Protocol of the Session on June 28, 2018

Das Wort zur Begründung hat für die Fraktion der AfD der Abgeordnete Professor Dr. Weber.

Liebe Bürger von Mecklenburg und Vorpommern! Wertes Präsidium! Werte Kollegen und liebe Gäste! Wir beratschlagen jetzt über unseren Antrag, einen Rahmenlehrplan zur deutschen Gebärdensprache zu erstellen – Herr Renz, nach meiner Ansicht wieder mal ein unpolitischer Antrag, ich weiß, den gibt es nach Ihrer Ansicht nicht und Sie werden sich nachher bestimmt wieder einige Gründe überlegen, warum man dem auch nicht zustimmen kann –, ein unpolitischer Antrag.

(Torsten Renz, CDU: Auf alle Fälle ist das eine Antragswiederholung der GRÜNEN aus der letzten Legislaturperiode.)

Warum brauchen wir einen solchen Rahmenlehrplan für die Deutsche Gebärdensprache? Auf meine Frage hat die Frau Bildungsminister zutreffend erklärt, dass es die Möglichkeit, die Deutsche Gebärdensprache an unseren allgemeinbildenden Schulen hier im Lande als zusätzliches Wahlpflichtfach einzuführen, schon seit einiger Zeit gibt. Dazu gibt es entsprechende Verwaltungsvorschriften. Das wäre also kein Problem, es wird aber nicht genutzt.

Frau Minister, Sie hatten vorhin gesagt, weder arrogant noch hartherzig.

(Zuruf von Andreas Butzki, SPD)

Ob Sie hartherzig sind, werden wir gleich hören, wenn Sie zu unserem Antrag Stellung nehmen. Arroganz liegt auch darin, dass Kleine Anfragen nicht oder nicht zeitgemäß beantwortet werden. Ich hatte eine Kleine Anfrage an das Bildungsministerium geschickt, an welchen Schulen denn diese Deutsche Gebärdensprache unter

richtet wird. Die Zeit ist längst abgelaufen, die Antwort ist bis zur Debatte am heutigen Tag nicht angekommen. Das ist Arroganz! So setzt man sich über die Rechte von Abgeordneten hinweg.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Aber das wird ja das Landesverfassungsgericht auf Antrag vom Kollegen Manthei ohnehin noch beschäftigen und es wird das zu beantworten haben.

Warum brauchen wir einen solchen Rahmenlehrplan? Wir hatten eine gemeinsame Anhörung des Bildungs- und des Sozialausschusses hier im Landtag. Da wurde sehr deutlich gemacht, dass eines der größten Hemmnisse für die Gehörlosen und schwer Gehörgeschädigten darin liegt, dass die Deutsche Gebärdensprache, allgemein die Kommunikation mit Nichtgehörlosen und schwer Hörgeschädigten, nur sehr schwer herzustellen ist. Sie würden sich sehr wünschen, dass vielmehr auch nicht hörgeschädigte Personen die Deutsche Gebärdensprache, jedenfalls in Ansätzen, beherrschen.

Das haben wir aufgegriffen und deswegen nachgefragt, ob es diese Möglichkeit gibt. Ja, die Möglichkeit gibt es, sie wird aber nicht genutzt. Warum wird sie nicht genutzt? Weil es für die wenigen Lehrer, die das machen könnten und wollten, keinen Rahmenlehrplan gibt.

(Andreas Butzki, SPD: Das ist ja eine Schlussfolgerung, oh Gott!)

Die müssten sich also diese gesamten Lehrinhalte erst mal selbst erarbeiten, was richtig Arbeit macht. Deswegen bitten wir darum und haben – ich habe – eine Frage damals im Landtag gestellt, und Sie hatten gesagt, nein, einen Rahmenlehrplan gibt es nicht, und Sie hatten ausdrücklich dazugesagt, der soll auch nicht geschaffen werden.

(Andreas Butzki, SPD: Richtig!)

