Protocol of the Session on September 14, 2018

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wenn wir keine Prävention machen, kommen sie nicht zur Besinnung.)

eine ernst zu nehmende Gefahr geht dabei nicht nur von Kindern von IS-Rückkehrern aus, die im IS-Gebiet geboren wurden oder dort eine Zeit gelebt haben, sondern auch von Kindern und Jugendlichen, die in einem salafistisch indoktrinierten beziehungsweise radikalisierten Umfeld in Deutschland groß werden. Gerade bei diesen Fällen sind wir für Hinweise von Schulen, Kitas, Jugendämtern oder Sozialarbeitern dankbar. Es darf jedenfalls nicht vom Zufall abhängig sein, ob Sachverhalte den zuständigen Sicherheitsbehörden bekannt werden.

Gerade dieser Punkt ist mir sehr wichtig. Wer weist Polizei und Verfassungsschutz schon gerne auf Verhaltensauffälligkeiten eines kleinen Kindes hin? Ich glaube, die wenigsten. Aber tatsächlich ist eben falsch verstandene Rücksichtnahme das Schlimmste, was dem Kind passieren kann. Bei ersten Anzeichen für islamistische Tendenzen müssen die Behörden sich abstimmen und sie müssen auch einschreiten. Alle gemeinsam müssen daran arbeiten, dass das betreffende Kind wieder auf den rechten Pfad zurückgeführt wird, und der Verfassungsschutz kann dabei durchaus eine zentrale Rolle einnehmen.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Echt?!)

Schließlich verfügt er über die Fähigkeiten und Mittel, der Ursache für die Fehlentwicklung auf den Grund zu gehen. Sind es Freunde, die negativen Einfluss ausüben? Sind es die Eltern, die ihre ideologischen Verirrungen weitergeben? Oder sind es gar Dritte, die ganz bewusst die Manipulierbarkeit von Minderjährigen versuchen auszunutzen?

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Doch damit der Verfassungsschutz sein Know-how einbringen kann, braucht er auch die dafür notwendigen Kompetenzen. Die Absenkung der Altersgrenzen –

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

und Herr Friedriszik hat das schon ausgeführt – für Ermittlungen auf 14 Jahre ist hierbei ein richtiger Schritt.

Ich bin mir sehr wohl bewusst, das ist ein heikles Thema, deswegen wünsche ich mir auch eine Debatte zu dem Thema ohne Schaum vorm Mund, sondern einfach auf der sachlichen Ebene. Wir reden da über ein sehr kompliziertes Thema. Mir sei aber an dieser Stelle auch erlaubt, dass der Minister selbst sich natürlich auch eine

Abschaffung der Altersgrenze vorstellen könnte. Bundesweit geht die Entwicklung in diese Richtung. Wir haben gerade etwas von Harmonisierung gehört: Bremen, Hamburg, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Saarland. Wenn man die Landesregierung im Hinterkopf hat, dann sieht man es, da ist die Farbenlehre komplett bunt innerhalb dieser Ländergestaltung, es sind also alle unterschiedlichen Länderkonstellationen vertreten. Ich werde Ihnen im kommenden Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine Absenkung der Altersgrenze, wie hier gewünscht, vorsieht. In den Anhörungen werden sodann zahlreiche Fachexperten ihre Sicht wiedergeben. Davon gehe ich jedenfalls aus. Wenn das dazu führt, dass wir noch die eine oder andere Veränderung in der Frage der Altersgrenze finden, würde ich mich der Entwicklung jedenfalls nicht verschließen.

Aber auch dies sei angemerkt: Ich bin der Koalition sehr dankbar und meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sich die Koalition auf den vorliegenden Antrag verständigen konnte und damit auch eine deutliche Willensbekundung verabschiedet,

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

der ich gern relativ zügig mit der Erstellung eines Gesetzes folgen will.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ohne den Antrag hätten Sie es nicht gemacht, Herr Minister.)

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wünsche der Diskussion einen guten Verlauf. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD und Marc Reinhardt, CDU – Peter Ritter, DIE LINKE: Leute, Leute, Leute!)

