Textilien auf diesem Wege vermindert werden.

Wichtig zu erwähnen ist, dass es keine nachvollziehbaren Gründe für die Verwendung der betreffenden Verbindungen in Textilien überhaupt gibt. Dies gilt in besonderem Maße für Kunstfasern aus Polyester, da sich dieses Material leicht reinigen lässt und deshalb von Mikroorganismen schlecht dauerhaft besiedelt werden kann. Umso mehr ist es erforderlich, eine derartige Verwendung durch rechtliche und Überwachungsmaßnahmen zukünftig auszuschließen.

Von Klärschlamm geht offenbar wegen des relativ schnellen Abbaus von TBT unter aeroben Bedingungen nur ein sehr geringes Gefährdungspotential aus; eine direkte Klärschlammaufnahme durch Tiere oder Menschen kann so gut wie ausgeschlossen werden.

Herr Minister, vielen Dank. - Der Kollege Wenzel hat eine Zusatzfrage.

Herr Minister Bartels, Greenpeace hat festgestellt, dass in gestrandeten Walen die Konzentrationen von Organozinnverbindungen höher waren als der Grenzwert für Klärschlamm. Nun werden ja gestrandete Wale zum Teil zu Futtermitteln verarbeitet. Aber auch Fischmehl kommt im Stall zum Einsatz. Daher meine Frage: Was ist Ihnen über

die Belastung von Futtermitteln mit Organozinnverbindungen bekannt?

Herr Minister!

Uns liegen keine Erkenntnisse über die Belastungen von Futtermitteln mit Organozinnverbindungen vor.

(Wenzel [GRÜNE]: Und bei Fisch- mehl?)

- Auch dort nicht.

Herr Schwarzenholz hat eine Frage. Bitte schön!

Herr Fischereiminister, ich habe eine Frage. Habe ich Sie eben richtig verstanden, dass ich Menschen, die mich fragen, wie sie Risiken der Ernährung, die sich durch diesen Giftstoff ergeben, ausweichen können, empfehlen muss, weniger Fisch zu essen und auf diese Art und Weise die gesundheitlichen Risiken individuell zu reduzieren?

Herr Minister!

Herr Abgeordneter Schwarzenholz, Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe deutlich gemacht, dass der Verbraucher durchaus Fisch in dem bisher gewohnten Maße verzehren kann. Die Werte, die vorliegen, sind innerhalb der tolerablen Größenordnung, und dies sind Aussagen des BgVV. Darauf müssen wir uns beziehen. Neuere Erkenntnisse dazu liegen nicht vor. Ich habe aber deutlich gemacht, dass wir weiter gehende Untersuchungen, die wir jetzt mit dem BgVV verabredet haben, durchführen und dann zu einer entsprechenden Bewertung des gesamten Sachverhaltes kommen werden.

Herr Minister, vielen Dank. – Herr Kollege Klein hat das Wort. Bitte schön!

Herr Minister, vor dem Hintergrund, dass die Problematik der Organozinnverbindungen im Allgemeinen und TBT im Besonderen vor allem daher rührt, dass wir inzwischen Kenntnis über eine Vielzahl von Belastungspfaden haben, frage ich Sie, wie die Landesregierung die Tatsache beurteilt, dass auch eine Vielzahl von Pflanzenschutzmitteln Organozinnverbindungen enthält. Gibt es Erkenntnisse darüber, und sieht die Landesregierung Handlungsbedarf, auf diesem Gebiet tätig zu werden?

Vielen Dank. – Herr Minister!

Herr Abgeordneter Klein, es liegen keine Erkenntnisse zu Pflanzenschutzmitteln vor. Es liegen Erkenntnisse zum Einsatz des TBT in Textilien und in Antifoulingmitteln vor. Ich habe hier eben deutlich gemacht, dass hier ein entsprechender Einsatzort ist und dass die Landesregierung hierbei ganz eindeutig dafür plädiert, TBT durch eine Bundesratsinitiative - die ist im Übrigen mit Nordrhein-Westfalen abgestimmt - insgesamt zu verbieten und damit in der Zukunft praktisch zu einer Null-Immission zu kommen.

Vielen Dank. – Frau Harms hat sich zu einer Frage gemeldet.

