Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 35: Beratung des Antrages der Fraktion der AfD – Mut zur Wahrheit – Betreuungsrealität von unbegleiteten minderjährigen Ausländern offenlegen, Drucksache 7/1576.
Antrag der Fraktion der AfD Mut zur Wahrheit – Betreuungsrealität von unbegleiteten minderjährigen Ausländern offenlegen – Drucksache 7/1576 –
Die vergleichsweise hohe Straffälligkeit von unbegleiteten minderjährigen Ausländern ist zu einem großen Problem geworden. Dies gilt vor allem für jugendliche Migranten aus Nordafrika und dem arabischen Raum, die durch kriminelle Handlungen auffallen. Es hilft überhaupt nicht, die Augen vor diesen Realitäten zu verschließen und so zu tun, als ob wir es nur mit schutz- und hilfsbedürftigen Jugendlichen zu tun hätten.
So hat das Bundeskriminalamt bereits 2016 von der großen Sorge hinsichtlich dieses Personenkreises berichtet und ausgeführt, dass es sich vielfach um entwurzelte Jugendliche handele, die bereits in ihrer Heimat als Straßenkinder das kriminelle Handwerk gelernt hätten und sich hier entsprechend verhielten.
Der Geschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes äußerte sich im Januar dieses Jahres im „Deutschlandfunk“ zum Problem krimineller Jugendlicher/unbegleiteter Jugendlicher und führte aus, es seien Einzelfälle, aber diese hätten eine verheerende Wirkung. Neben einem anderen Betreuungssystem müsse man auch darüber reden, ob solche Personen, die häufig von ihren Eltern vorgeschickt würden, nicht abgeschoben werden könnten. Es sei immer schwieriger, Sozialarbeiter zu finden, die bereit seien, solche Jugendlichen zu betreuen.
Ist die Situation bei uns ähnlich oder entwickelt sie sich da hin? Das wollen wir wissen, das ist unter anderem die Zielrichtung unseres Antrags. In diesem Zusammenhang wird nunmehr das gefordert, was die AfD schon immer gefordert hat, nämlich eine Altersbestimmung, um sich erst einmal Klarheit zu verschaffen, ob wir es tatsächlich mit einem Kind, einem Jugendlichen oder einem Erwachsenen zu tun haben, weil dies für den Umgang mit diesem Personenkreis von entscheidender Bedeutung ist.
Es kann nicht sein, dass sich junge Männer mit Bärten erfolgreich als Kinder ausgeben. Hierzu wird in der FAZ eindringlich ein Beispiel geschildert, Zitatanfang: „Er
hatte Bartwuchs, trug Anzüge und Parfum. Er war zwar nicht sehr groß, aber doch ein ausgewachsener Mann.“
„In der Schule war allen klar, dass er nicht zwölf Jahre alt ist. … Die Oberschule“ in Berlin „war seine sechste Station. … Die Polizei kannte“ ihn. „Er hatte fast hundert Einträge. Darunter gewerblichen Drogenhandel und Körperverletzung. Polizisten kamen auch an die Schule. Ob er wirklich zwölf Jahre alt sei? Die Lehrer: Natürlich nicht. … Als er im Krankenhaus war, hätte man eine … Altersbestimmung machen können. Hätte.“ Hätte, es geschah aber nicht. „Das Jugendamt, so heißt es, war nur dann hilfreich, wenn es um Schulmaterialien ging.“ Zitatende.
Es mag sein, dass sich dieser Fall in Bayern so nicht abgespielt hätte. Für Berlin und die meisten anderen Regionen der Republik dürfte er aber die Realität durchaus nah abgebildet haben. Jedenfalls liegen unverdächtige Berichte vor, so auch aus Hamburg, die die ganze Hilflosigkeit der Behörden vor diesem Problem belegen. In einem Dossier des LKA Hamburg heißt es, Zitatanfang: „Rund ein Viertel der 115 bekannten schwerkriminellen jugendlichen Intensivtäter in Hamburg sind unbegleitete junge Flüchtlinge. … Brennpunkte“ hätten „sich laut Polizei auf St. Pauli und in St. Georg herausgebildet. Eine Abschiebung der Kinder und Jugendlichen in ihre Heimatländer wird als“ nahezu „‚unmöglich‘ eingestuft.“ Zitatende.
