Liebe Bürger von Mecklenburg und Vorpommern! Wertes Präsidium! Werte Kollegen! Liebe nicht mehr zahlreich vorhandenen Gäste!
„Hartz-IV-Sanktionen abschaffen“ – ein Thema, das schon lange diskutiert wird, das vordergründig auch mit gewissen sozialen Notsituationen einhergeht und deswegen wert ist, dass man dazu Stellung nimmt.
Es gibt ja grundsätzlich Menschen, die stehen auf dem Standpunkt, dass es dem einzelnen Menschen nicht zukommt, andere Menschen zu bestrafen oder zu sanktionieren. Das kann man religiös begründen: „Wer von euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein.“ Man kann es soziologisch begründen, indem man auf die schrankenlose individuelle Freiheit abstellt oder – was zurzeit im Strafrecht heiß diskutiert wird – indem man die Willensfreiheit des Einzelnen bestreitet und sagt, die meisten menschlichen Reaktionen sind synaptische Vorgänge im Gehirn, die überhaupt nicht von einem wirklichen freien Willen gesteuert werden.
Es gibt also durchaus Argumente zu sagen, Sanktionen sollte man abschaffen oder bleiben lassen. Unser Rechtssystem steht allerdings auf einem völlig anderen Standpunkt, im Strafrecht sowieso. Das gesamte öffentliche Recht ist durchzogen von einem System von Ordnungsgeldern, Geldbußen und so weiter. Dazu gehören dann auch das Sozialrecht und die hier angesprochenen Sanktionen im Bereich vom SGB II. Und selbst im Zivilrecht, das eigentlich ganz andere Ausgleichsmechanismen hat, nämlich Schadenersatz und Bereicherungsausgleich, finden sich an zahlreichen Stellen Sanktionsnormen. Wer das nachlesen will, ein Freund von mir, Frank Bohn, hat über diese Sanktionsnormen im BGB promoviert.
Was auffällt an dieser Debatte und was mir auch an dem Antrag aufgefallen ist bei Herrn Foerster: Mir fehlen die Alternativen. Was wollen Sie denn an die Stelle von diesen Sanktionen setzen? Denn diese Sanktionen werden ja nicht,
diese Sanktionen werden nicht verhängt, jedenfalls nicht primär, um die Staatskasse zu bereichern, sondern Hintergrund ist, dass den meisten Menschen, die mit solchen Sanktionen belangt werden, die Steuerungsfähigkeit, die Fähigkeit, eigeninitiativ ihren Tagesablauf zu strukturieren, fehlt. Deswegen wird mit Terminen, mit Vorgaben eingegriffen, um vorsichtig darauf hinzuwirken, dass diese Personen wieder in die Lage versetzt werden,
Die Zahlen: Nur 3,2 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger werden mit solchen Sanktionen überzogen. Von denen gehen, das hat der Herr Minister schon gesagt, 4,3 bis 4,4 Prozent ins Widerspruchsverfahren. Noch viel weniger klagen dann. Das sind dann allerdings, das Klageverfahren von den wenigen – unter ein Prozent, die die Klage ansteuern –, von denen sind dann etwa ein Drittel erfolgreich. Das sind meistens in der Tat eklatante Fehlsanktionen.
Das heißt also, es gibt soziologische, religiöse oder sonstige Gründe, diese Strafpraxis infrage zu stellen. Aber dies entspricht mitnichten dem geltenden Recht, und hier steht nicht die Sanktion im Vordergrund, hier steht das Ziel der Sanktion im Vordergrund, geordnete Tagesablaufstrukturen herbeizuführen – durch Zwang, in der Tat. 76 Prozent aller verhängten Sanktionen im Hartz-IVBereich werden verhängt, weil Termine nicht wahrgenommen wurden, das heißt also, genau das, worum es geht, Menschen dazu zu zwingen, aufzustehen, sich einigermaßen geordnet fertigzumachen und um 10.00 Uhr oder um 11.00 Uhr oder von mir aus auch um 16.00 Uhr einen Vorstellungstermin oder einen Beratungstermin wahrzunehmen. Das ist das, was nicht funktioniert, und das wird sanktioniert.
