Protocol of the Session on December 10, 2020

Hier stehen schon über zwei Minuten.

(Schriftführer Dr. Wolfgang Weiß: Nee, nee, geht schon los.)

Ich wollte doch meine Redezeit mal ausschöpfen.

(Schriftführer Dr. Wolfgang Weiß: Ich wollte ja nicht, bevor Sie loslegen.)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, der Minister hat schon die richtigen Worte gefunden. Wir müssen auf die Verhältnisse Rücksicht nehmen, aber wir müssen auch noch viel tun. Und das Anliegen ist ein richtiges und wichtiges Anliegen. Dessen ungeachtet halte auch ich es für nicht umsetzbar, und das aus Gründen, die ich Ihnen gleich vortragen werde.

Also die Barrierefreiheit der Wahllokale liegt erst mal in der Zuständigkeit der Gemeinden, also der Kommunen, und die Gemeindewahlbehörde bestimmt für jeden Bezirk, für jeden Wahlbezirk einen geeigneten Wahlraum. So ist das ja festgelegt. Und Wahlbezirke sollen nicht mehr als 2.500 Menschen sein oder Wählerinnen und Wähler, nein, Menschen, Einwohner, hier geht es um Einwohner. Und in der Realität ist es natürlich so, dass wir die ganz überwiegende Anzahl der Wahllokale für wesentlich weniger Einwohner haben, weil wir haben eigentlich in allen Gemeinden Wahllokale.

Aber wir haben ja ganz viele Gemeinden, die kommen an 2.500 Einwohnerinnen und Einwohner überhaupt nicht ran. Und wir haben sogar kleinere Gemeinden, die haben zwei Wahllokale, weil die halt örtlich so seltsam zuge

schnitten sind, weil nämlich es auch im Sinne der Wahlgesetze ist – das wurde auch schon gesagt –, dass die Wahllokale gut erreichbar sein sollen für alle. Die sollen gut erreichbar sein, und das spielt auch dabei eine Rolle, und deswegen dürfen alle Bemühungen dahin, mehr Barrierefreiheit zu schaffen, nicht dazu führen, dass Wahllokale reduziert werden. Dann hätten wir, glaube ich, allen Wählerinnen und Wählern einen Bärendienst erwiesen.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das ist nicht unser Ansinnen.)

Und genau das, fürchte ich, würde passieren, wenn wir an jedes Wahllokal die absolute Barrierefreiheit ansetzen würden als Maßstab. Und das sind für mich zwingende Gründe, nicht mit der Brechstange vorzugehen, sondern das weiterzuentwickeln – behutsam, aber ständig. Und mit jedem Lokal, das neu geschaffen wird – ich meine, Wahllokal, nicht Kneipe oder so was –, als Wahllokal hergerichtet, da kann man diesen Maßstab getrost schon ansetzen, aber all die Räumlichkeiten, jetzt hauptsächlich Räumlichkeiten im Eigentum der Gemeinde, die ja bevorzugt dafür auch genutzt werden sollen, die eben nicht barrierefrei, ohne unüberwindbare Hindernisse praktisch hergerichtet werden können, müssen nach wie vor weiter zu nutzen sein.

Und, Herr Koplin, Sie sprachen eben vom ÖPNV, Erreichbarkeit und Parkplätze. Ich glaube, in der Fläche, so bei den kleineren Gemeinden haben wir mit den Parkplätzen keine Probleme, mit dem ÖPNV allerdings schon. Am Sonntag findet der ganz einfach nicht statt. Und da ist es mitunter wesentlich besser für alle, einen Fahrdienst gegebenenfalls zu organisieren für Menschen, die halt so schwer behindert sind, dass sie auch körperliche Beeinträchtigungen in Bezug auf ihre Fortbewegung haben, als dass wir überall Wahllokale errichten und die müssten dann neu errichtet werden, die eben barrierefrei zugänglich sind.

Also, lieber kleine Schritte zielgerichtet als mit der Brechstange, weil das kriegen wir, glaube ich, nicht hin. – Vielen Dank!

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Vielen Dank, Frau Tegtmeier!

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU die Abgeordnete Frau Friemann-Jennert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist schon jede Menge gesagt worden. Ich will mich nur auf einige wenige Aspekte noch kaprizieren.

Mit dem Antrag wird die Zielstellung verfolgt, eine barrierefreie politische Teilhabe, insbesondere im Hinblick auf die im nächsten Jahr stattfindenden Landtags- und Bundestagswahlen zu ermöglichen. Und stellt man einmal den Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention und die Landes- und Kommunalwahlordnung MecklenburgVorpommern gegenüber, so ist festzustellen, dass für Menschen mit Behinderung bereits jetzt die politische Teilhabe möglich ist.