Deswegen jetzt dieser Antrag, mit dem wir die Landesregierung, genauer gesagt, das Bildungsministerium dazu verpflichten wollen, einen solchen Rahmenlehrplan zu erstellen, damit diejenigen, die einen solchen Unterricht einführen möchten an ihren Schulen, die Lehrer, die das machen möchten, eine Handreichung haben, wie das denn im Einzelnen auszusehen hat. Davon könnten auch Kurse an den Volkshochschulen für die Deutsche Gebärdensprache und so weiter profitieren. Wir sind der Meinung, dass es hier ein positives Zeichen von Inklusion ist, wenn man diesen Personen, die Schwierigkeiten haben in der Schule, aber auch im kommunikativen Leben, sich verständlich zu machen, dadurch ein wenig Unterstützung zukommen lässt, dass man versucht, die Deutsche Gebärdensprache im Rahmen der allgemeinbildenden Schulen etwas weiter auszuweiten.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Dazu dieser Rahmenlehrplan.

Frau Minister, Sie können ja jetzt mal zeigen, wie es mit Ihrer Hartherzigkeit, die Sie vorhin so energisch zurückgewiesen haben, in dem Detail, in der Detailfrage aussieht. – Danke schön.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat für die Landesregierung die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur Frau Hesse.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Mein Herz scheint in dieser Sitzung und in der letzten offensichtlich eine große Rolle zu spielen.

Aber nun zum Antrag: Früher nannte man Gehörlose oft „taubstumm“. Dieser Begriff wird zum Glück kaum noch verwandt, schließlich sind gehörlose Menschen keineswegs stumm, sondern können sich durchaus mitteilen und kommunizieren. Möglich macht das unter anderem die Gebärdensprache, auf die manche Betroffene ausschließlich, andere lediglich ergänzend angewiesen sind. Die Deutsche Gebärdensprache, kurz DGS, ist damit ein wichtiges Element – ich glaube, da sind wir uns alle einig –, um Gehörlosen eine umfassende Teilhabe zu ermöglichen, am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, am Arbeitsmarkt und an Bildung. Weil wir um diese Bedeutung wissen, gibt es seit gut vier Jahren für die Schulen in Mecklenburg-Vorpommern die Möglichkeit – Herr Professor Weber hat es ausgeführt –, Gebärdensprache als Wahlpflichtfach anzubieten.

Nun suggeriert Ihr Antrag, dass den Schulen und Lehrkräften ohne Rahmenplan eine Orientierung für ein solches Angebot fehlen würde, und das stimmt nicht,

(Andreas Butzki, SPD: Genau.)

denn seit 2016 gibt es mit dem Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Gebärdensprachen, kurz CEFR, eine fachliche Richtschnur. Daran orientiert sich etwa auch das überregionale Förderzentrum „Hören“ in Güstrow, in dem Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden, die aufgrund ihrer Gehörlosigkeit nicht an den übrigen allgemeinbildenden Schulen im Land lernen können. Die Kinder und Jugendlichen werden in Güstrow mittels der Gebärdensprache und vor allem mit lautsprachlich begleitenden Gebärden betreut.

Um die Lehrerinnen und Lehrer entsprechend zu qualifizieren, hat das IQ M-V vor zwei Jahren gemeinsam mit dem Förderzentrum ein passendes Fortbildungskonzept zusammengestellt. Wenn es nun aber darum geht, hörenden Schülerinnen und Schülern die DGS beizubringen und dafür einen Rahmenplan zu erstellen, greifen Sie mit dieser Forderung einem noch ausstehenden Beschluss der Kultusministerkonferenz vor. Dort beschäftigt sich aktuell eine Arbeitsgruppe mit den sprachlichen und inhaltlichen Standards für die DGS auf der Grundlage des bereits genannten europäischen Referenzrahmens. Zudem – und das ist in Bezug auf diesen Antrag der Casus knacksus – prüft die KMK, die DGS auch als Fremdsprache anzuerkennen. Diese Entscheidung steht noch aus und diese Entscheidung gilt es auch abzuwarten.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen Abgeordneten, an dieser Entscheidung hängt, ob jetzt die DGS Einzug in die Kontingentstundentafel hält. Passiert das, kommt auch ein Rahmenplan. Wir brauchen also diesen Antrag

