Protocol of the Session on September 14, 2018

Dann will ich die Frage noch mal etwas präzisieren. Sie haben ausgeführt, dass Sie die Beobachtung der Minderjährigen begrüßen, um möglicherweise Anschläge zu verhindern. Wir sehen, dass eine Beobachtung von potenziellen Attentätern, ob nun 12, 20 oder 50, nicht immer dazu führt, dass das Attentat verhindert wird. Wo liegt also die Sinnhaftigkeit der Beobachtung von Minderjährigen?

Da müssen Sie die Frage eigentlich ausweiten, dass Sie überhaupt die Sinnhaftigkeit des Verfassungsschutzes infrage stellen. Die Sinnhaftigkeit der Überwachung oder der Beobachtung von Minderjährigen hat denselben Grund wie die Überwachung eines Jugendlichen von 14 aufwärts oder ab 16 höher. Die Altersgrenze ist doch in dem Fall nicht der entscheidende Punkt, sondern ob von dort Anhaltspunkte vorliegen, die für eine Gefährdungslage sprechen und die eine Beobachtung notwendig machen. Das ist doch der einzige Punkt. Nach der Gesetzeslage im Übrigen darf die Überwachung nicht etwa deshalb geschehen, ob Kinder sich verabreden, bei Rot über die Kreuzung zu fahren, sondern es geht ja um sicherheitsgefährdende Aspekte. Ich verstehe Ihre Frage nicht. – Danke.

Dann schauen Sie sich den Fall Amri noch mal an!

Für die Fraktion der CDU hat jetzt das Wort die Abgeordnete von Allwörden.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Sicherheitsbedingungen in Deutschland, in Europa und im überwiegenden Teil der Welt haben sich in den letzten

Jahren erheblich gewandelt. Auch wir in Deutschland sind mit Personen konfrontiert, die unsere Lebensart, unsere Werte ablehnen und nicht davor zurückschrecken, uns mit Gewalt zu terrorisieren.

Unsere Aufgabe als Politik ist es, diese Entwicklung im Auge zu behalten und die Befugnisse der Sicherheitsbehörden an die effektive Erfüllung ihrer Aufgaben anzupassen, immer in Abwägung mit den Rechten des Einzelnen. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die Radikalisierung bereits in sehr jungen Jahren beginnen kann. Kinder und Jugendliche mit ihrer sicher im Wachsen befindlichen Persönlichkeit sind anfällig für Propaganda und für rechte und linke Folklore. Und auch, wenn wir mit Aufklärung in Schulen und Universitäten versuchen, diese Jugendlichen zu erreichen, so dürfen wir dennoch nicht blauäugig sein. Extremisten und Terroristen missbrauchen diese Kinder und Jugendlichen für ihre Zwecke. Gerade das Internet ist dabei ein wichtiges Medium, um an die Kinder und Jugendlichen heranzukommen und sie mit obskuren Theorien zu verblenden. Ich will mich mit dieser Forderung nicht nur auf den Islamismus fokussieren, das gilt ganz genauso für Rechtsextreme und auch für Linksradikale.

Es ist deshalb dringend erforderlich, dass auch wir in Mecklenburg-Vorpommern die Altersgrenze für die Speicherung und den Austausch von Daten Minderjähriger von derzeit 16 Jahre auf 14 Jahre – so wie auch auf Bundesebene – herabsetzen. Im Rahmen des Austausches der Beobachtungs- und Ermittlungstätigkeiten ist es angezeigt, eine Vereinheitlichung der Rechtsgrundlage herbeizuführen. Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag der Koalitionsfraktionen zuzustimmen. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU)

Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt das Wort die Abgeordnete Bernhardt.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen! Den vorliegenden Antrag wird meine Fraktion ohne Wenn und Aber ablehnen.