Das ist inzwischen auch unserem Innenminister übel aufgestoßen, sodass er sich eine AfD-Forderung zu eigen machte und äußerte, so ein Zitat: „Vor allem syrische Jugendliche sind leider allzu oft an … Gewalttaten beteiligt. Wir müssen endlich Möglichkeiten schaffen, dieses Verhalten“ entsprechend zu sanktionieren.
Es ist zu registrieren, dass die Altparteien dazu übergehen, sich von der skandalösen Leichtfertigkeit im Umgang mit den unbegleiteten minderjährigen Ausländern zu verabschieden. Die Fraktion der AfD nimmt zur Kenntnis, dass in den Ausschüssen medizinische Fragen zu Altersbestimmungen endlich auf den Tisch kommen. Das war nicht immer so. Man sieht jetzt offenbar Handlungsbedarf. Ich darf an die von uns angestoßene Debatte vor einem Jahr erinnern. Das kann ich natürlich jetzt hier nicht aus eigener Erkenntnis sagen, aber es steht hier so und wird wohl stimmen.
Frau Tegtmeier soll damals geäußert haben, dass natürlich ganz genau hingeguckt würde. Fast ein Jahr später, unter anderem nach dem Mord in Kandel, stimmt nun auch die SPD einer Anhörung in den Ausschüssen zu, um sich über medizinische Verfahren zur Altersbestimmung zu informieren. Uns reicht das selbstverständlich nicht. Wir fordern einen detaillierten Bericht zur Betreuungssituation. Bereits über Kleine Anfragen hatten wir angestoßen, die Zahl der Betreuer und die Kosten zu erheben. Genau das wollte die Landesregierung dann auch tun. Das Ergebnis fiel sehr dürftig aus. Von acht Jugendämtern hatten nur zwei die angefragten Personalkosten liefern können. Damit können wir uns nicht zufriedengeben.
Selbst wenn man das Wohl der unbegleiteten Ausländer in den Vordergrund stellt, es geht auch um Kosten, die
pro Person auf rund 5.250 Euro im Monat veranschlagt werden. Nach einer Auskunft der Bundesregierung von Februar 2017 kosten über 60.000 junge Migranten Deutschland rund 4 Milliarden Euro im Jahr, die der Steuerzahler aufzubringen hat. Die Bürger unseres Landes haben im Jahr 2016 insgesamt 35 Millionen Euro für diesen Personenkreis ausgegeben, Ausgaben für weitere Integrationsbemühungen nicht eingeschlossen. Auch hier muss Transparenz geschaffen und aufgelistet werden, welche Kosten für welche Aktivitäten der Betreuung stehen.
Um das Thema Altersfeststellung in unserem Land ordentlich diskutieren zu können, fordern wir in dem von uns beantragten Bericht eine Auflistung aller seit 2015 in Mecklenburg-Vorpommern stattgefundenen Alterseinschätzungen. Diese sollen dabei nach Dokumentenfeststellung, qualifizierter Inaugenscheinnahme und ärztlicher Untersuchungen differenziert werden. Die Problematik der unbegleiteten jugendlichen Migranten ist inzwischen so offenkundig, dass ein Wegsehen oder Schönreden nicht mehr möglich ist. Je brennender ein Problem ist, umso mehr ist Transparenz gefordert. Die Bürger haben einen Anspruch darauf, zu wissen, inwieweit die Integrationsbemühungen in diesem Bereich Erfolg versprechend sind und inwieweit diese Bemühungen bei einer bestimmten Klientel aussichtslos erscheinen. Deshalb ist auch eine Auflistung aller Kosten überfällig.
Es ist eine Tragödie, wenn junge Menschen von ihren Familien getrennt werden. Es ist auch eine Tragödie, allerdings anderer Art, wenn junge Männer von ihrer Familie, die ihnen Schlepper bezahlt, vorgeschickt werden, damit die Familie später nachkommen kann. Deshalb unterstützen wir den Städte- und Gemeindetag, der für Minderjährige mit Angehörigen aus sicheren Drittstaaten eine Familienzusammenführung in den Herkunftsländern fordert.