nicht, sondern einen fachlich begründeten Beschluss der KMK. Die Ergebnisse der besagten Arbeitsgruppe können dann als Grundlage dienen, um bundesweit möglichst einheitliche Vorgaben zu erstellen. Für diesen Fall der Fälle, aber auch für diejenigen Schulen, die die DGS als Wahlpflichtfach einführen wollen, für die Qualifizierung von Lehrkräften und das Weiterdrehen von Inklusion als gezielter individueller Förderung gilt es zu berücksichtigen, dass verschiedene Kinder verschiedene Formen der Gebärdensprache brauchen. Mit dem Ruf „Gebärdensprache für alle“ verhält es sich da wie mit der Kanone und den Spatzen. Was wir brauchen, ob mit Rahmenplan oder ohne, sind Augenmaß und Passgenauigkeit. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion DIE LINKE die Abgeordnete Frau Larisch.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Werte AfD-Fraktion! Sie hätten tatsächlich mal eine Schule wie die Freie Schule Güstrow besuchen sollen, dann hätten Sie gewusst, was eine inklusive/integrative Gesamtschule ist,

(Zurufe von Jens-Holger Schneider, AfD, und Dr. Ralph Weber, AfD)

und wüssten auch, dass man die DGS jederzeit einführen kann. Haben Sie nicht. Da ich aber aufgrund all Ihrer Berufsabschlüsse davon ausgehe, dass Sie mehr als nur körperlich in Ihrer Schule anwesend waren, sollten Sie eines wissen: Parlamentsdokument Nummer 6/3907, 23.04.2015, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Abschreiben heißt durchfallen, wenn man erwischt wird, egal, ob Fragestellung und Antwort richtig abgeschrieben sind. Also: Aufstehen – hinsetzen – durchgefallen! Wir lehnen Ihren Antrag ab.

(Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE – Heiterkeit vonseiten der Fraktion der SPD – Andreas Butzki, SPD: Sportlich!)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau FriemannJennert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mehrfach und regelmäßig haben wir in diesem Landtag hervorgehoben, wie entscheidend Kommunikation und Sprache für die gesellschaftliche Teilhabe sind. Dies gilt allerdings nicht nur in integrationspolitischen Debatten, sondern besonders vordergründig bei der gesellschaftlichen Integration hörbehinderter Menschen.

Als Sozialpolitische Sprecherin meiner Fraktion habe ich es als sehr gelungen empfunden, dass sich Sozial- und Bildungsausschuss gemeinsam in den Ausschüssen und vor Ort – da war es der Bildungsausschuss – am Landesförderzentrum Güstrow oder direkt mit dem Elternverband hörgeschädigter Kinder mit der Situation hörbehin

derter Kinder und Jugendlicher im Land auseinandergesetzt haben. Diese Doppelbefassung ist richtig, da das Thema komplex ist und uns allen daran gelegen sein sollte, optimale Bedingungen für hörgeschädigte Kinder in unserem Land vorzuhalten.

Nach einer ersten Befassung im Ausschuss mit dem Elternrat war es wichtig, vielseitige Informationen sowohl von Eltern als auch von Lehrkräften im Landesförderzentrum Güstrow einzuholen, da für viele – das darf man hier gerne auch zugeben – dieses sensible Thema Neuland dargestellt hat. Es war beeindruckend, gehörlose und nicht gehörlose Eltern im Arbeitskreis der Fraktion zu haben, die mithilfe von Dolmetschern aus ihrer Sicht die Dinge schilderten. Ich bin froh, dass wir diese Diskussion geführt haben, weil es uns vor Augen geführt hat, welche alltäglichen Anstrengungen und Leistungen hörgeschädigte Menschen in ihrem Alltag erbringen müssen, wie besonders wichtig Eltern eine gute Lern- und Lebensentwicklung ihrer zum Teil gehörlosen Kinder ist und wie wenig selbstverständlich es ist, zur hörenden Welt zu gehören. Ich warne auch davor, dieses Thema einer unsachlichen Debatte zu opfern.

