Protocol of the Session on April 27, 2018

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

sondern den Charakter und die Courage haben und für die millionenfache Armut in Mecklenburg-Vorpommern um Entschuldigung bitten.

(Tilo Gundlack, SPD: Millionenfache Armut? Wir haben doch nur 1,6 Millionen Einwohner.)

In Deutschland.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU, AfD und BMV)

Habe ich Mecklenburg-Vorpommern gesagt? Dann bin ich beeindruckt, wie aufmerksam Sie mir zuhören.

(Tilo Gundlack, SPD: Ja, da kannste mal sehen! – Vincent Kokert, CDU: Falsch aufgeschrieben.)

Bei mir war es ein Versprecher. Ich merke, Sie sind gewillt, mir den nachzusehen.

(Unruhe vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und BMV – Tilo Gundlack, SPD: Nee! – Martina Tegtmeier, SPD: Da sind wir sehr pingelig.)

Nee, nicht wirklich. Gut.

Ich fahre mal fort: Das ist die gute Botschaft, möchte ich sagen, von diesem Parteitagswochenende. Dann gibt es leider schlechte Botschaften, auf die ich verweisen möchte zum gleichen Thema.

(Zuruf von Dietmar Eifler, CDU)

Die eine stammt vom neuen Bundesgesundheitsminister – jetzt gucke ich mal in Richtung CDU –, der tatsächlich der Überzeugung zu sein scheint, dass Hartz IV keine Armut bedeutet. Die andere schlechte Nachricht kommt leider aus diesem Haus und lautet, dass den Fraktionen von SPD und CDU Expertenanhörungen und deren Ergebnisse hier vollkommen egal zu sein scheinen. Auch wenn die Experten sich, wie bei der öffentlichen Anhörung am 29. November vergangenen Jahres, zum Thema „Armut und Reichtum in Mecklenburg-Vorpommern“ alle einig sind, ficht das die Regierungsfraktionen bislang nicht an. Sie halten es nicht einmal für nötig, sich im zuständigen Fachausschuss mit der Auswertung der Anhörung und möglichen Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen. Bis dato ist das so, aber vielleicht gelingt es hier, uns eines Besseren zu belehren.

So viel, Herr Abgeordneter Heydorn, zum Sinngehalt von Expertenkommissionen. Herr Heydorn, Sie hatten, glaube ich, jüngst ausgeführt zu den zwingenden Schlussfolgerungen, die sich aus öffentlichen Anhörungen ergeben sollten, und an dieser Stelle sei darauf verwiesen. Für alle anderen folgt nun die Erklärung, dass der Kollege Heydorn in den letzten Wochen eine Expertenkommission zur Neustrukturierung der Finanzierung der Kindertagesbetreuung in unserem Bundesland abgelehnt hat, weil wir regelmäßig Anhörungen im Landtag durchführen.

Die Neustrukturierung der Finanzierung der Kindertagesbetreuung wird von genau diesen Expertinnen und Experten seit Jahren gefordert, um die Finanzierung zu vereinfachen und zu entbürokratisieren und damit effizienter und kostensparender zu gestalten. Doch auch

diese Forderung ignorieren Sie seit Jahren. Ebenfalls, und damit komme ich zum Thema unseres Antrages zurück, ignorieren Sie die einmütige Forderung der Experten – Frauen waren leider nicht dabei – nach dem Armuts- und Reichtumsbericht für unser Bundesland. Wozu ein Bericht? Er ändert, sagen manche vielleicht, ja doch nichts, aber er gibt einen Überblick, wo und wie man regionsspezifisch Maßnahmen ergreifen muss. Deshalb ist er uns sehr wichtig.

Einig waren sich die Anzuhörenden auch darüber, dass es kein Erkenntnisproblem zum Thema Armut gebe und zum Beispiel die Regelsätze im Hartz IV-Bezug

(Zuruf von Martina Tegtmeier, SPD)

und zur Lebenssicherung im Alter zu niedrig seien. Lediglich über die Höhe der Anhebung gab es unterschiedliche Auffassungen.