Herr Minister, nachdem Sie gesagt haben, dass Ihnen keine Erkenntnisse über die Belastungen von Fischmehl oder Futtermitteln vorliegen, würde ich gerne wissen, ob Sie beabsichtigen, das wegen der verschiedenen Möglichkeiten der TBT-Belastung für den Einzelnen zu klären. Ich würde auch gerne wissen, ob Ihnen schon Erkenntnisse über die Belastung von Milch oder Fleisch vorliegen. Das sind ja Produkte, die am Ende der Nahrungskette stehen.

Herr Minister!

Frau Abgeordnete Harms, es liegen keine Erkenntnisse zu Milch und Fleisch vor. Es gibt dafür auch keine Anhaltspunkte. Wir werden die Anregungen auch in Bezug auf Fischmehl aber selbstverständlich verfolgen, und - ich sagte es - es wird ein umfassendes Untersuchungsprogramm stattfinden, nachdem die Methoden in unserem Untersuchungsamt installiert worden sind. Wir werden dann in absehbarer Zeit die Ergebnisse vorliegen haben. Da wir mit diesen Ergebnissen wie in der Vergangenheit offen umgehen und sie auch über das Internet abrufbar machen werden, können wir den Verbraucher also umfassend informieren.

(Frau Harms [GRÜNE]: Aber bisher wissen Sie nichts!)

- Nein.

Herr Kollege Wenzel hat noch einmal das Wort zu einer Zusatzfrage. Das ist dann die letzte Frage, die Sie stellen dürfen.

Herr Minister Bartels, da ich gegen Antibiotika allergisch bin, habe ich schon sehr früh auf einen homöopathischen Arzt zurückgegriffen, bei dem man es mit sehr kleinen Dosen und erheblichen Wirkungen zu tun hat. Was würden Sie mir vor diesem Hintergrund raten, wie viel Fisch ich nach Ihrer Empfehlung, die Sie hier verbreitet haben, täglich essen dürfte?

Herr Minister, ich bin der Meinung, dass Sie diese Frage nicht zu beantworten brauchen. - Aber wenn Sie es möchten, können Sie es gerne tun.

(Wenzel [GRÜNE]: Was soll das denn? Das ist eine ganz ernst ge- meinte Frage!)

- Darüber bin ich völlig anderer Meinung. Jetzt geben Sie sich bitte damit zufrieden.

(Wenzel [GRÜNE]: Das ist doch wohl unmöglich!)

- Ich werde Ihnen gleich einen Ordnungsruf erteilen, Herr Kollege. – Herr Kollege Klein, Sie haben das Wort. Bitte schön!

Herr Minister, ich muss noch einmal nachhaken. Muss ich Ihre Antwort auf meine Frage so interpretieren, dass Ihnen nicht bekannt ist, dass die LUFA im Auftrag der Landwirtschaftskammer im Zusammenhang mit der Belastung von Klärschlamm mit TBT Aussagen dahin gehend gemacht hat, dass diese Belastung im Klärschlamm zu vernachlässigen sei, weil der Eintrag, der über Pflanzenschutzmittel in die Böden erfolge, ohnehin sehr viel größer als diese Belastung sei?

Vielen Dank. – Herr Minister!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will die Frage beantworten. Bei der Problematik des Klärschlamms geht es darum, dass hier nicht der Eintrag aus Pflanzenschutzmitteln gemeint ist, sondern der Eintrag z. B. über Hafenschlämme, die ausgebracht oder verarbeitet worden sind. Dazu hat die LUFA entsprechende Aussagen gemacht. Ich bitte Sie, Herr Kollege Klein, aber darum, dass Sie diese Fragen morgen im Zusammenhang mit der mündlichen Anfrage, die Sie gestellt haben, an den dafür zuständigen Umweltminister richten. Dann besteht genügend Zeit, noch einmal detailliert darauf einzugehen und nachzufragen.

Zu der Frage des Abgeordneten Wenzel will ich das wiederholen, was ich gesagt habe, nämlich eine Aussage der Weltgesundheitsorganisation, die ich hier zitiert habe: Die unter Verwendung eines Sicherheitsfaktors von 100 seitens der Weltgesundheitsorganisation angesetzte tägliche duldbare Aufnahmemenge von 0,25 Mikrogramm TBT pro Kilogramm Körpergewicht und Tag wird nach der Stellungnahme des BgVV, des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin, nur im Fall des täglichen Hochverzehrs - d. h. mindestens 200 g Fisch pro Tag - und einer Mindestkontamination des Fisches von 100 Mikrogramm TBT pro Kilogramm über