Protocol of the Session on March 5, 2009

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Aber wenn Sie es wirklich machen würden, dann würden Sie mal klar sehen, dass die Welt nicht nur aus solchen Formeln besteht, die man so runterrasselt, sondern dass die verdammt grausam sein kann. Sie sind dort

unter dem Vergrößerungsglas, Sie müssen jede Mohrrübe abrechnen. Um zu beweisen, dass Sie nicht in einer Bedarfsgemeinschaft leben, müssen Sie alles genau darlegen, sowohl vor der Behörde als auch vorm Sozialgericht, wie Sie kochen, wie Sie essen, wie Sie einkaufen, wie viel Zeit Sie miteinander verbringen. Wenn Sie einmal anrufen und sagen, bring mal Brot mit, ist keines mehr im Haus, geht das noch, beim zweiten Mal sind Sie schon drin, voll in der Haftung. Das ist in der Tat Sippenhaft, das ist totale Überwachung. Und das sage ich distanzierend und an Ihre Adresse, nicht an unsere. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/2272. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. – Danke. Die Gegenprobe. – Danke. Enthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktion der NPD auf Drucksache 5/2272 bei Zustimmung der NPD-Fraktion, aber Ablehnung aller anderen Fraktionen abgelehnt.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 28: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Bericht zum Stand der Gleichstellung im ländlichen Raum, Drucksache 5/2268.

Antrag der Fraktion DIE LINKE: Bericht zum Stand der Gleichstellung im ländlichen Raum – Drucksache 5/2268 –

Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Herr Ritter von der Fraktion DIE LINKE.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Was denn, Peter, haben die unflätige Bemerkungen gemacht? – Zuruf von Michael Roolf, FDP)

Jeder stellt sich eben so dar, wie er ist.

(Vincent Kokert, CDU: Wir warten hier voller Spannung.)

Noch so einer.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU, DIE LINKE und FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch ein Wort zu dem eben Gehörten von Herrn Andrejewski.

(Stefan Köster, NPD: Sprechen Sie zur Sache!)

Herr Andrejewski, Sie können zwar klug daherreden,

(Michael Andrejewski, NPD: Ich muss zur Sache sprechen, aber Sie nicht?!)

aber das Schicksal der Menschen, die von Hartz IV leben, ist Ihnen doch eigentlich völlig egal, um das nicht drastischer auszudrücken.

(Michael Andrejewski, NPD: Ich hatte das, Sie Witzbold. – Zuruf von Stefan Köster, NPD)

Und deshalb, Herr Andrejewski, lehnen wir diese Anträge von Ihnen ab, weil Sie die von Hartz IV Betroffenen nur als Stimmvieh missbrauchen wollen.

(Zurufe von Michael Andrejewski, NPD, und Stefan Köster, NPD)

Das ist Ansatz Ihrer Politik.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Sie sich, werte Abgeordnete, bei Ihrer täglichen Arbeit unterwegs in Mecklenburg-Vorpommern mit offenen Augen durchs Land bewegen – und davon gehe ich zumindest bei den demokratischen Fraktionen aus –, ist Ihnen bewusst, dass sich die Lebensbedingungen im ländlichen Raum in den letzten Jahren drastisch verändert haben.

Das Bild, das sich uns vielerorts bietet, sind entleerte ländliche Regionen und eine immer älter werdende Bevölkerung. Junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 30 Jahren sieht man immer seltener, fehlende Arbeitsplätze, eingeschränkte Möglichkeiten der Lebensgestaltung und damit einhergehende mangelnde Lebensperspektiven, massive Abwanderung vor allem junger, gebildeter und bildungswilliger Menschen aus den ländlichen Regionen unseres Landes. Die jungen Leute fehlen heute und sie fehlen damit in der Zukunft, denn auch unter den aktuellen Bedingungen kehren selbst die nicht mehr zurück, die es gern wollten. Dabei hatte MecklenburgVorpommern im Jahr 1990 in allen Siedlungsstrukturtypen noch eine ausgesprochen günstige Altersstruktur und verzeichnete den bundesweit größten Anteil an Jugendlichen und den geringsten Anteil an Rentnern. Die Geburtenrate lag mit 1,64 Kindern pro Frau an der Spitze der Bundesrepublik.

