Meine sehr verehrten Damen und Herren, sollten Sie tatsächlich ein Modellprojekt in der Landesverwaltung für entbehrlich halten, dann fordere ich Sie mit dem Erfahrungsschatz aus den Modellprojekten der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie vom Modellprojekt in den neuen Bundesländern, in den USA, Kanada, Großbritannien und Belgien auf, ein Gesetz für unser Bundesland zu erarbeiten! Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, setzen Sie ein Zeichen gegen Diskriminierung und für die Gleichstellung aller Menschen, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Ich freue mich auf eine Debatte ohne Aufgeregtheit und natürlich über Zustimmung für unseren Antrag. – Herzlichen Dank.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 30 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Ums Wort gebeten hat der Minister für Finanzen des Landes Mecklenburg-Vorpommern Mathias Brodkorb. Bitte schön.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode bereits einen gleichlautenden Antrag beraten. Der Antrag wurde seinerzeit abgelehnt. Seither hat es substanziell keine Veränderungen gegeben, die die Einführung des anonymisierten Bewerbungsverfahren in der Landesverwaltung zwingend erforderlich machen.
Dabei steht außer Frage, dass das anonymisierte Bewerbungsverfahren ein geeignetes Mittel sein kann, um die Diskriminierung von bestimmten Bewerbergruppen zu unterbinden. Es sollte dabei eine Selbstverständlichkeit sein, dass Bewerber allein aufgrund ihrer nachgewiesenen Fähigkeiten zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden.
Nun ist es bei öffentlichen Arbeitgebern aber so – Herr Ritter hat bereits darauf hingewiesen –, dass es konkrete gesetzliche Vorgaben und damit auch Rechtsmittel gibt, falls diesem Grundsatz zuwidergehandelt wird. Im Übrigen führt genau dies bisweilen zu erheblichen Verzögerungen bei der Besetzung von Stellen in der öffentlichen Verwaltung.
Die Landesverwaltung ist demnach aus meiner Sicht das falsche Zielobjekt. In der Landesverwaltung ist es so, dass streng anhand der Ausschreibungskriterien, die die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung vorgeben, eine Auswahl vorgenommen wird, bei der Punkte für das Vorliegen der jeweiligen Kriterien vergeben werden. Die daraufhin ermittelten Bewerber werden anschließend zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen. Die Auswahl der einzuladenden Bewerber erfolgt transparent und ist für Personalvertretung und Interessenvertreter klar nachzuvollziehen.
Auch wenn es selbstverständlich ist, hier noch einmal deutlich zur Klarstellung: Es werden keine Punkte für das Geschlecht, das Alter oder die Herkunft vergeben. Das sind die Grundlagen, nach denen die Landesverwaltung Bewerbungsverfahren durchführt. Es gibt darüber hinaus auch keinen tatsächlichen Anhaltspunkt dafür, dass bestimmte Bewerbergruppen bei fachlich gleicher Eignung benachteiligt werden. Hierzu an dieser Stelle vielleicht einige Zahlen: Die gesetzlich vorgeschriebene Quote von 5 Prozent für den Anteil von schwerbehinderten Menschen lag in der Landesverwaltung seit 2014 stets über 7 Prozent und der Anteil von Frauen aktuell bei 58,27 Prozent, und dies alles ohne anonymisierte Bewerbungsverfahren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu passen im Übrigen auch die Ergebnisse des Pilotprojektes, das die Antidiskriminierungsstelle des Bundes durchgeführt hat. Dort kam man zu dem Schluss, dass ein qualifikationsorientiertes Verfahren, also eines, wie es in der Landesverwaltung praktiziert wird, ebenso geeignet sein kann, strukturellen Ungleichheiten entgegenzuwirken, wie ein anonymisiertes Verfahren. Objektiv betrachtet müssen wir also nicht zwingend unser Bewerbungsverfahren umstellen. Sie merken es vielleicht, ich bin in dieser Frage deshalb etwas leidenschaftslos. Man kann das eine oder das andere tun, so, wie sich die Linksfraktion offenbar dafür entschieden hat, auf ein anonymisiertes Verfahren zu setzen. Allerdings plädiere ich dann dafür, dass gleiches Recht für alle gilt, dass nämlich jeder Dienstherr selbst entscheidet, nach welchem Bewerbungsverfahren er verfahren möchte.
Insofern würde ich unabhängig davon, wie mit diesem Antrag durch Sie verfahren wird, zusagen, dass das Finanzministerium selbstverständlich jeden Minister oder jede Ministerin dabei unterstützen würde, das anonymisierte Bewerbungsverfahren zu etablieren oder zu erproben. Allerdings halte ich es nicht für erforderlich, den einzelnen Dienstherrn der Ministerien dies vorzuschreiben. – In diesem Sinne danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich auf eine spannende Debatte.
