Protocol of the Session on April 27, 2018

Sehr geehrtes Präsidium! Werte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Jetzt hier und wieder ein sozialpopulistischer Antrag der

LINKEN, welcher das Problem nicht erkennt und nur noch mehr Bürokratie für die Sozialindustrie schaffen wird. Wer soll das Geld erwirtschaften, welches ihre geforderten Beiräte und zahlreichen Berichte mittlerweile kosten oder kosten werden? Richtig, der Steuerzahler. Damit nehmen Sie der schon jetzt in großen Teilen in Teilzeit arbeitenden Bevölkerung noch mehr von ihrem hart erarbeiteten Geld weg und erzeugen damit noch mehr Armut, um anschließend wiederum darüber berichten zu können. DIE LINKE bastelt hier ein populistisches Perpetuum mobile zum eigennützigen Selbsterhalt vermeintlich schwerwiegender Probleme.

Die Lösung wäre einfach: nicht über Armut reden, sondern diese zu bekämpfen. Dazu ist dieser Antrag allerdings nicht geeignet. Ihr Antrag „Soziale Hilfeprojekte … dauerhaft sichern“ bezog sich, wenn man ihn zusammen mit diesem betrachtet, eindeutig mehr auf den Erhalt von sozialen Problemen dieser Gesellschaft, damit Sie weiter daraus vermeintliches politisches Kapital schlagen können, als darauf, diese gesellschaftlichen Probleme tatsächlich zu lösen. Mit solchen Anträgen streuen Sie Ihren Wählern und der Bevölkerung Sand in die Augen und täuschen sie. Das ist unehrlich und ich empfinde das als moralisch verwerflich.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Oho!)

Doch zunächst erst einmal zu den Fakten: Internationale Organisationen wie die Weltbank oder die OECD verwenden entweder den relativen oder den absoluten Armutsbegriff. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa geht davon aus, dass der Lebensstandard zwischen den einzelnen Ländern im Verlauf variiert, sodass auch keine gemeinsame vereinbarte Messgröße für absolute Armut in den OECD-Ländern existiert. Ein Ausgangspunkt ist deshalb die Messung der relativen Armut, die im Verhältnis zum Einkommen erstellt wird. Die Armutsquote ist hierbei definiert als die Zahl der Personen, deren Einkommen unterhalb der Armutsgrenze im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung fällt. Die Weltbank hingegen verwendet sei 1990 den absoluten Armutsbegriff bei 1 US-Dollar pro Kaufkraft. Dieser Wert steigt auf 1,90 Dollar pro Tag.

In Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern muss niemand in absoluter Armut leben, da wir ein sehr dichtes soziales Netz haben, wovon auch Ihre sozialen Träger, die Ihren Parteien angehängt sind, außerordentlich profitieren, meine Damen und Herren.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Von welchen Trägern reden Sie denn?)

Das Problem der relativen Armut wird hier durch diesen Antrag aber nicht gelöst. Es bedarf eher höherer Löhne, denn Mecklenburg-Vorpommern liegt laut Gehaltsatlas 2018 im Vergleich mit anderen Bundesländern bei Einstiegsgehältern für Ausgelernte mit 33.600 Euro nach dem Studium und 21.800 Euro nach der Ausbildung auf dem letzten Platz der Lohntabelle. Dasselbe gilt für weitere Lohnindikatoren. Auch das wird dramatische Auswirkungen auf die relative Altersarmut haben, meine Damen und Herren.

(Henning Foerster, DIE LINKE: Aber einen Vergabemindestlohn wollten Sie nicht vorgestern.)

Der vorliegende Antrag, meine Damen und Herren, ist deshalb eine Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme für die

Sozialindustrie und die mit Ihnen verbandelten Soziologen und selbst ernannte Gender-Mainstreaming-Intelligenz.