Zwar gab es schon vor der Wende weniger Frauen in den Agrargemeinden als Männer, durch die Wiedervereinigung kam es jedoch zu einer Beschleunigung dieser Landflucht, die bis heute nicht nur anhält, sondern sich immer weiter verschärft. Überproportional häufig verlassen qualifizierte Frauen im fertilen Alter die ländlichen Regionen. Sie reagieren früher auf fehlende berufliche Perspektiven als Männer, und dies stärker durch Abwanderung. Da Frauen eher selten Arbeitsplätze im Handwerk oder in der Landwirtschaft annehmen, ist eine Abwanderung aus ländlichen Regionen gerade beim weiblichen Geschlecht vorprogrammiert.

Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, vor diesem Hintergrund sollten wir auch einmal die so viel gepriesenen Konjunkturprogramme aller Ebenen betrachten. Findet der ländliche Raum in den Konjunkturprogrammen schon kaum Berücksichtigung, sieht es bei der Betrachtung von Berufsgruppen unter Beachtung des Genderaspektes noch trauriger aus. Die Landesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros / Gleichstellungsstellen Nordrhein-Westfalen kommt zu folgender Einschätzung, ich zitiere: „Aus gleichstellungspolitischer Sicht muss ein gerechtes Konjunkturprogramm auch die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen in der sozialen Infrastruktur, wie in der Pflege, Erziehung, Betreuung und Sozialarbeit vorsehen … Aber genau in diesen Bereichen herrschen große Defizite und vielfach wird nur der Mangel verwaltet. Etliches wird ‚kaputt gespart‘.“ Zitatende.

Nun können Sie, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, sofern Sie überhaupt zuhören, sagen, das ist die Einschätzung für NordrheinWestfalen. Wenn Sie der Meinung sind, dass bei uns im Land alles besser sei, beweisen Sie es uns, indem Sie den von uns geforderten Bericht vorlegen und deshalb unserem Antrag auch zustimmen. Alles andere, liebe

Kolleginnen und Kollegen, vor allem eine Ablehnung unseres Antrages würde daher nur den Geschmack von Ausreden oder Konzeptionslosigkeit haben und das sollten Sie sich selbst nicht antun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Frauen wandern auf der Suche nach Möglichkeiten einer selbstbestimmten Lebensweise in die Städte ab oder verlassen Mecklenburg-Vorpommern ganz. Mit den Frauen geht dem ländlichen Raum somit auch die nächste Generation verloren. Das Wanderungssaldo, ausgewiesen im Statistischen Landesamt, zeigt, dass Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2007 allein 3.172 Frauen in den besonders mobilen Altersjahren der 15- bis 25-Jährigen verloren hat. Dass vor allem die jungen Frauen gehen, macht das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern deutlich und zeigt, wie wichtig Gender Mainstream, also die Berücksichtigung der unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern bei allen gesellschaftlichen Vorhaben in Verbindung mit einer gezielten Frauenförderung gerade in den ländlichen Regionen ist.

Mit unserem Antrag fordern wir die Landesregierung auf, einen Bericht über den gegenwärtigen Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns vorzulegen. Von diesem Bericht erwarten wir, dass er geschlechtsspezifisch aufzeigt, inwieweit die Umsetzung des Gender Mainstream realpolitisch zu erkennen ist, in welchen Bereichen Probleme bestehen und wo es möglicherweise geschlechtsblinde Flecken gibt, das heißt, in welchen Bereichen die Geschlechtsdimension überhaupt noch nicht berücksichtigt wurde.