Ja, sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren Abgeordnete! Werte Gäste! Liebe Bürger des Landes!
Herr Ritter, Sie und die Linksfraktion möchten also ein anonymisiertes Bewerbungsverfahren in der Landesverwaltung modellhaft erproben. Dazu stellen sich uns erst mal zwei Fragen oder auch Zweifel. Die erste Frage ist, ob es am Ende bei diesem Modellversuch bleiben soll oder ob nicht vielmehr in einer Politik der kleinen Schritte nach und nach dieses anonymisierte Verfahren insgesamt durchgesetzt werden soll, also auch in der Privatwirtschaft. Das wäre einfach eine Frage an Sie. Es wäre schön, wenn Sie dazu etwas sagen könnten. Und zweitens: Warum erwähnen Sie ausgerechnet den Landesrechnungshof? Dazu kommen wir vielleicht später auch noch mal.
Insgesamt kann ich sagen, Ihr Vorschlag ist sicherlich gut gemeint. Diskriminierungen sollen vermieden werden, das heißt, Sie sind für Chancengleichheit und für Fairness. Chancengleichheit und Fairness sind auch Werte, die die AfD hochhält. Da könnten wir uns vom Prinzip her anschließen. Aber – nun kommt natürlich das Aber – es geht, denke ich, auch mit anderen Verfahren wesentlich besser.
Zuerst müssen wir festhalten, dass in der Landesverwaltung und beim Landesrechnungshof häufig Beamtenpositionen zu besetzen sind. Hier sind einige Informationen einfach zwingend erforderlich, nämlich die Staatsangehörigkeit, das Lebensalter, das Geschlecht und die Schwerbehinderung. Die gesetzlichen Normen könnte ich Ihnen jetzt alle vorlesen.
Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 vom BeamtStG dürfen nur Menschen berufen werden, die „Deutsche oder Deutscher“ sind „im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes“.
LBG M-V dürfen nur Beamte auf Probe berufen werden, wenn sie „das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet“ haben.
Norm, Paragraf 82 im SGB IX: Schwerbehinderte müssen eingeladen werden, es sei denn, die Eignung ist offensichtlich nicht vorhanden.
Absatz 1 GlG M-V beachtet werden, weil wir sonst eine Unterrepräsentanz verschiedener Geschlechter haben könnten.
Das heißt, insgesamt gibt es dort eine Fülle von gesetzlichen Vorschriften. Nach Paragraf 9 BeamtStG geht es eben um Eignung, Befähigung und fachliche Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnische Herkunft, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, politische Anschauung, Herkunft, Beziehung oder sexuelle Identität.
Jeder Bewerber um einen Arbeitsplatz bei einem öffentlichen Arbeitgeber hat einen gerichtlich überprüfbaren Anspruch auf ein Verfahren nach Artikel 33 Absatz 2 des Grundgesetzes. Das ist nämlich der Grundsatz der Personalauswahl im öffentlichen Dienst: „Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.“ Und es erstaunt mich schon sehr, wenn Sie alle diese Gesetze anzweifeln und der Meinung sind, sie würden eventuell nicht korrekt umgesetzt. Das widerspricht dem Staatsverständnis, was wir allgemein insgesamt haben. Gesetze sind einzuhalten, Vorschriften sind einzuhalten und natürlich und insbesondere im öffentlichen Dienst. Der Vorwurf der Diskriminierung läuft also formal ins Leere.
Über alle formalen Aspekte hinaus halte ich aber auch nichts von Trick 17 der Selbstüberlistung, sondern es geht darum, dass sich die Personalverantwortlichen ihren Vorurteilen stellen, die jeder hat. Jeder von uns hat Vorurteile und diesen Vorurteilen muss man sich stellen und muss sie bewältigen – und, wie gesagt, nicht versuchen, sich selber dabei zu überlisten.
Bei einem anonymisierten Bewerbungsverfahren werden die Probleme bestenfalls von der ersten Bewerbungsphase verschoben in die zweite Bewerbungsphase. Das heißt, es werden erst mal viel mehr Bewerber eingeladen, die vielleicht gar nicht infrage kommen, aber man lädt sie erst mal ein
und muss sie dann in der zweiten Phase wieder aussortieren. Das ist ein enormer Aufwand und im Übrigen auch ein enormer Bürokratieaufwand,
denn die Bewerbungen müssen ja erst mal anonymisiert werden. Da muss jemand sitzen, der alle Angaben, die irgendwie auf die Person Rückschlüsse zuließen, wieder schwärzt oder streicht, oder Sie müssen von vornherein Formulare entwerfen, also ein sehr bürokratischer und formaler Ablauf.