Einigkeit bestand ebenso darüber, dass Altersarmut aufgrund der unterbrochenen Erwerbsbiografien zunehmen wird und es gerade für untere Einkommen einer Rentenreform bedürfe. Auch über die Notwendigkeit eines sozialen Arbeitsmarktes zur Aufnahme langzeitarbeitsloser Frauen und Männer sowie über die notwendige Erhöhung der Bildungsqualität in Mecklenburg-Vorpom- mern war man sich einig. Professor Klundt von der Universität Magdeburg-Stendal hat als ausgewiesener Experte für Kinderarmut genau dieses Thema und die Folgen näher beleuchtet. Für ihn sei Kinderarmut eine Form von „politisch herbeigeführter Kindeswohlgefährdung“, mit der „das Recht“ eines jeden jungen Menschen „auf Förderung“ seiner „Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit beeinträchtigt“ werde.

In der Anhörung wurden ebenso Funktion und Bedeutung relativer und absoluter Armut beleuchtet und das Verhältnis von privatem Reichtum und öffentlicher Armut thematisiert. Die Debatten um relative und absolute Armut werden auch gerne in diesem Hause geführt.

Also, Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Abgeordnete, es lohnt sich, einen Blick in die Stellungnahmen oder, wem das zu anstrengend ist, wenigstens in das 29-seitige Kurzprotokoll zu werfen.

(Heiterkeit bei Vincent Kokert, CDU: Kurzprotokoll!)

Die Anzuhörenden haben ebenfalls konkrete Vorschläge unterbreitet, die zum Teil in unserem Antrag zu finden sind. Sie haben nachher die Möglichkeit, meine Fraktion und mich eines Besseren zu belehren und doch noch unserem Antrag zuzustimmen oder zu erklären, in welcher Form Sie die Vorschläge und Erkenntnisse in Ihre Politik einfließen lassen wollen – im Sozialausschuss konnten wir zumindest nichts dazu hören –, oder aber Sie bleiben im negativen Sinne standhaft und ignorieren auch weiterhin Expertinnen und Experten, die wir hier zu uns in den Landtag einladen, um uns von ihnen beraten zu lassen.

Zum Schluss meiner Einbringungsrede muss ich noch auf den neuen Bundesgesundheitsminister und seine Äußerungen und Positionen eingehen, wonach Hartz IV nicht Armut bedeuten würde, sondern die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut wäre. Der Kollege Spahn und einige von Ihnen hier im Saal sollten sich

endlich zur Armutsdefinition der EU bekennen und nicht versuchen, mit allen möglichen Tricks, Haken und Ösen vom Problem abzulenken. Natürlich handelt es sich bei uns um relative Armut, das hat niemand bestritten und das sieht auch meine Fraktion so. Versuche, mit der Armut in Afrika von der Armut in Deutschland und in M-V abzulenken, sind ebenso untauglich wie unseriös, denn diese relative Armut in einem der reichsten und entwickeltsten Industrieländer hat auch ihre negativen Folgen und darf deshalb nicht kleingeredet werden.

Zum guten Schluss sei mir noch der Hinweis gestattet, dass wir als Land Mecklenburg-Vorpommern zur Bundesrepublik gehören, in der sich Bundesländer miteinander vergleichen und gleiche Lebensverhältnisse das angestrebte Ziel des Grundgesetzes wie unserer Landesverfassung sind, sodass eine bundeslandspezifische Armutsquote zwar statistisch interessant sein kann für die Menschen, aber gar nichts bringt. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 120 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache.

Zunächst hat ums Wort gebeten die Ministerin für Soziales, Integration und Gleichstellung. Frau Drese, Sie haben das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Inhalt des Antrages der Fraktion DIE LINKE wurde mehrfach in der Vergangenheit erörtert. Erneut soll im Landtag besprochen werden, ob eine regelmäßige Armuts- und Reichtumsberichterstattung durch die Landesregierung implementiert werden soll. Ergänzt wird der Antrag dieses Mal um einen sehr merkwürdigen Punkt: Der Landtag soll die Äußerungen des neuen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn zum Thema Hartz IV zurückweisen. Wir können gern bei vielen Gelegenheiten über Hartz IV und die Aussagen von Jens Spahn diskutieren – ich teile dessen Aussagen ausdrücklich nicht –, aber in einem seriösen Landtagsantrag hat solch ein Punkt aus meiner Sicht nichts zu suchen.