Für den geforderten Bericht haben wir fünf Bereiche vorgeschlagen: Bildung und Ausbildung, Erwerbsleben, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mobilität und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Mehr ist natürlich auch möglich. Aber ich will Ihnen diese fünf Schwerpunktbereiche erläutern. Auf dem Land fehlen Ausbildungsmöglichkeiten und existenzsichernde Arbeitsplätze. In der Landwirtschaft, dem Hauptarbeitgeber im ländlichen Raum, wird durch die fortschreitende Mechanisierung immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt. Berufliche Alternativen aber gibt es kaum. Besonders betroffen sind auch hier die Frauen, die aufgrund der bestehenden Branchenstruktur noch weniger Wahlmöglichkeiten haben als Männer im ländlichen Bereich. Wer auf dem Land keine Arbeit findet, muss pendeln oder geht ganz.

(Präsidentin Sylvia Bretschneider übernimmt den Vorsitz.)

Und zuerst gehen die mit den größten Potenzialen. Erschwert wird die Situation im ländlichen Raum durch den Verlust der Versorgungsinfrastruktur und Angeboten der öffentlichen Daseinsvorsorge. Durch die schwindende Verfügbarkeit von Gütern und Dienstleistungen des kurzfristigen Bedarfs vor Ort kommt dem Bereich der Mobilität immer größere Bedeutung zu. Raum- und Siedlungsstruktur sowie Verkehrsinfrastruktur beeinflussen sich gegenseitig. Mit der Verödung ganzer Landstriche wird auch die Verkehrsinfrastruktur weiter ausgedünnt. Bahn- und Busstrecken werden eingestellt und Streckenverbindungen reduziert. Damit rückt der Faktor der individuellen Motorisierung in den Fokus, aber hier zeigt sich, dass Frauen seltener als Männer einen Führerschein und noch seltener einen eigenen Pkw besitzen.

(Egbert Liskow, CDU: Aber nicht mehr bei den jungen Frauen.)

Sie sind somit in der Erreichbarkeit von Bildungs- und Berufsstätten sowie Versorgungseinrichtungen stark eingeschränkt und auf den ÖPNV angewiesen. Die Situation ist für Frauen zusätzlich belastend, da sie durch die ihnen von der Gesellschaft zugeschriebenen Versorgungsaufgaben in der Familie auf zumutbare Wege, zum Beispiel zum Arbeitsplatz und zur Kinderbetreuungseinrichtung, angewiesen sind.

Der Negativtrend in der Infrastrukturausstattung betrifft nicht nur den öffentlichen Personennahverkehr und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, auch die Versorgung mit Bildungs- und Kultureinrichtungen geht weiter zurück. Mit dem Verschwinden von Bildungs- und Kulturangeboten gehen wichtige Standortfaktoren im ländlichen Raum verloren. Der ländliche Raum als Lebens- und Arbeitsort wird zunehmend unattraktiv. Dies gilt übrigens auch für Unternehmen, denen durch die negativen Prozesse Fachkräfte sowie der Nachwuchs verloren gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der Gleichstellungskonzeption der Landesregierung sind einige der wesentlichen Probleme der Gleichstellung von Frauen und Männern im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns festgehalten. Trotz eingeleiteter Maßnahmen und des Einsatzes förderpolitischer Instrumente konnte bislang kein wesentlicher Umschwung beobachtet werden. Wir stehen nach wie vor vor dem Problem der sozial- und geschlechtsspezifischen Abwanderung aus den ländlichen Räumen. Es ist Aufgabe der Politik zu reagieren, um eine weitere Verschlechterung der Situation zu verhindern. Auch deshalb unser Antrag, um auf Grundlage einer entsprechenden Datenanalyse notwendige Schlussfolgerungen ableiten zu können.