Dann kommt das Argument mit dem Existenzminimum, das Sie auch gebracht hatten. Dazu möchte ich zum einen sagen, als damals umgestellt wurde von dem klassischen Arbeitslosen-/Arbeitshilfegeld zu Hartz IV, sind in die Hartz-IV-Regelgrößen 16 Prozent sogenannte Einmalleistungen und Ansparleistungen eingestellt worden, die nicht das Existenzminimum betreffen, sondern die den Einzelnen in die Lage versetzen sollten, durch Ansparungen sich auch mal einen kleinen Luxus erlauben zu können. 16 Prozent! Die durchschnittliche Kürzung bei diesen Terminfällen, um die es hier im Wesentlichen bei 76 Prozent geht, beträgt 19 Prozent. Das heißt also, das ist ungefähr deckungsgleich mit dem Bereich, der das eigentliche Existenzminimum gar nicht betrifft. Trotzdem – und auch darauf hat der Herr Minister hingewiesen – keine geldgleichen Einkürzungen bei Menschen mit Kindern, sondern da wird auf Sachleistungen und so weiter umgestellt. Das heißt, da ist schon eine große Bandbreite.
Trotzdem könnte man sich von mir aus Anreizsysteme vorstellen, beispielsweise das Geld wird zurückbehalten und wenn der Betroffene dann die nächsten drei oder fünf Termine ordnungsgemäß wahrnimmt, kriegt er es nachbezahlt, also Anreizsanktion. Einbehalt, aber Anreiz: Wenn du zeigst, dass du umsetzungsfähig bist, kriegst du das Geld zurück. Von mir aus kann man auch durch freiwillige Arbeitsleistungen diesen Betrag kompensieren. Alles das ist diskutabel,
Hinzu kommt noch, wie wollen Sie denn dann mit Hartz-IV-Empfängern umgehen, die aus anderen Gründen sanktioniert werden? Zu schnell gefahren,
Umweltbußen oder sonst irgendwas? Sollen sie die auch nicht bezahlen müssen? Denn da geht es ja auch ans Existenzminimum. Unser ganzes Steuerungssystem, jedenfalls das öffentlich-rechtliche, fußt doch auf solchem Sanktionsdenken. Sollen dann Hartz-IV-Empfänger letztlich generell sanktionsfrei gestellt werden oder wo ist denn der Unterschied zwischen der Sanktion beispielsweise wegen zu schnellen Fahrens oder Fahrens unter Alkoholeinfluss und der Nichtwahrnehmung eines Termins im Rahmen von SGB II? Das alles sind Fragen, die für mich nicht beantwortet sind. Deswegen sehe ich mich, sehen wir uns nicht in der Lage, Ihrem Antrag zuzustimmen. – Danke.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Wenn man sich die Überschrift dieses Antrags anguckt, „Jobcenter und Sozialgerichte entlasten – Hartz-IV-Sanktionen abschaffen“, dann ist das, wenn man was von Dialektik hält, eine dialektische Minderleistung. Also das ist nicht die Frage. Ich bin selten mit Herrn Professor Weber einer Meinung, aber die Frage dreht sich ja im Kern um ein ganz anderes Thema, nämlich grundsätzlich darum, wie stehe ich letztendlich zu Sanktionen im Sozialrecht. Also wenn ich mich zu Sanktionen bekenne und sage, es geht hier darum, dass ich auf der einen Seite Rechte habe und auf der anderen Seite Pflichten, und wenn ich nicht bereit bin, diese Pflichten zu erfüllen, wird das sanktioniert, dann kann ich natürlich nicht argumentieren und sagen, na ja, aber ich lasse jetzt mal meine Haltung fallen, weil Jobcenter und Sozialgerichte sind in irgendeiner Form überlastet und können ihre Aufgaben nicht wahrnehmen. Wenn ich also sage, das ist das, was ich sozialpolitisch als Haltung vertrete, nämlich, dass Sozialleistungen an Voraussetzungen gebunden sind und dass, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt werden, daraus Sanktionen folgen, muss ich sagen, okay, dann müssen einfach Jobcenter und Sozialgerichte besser ausgestattet werden.