Daher soll in einem Lagebericht auch der Aufenthaltsstatus aller unbegleiteten jugendlichen Migranten erfasst werden. Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, hier Mut zur Wahrheit zu haben und die Fakten auf den Tisch zu legen. Ohne Informationen über die Betreuungsrealität der unbegleiteten minderjährigen Ausländer in Mecklenburg-Vorpommern werden eine gute Politik und notwendige Korrekturen verhindert.
Zum Schluss noch eins: Die offenkundige Hilflosigkeit der Behörden gegenüber kriminellen jugendlichen Migranten ist auch deshalb verheerend, weil dadurch die Akzeptanz derer, die schon lange bei uns sind und sich hier eingelebt haben, sowie derer, die wirklich integrationsfähig und integrationswillig sind, einen nachhaltigen Schaden nimmt.
Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 90 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann verfahren wir so. Ich eröffne die Aussprache.
In Vertretung der Sozialministerin erhält das Wort der Innenminister. Herr Caffier, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Der Antrag der AfD, der die aktuelle Betreuungssituation von unbegleiteten minderjährigen Ausländern thematisiert und deren Betreuungskosten hinterfragt, unterstellt gleichzeitig einen intransparenten Umgang mit diesen Informationen. Gern möchte ich Ihnen getreu dem Motto „Mut zur Wahrheit“ darstellen, wie die gesetzliche Vorgehensweise in Deutschland zu dieser Frage geregelt ist.
Kinder und Jugendliche, die aus ihren Herkunftsländern allein nach Deutschland kommen, gehören zu den besonders schutzbedürftigen Menschen. Es sind junge Menschen, die häufig Schreckliches erlebt haben und möglicherweise psychisch und physisch stark belastet oder hoch traumatisiert sind. Sie kommen in ein fremdes Land, dessen Landessprache sie nicht sprechen können, und müssen sich dort auf sich gestellt zurechtfinden. In Deutschland sind anknüpfend an die internationalen Rechtsvorschriften, insbesondere an die UN-Kinderrechtskonvention, bei Einreise von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen alle notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls im Rahmen des staatlichen Wächteramtes auf der Grundlage des Achten Buches Sozialgesetzbuch, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, darzustellen und auch umzusetzen. Insbesondere die Kinder- und Jugendhilfe, die anstatt der Eltern nun das Kindeswohl der unbegleiteten ausländischen Kinder und Jugendlichen gewährleistet, ist in besonderem Maße gefordert, die notwendigen Weichen für eine gelingende Integration zu stellen.
Das, meine Damen und Herren, ist die Gesetzeslage, und die ist auch richtig so. Maßnahmen, Leistungen und Angebote der Kinder- und Jugendhilfe haben die Aufgabe, sie von Anfang an zu schützen, und sollen von vornherein Gefahren und Risiken im Sinne einer wirkungsvollen Prävention abwenden.
Sehr geehrte Kollegen Abgeordnete der AfD, ich möchte es mir nicht nehmen lassen, die Begrifflichkeit, es sei nur oberflächlich geklärt, welche Kinder und Jugendlichen hier betreut werden, anzusprechen. Zum 1. November 2015 sind Änderungen des SGB VIII in Kraft getreten. Der neu eingeführte Paragraf 42f SGB VIII sieht als Regelverfahren die Altersfeststellung über Ausweise, über Ausweispapiere oder hilfsweise mittels einer qualifizierten Inaugenscheinnahme vor. Die qualifizierte Inaugenscheinnahme wird von Fachkräften der Jugendämter in MecklenburgVorpommern im Vieraugenprinzip durchgeführt. Sollten dennoch Zweifel am Alter Minderjähriger vorliegen, müssen sich unbegleitete ausländische Minderjährige einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Dies wurde in Einzelfällen auch in M-V praktiziert.