Die Einleitung von Maßnahmen und Projekten wie zum Beispiel „femiNet – mobiles Internet für Frauen und Mädchen im ländlichen Raum“ zur gezielten Frauenförderung zeigt, dass die Landesregierung zumindest erkannt hat, dass die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Doppelstrategie aus Frauenförderung und Gender Mainstream auch angewandt werden muss, um die Probleme zu lösen. Erst kürzlich aus der Taufe gehoben wurde „IMPULS MV“, das aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und des Landes gefördert wird. Die Einrichtung von vier Regionalstellen zur Unterstützung der Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt ist grundsätzlich zu unterstützen. Fraglich ist jedoch, ob damit auch die Frauen und Männer in den peripheren Räumen Mecklenburg-Vorpommerns erreicht werden.

Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine Querschnittsaufgabe. Dies muss auch bei der Ausgestaltung und Umsetzung von Programmen zur Förderung des ländlichen Raums berücksichtigt werden. Gender Mainstream muss als Grundlage für die Programmentwicklung und Programmierung der Fördermaßnahmen für den ländlichen Raum fest verankert werden. Hier sehen wir noch großen Nachholbedarf. Die Geschlechterdimension ist unter Aufnahme der EU-Vorgaben in der Landes- und Bundesförderung für den ländlichen Raum von vornherein zu berücksichtigen. Auch bei der Weiterführung des LEADER-Ansatzes für den ländlichen Raum ist von großer Bedeutung, dass eine besondere Schwerpunktsetzung im Rahmen des Entwicklungsprogramms für den ländlichen Raum in Mecklenburg-Vorpommern darstellt und eine verstärkte Förderung von Frauen unter

dem Gesichtspunkt des Gender Mainstreams vorangetrieben werden muss. Entscheidend ist die Umsetzung. Darauf kommt es am Ende an.

Mit dem von uns geforderten Bericht soll auch offengelegt werden, wie sich die gegenwärtigen förderpolitischen Instrumente auf die reale Lebenswelt von Frauen und Männern auswirken. Ist die Förderpolitik für den ländlichen Raum tatsächlich geschlechtergerecht? Wo kommt die Doppelstrategie Frauenförderung und Gender Mainstream wirklich zum Tragen? Die ländlichen Regionen stehen heute angesichts der demografischen Entwicklung vor großen Herausforderungen und es ist für uns alle eine dringende Aufgabe, die Dörfer zu stärken und Bedingungen zu schaffen, damit Frauen und Männer gleichermaßen selbstbestimmt dort leben können.

Sehr geehrte Frau Dr. Seemann, Sie haben für diese Woche in das Rathaus nach Schwerin eingeladen, um über 90 Jahre Frauenwahlrecht und politische Partizipation der Frauen zu diskutieren.

(Dr. Margret Seemann, SPD: Morgen.)

Sorgen Sie bitte auch dafür, dass Frauen und natürlich auch Männer im ländlichen Raum ein Wahlrecht bezüglich ihrer Lebensgestaltung haben, und schaffen Sie mit der Erstellung des Berichts zum Stand der Gleichstellung im ländlichen Raum die Grundlage für ein konstruktives Handeln. Wir bitten daher um Zustimmung zu unserem Antrag. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Vielen Dank, Herr Ritter.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat die Abgeordnete der SPD-Fraktion Frau Dr. Seemann.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag fordert die Landesregierung auf, einen Bericht über den aktuellen Stand der Gleichstellung von Frauen und Männern im ländlichen Raum Mecklenburg-Vorpommerns in den Bereichen Ausbildung, Erwerbsleben, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mobilität und Möglichkeiten der Freizeitgestaltung vorzulegen – auf den ersten Blick ein lobenswertes Anliegen. Und ich muss auch sagen, ich stimme in den Analysen und in den Darstellungen Herrn Ritter eigentlich in jedem Punkt zu. Auf den zweiten Blick allerdings sollten wir uns die Frage stellen: Bringt uns dieser Bericht wirklich weiter?