Das heißt, vom Kern her dreht sich doch dieser Antrag um folgende Fragen. Auf der einen Seite: Bin ich für das System, was wir haben, was übrigens nicht mit SGB II begonnen hat, sondern letztendlich schon im ehemaligen Bundessozialhilfegesetz quasi tragendes Element war? Damals war es aber in der Tat so, wie es gerade hier geschildert worden ist, dass Leute quasi für jede Unterhose und für jedes Paar Socken, was sie haben wollten, noch einen Antrag stellen mussten auf eine einmalige Bekleidungsbeihilfe. Das hat man im Zuge der Hartz-IVGesetzgebung/SGB-II-Gesetzgebung aufgegeben und hat gesagt, das nehmen wir in die Regelsätze rein. Insofern ist natürlich da noch was vorhanden.
Ich finde, wenn Sie eine derartige Haltung vertreten, Herr Foerster oder Sie als LINKE, müssen Sie beginnen, das anders zu begründen. Dann muss man sich hier hinstellen und sagen, wir sind für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das ist ein anderes Thema. Dann ist man weg von der ganzen Sanktionsschiene, dann ist es in der Tat so, dass jeder, der in diesem Lande lebt, erst mal quasi ein bedingungsloses Grundeinkommen zur Verfügung hat, was letztendlich an nichts geknüpft ist.
Und, Herr Foerster, ich kenne das auch noch. Dazu gab es ja nicht nur ein Gutachten, sondern jede Menge Gutachten, dass es einen bestimmten Sockel bei Langzeitarbeitslosen gibt und dieser Sockel immer in der gleichen Höhe konstant ist, dass also was passiert, aber eben nicht bei den Langzeitarbeitslosen, dass die in der Regel keinen Weg mehr in Arbeit finden. Aber auch die Verhältnisse haben sich ja geändert. Wenn Sie in den Arbeitsmarktbericht der Agentur Nord gucken, in den letzten, dann haben wir einen Rückgang im Bereich der Langzeitarbeitslosen im Zeitraum von Oktober 2016 zu Oktober 2017 in Höhe von 4.565 Personen oder 16,5 Prozent. Also innerhalb eines Jahres ist die Langzeitarbeitslosigkeit in Mecklenburg-Vorpommern um 16,5 Prozent zurückgegangen. Das heißt, wir haben inzwischen auf dem Arbeitsmarkt eine Situation, die letztendlich im Ergebnis dazu führt, dass immer mehr Langzeitarbeitslose einen Job finden, dass sie Arbeit finden.
Sich vor dem Hintergrund auf eine Position zurückzuziehen und zu sagen, wir geben das mit den Sanktionen auf, halte ich für eine schwierige Geschichte. Wir sind eher in einer Situation, dass unser Arbeitsmarkt davon gekennzeichnet ist, dass zunehmend in allen Bereichen die Fachkräfte fehlen. Herzugehen und zu sagen, na ja, aber wir geben das mit den Sanktionen auf und jeder kriegt das, was an Hartz-IV-Leistungen ausgerechnet wird, ausgezahlt, völlig unabhängig davon, wie er oder seine Angehörigen oder wer auch immer sich dazu verhält, halte ich für fragwürdig, nahezu für falsch.
Also man kann sich zu bestimmten Dingen bekennen, Sie können sagen als LINKE, wir sind für ein bedingungsloses Grundeinkommen, was jedem auszuzahlen ist, dann sind Sie weg von dieser ganzen Sanktionsgeschichte – das ist nicht unsere Position an der Stelle, wir bekennen uns zum bestehenden System –, aber einen Antrag zu begründen, wir müssen die Hartz-IV-Sanktionen abschaffen, damit Jobcenter und Sozialgerichte nicht in dem Umfang belastet sind, ist von der Begründung her meines Erachtens nicht durchtragend. Das hat keinen Bestand und deswegen lehnen wir den Antrag ab. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kollegen! Liebe Gäste, die nicht mehr da sind! Es ist ein ehrenwerter Antrag, Menschen, die vom Leben nicht gut behandelt werden und wurden, gegen Sanktionen zu schützen. Die geringste Kürzung der Hartz-IVLeistungen setzt die Bedürftigen unter das Existenzminimum. Allerdings gibt es einen Spielraum. Es gibt dem Leistungsträger die Befugnis, bei Vorliegen besonderer Voraussetzungen im Einzelfall ergänzende Hilfen zu gewähren und die Grundsicherung der Leistungsbezieher sicherzustellen. Erstmalige Verletzungen, Verfehlungen sind folgenlos und es wird im Einzelfall konkret verständlich und ausreichend begründet, womit der Leistungsempfänger bei weiteren Verfehlungen zu rechnen hat.