Fachpolitisch: Aus Sicht der Jugendlichen ist der vorliegende Antrag einfach nur schlimm und krude. Die Regelungen greifen erheblich in das Recht auf Privatsphäre einer besonders schutzbedürftigen Gruppe, der der Kinder und Jugendlichen, ein, und ich frage mich schon, wie der vorliegende Antrag, der hauptsächlich auch von der SPD initiiert worden sei, zu den von Frau Drese, SPDMinisterin, diese Woche verkündeten Worten, Kinderschutz ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, passt. Kinder und Jugendliche unter Generalverdacht zu stellen, hat nichts mit Kinderschutz zu tun!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Parteipolitisch ist es einfach nur peinlich, wenn sich jetzt ausgerechnet die SPD zum Vorreiter der sogenannten inneren Sicherheit macht. Erschreckend ist aber, dass unsere SPD hier auch bereit scheint, ausgelatschte konservative Pfade zu beschreiten. Das sozialpolitische Gewissen wird klammheimlich an der Sicherheitspforte abgegeben. Es ist traurig, dass einzig und allein DIE

LINKE, meine Fraktion, dies hier im Landtag noch kritisch sieht.

Meine Damen und Herren, wenn die unbestreitbaren und unbestreitbar wachsenden Probleme vieler Jugendlichen – vor allem Jugendkriminalität – in den Fokus gerückt werden, dann lassen sich natürlich Armuts-, Bildungs- und Erziehungsprobleme ohne große Mühe ausblenden, und da eine nachhaltige Behandlung und Beseitigung dieser Probleme mehr Zeit, mehr Geld und mehr Zuwendung verlangen würde, wird diese Verantwortung dann rasch beim Inlandsgeheimdienst abgeladen.

Über die Anpassungsprobleme der Migrantinnen und Migranten wäre viel zu sagen, ebenso wie über die Anpassungsprobleme der deutschen Gesellschaft mit ihren Migranten. Leichter und populistischer und vor allem billiger ist es aber allemal, über Ausländerkriminalität, Radikalisierung und Extremismus zu räsonieren, und das ist das Verwerfliche an Ihrem Antrag, dass er sich nicht mit den wirklichen Problemen auseinandersetzt.

Meine Damen und Herren, nach dieser notwendigen Vorbemerkung lassen Sie mich unsere Kritik an dem vorliegenden Antrag in drei Punkten zusammenfassen: Erstens zielt der Antrag auf eine Verschärfung der Datenspeichergrundsätze für Minderjährige, auf eine Anpassung diesbezüglicher Befugnisse des Verfassungsschutzes und der Polizei. Dies sei, so der Antrag, sachgerecht und konsequent.

Meine Damen und Herren der Koalition, wie kommen Sie denn darauf? Das ist nicht sachgerecht, sondern falsch, und es ist auch nicht konsequent, sondern einfach nur heuchlerisch. Das ist die Fortsetzung der Heuchelei, Jugendliche mit 16 Jahren bei Landtags- und Bundestagswahlen zwar nicht wählen zu lassen, sie aber als Informanten in den Bereichen der mittleren und der schweren Kriminalität einzusetzen.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Aber wir können ja auch dazu eine Volksbefragung starten.

Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund des Antragstitels, also Radikalisierung und Extremismus, führt dann aber die Terminstellung, nämlich Jahresende 2019, den Antrag selbst ad absurdum. Sie lassen sich also anderthalb Jahre Zeit. Über einen konkreten Regelungsbedarf in unserem Bundesland findet sich in diesem Antrag überhaupt kein Wort.

Meine Damen und Herren, zweitens wollen Antragstitel, Antragstext und -begründung nicht so recht zueinanderpassen. Gerade, weil der Antrag zu den entsprechenden Initiativen der IMK, also der Innenministerkonferenz, und speziell zum Bericht der länderoffenen Arbeitsgruppe des Arbeitskreises IV keine Silbe verliert, gerade deshalb trägt der Antrag Züge vorauseilenden Gehorsams.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, konkreter Hintergrund sind bekanntlich Straftaten Minderjähriger 2016 in Hannover und Essen. Der rot-rot-grüne Thüringer Verfassungsschutzchef forderte daraufhin, künftig auch Daten Minderjähriger unter 16 Jahren vom Verfassungsschutz speichern zu lassen. Das halte ich für ebenso falsch, wie ich die damalige Position des innenpolitischen Sprechers

der SPD-Bundestagsfraktion Burkhard Lischka für richtig halte. Er meinte, und ich zitiere: „Sicher können auch Kinder Straftaten begehen. Aber dennoch setzen wir... nicht gleich die Strafmündigkeit herab.“ Minderjährige bräuchten keine Überwachung durch den Verfassungsschutz, sondern „Bildung, Betreuung und niederschwellige Präventionsangebote“.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Und ich muss sagen, recht hat er!