Sie beklagen oft, die Koalition würde Ihre Anträge einfach so ablehnen. Mit diesem Antrag zeigen Sie, dass es Ihnen gar nicht um die Sache geht. Sie wollen gar keine Mehrheit für diesen Antrag erreichen, oder glauben Sie ernsthaft, die CDU stimmt gegen Jens Spahn? Wohl eher nicht.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Und wie sieht es mit der SPD aus? Wie sieht es denn mit der SPD aus? Stimmt die gegen Herrn Spahn?)

Also haben wir es mit einem Showantrag zu tun. Wie die Vereinbarungen innerhalb der Koalition sind, wissen Sie.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Trotzdem werden Sie am Ende der Debatte wieder Krokodilstränen vergießen.

Kommen wir zu dem Punkt des Antrages, über den es sich lohnt zu diskutieren. Ich möchte gleich vorwegstel

len, denn darauf sollten wir das Hauptaugenmerk bei dieser Beratung richten, Armut bekämpft man nicht mit einer regelmäßigen Berichterstattung als vielmehr durch geeignete arbeitsmarktliche und soziale Maßnahmen. Im Übrigen gibt es bereits eine Vielzahl an Datenmaterial verschiedener Behörden, wie zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit, dem Statistischen Amt MecklenburgVorpommern oder Instituten, aus dem sich konkrete Aussagen zu Reichtum und Armut ableiten lassen. Das konstatieren Sie in Ihrem Antrag selbst. Dort heißt es, dass in der öffentlichen Anhörung am 29. November 2017 zum Thema „Armut und Reichtum“ von allen Anzuhörenden festgestellt wurde, ich zitiere, „dass es umfassende Erkenntnisse über Armut in Deutschland sowie deren Ursachen und Wirkungen gibt“. Zitatende.

Viele verschiedene Institute, Vereine oder Wohlfahrtsverbände, wie zum Beispiel die Arbeiterwohlfahrt Mecklenburg-Vorpommern mit ihrem Bericht vom September 2015, widmen sich diesem Thema. Deren Expertisen können für die Beurteilung der sozialen Lage sehr gut herangezogen werden. Ebenso zeigt uns die angesprochene öffentliche Anhörung des Sozialausschusses Ende letzten Jahres zum Thema Armut, wie detailliert unser Wissen und unsere Erkenntnisse aus dem vorhandenen Material bereits sind.

Meine Damen und Herren, eine von Ihnen geforderte Berichterstattung hat einen zeitlichen Umfang von mindestens drei Jahren und sollte, wenn sie ernsthaft durchgeführt wird, mehrere Jahresperioden umfassen, wenn nicht sogar eine ganze Dekade abbilden.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Richtig!)

Eine jährliche oder solitäre Betrachtung von Armut und Reichtum ist ohnehin nicht geboten. Wenn man Aufwand und Ertrag gegenüberstellt, komme ich zu dem Ergebnis, dass wir dafür keine 150.000 Euro, die eine solche Untersuchung jährlich kosten würde, ausgeben sollten. Statt teurer und ressourceneinnehmender Analysen plant die Landesregierung in den kommenden Jahren, ihre Kapazitäten direkt für die Umsetzung von sozialpolitischen Maßnahmen zur Unterstützung von hilfebedürftigen Menschen zu verwenden. Das gesparte Geld setzt die Landesregierung viel besser ein, zum Beispiel für die Förderung der sozialen Arbeit oder für die unmittelbare Finanzierung sozialer Hilfsprojekte.

Sehr geehrte Damen und Herren, aus aktuellen Erhebungen wissen wir, dass vor allem Kinder stark von Armut gefährdet sind. Das dürfen wir nicht hinnehmen. Kein anderes Thema beschäftigt mich seit meinem Amtsantritt mehr als die Förderung von Kindern. Ich bin davon überzeugt, dass unsere frühkindliche Bildung im Land ein Schlüsselelement zur Bekämpfung von Kinderarmut ist, denn nur hier können wir unabhängig von Herkunft oder Einkommen der Eltern allen Kindern eine gleichberechtigte frühkindliche Bildung und gesunde Ernährung mit auf den Weg geben. Wir entlasten Eltern von Beitragskosten – Geld, das dann für andere Dinge zur Verfügung steht.