Meldeversäumnisse haben sich seit 2007 bis 2016 fast verdoppelt, von 417.407 auf 713.901. Als sehr erfreulich zeigen sich die Zahlen bei der Weigerung, eine Arbeit oder Ausbildung auf- oder an der Fortführung einer Maßnahme teilzunehmen. Von 2007 183.482 auf 2016 93.327
ist diese Zahl bei der Weigerung, an einer Ausbildung oder Fortführung einer Maßnahme teilzunehmen, erfreulicherweise zurückgegangen. Am häufigsten betroffen sind Arbeitslosengeld-II-Empfänger unter 25 Jahren. Im April waren es 3,7 Prozent aller unter 25-Jährigen. Bei den 25- bis 55-Jährigen betrug die Sanktionsquote 3,5 Prozent und bei den über 55-Jährigen 0,8.
Es besteht grundsätzlich eine Melde- und Mitwirkungspflicht. Die Menschen, die sich an die Regeln halten, werden von denen in Misskredit gebracht, die resignieren, keine Lust haben, sich einer Regelmäßigkeit zu unterwerfen, aber auch wissentlich Hartz IV als Grundstock für ein einfaches Leben, auf welches sich manche eingerichtet haben, nutzen. Wie heißt es so schön? Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Es gibt leider immer Menschen, die sich diese Vorteile erschleichen wollen, und denen ist es vollkommen egal, ob die Menschen, die sich an Regeln halten, unter Misstrauen und Missbilligung leiden müssen und stigmatisiert werden.
Um die große Zahl an Hilfeempfängern zu schützen, ist man gezwungen, Sanktionen beizubehalten. Da kann man nicht nach Kosten-Nutzen-Verhältnis gehen. 66,3 Prozent, zwei Drittel der über 55-Jährigen, leben seit vier Jahren von Hartz IV. Das bedeutet doch, zu alt, zu krank, um sich Arbeit zu suchen oder vermittelt zu werden. Sie werden in Rente geschoben. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, da sollte man auf jeden Fall ab einer bestimmten Gruppe von Sanktionen absehen. Das ist meine persönliche Meinung. Da nützt keine Umschulung, das ist dann nur noch eine schikanöse Beschäftigungstherapie. Jeder Mitarbeiter im Amt wird diesen älteren Langzeitbeziehern sagen, wir haben nichts für Sie. Diese Menschen sind schon arm dran, körperlich und seelisch. Diese Gruppe muss meiner Meinung nach aus den Sanktionen raus. Es muss differenziert werden. Aber grundsätzlich geht das System nicht ohne Sanktionen. – Danke schön.
Das wissen Sie auch, denn wir Parteien werden ja häufig dafür kritisiert, dass alles Einheitsbrei ist und alle sowieso bei jedem Thema sich einig sind und sich alles so weit angenähert hat. Ich finde, dieses Thema, was mein geschätzter Kollege Foerster heute hier aufgerufen hat,
ist immer ein schönes Beispiel dafür, wie weit uns inhaltlich hier so einiges trennt bei diesem Thema, denn Sie sind ja bei dem Thema sehr versiert, aber natürlich bringen Sie immer nur die halbe Wahrheit und legen nicht alle Fakten auf den Tisch, und darauf möchte ich in meiner Rede gerne eingehen.
Der Antrag und das Thema sind ja nicht ganz neu. Bereits im Februar 2016 hat DIE LINKE hier im Landtag Ähnliches gefordert und jetzt, wo der Kollege Foerster wieder zurück ist hier im Schloss, wird das Thema natürlich wieder aufgewärmt,
also ein Antrag „Alter Wein in neuen Schläuchen“. Für mich ist schon fraglich, ob die Datenbasis, die vorliegt zu dem Thema und was die Sanktionen hier in Mecklenburg-Vorpommern angeht, reicht, um diesen Eingriff, den Sie hier vorschlagen, zu tätigen, denn Sie wollen ja ganz klar die Sanktionen abschaffen, nicht irgendwo reformieren, sondern Sie sagen, Sie wollen das abschaffen.
Wenn man sich die Zahlen mal anschaut, im Juni 2017 waren in Mecklenburg-Vorpommern 3.728 Erwerbslose von zumindest einer Sanktion betroffen. Die durchschnittlichen Leistungskürzungen...