Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich bin immer wieder erstaunt, wie Sie die Tatsachen verdrehen. Kriminalität unter Jugendlichen – ja, sie ist vergleichsweise hoch, aber Jugendkriminalität ist auch eine andere Jugendkriminalität. Waren Sie eigentlich mal in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe, wo ausschließlich deutsche Kinder waren? Da finden Sie genauso viel Jugendkriminalität. Es ist unglaublich, dass Sie das hier nutzen, um wieder zu hetzen.
Jetzt kommen wir auch mal zu Ihrem Mut zur Wahrheit. Die soziale Spannung in der Gesellschaft erzeugen nämlich Ihre völlig an den Haaren herbeigezogenen Behauptungen. Wer die letzte Bundestagssitzung in der vergangenen Woche verfolgt hat, dem mussten sich alle Haare sträuben. Roman Reusch stempelte minderjährige Geflüchtete prinzipiell als Betrüger ab, die sich eine sichere Luxusunterbringung erschleichen, Martin Sichert denunzierte Flüchtlingsheime als Hotspot der Kriminalität, Sie schwafeln von Erziehungspresse, von Meinungskartell, gar vom Raub der Grundrechte, und Gottfried Curio nimmt den Mord von Kandel – das haben Sie eben auch getan – zum Anlass, Ihren antimuslimischen Rassismus als Ausdruck des Schutzes der Rechte von Frauen und Mädchen darzustellen. Schämen Sie sich für diese verlogene Wahrheit!
Auf Drucksache 7/1110, die auch der Innenminister ansprach – das ist die Anfrage von Herrn Kramer und Herrn Professor Weber –, erklärt Ihnen die Landesregierung, dass die Betreuung und Finanzierung über die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach dem SGB VIII weisungsfrei als Angelegenheit der kommunalen Selbstverwaltung erfüllt wird. Alles, was Sie wissen wollen und wissen müssen, sollten Sie in den Landkreisen erfragen, und alles, was Sie ändern wollen in der Jugendhilfe, das müssen Sie auch bei den Landkreisen beantragen. Die einzige Wahrheit ist, dass Sie nicht ausreichend Kreistagsmitglieder in den Landkreisen haben, um genau dies zu tun. Die Wahrheit ist auch, dass Sie, …
Frau Abgeordnete, trotzdem müssen Sie warten, bis ich zumindest danach gefragt habe, ob Sie das tun wollen.
Die Wahrheit ist auch, dass Sie nicht in der Lage sind, Ihre wenigen Kommunalvertreter dahin gehend auszubilden, dass diese in den notwendigen Ausschüssen die Anfragen stellen und dann auch die Antworten erhalten. Mut zur Wahrheit wäre, dies endlich zuzugeben.
Sie suggerieren mit Ihrem Antrag den Menschen, dass Mecklenburg-Vorpommern die Identität und Herkunft der umA nicht kennt. Genauso verdrehen Sie Ihre Wahrheit.
Ihren Antrag, den haben Sie veröffentlicht, die Antwort der Landesregierung auf Ihre Kleine Anfrage, Punkt 3 nämlich, haben Sie nicht veröffentlicht. Punkt 3 enthält eine Tabelle mit allen Herkunftsländern und der Anzahl der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten. In Punkt 7 antwortet Ihnen die Landesregierung tabellarisch sogar, in welchen Landkreisen, wie viele, aus welchen Herkunftsländern unbetreute, minderjährige Geflüchtete leben. Auch diese Wahrheit haben Sie nicht veröffentlicht.
Die Antwort der Landesregierung auf die Anfrage Ihres ehemaligen Abgeordneten Herrn Komning auf Drucksache 7/882 hat gar 31 Seiten. Auf 31 Seiten hat die Landesregierung Ihnen jeden einzelnen Menschen mit Fluchthintergrund in diesem Land aufgezählt. Sind Sie nicht in der Lage, 31 Seiten zu lesen? Das ist ja mal eine Wahrheit!
dass mir wahrheitsgemäß wahrhaftig schlecht wird. Die Landesregierung hat Ihnen wiederum in der Anfrage 7/1110 erklärt, was mit Vollendung des 18. Lebensjahres aufenthaltsrechtlich passiert. Den Mut, diese Wahrheit öffentlich anzusprechen, den haben Sie auch nicht.
