Protocol of the Session on October 25, 2002

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sie sind genauso ein Rechtsbrecher wie diese Leute! Sie nötigen ein Ver- fassungsorgan! Das ist unglaublich!)

Sehr verehrter Herr Plaue, unser originäres Steueraufkommen in Niedersachsen liegt von Januar bis Dezember 2002 exakt um 971 Millionen Euro niedriger als im letzten Jahr. Die Summe der Steuerrückstände, die ausstehenden Forderungen - der Kollege Golibrzuch hat auf sie hingewiesen - beträgt ebenfalls 970 Millionen Euro. Ich darf hier einmal deutlich sagen: Das liegt mit Sicherheit nicht an den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Landesverwaltung, sondern das liegt an einer Landesregierung, die die Finanzämter in Niedersachsen hat ausbluten lassen, die sie technisch nicht entsprechend ausgestattet hat, und natürlich auch an einer Steuergesetzgebung auf Bundesebene, bei der In-Kraft-Treten und Änderungsgesetz inzwischen nahezu auf einen einzigen Tag fallen.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, es existiert ein Steuerdschungel mit etwa 70 000 Steuervorschriften. Wir muten vielen Finanzbeamten eine ganze Menge zu. Die Landesregierung mag es „Festsetzung des geltenden Beschäftigungsvolumens auf das jahresdurchschnittliche Ist des Monats Juli 2002“ nennen - ich habe das bewusst einmal zitiert; es ist kompliziert ausgedrückt -, und Sie verweisen ja auch darauf, dass die Anwärter ausgenommen werden; aber hinter dieser komplizierten Formulierung steht letztendlich nichts anderes, als dass rund 2 000 Vollzeiteinheiten über den gesamten Haushalt hinweg bis auf weiteres gesperrt werden. Gerne wird vergessen, dass diese Maßnahme im Vorjahr schon einmal ergriffen wurde. Sie haben bereits im letzten Jahr 1 600 Vollzeiteinzeiten generell für die Bewirtschaftung gesperrt, anstatt als Landesregierung zu überlegen, in welchem Bereich der Einnahmeverwaltung des Landes Niedersachsen es richtig wäre, Personal abzubauen, und in welchem Bereich es kontraproduktiv ist. Kontraproduktiv ist es dort, wo wir Steuereinnahmen haben.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, das ist wahrlich eine personalwirtschaftliche Notbremse. Für sie mag

man hier und da auch Verständnis haben. Denn von 1998 bis 2006 steigen die aktiven Personalausgaben des Landes Niedersachsen um 43 %. Die Versorgungsausgaben des Landes Niedersachsen haben sich seit 1998 verfünffacht. Daran - ich darf es noch einmal betonen - sind nicht die niedersächsischen Finanzbeamten schuld, sondern daran ist eine Personalausgabenpolitik schuld, allerdings auch in Ihrer Verantwortung, Herr Golibrzuch, nämlich in den Jahren der rot-grünen Regierung, als im Lande Niedersachsen 10 000 Stellen zu viel geschaffen wurden. Dieses Erbe treten Sie heute mit entsprechend scharfen Maßnahmen an.

(Beifall bei der CDU)

Gemäß § 50 Abs. 7 Haushaltsgrundsätzegesetz muss eine Regierung rechtzeitig geeignete Maßnahmen ergreifen, um eine geordnete Haushaltsentwicklung zu sichern. Dieses Ziel können Sie in diesem Jahr bei einer Deckungslücke von etwa 1,3 Milliarden Euro mit Sicherheit nicht erreichen. Im nächsten Jahr wird diese Deckungslücke durch die Abdeckung des zusätzlichen Defizits von 2001 voraussichtlich auf 2 Milliarden Euro ansteigen.

Als wir erstmalig im März und anschließend im Mai bei der zweiten Beratung das von der Landesregierung und von der SPD-Fraktion getragene, ja geradezu hochgelobte, „begrüßenswerte“ - so wurde es in Ihren Entschließungsanträgen immer wieder bezeichnet - Projekt „Finanzamt 2003“ besprochen haben, das wir sehr unterschiedlich beurteilt haben, ist deutlich geworden, dass es Ihnen gar nicht um die Mitarbeiter oder die Finanzämter geht. Sie kürzen in Kapitel 04 06 bei den niedersächsischen Finanzämtern bis 2004 insgesamt rund 430 Stellen. Dann erklärt meine werte, sehr geschätzte, liebe Frau Kollegin Leuschner

(Frau Leuschner [SPD]: Mehr, Herr Althusmann!)

am 13. März wörtlich:

„Die Verbesserung der schwierigen Arbeits- und Personallage in den Finanzämtern, das ist besonders wichtig, weil wir da lange Ausbildungszeiten haben. Schließlich geht es ja auch um die Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit und der Motivation der rund 14 000 Beschäftigten in unseren Finanzämtern.“

(Frau Leuschner [SPD]: Ja, das wie- derhole ich!)

Liebe Frau Leuschner, waren das nicht ein paar Krokodilstränen, die Sie da vergossen haben?

