Protocol of the Session on May 24, 2012

Die Landesregierung dieses Landes hält es dagegen nicht einmal für notwendig, vorhandene Daten zusammenzutragen und wenigstens den Versuch zu unternehmen, sachgerecht zu antworten. Und – das will ich hier an dieser Stelle anbringen – das scheint der übliche Informationsstil dieser Regierung zu sein. Man will die Opposition möglichst dumm halten. Wer nichts weiß, kann nicht agieren, oder wird vorgeführt. Ich kontere: Wer unbequemen Fragen aus dem Weg geht, provoziert parlamentarische Initiativen.

Ich schaue nach Nordrhein-Westfalen. Nordrhein-Westfalen erhebt seit 1965 jährlich Daten über Obdachlosigkeit. Seit Jahren verschafft man sich einen Überblick über die Zahl obdachloser Personen, ihre Art der Unterbringung und die Gründe der Obdachlosigkeit. Und seit 2011 gibt es eine neue Qualität in Nordrhein-Westfalen. Eine integrierte Wohnungsnotfallberichterstattung wurde neu etabliert. Neben kommunal- und ordnungsrechtlich untergebrachten wohnungslosen Menschen beziehungsweise Haushalten werden jetzt auch Personen erfasst, die bei den freien Trägern der Wohnungslosenhilfe institutionell untergebracht sind oder zumindest den Beratungsstellen als wohnungslos bekannt sind. Das ist einmalig in Deutschland. Und das Ergebnis ist erschreckend.

Hören Sie hin: In NRW sind fast 16.500 Menschen wohnungslos gemeldet, davon 10.132 Personen behördenrechtlich untergebracht. Weitere 6.316 wurden von den Einrichtungen der freien Träger der Wohnungslosenhilfe als wohnungslos erfasst. Fazit: Wohnungslosigkeit ist stärker verbreitet, als es die bisherigen Ermittlungen im Rahmen der Obdachlosenerhebung vermuten ließen. Nun ist Nordrhein-Westfalen natürlich das bevölkerungsreichste Bundesland, ist klar, dort leben 17,8 Millionen Menschen – damit mehr als zehnmal so viel, wie bei uns in Mecklenburg-Vorpommern. Aber setzt man die Einwohnerzahl zur Zahl der Wohnungslosen ins Verhältnis, würden sich rein rechnerisch so bei uns im Land 1.500 Wohnungslose ergeben. Und so abwegig ist die Zahl nicht.

Im Februar 1996 gab unser Innenministerium bekannt, dass in unserem Bundesland 1.586 Personen von Obdachlosigkeit betroffen sind. Nach dem Bericht aus dem Jahr 2000 waren es 2.218. Aktuellere Zahlen gibt es leider nicht, deshalb wäre es wichtig, welche zu bekommen. In einer Wissensgesellschaft braucht man Fakten, um die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, um politische Handlungsbedarfe zu erkennen und um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch zu unterstützen, die nämlich in den Sozialämtern, in den Arbeitsagenturen, in den Jobcentern, in den Wohnungsunternehmen und in den Trägern der Freien Wohlfahrtspflege agieren.

Die Entwicklung von Strategien für Hilfe und Sozialplanung braucht verlässliche Planungsdaten. Selbstverständlich sind diese Fakten auch wichtig für wohnungspolitische Entscheidungen, auch um dem Recht auf

Wohnen Nachdruck zu verleihen. Deshalb sollte es, bis es eine bundesweite einheitliche Berichterstattung gibt, eine Landeserhebung nach dem Vorbild NordrheinWestfalens geben. Ich bitte um Ihre Zustimmung.

(Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE)

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Ums Wort gebeten hat zunächst die Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und Soziales Frau Schwesig.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Der Antrag fordert eine Wohnungsnotfallberichterstattung in Mecklenburg-Vorpommern. Ich teile die Einschätzung, dass wir grundsätzlich eine Statistik haben sollten zum Thema Obdachlosigkeit, aber nicht nur so, wie es die Statistik in NRW vorsieht, die aktuelle Zahlen, wie viel sind obdachlos, sondern vor allem auch die Gründe

(Regine Lück, DIE LINKE: Sie sind da ja auch erfasst.)

zu erheben für die Obdachlosigkeiten, denn die sind für uns sehr wichtig, weil die Obdachlosigkeit ein vielfältiges Gesicht hat.

Ich finde es aber wichtig, dass wir eine bundeseinheitliche Statistik bekommen, weil nur dann die Zahlen wirklich vergleichbar sind.

(Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Und deshalb unterstütze ich das Ansinnen von Nordrhein-Westfalen, was wir bereits im Oktober 2011 in die Arbeits- und Sozialministerkonferenz eingebracht haben, dass wir eine bundesweit integrierte Wohnungsnotfallstatistik in Deutschland einführen. Leider gab es damals nicht die notwendige Mehrheit. Inzwischen haben sich die Mehrheitsverhältnisse geändert und deshalb haben wir vor, im Herbst dieses Jahres auf der ASMK, also auf dieser Arbeits- und Sozialministerkonferenz, einen neuen Vorstoß zu unternehmen, um wirklich bundeseinheitliche Daten zu bekommen.

Wenn in der Zwischenzeit angeregt wird, hier im Land eine extra Statistik zu erheben, müssen wir uns dann auch damit auseinandersetzen, wie kann das gehen. Bei einer bundeseinheitlichen Statistik würden wir das dann über die statistischen Ämter machen. Wenn wir einen eigenen Landesweg gehen, muss es das Land machen. Und eine solche Statistik – insbesondere dann, wenn sie mehr erfassen soll als in NRW, und zwar auch die Gründe der Obdachlosigkeit – ist nicht zu leisten durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums, das muss man eindeutig sagen. Dazu müsste man eine Sozialberichterstattung in Auftrag geben.

Der Haushalt des Landes sieht vor, dass wir pro Jahr 75.000 Euro für Sozialberichterstattung bekommen. Diese Summen haben wir bisher immer über zwei Jahre zusammengespart auf 150.000, um eine wirklich ordentliche Sozialberichterstattung machen zu können mit einem externen Institut. Wir hatten damals, als wir schon mal

über dieses Thema im Landtag geredet haben, darauf hingewiesen, dass wir einen Bericht haben wollen zur Lebenslage von Kindern. Den haben wir dann gemacht.

Der nächste Sozialbericht – dazu hatte ich mich entschieden – sollte ein Bericht sein zur Situation von Menschen mit Behinderung im Land, der liegt vor, der wird ja heute auch noch debattiert. Und wir haben jetzt im Haushalt in 2013 und dann mit der mittelfristigen Finanzplanung 14 und 15 wieder Geld und natürlich kann man darüber sprechen, für was wollen wir das ausgeben. Meine Richtung geht dahin, Daten, die vielleicht auch für die Enquetekommission wichtig sein könnten, zu erheben. Es gibt schon lange im Land unter den demokratischen Fraktionen Überlegungen, dass wir auch eine ordentliche Sozialberichterstattung zum Thema Altersarmut bräuchten. Wir können gern darüber reden, ob es andere Themen sein sollten, aber ich will darauf hinweisen, wenn wir nur eine Sozialberichterstattung in Auftrag geben ab 2013 für Wohnungslosigkeit, dann wäre das nur eine statische Erfassung. Uns interessiert ja bei dem Thema – und ich denke, das eint uns –, wie ist die Entwicklung und wie ist der Handlungsbedarf generell.

Der zweite Punkt. Wenn ich es so machen würde wie Thüringen, dass die Kommunen und die Träger, die eben solche Einrichtungen haben, es freiwillig melden, dann, muss ich Ihnen sagen, steht das im krassen Widerspruch zu dem, was Sie uns ständig hier vorhalten, dass wir zu viel Bürokratie im Grunde produzieren. Ich finde es nur im Grunde vertretenswert, dass wir die Kommunen und auch die Träger bitten, Daten und Zahlen zu melden, wenn die dann auch vergleichbar sind und in eine bundesweite Statistik einfließen, als zu sagen, meldet mal freiwillig, wer kann und wer will und dann am Ende den Parlamentariern zu sagen, da haben wir zwar ein paar Zahlen, aber richtig hundertprozentig können wir nicht dahinter stehen, weil wir auch nicht wissen, ob die vollständig sind.

(Zuruf von Regine Lück, DIE LINKE)

Sie sehen also, wir nehmen das Thema ernst. Ich verstehe an der Stelle auch nicht die Schärfe in Ihrer Rede, Frau Lück. Ich hätte Ihnen das auch alles gern in einer Anfrage gesagt.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Sie werden Frau Schröder immer ähnlicher, Frau Schwesig.)

Wir sind an diesem Thema dran, wir sind an diesem Thema dran.

Sie haben eine Kleine Anfrage aus 2008 zitiert. Wir sind an diesem Thema dran derzeit mit allen anderen Bundesländern in einer gemeinsamen Abfrage. Und ich hoffe, dass die Mehrheitsverhältnisse, die sich in den Ländern ja jetzt auch in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz niederschlagen, dazu führen, dass wir im Herbst den gemeinsamen Antrag zu einer bundeseinheitlichen Statistik für Obdachlosigkeit durchbekommen, der eine Mehrheit bekommt, und dass wir dann eine Statistik auf den Weg bringen, die Hand und Fuß hat und die dann auch rechtfertigt, dass vor Ort für Kommunen und Träger bürokratischer Aufwand entsteht, denn der entsteht mit jeder Statistik. Da darf man sich nichts vormachen.