Da also Ihr Mut zur Wahrheit da endet, wo die Tatsachen und Infos Ihnen nicht passen, schenke ich Ihnen mal ein wenig von unserer Courage: Die Wahrheit ist, Kinder und Jugendliche unterliegen dem besonderen Schutz des Staates und der Gesellschaft. Die Wahrheit ist, mit einem Klick auf die Internetseiten der Landkreise können Sie die Kosten der Betreuung exakt ansehen. Die Wahrheit ist, Sie sind nicht mutig. Mutig ist, wer sich der Diskussion mit den Menschen auf der Straße stellt, ohne zu hetzen. Mutig ist, wer sich um traumatisierte Kinder und Jugendliche kümmert. Mutig ist, wer der Hetze gegen geflüchtete Kinder und Jugendliche täglich widerspricht.
Feige hingegen ist, wer Kindern und Jugendlichen Hände abhacken, sie aufhängen, vergasen, Buchenwald, Auschwitz, verbrennen wünscht.
Feige ist, wer diese Kommentare auf Facebook-Profilen, auf Presseseiten und auf Fraktionsseiten stehen lässt, ihnen nicht widerspricht und sie nicht anzeigt. Feige ist, wer Menschen auffordert, die Vormundschaft für unbegleitete minderjährige Ausländer und Ausländerinnen zu übernehmen, um deren Abschiebung in die Herkunftsländer zu erwirken. Dies tun Abgeordnete Ihrer Fraktion gemeinsam mit der Identitären Bewegung.
Sie, werte Herren der AfD-Fraktion, sind erwachsene Männer, alles erwachsene Männer, und der Mut zur Wahrheit ist, Ihnen zu sagen, dass Sie erbärmlich und feige auf Schwächere verbal einhämmern.
Mut zur Wahrheit ist, Ihnen zu sagen, dass der Schutz von Kindern und Jugendlichen uneingeschränkt und ohne Wertung für alle gilt,
und zwar in dem Land, in dem sich Kinder und Jugendliche aufhalten. Alle Kinder und Jugendlichen dieser Welt verdienen das. Und die Wahrheit ist, dass wir Ihren Antrag ablehnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der chilenische Neurobiologe und Soziologe Humberto Maturana hat Anfang der 1980er-Jahre erkenntnistheoretisch weitreichende Überlegungen zur Beschaffenheit sozialer Systeme entwickelt. Kurz gesagt kam er als Konstruktivist in der Weiterentwicklung der allgemeinen Systemtheorie zu dem Schluss, dass unsere Wahrnehmung die systeminterne Konstruktion einer systemexternen Welt darstellt. Die persönliche Wahrnehmung kann somit nicht das Abbild einer Realität produzieren, welche unabhängig vom Individuum besteht, sondern ist immer die Realität des Einzelnen auf Basis seiner eigenen Sinnesreize und seiner Gedächtnisleistungen.
Wenn Sie in Ihrem Antrag also vom Mut zur Wahrheit sprechen, dann meinen Sie damit Ihre ganz eigene konstruierte AfD-Wahrheit, in deren geistigen Umgebung Sie leben. Auf gar keinen Fall ist diese Wahrheit, zu der Sie den Landtag zur Beschlussfassung auffordern, eine generalisierungsfähige, an die wir uns als CDU-Fraktion anschließen werden. Ihr Antrag fußt größtenteils auf Stammtischunterstellungen und Annahmen, die nicht haltbar sind und für die Sie keinerlei Rechenschaft ablegen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe nicht den Eindruck, dass die Betreuung – ich wiederhole: die Betreuung – unbegleiteter und jugendlicher Ausländer soziale Spannungen in Mecklenburg-Vorpommern hervorruft.