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Meine Damen und Herren, wir sollten uns hier also parteiübergreifend vor politischem Klamauk hüten und eine sachgerechte Position entwickeln.

Drittens – die dritte Kritik – schließlich geht es um einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz Jugendlicher einerseits und dem öffentlichen Sicherheitsbedürfnis andererseits, das haben wir ja auch in der Diskussion gehört. Hier hat sich die entsprechende Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz mehrheitlich, aber gerade nicht einstimmig für Sicherheit und gegen den Schutz Jugendlicher ausgesprochen, und diese Position kopiert der vorliegende Antrag kommentarlos.

Meine Damen und Herren, die Facharbeitsgruppe der IMK hat ihren Bericht aber, ich zitiere sinngemäß, gerade nicht als abschließende Untersuchung, sondern als fachlichen Beitrag zu einer breiten rechtspolitischen Diskussion verstanden. Hierbei geht es, auch im Bericht nachzulesen, um einen handfesten Konflikt zwischen Verfassungsschutz sowie Kinder- und Jugendhilfe der Jugendämter. Sie setzen auf den Verfassungsschutz, wir auf die Kinder- und Jugendhilfe, die bei Anzeichen die Polizei et cetera hinzuziehen können.

Meine Damen und Herren, auch Radikalisierungsprävention und Deradikalisierungsarbeit ist bei Minderjährigen Aufgabe der Kinder- und Jugendhilfe. Anders als der Verfassungsschutz ist dies aber nach Paragraf 1 SGB VIII dem Kindeswohl verpflichtet, und das ist auch im vorliegenden Fall das oberste Gebot: das Kindeswohl.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Die Verarbeitung von Daten Minderjähriger bergen immer die Gefahr, dass dies die Persönlichkeitsentwicklung beeinträchtigt, weil Einträge in das Nachrichtendienstliche Informationssystem bei einer späteren Sicherheitsüberprüfung der freien Berufswahl im Wege stehen können, ohne dass der Jugendliche davon eine Kenntnis hat. Und hier entsteht auch keine Sicherheitslücke, wenn wir auf die Kinder- und Jugendhilfe setzen. Die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe können im Bedarfsfall die Polizei hinzuziehen, die bei Vorliegen einer konkreten Terrorgefahr auch gefahrenabwehrrechtliche Maßnahmen gegen Minderjährige durchführen kann. Demzufolge lässt sich eine zusätzliche Befassung des Verfassungsschutzes nicht rechtfertigen.

Statt den Verfassungsschutz als Akteur im Feld der Radikalisierungsprävention und Deradikalisierungsarbeit zu stärken, sollten vielmehr Bedarfe der Kinder- und Jugendhilfe ermittelt und auf dieser Grundlage kinderrechtsbasierte Angebote fortentwickelt und in die Praxis vermittelt werden. Und da haben wir in unserem Bundes

land genug mit der Absicherung der Jugendsozialarbeit, der Jugendarbeit und der Schulsozialarbeit zu tun. Ich frage Sie, meine Herren der SPD, und Damen, wo bleiben denn hierzu Ihre Angebote und Ihre Forderungen?

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Seit Jahren wird die Prävention im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit runtergeschraubt, keine verlässliche Finanzierung, die Mitarbeiter haben Jahresverträge, alles Flickschusterei. Und was machen Sie hier dagegen? Habe ich dazu mal einen Antrag von Ihnen hier im Landtag gehabt? Meine Damen und Herren, diese Konflikte werden weder benannt noch entsprechende Diskussionen angestoßen oder gar geführt. Dies alles macht den vorliegenden Antrag fahrlässig.