Zweitens haben Sie auch eine diskriminierende Wirkung, wenn Sie auf ein anonymisiertes Verfahren umsteigen, denn gerade die Bewerber, die vielleicht nicht so gute Schulnoten oder Zeugnisnoten haben, haben dann ein Problem, sich in ihrer Gänze vorzustellen als Person. Das Ganze wird ja sehr reduziert auf Schulnoten, auf Zeugnisnoten, und das ist eigentlich heute nicht mehr zeitgemäß, denn es geht nicht nur um diese formalen Abschlüsse, sondern die Bewerber möchten sich in ihrer Gänze als Person vorstellen. Es geht eben um den ganzen Menschen und nicht nur um die Person.
Dann sagen Sie in Ihrem Antrag, die Landesregierung soll Ende 2018 berichten, gleichzeitig verweisen Sie aber auch schon auf Modellprojekte anderer Bundesländer. Da greife ich Ihren Vorschlag gerne auf, den Sie gerade nannten, man sollte doch erst die Erkenntnisse anderer Bundesländer berücksichtigen und auswerten. Sie könnten ja hier vielleicht mal vortragen, wie diese Erfahrungen sind. Ich habe dazu jetzt nichts gefunden. Ich habe nur gefunden, dass es Studien, zum Beispiel aus Schweden, gibt, die eigentlich niederschmetternd sind. Dort kam nämlich im Ergebnis dabei heraus, dass sich gar nichts geändert hat, außer sehr viel mehr Arbeit und Bürokratie für die Arbeitgeber. Ähnliche Studien liegen auch aus Großbritannien, USA, Schweiz, Frankreich und Italien vor.
Jetzt kann man natürlich glauben, die Deutschen können wieder alles besser als alle anderen. Das wäre jetzt vielleicht ein Vorurteil, was Sie mir entgegenbrächten, dass ich so etwas glaube. Das tue ich aber gar nicht. Ich bin der Meinung, wir können sehr gerne von den Erfahrungen anderer Länder lernen und brauchen nicht die gleichen Fehler noch einmal zu machen.
Wie ist die Wirkung von anonymisierten Bewerbungsverfahren auf die Bewerber? Die Bewerber werden nicht als Gesamtperson gewürdigt, sie bekommen ein Gefühl der Ohnmacht. Das war das Ergebnis aus diesen Studien. Und bei dem Einstellenden, also bei dem Personalleiter, bleibt das Gefühl zurück, dass seine Expertise gar nicht gewürdigt wird, gar nicht beachtet wird. Er fühlt sich wie ein Computer, der eine Checkliste abhakt, und kann gar
nicht mehr überprüfen, ob jemand ins Team passt – ja oder nein –, weil er einfach nur nach den formalen Kriterien vorgeht.
Letztlich ist auch noch zu befürchten, dass wir anschließend eine Klagewelle bekommen, weil viele Bewerber eben erst mal eingeladen sind, das dann auch missverstehen in der Form, dass sie meinen, sie wären sehr gut geeignet, dann aber in der zweiten Runde wieder herausfallen und das womöglich auf eine Besonderheit ihrer Person zurückführen.
Ja, nun komme ich noch mal zum Landesrechnungshof zurück. Ich würde doch gerne wissen, warum Sie ausgerechnet den Landesrechnungshof erwähnen und nicht zum Beispiel den Landtag, der wäre ja gleichrangig in der Hierarchie. Ich habe die Vermutung, dass Sie sich mit Frau Sellering beschäftigen, warum gerade Frau Sellering eingestellt wurde.
Das finde ich ein bisschen verdruckst, diesen Versuch, das so hintenherum durch die Brust ins Auge zu machen. Wenn Ihnen dabei irgendwas nicht passt, dann sagen Sie es doch einfach!
Ja, dann wäre es eigentlich besser, man spricht das genau an und will jetzt nicht gleich Hunderte oder Tausende von Bewerbern durch ein anonymisiertes Verfahren jagen.
(Peter Ritter, DIE LINKE: In diesem Zusammenhang haben wir diesen Antrag angekündigt, mit dieser Einstellung.)
Eben, ich finde es einfach unangemessen, ein ganzes Verfahren zu ändern oder ändern zu wollen, nur, weil einem eine einzelne Einstellung nicht passt.
Herr Ritter, darüber können wir gerne nachher noch mal sprechen, Sie haben ja Gelegenheit zu erwidern.
Mein Fazit ist, dass die rechtliche Situation vollkommen ausreichend ist und auch vor Diskriminierung schützt. Faktisch hat jeder Mensch Vorurteile, und denen sollte man sich stellen. Diesen Vorurteilen sollte man sich stellen, daran arbeiten und nicht versuchen, sich hinter formalen Tricks zu verbergen. – Vielen Dank.