In Mecklenburg-Vorpommern leben mit Stand zum 12.01.2017 genau 842 unbegleitete ausländische Minderjährige und junge Volljährige in Einrichtungen der freien Jugendhilfe. Gemäß Paragraf 49 Absatz 4 Aufenthaltsgesetz ist die Identität einer Ausländerin oder eines Ausländers durch erkennungsdienstliche Maßnahmen zu sichern. Alle unbegleiteten ausländischen Minderjährigen und jungen Volljährige sind erkennungsdienstlich in unserem Land behandelt – wir können ja hier nur über unser Land sprechen –, also EdBehandlung, wie es heißt. Hierzu gibt es einen Erlass vom Juli 2017 des Ministeriums für Inneres und Europa in Abstimmung mit dem Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung und den örtlichen Trä
Auf der 122. Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter im April 2017 wurden die Handlungsempfehlungen zum Umgang mit unbegleiteten Minderjährigen umfangreich überarbeitet und aktualisiert. Diese Handlungsempfehlungen sind neben dem SGB VIII eine Arbeitsgrundlage nicht nur für die Fachkräfte in unserem Land. Ich möchte ganz ausdrücklich betonen, die Fachkräfte der Jugendhilfe arbeiten mit hoher fachlicher Kompetenz, mit Engagement und setzen die Regelungen des SGB VIII entsprechend um. Es ist ihnen gegenüber eine Unterstellung, die Indentitäten, der Aufenthaltsstatus beziehungsweise die Herkunft seien nur oberflächlich geklärt.
Darüber hinaus legt die Bundesregierung jährlich einen Bericht zur Umsetzung des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung, Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher gemäß Paragraf 42e SGB VIII vor. Es ist ein umfangreicher Report, der in allen Bundesländern insbesondere von den Jugendämtern erarbeitet wird. Auf diesen 155 Seiten werden unter anderem Ziele und Umsetzungen des Gesetzes zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher, aber auch Asylverfahren sowie Angebote und Maßnahmen detailliert herausgearbeitet. Nach Paragraf 41 SGB VIII hat auch ein junger Volljähriger ein Recht auf Hilfe für eine Persönlichkeitsentwicklung und für eine eigenverantwortliche Lebensführung, wenn und solange die Hilfe aufgrund der individuellen Situation des jungen Menschen notwendig ist. Die Hilfe kann in der Regel bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt werden.
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Junge Menschen im Übergang zum Erwachsenenalter brauchen nicht weniger, sondern mehr, vor allem zielgerichtete Unterstützung, um eigenverantwortlich handeln und später ein selbstständiges Leben führen zu können. Hier zu sparen, wird unterm Strich nicht teurer, sondern verbaut auch die Zukunft vieler junger Menschen. Tausende unbegleitete ausländische Minderjährige haben bereits den Weg in ein selbstständiges Leben und eine Ausbildung geschafft. Sie waren dabei aber nicht allein, sondern sind zusammen mit einem starken Jugendamt, mit starker Jugendhilfe und vielen, vielen ehrenamtlichen Helfern diesen Schritt gegangen. Dafür war und ist professionelle pädagogische und mitunter psychosoziale Unterstützung nötig.
Ich möchte Ihnen noch einmal vor Augen führen, viele der allein eingereisten jungen Menschen haben in ihren Heimatländern und auf der Flucht Erfahrungen von Gewalt, Entbehrung und Tod gehabt, die ihre psychische und soziale Entwicklung heute maßgeblich beeinflussen. Diese jungen Menschen in ihrer individuellen psychischen Not zu unterstützen, ihnen Hilfe anzubieten und ihre Potenziale zu fördern, ist eine grundlegende Aufgabe unserer demokratischen Gesellschaft und aus unserer Sicht die einzige Chance, langfristig ein friedliches Miteinander zu gewähren. Wenn wir uns damit von der AfD unterscheiden, dann ist das so.
Ich möchte hinzufügen, dass alle Kinder besondere Rechte haben. Diese sind festgeschrieben in der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen. Dazu gehört auch das Recht auf ein Zuhause, auf Bildung, auf Ge
sundheit und auf eine gewaltfreie Erziehung. Deshalb sage ich ausdrücklich, die Feststellung, die der Landtag mit dem vorliegenden Antrag treffen soll, wird nicht geteilt.
Im Gegenteil: Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Betreuungssituation der unbegleiteten minderjährigen Ausländer Gefahren sozialer Spannungen in sich birgt. Die Grundlage für die Unterbringung von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen ist und bleibt das SGB VIII. Eine kindeswohlorientierte Unterbringung gehört ausdrücklich zu den Standards, die im SGB VIII vorgesehen sind. Aus den benannten Gründen empfehlen wir dem Parlament, den Antrag abzulehnen.