So sieht beispielsweise der Paragraf 34 der Landes- und Kommunalwahlordnung vor, dass wahlberechtigte Per

sonen Hilfeleistungen bei der Stimmabgabe in Anspruch nehmen können, etwa durch eine Hilfsperson oder auch durch technische Hilfsmittel wie zum Beispiel die schon genannte Stimmzettelschablone für sehbehinderte Menschen. Weiterhin besteht nach Paragraf 12 LKWO Absatz 6 für die Gemeindewahlbehörde die Möglichkeit, sogenannte bewegliche Wahlvorstände zu bilden, die für einen bestimmten Zeitraum eine Einrichtung aufsuchen können, um dort die Stimmabgabe zu ermöglichen.

Und Ziel ist es natürlich auch immer, dass die Wahlräume barrierefrei zugänglich sind, Entsprechendes ist auch in der LKWO festgehalten. Dabei ist jedoch zu beachten, dass dies nicht immer und überall möglich sein kann. Schließlich stehen den Kommunen nur eine begrenzte Anzahl an Räumlichkeiten zur Verfügung. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass zusätzliche Anmietungen mit zusätzlichen Aufwendungen verbunden sind, ist dies nicht beziehungsweise nicht sofort für jede Kommune leistbar.

Hinzu kommt, dass Menschen ganz unterschiedliche körperliche oder geistige Beeinträchtigungen haben können. Es müssten demnach neben der Herstellung der räumlichen Barrierefreiheit noch weitere technische Hilfsangebote vorgehalten werden, und dabei soll den Kommunen keineswegs die Bereitschaft und die Bemühungen abgesprochen werden, alles Mögliche zu unternehmen, um ausreichend barrierefreie Wahlräume vorzuhalten. Wie gesagt, das sind oftmals auch finanzielle und organisatorische Grenzen, die da im Wege stehen.

Und im Vorfeld über die Barrierefreiheit der Wahlräume zu informieren, sind die Gemeindewahlbehörden gemäß Paragraf 29 LKWO verpflichtet, im Rahmen der Wahlbekanntmachung über die örtlichen Gegebenheiten dann auch zu informieren. Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf die Möglichkeit der Briefwahl, für die gegebenenfalls Hilfeleistungen in Anspruch genommen werden können. Und gerade in Zeiten der Corona-Pandemie wird die Briefwahl für Menschen mit Behinderungen eine wichtige Bedeutung einnehmen, um ihre Stimme abgeben zu können. Das wird aller Voraussicht nach auch die Landtags- und Bundestagswahl im nächsten Jahr betreffen.

Abschließend ist auch auf die gestern beschlossene Anpassung des Landes- und Kommunalwahlgesetzes hinzuweisen. Damit wurde die im Bundeswahlrecht verankerte Assistenzregelung für Menschen mit Behinderungen nun in das Landes- und Kommunalwahlrecht Mecklenburg-Vorpommern übernommen.

(Die Abgeordnete Jacqueline Bernhardt fotografiert.)

Einen Moment, Frau Friemann-Jennert!

Also hier ist kein Fotoklub, nicht, dass ich wüsste, und wir haben hier Regeln im Plenarsaal, die ich doch bitte einzuhalten.

Jetzt können Sie fortfahren.

Also dadurch wurde auch für die Landtags- und Kommunalwahlen rechtliche Sicherheit geschaffen, um Men

schen mit Behinderungen die Stimmabgabe mit einer Hilfsperson zu ermöglichen und zugleich die selbstbestimmte Willensbildung sicherzustellen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass insbesondere auf den Seiten des Bundeswahlleiters bereits Informationen zum barrierefreien Wählen für Menschen mit Behinderungen, aber auch für Wahlvorstände und Gemeinden zur Verfügung stehen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie stellen also vielleicht fest, dass das Land bereits eine Vielzahl von Möglichkeiten rechtlich verankert und vorgesehen hat, um den Menschen mit Behinderungen die politische Teilhabe zu ermöglichen. Ich bin davon überzeugt, dass dort, wo entsprechende Handlungsbedarfe auftreten, das Land auch zukünftig in Zusammenarbeit mit der kommunalen Ebene nach Möglichkeiten suchen wird, die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen weiter zu verbessern. Und genau darüber reden wir auch gerade jetzt in dieser Zeit mit den Betroffenen, mit den Behindertenverbänden, wo wir ja für den Mai den Tag der Menschen mit Behinderungen vorbereiten. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Den Antrag werden wir ablehnen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU)

Vielen Dank, Frau Friemann-Jennert!

