Protocol of the Session on May 24, 2012

Ich versuche Sie denn auch zu beantworten. Ja, ich gestatte.

Danke schön, Herr Lindner.

Mir ist jetzt nicht geläufig, aus welcher Kommune Sie kommen.

Stralsund.

Stralsund. Dann würde mich interessieren, wie viel Obdachlose es in Stralsund gibt, weil Sie immer gesagt haben, Sie haben die Zahlen der Kommunen. Wie ist das denn in Ihrer Heimatstadt?

Herr Ritter, darauf kann ich Ihnen jetzt nicht hundertprozentig antworten. Ich würde Ihnen die gern nachreichen. Aber ich habe mich da schon sachkundig gemacht. Unsere Obdachlosen und auch die von Wohnungsnot betroffenen Menschen haben alle eine Unterkunft gekriegt, wir kümmern uns um die Leute vor Ort.

Peter Ritter, DIE LINKE. Danke.

Wie gesagt, das, was für diese Menschen geleistet wird, passiert direkt vor Ort auf kommunaler Ebene. Basierend darauf macht eine bundesweite Erhebung über die gegenwärtige Wohnungslosigkeit, so, wie Sie sie fordern, definitiv keinen Sinn.

Meine Damen und Herren, wir stehen in MecklenburgVorpommern vor ganz anderen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Eine zentrale Herausforderung ist das

Wohnen im Alter. Trotz ausreichendem Wohnraum existieren nicht genug barrierefreie Wohnungen und gerade für eine immer älter werdende Bevölkerung sind diese unabdingbar. Hier besteht definitiv politischer Handlungsbedarf.

(Jörg Heydorn, SPD: Genau.)

Meine Damen und Herren, der Antrag der Fraktion DIE LINKE vermischt kommunalpolitische Bereiche mit Landes- und Bundespolitik und muss sich deshalb wieder einmal den Vorwurf der Polemik gefallen lassen. Wir werden diesen Antrag ablehnen.

(Beifall vonseiten der Fraktion der CDU – Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Na, wenigstens einer klatscht.)

Das Wort hat jetzt für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Abgeordnete Frau Gajek.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Abgeordnete! Wohnungslosigkeit ist schlimm, Wohnungslosigkeit verletzt und macht verletzlich. Kein Dach über dem Kopf, keine eigenen vier Wände zu haben, das ist ein entwürdigender Zustand. Dass zwischen Armut und Obdachlosigkeit wechselseitige Zusammenhänge bestehen, wird niemand bestreiten. Laut einer aktuellen Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind 70 Prozent der Obdachlosen langzeitarbeitslos. Untersuchungen zeigen auch, dass viele – gerade alleinstehende Wohnungslose – aufgrund von psychischen Problemen und/oder Suchtproblemen dauerhaft nicht in der Lage sind, in dem eigenen Wohnraum zurechtzukommen.

Der Terminus „Wohnungsnotfall“ umfasst mehr als Obdachlosigkeit. Die integrierte Wohnungsnotfallberichterstattung, wie von Frau Lück schon benannt, die in Nordrhein-Westfalen seit 2011 existiert, stellt eine Weiterentwicklung der bis 2009 durchgeführten Obdachlosenstatistik dar. Sie umfasst neben kommunal und ordnungsrechtlich untergebrachten wohnungslosen Personen beziehungsweise Haushalten auch Menschen, die bei freien Trägern der Wohnungslosenhilfe institutionell untergebracht beziehungsweise den Beratungsstellen als wohnungslos bekannt sind.