(Zuruf von Thomas Krüger, SPD)

Die AfD-Fraktion in Mecklenburg-Vorpommern lehnt Ihren Antrag deshalb ab. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der AfD)

Für die Fraktion der CDU hat jetzt das Wort die Abgeordnete FriemannJennert.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Herr Koplin, der Antrag, den Sie uns hier präsentieren, folgt der passenden Redewendung „Alter Wein in neuen Schläuchen“. Als Mitglied des Sozialausschusses ist es mir natürlich bekannt, dass Sie Ihr Ansinnen eine Armuts- und Reichtumsberichterstattung und einen begleitenden Beirat einzurichten, schon einmal im Zuge der Anhörung „Armut und Reichtum“ eingebracht haben. Damals wie heute gilt allerdings: Mit aufwendigem Berichtswesen ergreifen Sie nicht eine einzige wirksame Maßnahme gegen Armut oder Armutsrisiken in diesem Land, sondern fördern ausschließlich die Bürokratie und die Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Landesregierung, die Ihren Vorschlag dann umsetzen müssen.

Es ist richtig, dass die Anhörung vom November des letzten Jahres qualifizierte Stellungnahmen zum Thema „Armut und Reichtum“ hervorgebracht hat, auf die wir in den weiteren Debatten und bei Entscheidungen zurückgreifen werden. Obwohl unnötig, erinnern Sie uns ja auch ständig daran. Nun sollten Sie doch aber auch mal ehrlich sein. Über eine mögliche Armutsberichterstattung haben wir uns bereits im Ausschuss verständigt. Ihnen geht es doch vielmehr darum, auf möglichst großer Bühne das schon lange mehrheitlich abgelehnte Armutsberichtswesen als Vorwand zu verwenden, um eine billige Debatte über die Aussagen zum Hartz-IV-System des jetzigen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn vom Zaun zu brechen. Meine Fraktion ist jedenfalls meilenweit davon entfernt, Meinungen von Bundesministern zurückzuweisen und solchen Anträgen zuzustimmen.

Ich möchte Ihren Antrag auch noch kurz inhaltlich bewerten und mein Bedauern darüber zum Ausdruck bringen, dass Ihrer Fraktion scheinbar die programmatischen Leitideen fehlen, um sich dem Thema „Armut und Reichtum“ auch sachdienlich zu widmen. Über eine reine Defizitfeststellung, die Sie im Übrigen exklusiv haben, hinsichtlich diverser sozial- und familienpolitischer Maßnahmen und die Forderung nach einer Armuts- und Reichtumsberichterstattung führt der Antrag nicht hinaus. Es genügt nicht, bestimmte Instrumente des Sozialstaates zu diskreditieren. Wichtiger sind wirkungsvollere Strategien zur Weiterentwicklung, um zum Beispiel Risikogruppen präventiv zu unterstützen. Dazu zählen gering qualifizierte Menschen mit Migrationshintergrund, Alleinerziehende oder Familien mit mehr als drei Kindern, für welche wir schon heute zahlreiche und wirkungsvolle sozial- und familienpolitische Angebote bereithalten. Aber ich verzichte jetzt mal darauf, das alles aufzuzählen.

Auch sind Ihre aufgestellten Zusammenhänge zwischen den Hartz-Reformen und den Armutsfeststellungen nicht

tragfähig. Georg Cremer, ehemaliger Generalsekretär des Deutschen Caritasverbandes und von meiner Fraktion als Anzuhörender im Ausschuss benannt, hat richtigerweise festgestellt, dass zur wirksamen Armutsbekämpfung ein leistungsfähiges Grundsicherungssystem unverzichtbar ist. Dieses haben wir in Deutschland und nichts anderes habe ich den Äußerungen Jens Spahns in dem Interview für die Funke Mediengruppe entnommen. Begeben Sie sich gern einmal in den Vergleich wohlfahrtstaatlicher Länder West- und Südeuropas, dann kommen Sie zu einer ähnlichen Feststellung.