Für die Fraktion der AfD hat jetzt das Wort der Abgeordnete Förster.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Abgeordnete! Werte Gäste! Es geht um die Altersgrenze für die Erfassung personenbezogener Daten durch den Verfassungsschutz bei Minderjährigen. Dies ist in Paragraf 16 Landesverfassungsschutzgesetz mit einer Altersgrenze von 16 Jahren derzeit so geregelt. Die Überwachung darf nur in bestimmten Verdachtsfällen erfolgen, die in Paragraf 5 geregelt sind. In Absatz 1 Ziffer 2 werden hier „sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht“ genannt. In Paragraf 16 erfolgt jedoch nur eine Bezugnahme auf geheimdienstliche Tätigkeiten, sodass sich die Frage stellt, ob beziehungsweise wieso sicherheitsgefährdende Tätigkeiten hier ausgeschlossen sind. Vielleicht kann dies noch geklärt werden.

Die Altersgrenze von bisher 16 Jahren ist – völlig unabhängig von der Schuldfähigkeit – nicht sachgerecht und deshalb herabzusetzen. Eine vernünftige Abwägung des Sicherheitsinteresses des Staates – das sind wir alle – einerseits und des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen andererseits ergibt, dass das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit hier deutlich überwiegt. Die Altersgrenze von 16 Jahren wäre nur dann gerechtfertigt, wenn bei Personen jüngeren Alters keine ernsthaften Gefährdun

gen zu erwarten wären. Davon kann allerdings heute nicht mehr ausgegangen werden.

Allerdings befinden wir uns hier auf einem Feld, wo die Abwägung gewissermaßen nach der jeweiligen Weltanschauung erfolgt. Die einen – dazu gehöre ich – haben überhaupt kein Problem damit, dass ein öffentlicher Platz beispielsweise videoüberwacht wird. Die anderen fühlen sich in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung tief getroffen oder lassen sich dies einreden. Der Punkt, dass es hier um die Überwachung von Kindern beziehungsweise Jugendlichen geht, spricht nicht gegen, sondern für eine Überwachung, denn es liegt auch im Interesse solcher Jugendlichen, die in einem islamistischen Umfeld radikalisiert werden, dass sie sich nicht weiter radikalisieren und schließlich möglicherweise dann schwerwiegende Straftaten begehen. Unabhängig von der strafrechtlichen Verantwortung und den Konsequenzen dürften Terrorakte, zu denen Kinder oder Jugendliche verführt werden, zu einer schweren Belastung für das ganze Leben führen. Auch dies muss in die Abwägung einfließen.

Da es hier aber um Maßnahmen zum Schutz vor schwerwiegenden Gefährdungen geht, ist eine Altersgrenze darüber hinaus grundsätzlich infrage zu stellen, und zwar auch die jetzt beabsichtigte Altersgrenze von 14 Jahren. Es sprechen gewichtige Gründe dafür, auf eine Altersgrenze ganz zu verzichten, und zwar auch im Interesse der Kinder, wie es übrigens in Bayern der Fall ist.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da muss man schon mal im Mutterleib anfangen.)

Dort hat man zur Kenntnis genommen, dass es in der Salafisten- und Dschihadistenszene radikalisierte Gefährder im Kindesalter gibt, und man hat darauf reagiert. Die Gegner fordern stattdessen, mehr in die Prävention zu investieren, was sich gut anhört und parallel auch erfolgen kann,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Muss! Muss, Herr Förster! Muss!)

aber sicherheitspolitisch keine adäquate Ersatzlösung ist, es sei denn, die Augen sind ideologisch verblendet, wie das bei Ihnen, Herr Ritter, zu sein scheint.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Peter Ritter, DIE LINKE: Jo, so ist es, Herr Förster. So ist es! – Zuruf von Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE)

Ein weiterer Aspekt ist der, dass unterschiedliche Altersuntergrenzen bei den Verfassungsschutzämtern den Datenaustausch erschweren

(Peter Ritter, DIE LINKE: Erst zitiert er hier die Stasi, was das für eine Schnüffelei war, und jetzt machen Sie nichts anderes.)

beziehungsweise bei dem betroffenen Personenkreis unmöglich machen. Es geht ja darum, warum ich eine solche Überwachung mache, ob ich da Äußerungen, die heute völlig normal und von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, ob ich da spioniere oder ob ich möglicherweise schwere Terrorakte verhindern will. Also, der Herr Minis

ter hat das ja auch schon ausgeführt, unterschiedliche Altersuntergrenzen bei den einzelnen Verfassungsschutzämtern erschweren den Datenaustausch außerordentlich und machen im Einzelfall dann eine Überwachung bei uns unmöglich, obwohl woanders Daten – hinlängliche, vielleicht auch wichtige Daten – vorliegen. Und Mecklenburg-Vorpommern steht mit einer Altersgrenze von 16 Jahren, soweit ich das nachgeforscht habe, wohl ziemlich einsam auf dem Felde des Verfassungsschutzes.