(Beifall bei der CDU - Plaue [SPD]: Sie brauchen einen Rhetorikkurs bei Konrad Adenauer, Herr Kollege!)

Im Blickpunkt der Steuergewerkschaft setzt der Finanzminister das dann fort. Im Juli 2002 spricht Finanzminister Aller von der wunderbaren Zukunft der niedersächsischen Finanzämter. Mit Verbesserungen und Erleichterungen, was die Stellen angeht, würden die Leistungen der Steuerverwaltung anerkannt. Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was ein Mitarbeiter in der niedersächsischen Finanzverwaltung dazu sagt. Er bewertet den Personalabbau in den niedersächsischen Finanzämtern wortwörtlich wie folgt:

„Das ist der kontrollierte Absturz der Steuerverwaltung in Niedersachsen.“

Ihre Verantwortung!

(Beifall bei der CDU)

Im Jahre 2001 haben 68 niedersächsische Finanzämter ca. 22,5 Milliarden Euro eingenommen, von denen rund 11,5 Milliarden Euro beim Land Niedersachsen verblieben sind. Im Jahre 2002 haben die 12 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Steuerverwaltung bis zum letzten Monat insgesamt rund 2,8 Millionen Steuerveranlagungen durchgeführt. Mehr als 3 Millionen Kfz-Steuerfälle wurden bearbeitet. Insgesamt wurden 16,5 Milliarden Euro eingenommen. Davon bleiben 8,2 Milliarden Euro bei uns. Diese Beträge hätten mindestens um 1 Milliarde Euro höher sein können, wenn Sie diese Verwaltung zumindest so lange von den Zielvereinbarungen, die Sie hier beschlossen haben, ausgenommen hätten, solange Sie es nicht geschafft haben, die Finanzämter in Niedersachsen personell und insbesondere technisch besser auszustatten. Eines ist auch wahr: FISCUS, LoHN, ELSTER und wie es alles heißt, alles funktioniert nicht, alles stürzt ab. Die Realität bei den Finanzämtern in Niedersachsen ist tagtäglich so: Die Computer stürzen kontinuierlich ab.

(Vizepräsident Gansäuer über- nimmt den Vorsitz)

Fakt ist auch, dass mit 10 932 Vollzeiteinheiten, die auf 10 720 reduziert werden sollen, bei höchs

ten Fallzahlen die Forderung nach größtmöglicher Bürgerorientierung wahrlich nicht erfüllt werden kann. Das ist nicht miteinander in Einklang zu bringen.

Ich habe Ihnen bereits im Mai entgegengehalten, dass die Fallzahlen für die Bearbeitung im Bereich der Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer oder anderer Feststellungen seit 1990 in den niedersächsischen Finanzämtern um durchschnittlich mehr als 30 % angestiegen sind. Die Zahl der Fälle, die ein Mitarbeiter zu erledigen hat, ist um mehr als 24 % gestiegen.

Ganz nebenbei wurden in der vergangenen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages etwa 32 Steueränderungsgesetze beschlossen. Dies hätte - auch unter Hinweis auf Ergebnisse des Landesrechnungshofs in Baden-Württemberg - letztendlich dazu führen müssen, dass mindestens 600 Stellen in der Finanzverwaltung für diesen speziellen Bereich der Steuerveranlagung mehr geschaffen worden wären, anstatt 430 Stellen in diesem Bereich abzubauen.

Von Wirtschaftlichkeit kann bei diesem Abbau auch keine Rede sein; denn bei der Abschmelzung des Beschäftigungsvolumens ist es tatsächlich so, dass jeder Beschäftigte im Veranlagungsbereich der niedersächsischen Steuerverwaltung insgesamt das Doppelte dessen erbringt, was das Land Niedersachsen an Personalkosten für ihn aufwenden muss.

Es ist schon ein wenig abenteuerlich: Da haben wir einen Ministerpräsidenten, der den Menschen kurz nach der Wahl die Wahrheit erklärt, die er vorher verschwiegen hat, der plötzlich Änderungen bei der Vermögensteuer und was nicht noch alles für Steueränderungen einführen will.

(Zuruf von der CDU: Unerhört!)

Da haben wir einen Ministerpräsidenten, der durch die Vermögensteuer zukünftig 300 Millionen Euro bei den Menschen in Niedersachsen abkassieren will. Sie fordern auf Bundesebene die Erhebung von Steuern auf Aktiengewinne und jetzt wohl auch auf Lebensversicherungen sowie bei Immobilienspekulationen. Sie schaffen quasi das Bankgeheimnis ab. Sie wollen Kontrollmitteilungen einführen.

(Zuruf von der SPD)

Im Übrigen ist dagegen nicht viel zu sagen, Herr Kollege; denn das Instrument der Kontrollmitteilungen kann man sehr wohl vernünftig einsetzen. Ich halte das für ein geeignetes Mittel, um die entsprechenden Kapitalerträge zu verifizieren. Aber, lieber Kollege Möhrmann, Sie belasten die Unternehmen, indem Sie die Zeiträume bei den Verlustvorträgen entsprechend verkürzen wollen.