Im Gegenteil: Bei der Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Ausländer wendet das Land konsequent die Regelungen des VIII. Sozialgesetzbuches an. Die gewährten Leistungen sind gesetzlich geregelte Leistungen der Jugendhilfe. Der Gesetzgeber verpflichtet die Länder und die Kommunen förmlich dazu, die am Kindeswohl ausgerichtete und an den üblichen Standards der Jugendhilfe orientierte Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Ausländer zu gewährleisten. Diese Unterbringung ist bedarfsgerecht. Von einer womöglich übertriebenen Rundumversorgung, wie Sie es in Ihrem Antrag suggerieren, kann nicht die Rede sein.
Zu den landesinternen Regelungen hat der Innenminister bereits ausgeführt. Ebenso wird Ihnen hoffentlich nicht entgangen sein, dass unbegleitete Minderjährige besonders schutzbedürftig sind, weil sie oftmals noch Kinder sind. Für sie gelten bei der Asylantragstellung sowie bei der Bearbeitung besondere Regeln. In der sozialstaatlich konstituierten Bundesrepublik ist das eine Frage des Schutzes Minderjähriger sowie der Achtung menschenwürdiger Asylverfahren.
In Ziffer I Ihres Antrages unterstellen Sie dem deutschen Asylverfahren des Weiteren, dass die Identität und das Alter nur oberflächlich festgestellt werden. Ich glaube eher, Sie sehen in jedem Flüchtling einen potenziellen Straftäter. Dem ist gewiss nicht so. Außerdem warne ich eindringlich davor, mit diesem Thema bestimmte gesellschaftliche Gruppen zu stigmatisieren. Die öffentliche Debatte, die Sie in Ihrer Antragsbegründung initiieren möchten, führt ins Leere, da sich Mecklenburg-Vorpommern in einem zu einhundert Prozent rechtlich gesi
cherten und präzisen Asylverfahren für Minderjährige bewegt. Vielleicht ist es Ihnen möglich, Ihr konstruiertes Wahrheitsempfinden dahin gehend zu erweitern?!
Unbegleitete Minderjährige, die nach dem 1. November 2015 nach Deutschland eingereist sind, werden zunächst durch das vor Ort zuständige Jugendamt in Obhut genommen. Dazu gibt es eine gesetzlich geregelte Verpflichtung. Mir als integrationspolitische Sprecherin ist es wichtig, dass wir diesem Auftrag nachkommen und auf die Wirksamkeit des Prüfverfahrens effektiv achten. Gerade in besonderen Einzelfällen, wenn es um Straffälligkeit von umA geht, müssen wir dieses Verfahren gegebenenfalls besonders vertiefen, etwa, um das Alter zu bestimmen.
Im Bereich unbegleiteter minderjähriger Ausländer ließen sich in der Tat Defizite bei der korrekten Altersangabe erkennen. Das haben wir längst erkannt, und von daher kann man die Altersfeststellung, insbesondere bei Straftätern oder Intensivstraftätern, für ein wichtiges Instrument halten, wie beispielsweise BKA-Chef Holger Münch. Wir benötigen in diesem Zusammenhang einheitliche bundesweite medizinische Standards zur Altersfeststellung. Von der neuen Bundesregierung erwarte ich diesbezüglich neue Impulse.
Im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme werden minderjährige und unbegleitete Ausländer bei einer geeigneten Person, in einer Pflegefamilie oder in einer geeigneten Einrichtung untergebracht. Im Zuge dieses Verfahrens findet ebenfalls das sogenannte Erstscreening statt, selbstverständlich auch in Mecklenburg-Vorpommern. Es stellt neben der allgemeinen Prüfung des Gesundheitszustandes auch das Alter der Minderjährigen fest, und dies gewiss nicht oberflächlich.