Eine einheitliche bundesweite Berichterstattung können wir Bündnisgrüne nur begrüßen, weil dann die Standards festgelegt werden, wer wie wohnt oder nicht wohnt. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Situation ein Stück weit anders. Und eben wurde ja gefragt nach Stralsund. In Schwerin – das weiß ich – haben wir eine sehr anstrengende Debatte darüber geführt, wo das neue Wohnungslosenheim Unterkunft bekommt. Dort ist es nicht so wie in den alten Bundesländern üblich, dass ich abends bis zu einer bestimmten Zeit ins Haus gehe und morgens wieder rausgehe, sondern hier ist es wie in vielen Städten auch letztendlich Heimcharakter. Ich finde, das muss auch in einer Statistik, wenn sie kommt auf Bundesebene, dann bedacht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Wohnungsnotfälle stellen ein komplexes Problem dar. Die Faktoren, die zur Entstehung von Obdachlosigkeit führen und beitragen können, sind vielfältig und sie sind individuell verschieden. Aus Modellrechnungen, etwa im Rahmen der ein

gangs erwähnten IAP-Studie, lässt sich ein kritisches monatliches Einkommen – man geht von unter 700 Euro aus – ableiten, jenseits dessen eine erhöhte Obdachlosigkeitsgefährdung besteht. Eine lediglich monetär orientierte Betrachtung greift jedoch zu kurz.

Mindestens genauso wichtig sind soziale Faktoren, wie Familie, Freunde, Netzwerke, Gesundheit und eben auch das Geschlecht und die allgemeine Lage am Wohnungsmarkt. Als Hausregel gilt wenig überraschend: Je entspannter sich der Wohnungsmarkt darstellt, insbesondere im Segment kleiner Wohnungen, desto besser sind die Chancen auf individuelle Überwindung von Wohnungslosigkeit. In erster Linie sind die Kommunen für die Vermeidung und Überwindung von Wohnungsnotfällen zuständig, das haben wir eben schon gehört, in besonderen Fällen auch der überörtliche Träger der Sozialhilfe. Dort liegt das entsprechende Wissen vor und dort vor Ort müssen Lösungen gefunden werden.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ist eine zusätzliche Statistik auf Landesebene vor dem oben geschilderten Hintergrund wirklich das, was wir brauchen, um die Problematik der Obdachlosigkeit und des Wohnungsnotfalls anzugehen? Welche Erwartungen knüpfen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, an eine solche Datenerhebung? Welche Entscheidung hängt von diesen Zahlen ab? Darüber sollten wir uns klar werden, bevor wir den Kommunen neue Statistikpflichten auferlegen.

(Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Sinnvoll ist es aus Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, dass das Land den Kommunen dort Unterstützung anbietet, wo sie benötigt wird, gerade auch im Zuge eines möglichen Stadt-Land-Ausgleichs. Dazu aber werden keine Datenfriedhöfe benötigt, dazu braucht es den kontinuierlichen Dialog. Wir lehnen den Antrag ab.

(Beifall vonseiten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat nun für die Fraktion der SPD der Abgeordnete Herr Heydorn.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich will gern mal ein Stück weit in die Geschichte einsteigen, auf der letztendlich auch die Geschichte und die Notwendigkeit von Wohnungsnotfallstatistiken gründet.

Also erst mal: Der Begriff „wohnungslos“ vermittelt ja, es ist jemand ohne Wohnung. Er beantwortet nicht die Frage, warum der ohne Wohnung ist. Gibt es zu wenig Wohnungen? Hat er andere Probleme, dass er nicht in normalen Wohnungen leben kann? Das bleibt an der Stelle unbeantwortet.

Dieses Thema der Wohnungslosigkeit ist ja in erster Linie ein Thema, was in Westdeutschland und in anderen europäischen Ländern entstanden ist. Die Konsequenz war, Menschen verloren ihre Wohnung und sie fanden keine neue mehr. Sie fanden keine neue mehr, weil Wohnraum nicht in dem Umfang vorhanden war, und damit wurde eine soziale Abwärtsspirale in Gang gesetzt, weil jeder, der in irgendeiner Form in einem Wohnungslosenquartier landete, hatte keine Zukunft, der verlor seine Freunde, der verlor gegebenenfalls seinen Arbeitsplatz und so weiter und so fort.