Ohne Zweifel kann heute nach über zehn Jahren des Bestehens das Gesetz zur Modernisierung des Arbeitsmarktes, also der Einführung der sogenannten Hartz-IVLeistungen, als ausgesprochener Erfolg bezeichnet werden. Der Grundsatz des Forderns und Förderns in der Arbeitsmarktpolitik war und ist richtig. Auch der letzte Zweifler Ihrer Fraktion sollte zur Kenntnis nehmen, dass die Grundsicherung durch die Hartz-IV-Regelung maßgeblich dazu beigetragen hat, die Arbeitslosigkeit in unserem Land zu senken, auch in Mecklenburg-Vorpommern.

Ich behaupte nicht, dass sozial- und familienpolitisch alles gut ist in Deutschland und wir keine globalen oder nationalen Armutsprobleme haben, dennoch ist Ihre erwartbare Empörung über die Hartz-IV-Gesetzgebung fehl am Platze, da mit ihr ein Beschäftigungserfolg in Deutschland und Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt hat, der nun schon seit einigen Jahren auf hohem Niveau anhält. Somit fördert Hartz IV mitnichten die Armut, sondern ist Ausdruck eines funktionierenden Sozialstaates und einer in den letzten Jahren sehr erfreulichen wirtschaftlichen Entwicklung.

Gegenteilige Behauptungen zeugen von schlichter Realitätsverweigerung. Kontinuierliches Wirtschaftswachstum, die derzeit höchste Beschäftigungszahl und die niedrigste Arbeitslosigkeit seit der deutschen Wiedervereinigung zeigen, dass es den Menschen in unserem Land zumindest materiell heute so gut geht wie nie zuvor. Sicher muss es uns darum gehen, wie wir deutsche Langzeitarbeitslose für sozialversicherungspflichtige und gut bezahlte Jobs gewinnen oder die zunehmende Anzahl an ausländischen Leistungsempfängern in reguläre Beschäftigungsverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt bekommen.

Auch lässt sich anhand der Einkommensentwicklung der letzten Jahre aufzeigen, dass Hartz IV nicht dazu geführt hat, dass das Armutsrisiko für besonders gefährdete Gruppen zugenommen hat. In einem Analysedossier Cremers für die Konrad-Adenauer-Stiftung wurde festgestellt, dass die Einkommensungleichheit zwischen 1998 und 2005 deutlich zugenommen hat, also vor der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum ALG II zum Jahresbeginn 2005. Die Ungleichheit der Einkommen, die häufig als Ursache für das Armutsrisiko genannt wird, hat ihren Ursprung bereits in den 90er-Jahren. Hartz IV ist somit nicht verantwortlich für den Anstieg der Armutsrisikoquote.

Meine Damen und Herren, die neue Bundesregierung hat in der Koalitionsvereinbarung das Ziel der Vollbeschäftigung ausgegeben.

(allgemeine Unruhe)

Sie ist für meine Fraktion der wirksamste und effektivste Garant, um Armut und Armutsrisiken dauerhaft zu senken. Die wirtschaftliche Entwicklung ist die Grundvoraus

setzung dafür, dass Sozialversicherungen und die Haushalte von Bund, Ländern und Kommunen profitieren.

(Glocke der Vizepräsidentin)

Erst dadurch können wir auch zu zukünftig maßvoll soziale Leistungsverbesserungen durchsetzen und zum Beispiel der Frage nachgehen, ob höhere Sätze beim Arbeitslosengeld II anzustreben sind. Im Bund haben Ihre Kollegen in der letzten Woche im Bundestag eine Anhebung des Kindergeldes auf 328 Euro sowie eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro gefordert. Maßvoll sind die Vorschläge nicht. Außerdem haben wir längst eine fortlaufende Dynamisierung des Mindestlohns und eine Anhebung des Kindergeldes in dieser Legislaturperiode um 25 Euro beschlossen.

Verantwortungsvolle Sozialpolitik muss auch immer die wirtschaftliche Entwicklung des Landes im Blick haben. Diese ist in der Armutsdebatte sicher aber nur eine Seite der Medaille. Ein verfassungsgemäß gesicherter Sozialstaat wie Deutschland muss auch weiterhin bemüht sein, das bestehende Grundsicherungssystem zu überprüfen und unter Umständen an einigen Stellschrauben nachzusteuern. Cremer und andere Sozialexperten fordern, wie ich finde, sehr klug, Sozialpolitik noch stärker am Befähigungsansatz auszurichten, weil dieser Armut am effektivsten vorbeugt. Dies bedeutet, dass wir die Fähigkeiten und die Verantwortung des Einzelnen in den Mittelpunkt stellen und die Potenziale aller Menschen entfalten.