Bei all den Maßnahmen, die Sie auf Bundesebene durchführen wollen, bedenken Sie aber überhaupt nicht, welche Auswirkungen das für Niedersachsen haben kann. Sie bedenken überhaupt nicht, welch große Zahl von Mitarbeitern und welche technischen Änderungen notwendig wären, um alles das, was Sie auf Bundesebene tagtäglich an tollen, atemberaubenden neuen Ideen haben, hier vor Ort in der Praxis zu bewältigen und zu bearbeiten.

Wenn das Finanzamt Göttingen beim zweiten Landeswettbewerb „Innovative Behörde“ für die Entwicklung seines Servicecenterkonzeptes „Finanzamt 2003“ geehrt wird und einen Preis erhält, dann muss es den Niedersächsischen Finanzminister Aller eigentlich umtreiben, wenn ihm eine Mitarbeiterin aus diesem Finanzamt resignierend schreibt, man habe zwar die Wartezeit in diesem Finanzamt dadurch versüßt, dass man jetzt Gummibärchen hinstelle, aber für die Anschaffung einer schlichten Telefonanlage reiche es in diesem Finanzamt nicht. Das ist die Realität in Niedersachsen! Deshalb ist diese Maßnahme eindeutig falsch und kontraproduktiv.

(Beifall bei der CDU)

Frau Kollegin Leuschner, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Althusmann, ich hatte gedacht, wir würden uns mit dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sachlich auseinander setzen. Aber Ihre Einlassungen machen mich wirklich zornig. Ich weiß nicht, welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Sie hier zitieren, die Ihnen schreiben. Ich kann Ihnen andere Aussagen nennen.

Herr Althusmann, ich weine auch keine Krokodilstränen. Außerdem falte ich nicht die Hände. Vielmehr geht es um eine sachliche Auseinandersetzung mit der Situation in den Finanzämtern. Sie müssten eigentlich wissen, dass der Ausfall der

Steuereinnahmen konjunkturelle bzw. wirtschaftliche Gründe hat und dass die Verquickung, wie sie im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vorgenommen worden ist, nicht sachgerecht ist. Darin wird die Personalsituation als ein Grund dafür angenommen, und es wird gesagt, da zu wenig Personal vorhanden ist, können geringere Steuereinnahmen realisiert werden. Das ist so einfach nicht zutreffend.

Wir haben im Ausschuss für Verwaltungsreform und öffentliches Dienstrecht über den Haushaltsführungserlass geredet. Es ist dort auch die Deckelung des Beschäftigungsvolumens angesprochen worden. Auf die Situation der Finanzämter sind wir ausdrücklich eingegangen. Dort ist auch gesagt worden, dass alle Auszubildenden, alle Anwärterinnen und Anwärter übernommen werden und dass dadurch eine qualifizierte Entlastung der Beschäftigten zustande kommt. Das haben Sie einfach negiert. Daraus ist dann letztlich dieser Antrag gestrickt worden.

Ich will Ihnen einmal Folgendes sagen: Wir besuchen als Arbeitskreis auch die Finanzverwaltung. Wir sehen, wie das Projekt „Finanzamt 2003“ greift, welche Erleichterung dadurch für die Beschäftigten entsteht, was die Bearbeitung von Fällen angeht. Die Beschäftigten können ihr Sachwissen nach wie vor einbringen, während die Arbeitsabläufe - das ist wirklich richtungweisend in Niedersachsen - so verbessert werden, dass in ganz naher Zukunft alle Steuererklärungen zügig und sachgerecht bearbeitet werden können.

Frau Kollegin, der Kollege Möllring möchte Ihnen eine Frage stellen.

Nein. - Dadurch wird eine sachgerechte Bearbeitung der Steuerfälle zustande kommen. Herr Althusmann, das wissen Sie auch.

Gerade - diese Kritik der Beschäftigten nehmen wir sehr ernst - bezüglich der Altersstruktur, die es in Zukunft in der Finanzverwaltung geben wird, hat die Landesregierung Vorsorge getroffen. Wir übernehmen die Anwärterinnen und Anwärter. Wenn in zehn Jahren viele ausscheiden werden, wird weiterhin qualifiziertes Personal vorhanden sein. Ich kann die Einlassungen der Gewerkschaften verstehen. Aber ich finde, die Deutsche Steuer

gewerkschaft ist bei weitem über ihr Ziel hinausgeschossen.

(Beifall bei der SPD)

Das kann man so nicht einfach stehen lassen. Wir diskutieren mit den Beschäftigten, nehmen ihre Kritik ernst und schaffen dadurch Abhilfe. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Vorwahlkampfzeiten ist offensichtlich alles erlaubt. Man kann Zahlen frisieren, Behauptungen aufstellen, Dinge in Relation zueinander stellen, die nichts miteinander zu tun haben, und das nur, um das gewünschte Ergebnis zu bekommen.

(Frau Leuschner [SPD]: Eben!)