Wenn wir das Thema vertiefen wollen, müssen wir uns die Frage stellen, ob das denn heute noch die Realität ist, und vor allem, ob das die Lebensrealität in Mecklenburg-Vorpommern ist, die ich gerade beschrieben habe. Und wenn man sich eine solche Situation vergegenwärtigt, dann macht es auch Sinn, über das Thema Wohnungsnotfallstatistik zu sprechen, weil solche Statistiken helfen einfach, bestimmte defizitäre Situationen zu belegen. Sie machen deutlich, dass man zusätzlichen Wohnraum braucht, zusätzlich bezahlbaren Wohnraum, dass man bestimmte soziale Hilfsmaßnahmen braucht und so weiter und so fort. Ist das so bei uns in MecklenburgVorpommern?

Und dann ist schon darauf hingewiesen worden, dass die Behebung von Wohnungslosigkeit nicht in den Bereich des Sozialrechtes fällt, sondern in dem Bereich des Ordnungsrechtes sind die Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Hier ist die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedroht und deswegen obliegen die Maßnahmen den Gemeinden, denn die Gemeinden sind in Mecklenburg-Vorpommern zur Beseitigung von Gefahren nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz verantwortlich – auch eine ganz klare Sache.

Und jetzt zu ein paar Beispielen von Ihnen, Frau Lück. Sie sagen, in Thüringen wird auf freiwilliger Basis dokumentiert und da kommt die Aussage, 530 Personen sind wohnungslos. Herr Ritter fragte den Kollegen Lindner, wie viel Wohnungslose es in Stralsund gibt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, weil er gesagt hat, er kennt die Zahlen, und er kannte sie nicht.)

Aber das ist ja inhaltlich zu kurz gesprungen, weil die Frage müsste ja weitergehen, die Frage müsste ja in die Richtung gehen: Warum sind diese Leute in Stralsund oder auch in Thüringen wohnungslos? Sind die deswegen wohnungslos, weil es nicht in ausreichendem Umfang Wohnungen gibt, oder sind die wohnungslos aus anderen Gründen, weil sie persönliche, individuelle Schwierigkeiten haben?

(Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, das werden wir auch nicht beantworten können.)

Ich kenne jetzt die spezielle Situation in Stralsund nicht, aber ich möchte jede Wette darauf eingehen, dass die Leute in Stralsund nicht deswegen wohnungslos sind, weil es in Stralsund nicht in hinreichendem Umfang Wohnraum gibt. Jeden Wohnungslosen in Stralsund könnte man mit fünf oder zehn Wohnungen versorgen, die sind nämlich da.

(Regine Lück, DIE LINKE: Im Gegensatz zu Rostock.)

Das heißt also, die Leerstandsquote an Wohnungen ist viel, viel größer als das, was man letztendlich an Wohnungslosen hat.

Ich gestehe Ihnen zu, Frau Lück, in Rostock ist die Situation ein bisschen anders, aber auch nicht so, dass man quasi den, der nur das Problem hat, keine Wohnung zu haben, nicht mehr mit einer Wohnung versorgen kann.

Ich kenne die Situation in Schwerin, die kenne ich relativ gut. Und auch in Schwerin hätten wir die Möglichkeit, jeden, der wohnungslos gemeldet ist, in dieser Woh

nungslosenunterkunft untergebracht wird, jederzeit ab morgen mit einer Vielzahl mit Wohnungen zu versorgen. Das Problem, was wir haben, ist ein ganz anderes. Das Problem, was wir haben, ist, dass in den Wohnungslosenunterkünften in der Regel Leute sind, die mit dem Thema Wohnen ihre Probleme haben. Die sind in der Regel nicht unter solchen regulären Bedingungen wohnfähig. Das Problem, was wir noch haben, ist, dass wir örtlich aufgrund der gemeindlichen Zuständigkeiten eine völlig differenzierte Versorgungslage haben. Sie haben es gerade beschrieben für Rostock, da müssen die Leute wahrscheinlich morgens raus, abends dürfen sie wiederkommen und dann können sie sich halt da hinlegen.

