Protocol of the Session on August 29, 2002

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann mich dem, was meine beiden Vorredner gerade vorgetragen haben, nur anschließen.

(Biallas [CDU]: Das waren aber un- terschiedliche Auffassungen!)

Ich habe den Eindruck, dass die CDU hier einem Muster folgt, von dem sie glaubt, dass es bewährt sei. Sie kopiert die Idee eines anderen Bundeslandes - -

(Jahn [CDU]: Ist das denn so schlimm?)

- Gar nicht, wenn sie denn das zur Kenntnis nehmen würde, was dort im Einzelnen an Erfahrungen vorliegt. Der Abgeordnete Stratmann hat aber offensichtlich nur aus Presseerklärungen zitiert. Hätte er das hier zur Grundlage genommen, was wir gründlich gelesen haben, Forschung aktuell research in brief von Markus Mayer, den ersten Bericht über das Modellprojekt aus dem Max

Planck-Institut, dann hätte er feststellen können, dass die von Minister Wagner vorgegebene Zielgruppe gerade nicht erreicht worden ist. Das Spannende ist, wenn man die Ziele, die Wagner verkündet hat, mit denen vergleicht, die die Forschung beschreibt. Wagner sagt ebenso wie die CDU hier, dass er Führungsprobanden ansteuern wolle. - Kein Einziger ist im Projekt erfasst worden. - Wagner spricht von Probanden der Bewährungshilfe, die vorher in Haft gewesen sind und nach zwei Dritteln ihrer Haftzeit vorzeitig entlassen worden sind. - Kein Einziger von dieser Zielgruppe wurde aber mit dem Projekt erreicht. Stattdessen hat das Projekt eine Zielrichtung verfolgt, die wir in den Sozialwissenschaften Creaming nennen. Man nimmt den Rahm weg, schöpft ihn ab und nimmt in der Modellphase nur solche Probanden, mit denen nichts schief gehen kann, einfach gelagerte Fälle, nämlich zum großen Teil Ersttäter, Leute, die eine gute Sozialprognose haben, Personen, die leichte Diebstahlsdelikte und Drogendelikte oder Trunkenheit am Steuer begangen haben - alles Leute, die bei uns normalerweise eine Geldstrafe auferlegt bekommen, ausnahmsweise vielleicht auch einmal unter die Aufsicht eines Bewährungshelfers gestellt werden, aber nie hinter Gitter kommen würden.

Von daher ist die hier aufgestellte Rechnung, nach der die Haftkosten pro Tag den 30 Euro gegenübergestellt werden, die pro Tag für einen dieser elektronisch überwachten Menschen ausgegeben werden mussten, eine Milchmädchenrechnung. Richtig: Wir brauchen etwa 80 Euro pro Hafttag und nur 30 Euro für einen elektronisch Überwachten. Aber das ist doch falsch bezogen. Wir dürfen doch nur die Kosten nehmen, die tatsächlich pro Hafttag entstehen, weil die Anstalten und die Bediensteten nun einmal da sind, und das sind 12,5 Euro und nicht 80 Euro pro Tag. Es würde sich erst dann rechnen, wenn wir den Neubau einer Anstalt vermeiden könnten. Gerade das ist in Hessen nicht eingetreten, weil ja, wie Wagner inzwischen selber zugibt, die Haft durch den Modellversuch gar nicht entlastet werden konnte.

Wenn wir die Forschungsergebnisse gründlich lesen - das Max-Planck-Institut sagt es ganz klar mit seinen Daten -, kommen wir zu folgendem Ergebnis: Wir haben hier einen Modellversuch, bei dem man an seiner Zielgruppe vorbei leichte Fälle genommen hat und deshalb natürlich traumhafte Rückfallergebnisse hatte. Damit will man sich beruhigt zurücklehnen und sagen: Das ist der Weg der Zukunft.