Meine Damen und Herren, ohne einen medizinischen Exkurs vornehmen zu wollen, sei darauf hingewiesen, dass die Spanne zwischen den verschiedenen Arten von Hörschädigungen sehr groß ist, ebenso die heutigen technisch-medizinischen Möglichkeiten, um adäquat auf sie zu reagieren. Überwiegend wird zwischen der Fähigkeit, nur bestimmte Lautstärken zu hören, und der Fähigkeit, nur bestimmte Tonhöhen zu hören, unterschieden. Die Grade der Hörschädigungen reichen also von einer leichten Hörschädigung bis hin zu einer völligen Gehörlosigkeit, mit welcher eine Kommunikation mittels Lautsprache nicht mehr möglich ist.

(Andreas Butzki, SPD: Das wird ja ein Fachvortrag hier.)

Wenn wir heute also über Deutsche Gebärdensprache, die DGS, sprechen, dann reden wir deutschlandweit über etwa 80.000 Menschen, die DGS als ihre Muttersprache verwenden. Seit 2002 ist die Deutsche Gebärdensprache als eigenständige Sprache anerkannt, ein Meilenstein für Betroffene.

Die Diskussion, DGS als Fremdsprache an den Schulen einzuführen, ist dabei nicht neu. Schon vor mehr als zehn Jahren haben Gehörlosenverbände und bildungsnahe Interessenvertretungen entsprechende Forderungen formuliert. Argumentiert wurde mit positiven Effekten bei hörenden und nicht hörenden Kindern, die gleichermaßen wirken, weil es die Sprachkompetenz und die Fähigkeit, sich in andere Denk- und Ausdrucksformen hineinzuversetzen, bei Kindern nachgewiesenermaßen erhöht. Gerade unter Inklusionsaspekten sowie Aspekten des ganztägigen Lernens finde ich diese Erkenntnisse sehr wertvoll.

Meine Damen und Herren, die Unionsfraktion im Deutschen Bundestag hat 2016 die Kultusministerkonferenz aus diesem Grund gebeten, die Gebärdensprache als Unterrichtsfach in Regelschulen einzuführen. Ziel war und ist es, möglichst viele, auch hörende Menschen, zu motivieren, DGS zu erlernen und Barrierefreiheit auf allen Ebenen herzustellen. Neben der Aufwertung von DGS als eigenständiger Sprache und der möglichen Einführung der Gebärdensprache als schulisches Wahlfach wären wir diesem Schritt ein ganzes Stück näher. Auch

bin ich davon überzeugt, dass wir dadurch die nach wie vor konträren Sichtweisen zwischen dem Landesförderzentrum Güstrow und dem Elternverband hörgeschädigter Kinder Mecklenburg-Vorpommern damit ausbalancieren könnten, wovon alle Beteiligten profitieren würden.

Bereits 2016 haben Berlin, Brandenburg und Hamburg DGS als Wahlfach eingeführt. Ich wünsche mir, dass wir die dort gewonnenen Erfahrungen auch bei uns in den weiteren Diskussionen berücksichtigen. Klar ist aber auch, dass wir zunächst die noch nicht beendeten Gespräche auf KMK-Ebene abwarten sollten. Solange DGS nicht als erste Fremdsprache anerkannt ist, werden keine Rahmenpläne entwickelt. Daneben hat Frau Hesse auf den Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen hingewiesen. Auch dann wird sich erst entscheiden können, ob und inwieweit DGS in MecklenburgVorpommern in die Stundentafelverordnung aufgenommen werden kann.

Auch heute spielen hörgeschädigte Kinder nicht nur vor dem Hintergrund der Inklusionsstrategie des Landes eine wichtige Rolle im Schulalltag des Landes. 560 hörgeschädigte Kinder besuchen derzeit Regelschulen des Landes, in denen sie in normale Unterrichtsklassen integriert werden. 265 Kinder und Jugendliche mit erhöhtem Förderbedarf – auch hier gibt es die unterschiedlichsten Hörbeeinträchtigungen – werden am Landesförderzentrum in Güstrow beschult. Gehörlose Kinder, bei denen es sich um eine kleine Gruppe handelt, nehmen am Unterricht regulärer, kleinerer Förderklassen am Landesförderzentrum teil. Reine Gehörlosenklassen, die einstigen K-Klassen, also Kommunikationsklassen, konnten nicht aufrechterhalten werden, da es bis heute schlicht an der notwendigen Schülerzahl mangelt.