Der eigentliche Grund für die beantragte Absenkung der Altersgrenze liegt natürlich in der durch die Migration aus islamischen Ländern entstandenen neuen Gefährdungslage. Ohne diese neuen Erfahrungen wäre hier niemand auf die Idee gekommen, die bisherige Altersgrenze zu problematisieren. Natürlich sind es Einzelfälle, aber die sind eben nicht so selten, dass darauf nicht reagiert werden müsste. Ich erinnere nur an den Fall vom November 2016 – der Minister hat es auch schon getan –, wo ein 12-Jähriger eine Bombe auf dem Weihnachtsmarkt in Ludwigshafen deponiert hat.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Reden wir doch mal über Amri und die V-Leute in seinem Umfeld!)

Derartige Fälle hat es europaweit,

(Peter Ritter, DIE LINKE: Dolle Sache! Anschlag verhindert!)

europaweit in dem Fall der von Migration betroffenen Länder gegeben. Insoweit ist die schriftliche Begründung, wonach es lediglich um eine Anpassung, um eine Übereinstimmung der Speichermöglichkeit beim Verfassungsschutz und den Strafbehörden im Hinblick auf die Altersgrenze ginge, etwas vorgeschoben. Aber ich muss das nicht vertiefen, denn der Innenminister hat hier ja eine überzeugende Begründung nachgeliefert, der man sich aus meiner Sicht, wenn einem die Sicherheit des Landes wichtig ist, nicht verschließen kann.

Natürlich kann man sagen, und das wird wahrscheinlich auch polemisch von der Gegenseite kommen, dass nun der Verfassungsschutz, oder man will nicht in den Geruch kommen, dass der Verfassungsschutz Kinder – und konkreter dann übrigens Flüchtlingskinder – nunmehr überwacht. Das ist ja ganz fürchterlich! Aber, bitte schön, wie wollen Sie reagieren und die Verantwortung tragen, wenn Sie so etwas ablehnen und dann ein Fall passiert, dass ein 12- oder 13-Jähriger hier einen schweren Terrorakt begeht!?

Und natürlich kann man an Präventionsmaßnahmen denken, aber wenn Sie sich mit einigermaßen Realität ein salafistisches, radikalisiertes familiäres Umfeld vorstellen, von dem man ja dann indirekt ausgehen muss, muss doch ziemlich klar sein, dass man damit im Einzelfall nicht eine notwendige Überwachung ersetzen kann.

Herr Abgeordneter,...

Vielen Dank.

... gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ritter?

Vielen Dank, Herr Kollege Förster.

Auch wenn es sich um einen älteren Mitbürger in dem Falle handelt, wie beurteilen Sie denn die Wirksamkeit der Beobachtung von Anis Amri durch den Verfassungsschutz? Das Attentat des Berliner Weihnachtsmarktes konnte da ja wohl nicht verhindert werden.

Also ich weiß nicht, was diese Frage soll. Natürlich gibt es Fälle, wo irgendwas schiefgelaufen ist. Das hat doch gar keine Aussagekraft für das, was hier beabsichtigt ist.

(Beifall Christoph Grimm, AfD)

Wir wissen doch, denke ich mal – da sind Sie besser informiert aus Ihrer Ausschusstätigkeit –, dass die Behörden pflichtgemäß dabei sind, frühere Fehler auszuräumen und, soweit sie strukturell bedingt sind, das auch zu verbessern. Ich halte für ziemlich absurd, bei dieser Problematik das Versagen des Verfassungsschutzes in einem anderen Fall hier als Argument anzuführen.

Gestatten Sie eine weitere Frage?

Dann will ich die Frage noch mal etwas präzisieren. Sie haben ausgeführt, dass Sie die Beobachtung der Minderjährigen begrüßen, um möglicherweise Anschläge zu verhindern. Wir sehen, dass eine Beobachtung von potenziellen Attentätern, ob nun 12, 20 oder 50, nicht immer dazu führt, dass das Attentat verhindert wird. Wo liegt also die Sinnhaftigkeit der Beobachtung von Minderjährigen?