(allgemeine Unruhe)

Mit dem Blick auf den weiterhin starken Zusammenhang zwischen Herkunft und Bildungserfolg, der Integration von Langzeitarbeitslosen und Menschen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt ist dieser Ansatz eine Schlüsselherausforderung unserer Zeit und nicht die Wiederholung von bereits abgelehnten Anträgen. Das bringt uns kein Stück weiter. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Meine Damen und Herren, ich muss noch mal darauf hinweisen, auch die Fraktion DIE LINKE, dass das Gemurmel inzwischen wieder einen Pegel erreicht hat, dass man der Rednerin und dem Redner nicht mehr ordentlich folgen kann.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Thomas Schwarz ist extra hergekommen! – Zuruf von Simone Oldenburg, DIE LINKE)

Ich bitte Sie alle, sich auch bei den letzten Punkten unserer Tagesordnung, etwas maßvoller zu unterhalten oder in die Lobby zu gehen. Dazu haben Sie jederzeit die Möglichkeit.

(allgemeine Unruhe)

Ich wollte damit nicht anregen, noch mehr jetzt hier den Pegel zu erheben.

(Heiterkeit und Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD und auf der Regierungsbank – Heiterkeit bei Peter Ritter, DIE LINKE: Das war alles zu spät!)

Den Lärmpegel, Herr Pegel.

(Patrick Dahlemann, SPD: Schlimmer wäre es, wenn es der Alkoholpegel wäre.)

Für die Fraktion der BMV hat jetzt das Wort die Abgeordnete Weißig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kollegen! Armut ist ein Thema, welches mittlerweile mitten in unserer Gesellschaft angekommen ist. Wir können die Augen nicht mehr davor verschließen, begegnet sie uns doch jeden Tag: Der Rentner, der seine Cents an der Supermarktkasse vor der Kassiererin ausbreitet, in der Hoffnung, es reicht für das Wenige, was er sich zum Mittag kaufen wollte, denn es ist Monatsende; Kinder, die froh sind, wenn sie in der Brotdose zur Frühstückspause etwas finden und auch mittags den anderen beim Essen zuschauen dürfen, weil die Eltern die Kosten für das warme Essen in der Schule nicht aufbringen können, um dann nach Schulschluss zwei Kilometer zu Fuß nach Hause gehen müssen. Da ihr Wohnort nicht in der Mindestentfernung zur Schule liegt, in der der Schulbus kostenfrei verkehrt, stellt der Preis für einen Fahrausweis mit teilweise über 400 Euro pro Jahr für diese Menschen eine unüberwindbare Hürde dar.

(Torsten Renz, CDU: Gehört das auch zu diesem Tagesordnungspunkt?)

Wie viele Mütter und Väter sind heutzutage auf mehrere Arbeitsstellen angerwiesen, um ihre Familien zu ernähren, Herr Renz?

(Torsten Renz, CDU: Ja.)

Der Hungerlohn für ihre harte Arbeit reicht häufig vorne und hinten nicht und muss letztendlich noch durch Sozialleistungen aufgefüllt werden. Hohe Mietnebenkosten, wie Strom, Wasser, Gas, gefördert durch staatliche Gesetze wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), hohe Kinderbetreuungskosten, fehlende Infrastrukturen in ländlichen Gebieten, viele Renten, welche man eher als Almosen betrachten kann, und so weiter und so fort.

(Torsten Renz, CDU: Warum wollen alle nach Deutschland kommen, wenn es hier so schlecht ist?)

Von mir aus auch gerne geschlechterdifferenziert sollte man beachten, dass viele alleinerziehende Frauen nicht deswegen alleinerziehend sind, weil sich die Väter aus der Verantwortung stehlen …