In Schwerin ist dagegen die Situation ganz anders. Die Leute können sich den ganzen Tag in der Einrichtung aufhalten und die Einrichtung hält auch eine bestimmte Form von Grundversorgung vor. In dem Bereich Betreuung, in dem Bereich Ernährung, in dem Bereich Hygiene, in dem Bereich medizinische Versorgung und auch im Bereich Pflege werden die Leute in der Einrichtung versorgt. So ein Konzept halte ich nicht für schlecht, weil es letztendlich den Grundbedürfnissen der Menschen entspricht,

(Regine Lück, DIE LINKE: Grenzwertig ist es trotzdem, wenn sich niemand vor Ort umguckt.)

aber dieses so herzustellen, obliegt nicht der Zuständigkeit des Landes, sondern es wäre in der Zuständigkeit der Landeshauptstadt, der Stadt Rostock zu sagen, wir machen das jetzt anders, und auch wir sind der Meinung, dass wir wohnungslosen Menschen mit erheblichen individuellen psychosozialen Problemen eine bestimmte Grundversorgung zur Verfügung stellen. Das halte ich für den richtigen Weg, nicht dass man das statistisch dokumentiert. Ich glaube, das bringt an dieser Stelle letztendlich für die Leute keine Verbesserung.

Auf eins würde ich auch gern noch aufmerksam machen: Wenn Menschen jetzt in so eine Wohnungslosenunterkunft kommen, dann gibt es schon unterschiedliche Gründe. Natürlich kommt auch jemand da rein, der jetzt einfach aus seiner Wohnung geräumt worden ist, weil er die Miete nicht bezahlt hat. Aber diese Leute sind auch schnell wieder verschwunden. Ich glaube, dass es sinnvoll ist, wenn man Wohnungslosenunterkünfte dazu imstande versetzen würde, auch ein bestimmtes Cleaning durchzuführen, das heißt also, so schnell wie möglich die Leute im Rahmen eines Assessments einzustufen und die Frage zu beantworten, was für eine Hilfe denn derjenige braucht. Also geht es hier nur um eine Wohnung und kann er die durch die entsprechende zuständige kommunale Stelle morgen haben oder geht es um andere soziale Maßnahmen, geht es um Behandlungsmaßnahmen und so weiter und so fort.

Das wäre schon schön, wenn Wohnungslosenunterkünfte so was leisten könnten, weil das eine wirkliche Hilfe für die Menschen wäre. Nicht, wenn man hergeht und quasi das statistisch dokumentiert. Das macht Sinn in Regionen und in Gegenden, wo letztendlich kein Wohnraum zur Unterbringung von Menschen zur Verfügung steht, um einfach da bestimmte Bedarfe deutlich zu machen. Aber jetzt hier für Mecklenburg-Vorpommern sehe ich diese Sache als nicht besonders dringlich an.

Und wenn ich im Sozialbericht so was machen würde und würde wieder einen Auftrag erteilen, dann würde ich

in vollem Umfang dem Vorschlag der Ministerin folgen. Also beim Thema Wohnraum für ältere Menschen sieht unsere Situation ein bisschen anders aus. Wir haben zwar auch da in hinreichendem Umfang Wohnraum, aber der ist nicht in dem Umfang zugänglich, wie ältere Menschen es letztendlich brauchen. Also wir werden den Antrag ablehnen und ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Das Wort hat nun für die Fraktion der NPD der Abgeordnete Herr Müller.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Thematik Wohnungslosigkeit hat in der Form von Kleinen Anfragen und eines Antrages in der vergangenen Wahlperiode hier im Landtag bereits eine Rolle gespielt. Doch leider wurde bisher durch die Haltung, die wir heute ja gehört haben, der Fraktionen von SPD und CDU auf diesem Gebiet nichts erreicht. Ich erinnere an die Debatte vom 21. Oktober 2008, als die LINKE forderte, zumindest den Bericht zur Vermeidung und Behebung von Wohnungslosigkeit im Land aus dem Jahr 2000 fortzuschreiben.

Der heutige fürstlich alimentierte EU-Parlamentarier Werner Kuhn erklärte, man könne auch eine Kaltmiete für 3,50 Euro bekommen. Das seien letztendlich Unterkunftskosten, die man auch bei Arbeitslosengeld II mit den entsprechenden Betriebskosten realisieren könnte. Frau Sozialministerin Schwesig erklärte, dass der Antrag – genau wie heute – aus Kostengründen nicht umsetzbar sei.