Ich bin aber dankbar, dass Frau Lück hier in ihrem Redebeitrag noch mal deutlich gemacht hat, dass es wichtig

ist, dass es auch Sozialberichterstattungen gibt, denn ich habe wahrnehmen müssen, dass es gerade die Linkspartei ist, die in der Vergangenheit immer wieder kritisiert hat, dass wir Geld für Sozialberichterstattungen ausgeben. Insofern habe ich das jetzt so verstanden, dass Sie das doch wieder unterstützen.

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Wie bitte?)

Und noch mal: Welchen neuen Sozialbericht wir dann in Auftrag geben, mit welchem Inhalt, da bin ich sehr offen, dass wir über das Thema diskutieren.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Mein Vorschlag wäre das Thema Altersarmut.

(Regine Lück, DIE LINKE: Unglaublich!)

Ansonsten, die Regierung handelt und ich setze darauf, dass alle anderen Länder im Herbst mit uns an einem Strang ziehen für eine bundeseinheitliche Wohnungslosenstatistik. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall vonseiten der Fraktion der SPD)

Danke, Frau Ministerin.

Das Wort hat jetzt für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Lindner.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren des Landtages! Es ist wahrlich nicht verwunderlich, stets bekannt und kommt immer wieder vor: Die Fraktion DIE LINKE hat wieder einmal nicht genau hingeguckt.

(Dr. Mignon Schwenke, DIE LINKE: Hä?!)

Es ist eindeutig, Wohnen ist ein individuelles Bedürfnis aller Menschen und bildet außerdem einen wichtigen Teil dessen, was wir als Heimat bezeichnend empfinden.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Wohnen ist Menschenrecht.)

Dennoch gibt es Menschen in Deutschland, denen dieses Gefühl sehr fremd bleibt. Zum einen spreche ich hier von wohnungslosen Menschen, zum anderen von von Wohnungslosigkeit bedrohten Menschen sowie von denen, die in unzumutbaren Wohnverhältnissen leben. Diese drei genannten Gruppen sind eindeutig von einer hohen Armutsgefährdung bedroht und bedürfen selbstverständlich effektiver präventiver Handlungsmaßnahmen.

Dennoch gilt es in diesem Zusammenhang festzustellen, dass die Anzahl der von Obdachlosigkeit betroffenen beziehungsweise gefährdeten Menschen in MecklenburgVorpommern im bundesweiten Vergleich gering ausfällt.

(Regine Lück, DIE LINKE: Woher wissen Sie das? – Peter Ritter, DIE LINKE: Von den nicht vorhandenen Statistiken.)

Hinzu kommt, dass die bereits gestellten Unterkünfte und Heime in unserem Bundesland für diese Menschen nicht

zu 100 Prozent ausgelastet sind, und das auch im Winter bei klirrender Kälte – und das ist auch gut so.

Meine Damen und Herren, Sie haben gerade gefragt, woher ich das weiß. Also viele sind ja auch in der Kommune vertreten und da kriegt man diese Zahlen auch her, wie viel Obdachlose …

(Peter Ritter, DIE LINKE: Von allen Kommunen haben Sie jetzt die Zahlen, ja?)

Meine Damen und Herren, was ich hiermit zum Ausdruck bringen möchte, ist, dass in unserem Bundesland ein marginaler Anteil an bestehender und gefährdender Wohnungslosigkeit besteht und dass erwähnenswerte Betroffene durch zielgerichtete Maßnahmen eine soziale sichere Auffangmöglichkeit erhalten, eben durch die genannten Heime und Unterkünfte. Die Bereitstellung von warmen Schlafplätzen sowie warmen Mahlzeiten und Getränken geschieht direkt vor Ort. Daraus ergibt sich, dass die Versorgung der Wohnungslosen und von Wohnungslosigkeit betroffenen Menschen eine originäre kommunale Selbstverwaltungsaufgabe ist.

Meine Damen und Herren, um es Ihnen, der Fraktion DIE LINKE, noch einmal verständlich zu machen: Es besteht auf Landesebene keine statistische Berichtspflicht zu Wohnungsnotfällen. Das, was durch diese Menschen geleistet wird, passiert direkt vor Ort auf kommunaler Ebene. Basierend darauf macht eine bundesweite …

Einen Moment, Herr Lindner. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Herrn Ritter?

Ich versuche Sie denn auch zu beantworten. Ja, ich gestatte.