Ich will mit meiner Kritik nicht sagen, dass die elektronische Überwachung in Deutschland damit out ist. Aber in der Doktorarbeit, auf die sich vorher bezogen wurde, ist doch schon klar gesagt worden: Schweden und USA haben andere rechtliche Ausgangsvoraussetzungen. Die Leute, die dort kurzzeitig hinter Gitter kämen und die man stattdessen durch elektronische Überwachung in den Hausarrest bringt, kämen bei uns gar nicht hinter Gitter. Das ist ein falsches Beispiel für elektronische Überwachung. Von daher kann ich mich nicht dazu entschließen, diesen Modellversuch in Niedersachsen zu wiederholen. Er würde hier nichts bringen. - Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Stratmann!

Es steht mir nicht zu, das Präsidium zu kritisieren, aber die Zwischenfrage war schon ein oder zwei Minuten akut.

Ich möchte nur noch einige wenige Bemerkungen machen.

Erstens wird das Projekt in Hessen nun landesweit angewandt. Das spricht ja dafür, Herr Minister, dass es so falsch nicht gelaufen sein kann.

Zweitens hätte die Kollegin Bockmann vielleicht darauf hinweisen müssen, dass auch Einsparungen - ich habe vorhin gesagt, es hat eine Überkompensierung gegeben - in einer Größenordnung von 800 000 DM zu verzeichnen waren. Die Kosten des Projektes sind also durch die Einsparungen gedeckt worden. In dem Zusammenhang hier vom Auftürmen von Schulden zu sprechen, halte ich ohnehin für reichlich übertrieben. Das nur am Rande bemerkt.

(Zustimmung von Frau Körtner [CDU])

Herr Minister, vielleicht täuscht mich ja mein Erinnerungsvermögen. Ich war mir nicht sicher, dass es hier Schwarz-Grün geben würde. Darüber freue ich mich; denn das ist einmal etwas anderes, vor allem beim Thema Strafvollzug. Aber ich war bei diesem Thema wirklich der Meinung, dass Sie als einer der Ersten in Deutschland, damals noch in

Ihrer Eigenschaft als Direktor des KFN, die Einführung von Fußfesseln gefordert haben.

(Frau Pawelski [CDU]: Nach seinem Amerika-Aufenthalt!)

Ich meine, auch irgendwo einmal gelesen zu haben,

(Frau Elsner-Solar [SPD]: Er hat gele- sen!)

dass Sie auch in den USA und sonst wo gewesen sind und sich das alles angeguckt haben.

Es ist doch leider so, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns während des Wahlkampfs immer wieder mit diesen politischen Ritualen auseinander zu setzen haben: Wenn etwas von der Opposition kommt, dann kann es gut sein - es ist meistens gut; es ist auch ab und an einmal schlecht; da unterscheiden wir uns keineswegs von anderen Menschen -, aber es kommt von der Opposition und ist damit abzulehnen.

(Beifall bei der CDU)

Das ist doch der wahre Grund für Ihr heutiges Verhalten. Die Grünen sind da in einer etwas anderen Lage. Sie sind in Niedersachsen noch in der Opposition - das werden sie auch bleiben - und können deshalb eher schon einmal mit der anderen großen Oppositionsfraktion zusammengehen. Bei der SPD ist diese Größe offensichtlich nicht vorhanden. Ich finde das sehr traurig, weil wir hier im Grunde doch „nur“ über ein Pilotprojekt sprechen. Wer hindert uns eigentlich daran, in Niedersachsen klüger zu werden? Ich finde, das ist die Sache doch alle Mal wert.

(Beifall bei der CDU - Frau Elsner- Solar [SPD]: Wenn es aber doch nichts bringt?!)

Der Herr Minister wird noch einmal antworten.

Herr Abgeordneter Stratmann, Sie erinnern mich daran, dass ich in der Tat die elektronische Fußfessel empfohlen habe. Das tue ich nach wie vor, aber in den richtigen Fällen. Es ist keine Frage, dass sie dort Sinn macht, wo wir tatsächlich Effekte erzielen, die wir anderweitig nicht erreichen können. Aber hier sind Sie auf einem falschen Kurs. Wenn

Sie behaupten, 800 000 DM seien eingespart worden, dann entsteht diese Kostenrechnung doch nur dadurch, dass Herr Wagner Haftkosten von 160 DM pro Tag den 60 DM pro Tag gegenübergestellt hat, die er für diese Personen hätte aufwenden müssen.