Das Wort hat noch einmal für die Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Herr Koplin.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Es war uns ja klar, dass Sie diesen Antrag ablehnen. Spannend ist ja eigentlich immer, was Sie so an Gründen anführen, warum Sie einer Sache, die wir unterbreiten, nicht zustimmen können. Und da gibt es ja die Klassiker, das lasse ich jetzt mal außer Acht.

Aber was mich so konsterniert, ist, dass Sie so unambitioniert sind. Wenn da wenigstens so der Biss gewesen wäre, ja, also, das gilt hier, die UN-Behindertenrechtskonvention ist eine Konvention, die wir uns zu eigen gemacht haben, und wir stellen fest, wir können noch nicht alle Kriterien vollständig erfüllen – das haben wir ja auch dargelegt in unserem Antrag im Feststellungsteil –, dass daraus die Ambition erwächst zu sagen, ja, wir werden uns das und das schrittweise vornehmen und auf dem Weg werden wir uns mehr und mehr diesem Ideal, das Sie ja, Herr Minister, auch noch mal mit Blick auf den Maßnahmenplan selbst erwähnt haben, werden wir uns dem nähern, aber keineswegs.

(allgemeine Unruhe – Glocke der Vizepräsidentin)

Und das ist, das ist nicht nur traurig, das ist irgendwie erbärmlich, muss ich sagen,

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE – Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Richtig!)

weil es geht hier nicht, wie es gesagt wurde, es geht nicht um Ziele – also da müsste sich nicht der Minister Ziele stellen –, sondern rechtliche Normen. Regierung und auch wir selber sind gebunden an solche Konventionen und da können wir uns das nicht aussuchen. Wir

können feststellen, dass wir das Ideal noch nicht erreicht haben, und dann erwächst daraus die Notwendigkeit zu sagen, wie gehen wir dann weiter. Ich komme nachher noch mal zu Zahlen, wo das hinführen würde, wenn wir so weitermachen.

Die AfD überrascht mal so, mal so. Diesmal gibt sie den Regierungssprecher und sagt, Mensch, also Deutschland müsste Vorbild der Welt sein, wir sind doch schon so gut und so. Ich finde, wir fallen immer mehr zurück. Wir fallen in Wirtschaftsfragen zurück, in Fragen der Forschung, was Patententwicklung betrifft,

(Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD)

im Klimaschutz fallen wir zurück.

(Thomas de Jesus Fernandes, AfD: Bildung!)

Und hier zumindest treten wir auf der Stelle und Sie sagen, ist in Ordnung so. Weiß nicht, vielleicht sollten Sie das mit der Alternative in Ihrem Namen noch einmal überdenken.

Frau Tegtmeier gibt Anlass zur Erwiderung, weil Sie sagten, Frau Tegtmeier, es darf nicht dazu führen, dass dann die Zahl der Wahllokale reduziert wird. Das ist mit unserem Antrag in keiner Weise verbunden gewesen. Das darf auch nicht das Ziel sein, im Gegenteil, die Wahllokale sollen wohnortnah sein. Da gibt es gute Beispiele, aber es gibt auch Beispiele, die darauf hinweisen, dass die Entfernungen immer länger werden.

(Jacqueline Bernhardt, DIE LINKE: Ja.)

Und das ist eine Sache, wir haben, welche Auswüchse das nehmen kann, haben wir gerade bei der USPräsidentschaftswahl gesehen, wo dann extrem weit die Wahllokale von den Wohnorten entfernt waren, und die ganzen Hürden, die dann auch noch eine Rolle spielen, gehören hier jetzt nicht hin. Also das ist nicht unser Ansinnen.

Und dass es Geld kostet, das ist klar. Demokratie kostet Geld und eine inklusive Gesellschaft kostet auch Geld. Aber sie zahlt sich in jedem Falle aus, Demokratie, was den Zusammenhalt und die Zukunftsfähigkeit eines Landes betrifft und die inklusive Gesellschaft, weil dann alle Talente, die wir, die die Menschen haben, zum Tragen kommen können, keine Barrieren mehr davor sind. Das ist ja das Anliegen und ist das Ansinnen. Und dass man das nicht von heute auf morgen machen kann, ist völlig klar.

Ich hatte vorhin zwei Zahlen genannt, und zwar 2016 gab es 7,86 Prozent barrierefreie Wahllokale, drei Jahre später waren es 8,69. Das ist ein Delta von 0,83 Prozent in drei Jahren, macht knapp 0,28 Prozent pro Jahr. Wenn wir so weitermachen wie jetzt, nämlich das laufen lassen oder, besser gesagt, gar nichts machen, brauchen wir 326 Jahre, bis wir barrierefreie Wahllokale haben.