(Zuruf von Rainer Albrecht, SPD)

Ich bitte um breite Ablehnung.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Für die Fraktion der SPD hat noch einmal das Wort der Abgeordnete Friedriszik.

(Zuruf von Ann Christin von Allwörden, CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Damen und Herren Abgeordnete! Verehrte Gäste! Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichdemokratischen Grundordnung, des Bestandes, der Sicherheit des Bundes und der Länder.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Das SGB VIII dem Kindeswohl.)

Der VG dient gewissermaßen als Frühwarnsystem und soll Gefahren aufklären, extremistische Bestrebungen erforschen, aber auch informieren und sensibilisieren. Insoweit ist es unverzichtbar, dass alle Formen des Extremismus, egal aus welchem Phänomenbereich, in den Blick genommen werden. Für eine effektive Beobachtung und Analyse der extremistischen Bestrebungen muss die Verfassungsschutzbehörde Personen bei den tatsächlichen Anhaltspunkten für die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Verbreitungshandlungen beobachten und deren Daten speichern dürfen.

Meine Damen und Herren, extremistische Organisationen gehen bereits seit geraumer Zeit gezielt auf Jugendliche zu, um deren Unerfahrenheit und Beeinflussbarkeit für ihre Bestrebungen zu missbrauchen. Das betrifft auch Minderjährige, die jünger als 16 Jahre alt sind. Dabei ist die Entwicklung nicht auf eine bestimmte Form des Extremismus beschränkt, das ist in diesem Punkt sehr wichtig. Traditionell leisten in Mecklenburg-Vorpommern insbesondere Organisationen aus rechtsextremistischen Szenen intensive Jugendarbeit. Hier geht es unter anderem um Schülerzeitungen oder sogenannte SchulhofCDs, die gezielt Jugendliche ansprechen sollen. Auch werden Feste und Freizeiten organisiert. Zielsetzung ist es, über unpolitisch erscheinende Aktivitäten Jugendliche und Kinder an rechtsextremistisches Gedankengut heranzuführen. Im aktuellen Bundesverfassungsschutzbericht heißt es zum Beispiel: „Rechtsextremistische Musik und Musikveranstaltungen besitzen weiterhin eine herausragende Bedeutung für die rechtsextremistische Szene. Sie

dienen als Lockmittel für Jugendliche und junge Erwachsene, um sie an die rechtsextremistische Szene heranzuführen und letztendlich auch zu binden.“

Meine Damen und Herren, auch wenn man die politisch motivierte Kriminalität betrachtet, so stammen 2017 alleine 161 Tatverdächtige aus der Altersgruppe zwischen 14 und 17 Jahren. Im Jahr davor waren es 177 Tatverdächtige. 2011 waren es noch 109. Die Herabsetzung der Altersgrenze soll es auch unserer Verfassungsschutzbehörde ermöglichen, frühzeitig einen umfassenden Überblick über das Lebensumfeld von jugendlichen Extremisten zu gewinnen und die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Zudem kann das Umfeld der Minderjährigen, speziell die Eltern, zielgerichteter unterstützt werden, um Radikalisierungsverläufen entgegenzuwirken. Prävention ist notwendig, wirksam und sinnvoll. Man muss junge Menschen davon abhalten, in die Fänge von Radikalisierern zu geraten, aber sie auch unterstützen, sich aus solchen Verbindungen wieder zu lösen.

Meine Damen und Herren Abgeordnete, die Möglichkeit zur Speicherung personenbezogener Daten ist ein Grundpfeiler der Funktionsfähigkeit einer Verfassungsschutzbehörde. Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz. Beim Bundesamt für Verfassungsschutz ist das Nachrichtendienstliche Informationssystem Wissensnetz angesiedelt. Dieses dient als zentrales Hinweis- und Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes, der Länder und für Personen und Objekte. Die Verfassungsschutzbehörden sind berechtigt, auf die darin verfügbaren Daten zuzugreifen. Dabei dient die Speicherung unter anderem der Vernetzung und dem Informationsaustausch der Verfassungsschutzbehörden untereinander, der Erkennung von Kontaktpersonen beziehungsweise Netzwerken sowie der Nachvollziehbarkeit von Bewegungsprofilen.