(Frau Pawelski [CDU]: Aber das ist doch erst nur ein Modellversuch!)

Gleichzeitig gibt er nach Ende des Projekts aber bekannt: Na ja, Haftvermeidung war es ja wohl doch nicht, weil wir die Menschen, die sonst in Haft gekommen wären, mit unserem Angebot gar nicht erreicht haben. Das heißt, er selber widerspricht sich am Ende, und die Einsparungen nach den von ihm vorgelegten Berechnungen hat es real überhaupt nicht gegeben.

(Frau Pawelski [CDU]: Das steht doch gar nicht in unserem Antrag! - Weitere Zurufe von der CDU)

Die Klientel Führungsaufsicht ist von Ihnen selber genannt worden.

(Frau Pawelski [CDU]: Es geht doch hier um unseren Antrag!)

Die Klientel der Personen, die vorzeitig aus der Haft entlassen werden, ist im Antrag genannt worden. Führungsaufsicht hat er vorgetragen.

(Schünemann [CDU]: Sie müssen den Antrag lesen!)

- Im Antrag ist Führungsaufsicht benannt.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Bitte, eine Zwischenfrage.

Herr Busemann!

Dürfen wir Ihre Ausführungen so verstehen, dass Sie unverändert sagen: „Fußfessel ja, aber wir müssen uns dabei nur um den richtigen Personenkreis kümmern“?

(Beifall bei der CDU)

Das ist richtig. Fußfessel ja. Das haben wir nie bestritten. Ich selber habe gesagt: Es gibt in Deutschland möglicherweise in der Tat einen Anwendungsbereich. Ich habe einen genannt: Männer, die unbelehrbar ihre Frauen bedrängen, sich an die Auflagen der Richter, die nach dem Gewaltschutzgesetz jetzt ergehen, nicht halten und weiterhin die Familie terrorisieren. Ich meine nach wie vor: In diesem Fall kann es in Betracht kommen, die Fußfessel einzusetzen und solche Männer auf diese Weise effektiv zu überwachsen, damit Sicherheit besteht. Dieses Konzept halte ich nach wie vor für richtig, und ich warte ab, ob es in Deutschland bei Fällen aus dem Gewaltschutzgesetz dann zum Tragen kommt, wenn unsere bisherigen Maßnahmen nicht ausgereicht haben, um die Frau effektiv zu schützen. Das ist ein denkbarer Anwendungsbereich, in dem ich für den Einsatz der Fußfessel bin.

Ich sage nur: Im hessischen Bereich wurde keine Entlastung des Vollzugs erreicht. Deswegen sind die Kosten-Nutzen-Analysen, die im Vergleich von den Kosten pro Hafttag gegenüber den eingesetzten Kosten bei den Probanden mit den Fußfesseln ausgehen, falsche Berechnungen. Nach dem hessischen Beispiel bin ich nicht davon überzeugt, dass man hier Kosten einspart und Sicherheit erzeugt. Ich bin der Überzeugung, dass die günstigen Rückfallergebnisse, wie das schon gesagt wurde, ausschließlich die Folge einer Relation von drei Probanden pro Bewährungshelfer sind.

(Beifall bei der SPD)

Kollege Stratmann!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Minister, wir möchten mit der Einführung des Modellprojekts nicht so gern bis zum 2. Februar warten. Deshalb brauchen wir Sie vorher; denn ohne den Minister geht es nicht.

Ich sage Ihnen jetzt: Wenn es Ihnen so, wie Sie es hier formuliert haben, wirklich ernst ist, dann sind wir bereit - das erkläre ich hier für die Opposition -, im Rechtsausschuss Umformulierungen vorzunehmen, von mir aus den von Ihnen formulierten Satz in die Begründung oder auch in den Antragstext mit aufzunehmen. Wenn das dazu beiträgt,

dass wir uns hier in Niedersachsen mal angucken können, ob es funktioniert oder nicht, sind wir gern bereit mitzumachen.

(Beifall bei der CDU - Busemann [CDU]: Gleich nächste Woche!)

Kollege Schröder!