An dieser Stelle sei noch einmal betont, dass es einen positiven Trend bei den oft gescholtenen Bildungs- und Teilhabeleistungen gibt. Die Ausgaben etwa für Mittagsverpflegung in Kitas und Schulen, den persönlichen Schulbedarf und Lernförderung sind bei uns im Land Jahr für Jahr gestiegen. Gleichzeitig ist die Anzahl der Kinder, die Ansprüche auf BuT-Leistungen haben, unter

anderem durch die verbesserte wirtschaftliche Situation und gezielte familienpolitische Maßnahmen, stetig weiter gesunken. Immer weniger Kinder im SGB II- und Kinderzuschlagsbezug erhalten also immer mehr Mittel aus dem BuT-Paket des Bundes. Das ist ein wesentlicher Beitrag für mehr soziale Gerechtigkeit. Mit massiven Investitionen wurde in den vergangenen Jahren die Kindertagesförderung qualitativ und quantitativ ausgebaut. Mit der neuen 50-Euro-Entlastung und der kommenden Geschwisterkindregelung stellt das Land rund 54 Millionen Euro zusätzlich für die Entlastung von Eltern bei den Beiträgen für Kindertagesförderung zur Verfügung.

Sehr geehrte Damen und Herren, das Sozialministerium fördert die gesamte Familie und behält jedes Mitglied, ob Kleinkind, Jugendliche und Eltern, im Blick. Ein Beispiel sind die Familiencoaches. Der Familiencoach unterstützt die soziale und berufliche Integration Langzeitarbeitsloser und von Langzeitarbeitslosigkeit bedrohter Mütter und Väter mit Kindern in besonderen familiären Problemlagen. Durch die Bündelung von Leistungen in den Bereichen der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, wie zum Beispiel die Eröffnung von Zugängen zur Beschäftigung mit gleichzeitiger Lösung von Problemen in der Kinderbetreuung und Erziehung, erfolgt eine Stärkung und Stabilisierung der Familienstruktur, die eine Verbesserung der gesamten Lebenssituation der Familie ermöglicht. Darüber hinaus hilft das Land durch Förderung von Erholungsmaßnahmen dabei, dass einkommensschwache Familien einen bezahlbaren Urlaub machen können. Auch diese Maßnahme wird gut angenommen.

Sehr geehrte Damen und Herren, wie ich eingangs schon sagte, der wichtigste Faktor dieser Gleichung bleibt die Arbeit, denn das statistische Armutsrisiko von Kindern und Jugendlichen ist auf das Engste mit der Einkommens- und Vermögenssituation ihrer Eltern verbunden. Hier ist einiges in den letzten Jahren auf dem Arbeitsmarkt in Mecklenburg-Vorpommern geschehen. Wir verzeichnen einen historischen Rückgang der Arbeitslosenquote, Fachkräfte werden händeringend gesucht, Unternehmen werben mit großem Elan um Auszubildende. Jetzt muss sich das auswirken vor allem bei Alleinerziehenden, die wir in den Blick nehmen sollten, denn in dieser Gruppe besteht ein besonderes Armutsrisiko und auch hier sind gute Kindertagesförderungsangebote ein Schlüssel.

Sehr geehrte Damen und Herren, Armut hat viele Facetten. Fachkräfte und junge Menschen können schnell eine neue Arbeit finden, doch trotz der guten Konjunktur gibt es immer noch eine beständige Zahl an Langzeitarbeitslosen, die nur wenig profitieren. Daher freue ich mich über die Pläne des neuen Bundessozialministers Hubertus Heil für eine Teilhabe am Arbeitsmarkt für alle. Laut Koalitionsvertrag werden 150.000 Menschen bundesweit daran teilnehmen können. Jetzt kommt es auf die gute Umsetzung vor Ort an. Wir sprachen bereits gestern ausführlich darüber. – Vielen Dank.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Für die Fraktion der AfD hat jetzt das Wort der Abgeordnete de Jesus Fernandes.

Sehr geehrtes Präsidium! Werte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Jetzt hier und wieder ein sozialpopulistischer Antrag der