Protocol of the Session on July 2, 2008

Gesetzentwurf der Landesregierung: Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes (Erste Lesung) – Drucksache 5/1568 –

Das Wort zur Einbringung hat die Justizministerin Frau Kuder. Frau Kuder, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich zuallererst eins klarstellen: Es gibt aktuell keine Überlegungen, die Amtsgerichtsstrukturen organisatorisch zu verändern oder gar Amtsgerichte zu schließen. Der vorliegende Gesetzentwurf enthält lediglich eine Verordnungsermächtigung, die es ermöglicht, Zweigstellen der Amtsgerichte einzurichten oder aufzulösen und Gerichtstage, das heißt regelmäßige Sitzungstage an einem anderen Ort als dem Standort der Gerichte anzuordnen.

Diese Verordnung ist nichts Neues. Bis Ende April dieses Jahres gab es eine bundesgesetzliche Regelung, die genau dies ermöglichte. Die bundesgesetzliche Regelung soll nun durch inhaltlich entsprechende Bestimmungen auf Landesebene ersetzt werden, um der Justizverwaltung weiterhin Anordnungen der genannten Art zu ermöglichen. Notwendig ist dies, um flexibel und zweckmäßig auf die organisatorischen Bedürfnisse des Gerichtsbetriebes reagieren zu können.

Meine Damen und Herren, ich habe in den zurückliegenden Monaten unter anderem die Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern besucht. Ich wollte mir einen persönlichen Überblick über die Situation an unseren Gerichten verschaffen. Und eins kann ich in jedem Fall sagen: Unsere Gerichte leisten hervorragende Arbeit.

Insbesondere die Amtsgerichte prägen als Visitenkarte das Erscheinungsbild der Justiz. Sie bilden eine wesentliche Säule des Rechtsstaates, sind für die Bürgerinnen und Bürger die erste Anlaufstelle und häufig auch der einzige Berührungspunkt mit der Justiz. Die Amtsgerichte regeln ein breites Spektrum an Rechtsstreitigkeiten, die den Bürger in seinem unmittelbaren Umfeld betreffen, seien es Klagen auf Zahlungen eines Kaufpreises, Werklohn oder Schadensersatz oder auch Mietstreitigkeiten, Vormundschafts- und Familiensachen, Betreuungs- und Unterbringungssachen oder etwa Grundbuch-, Register- und Nachlasssachen. Und im Übrigen sind die Amtsgerichte auch in Straf- und Bußgeldverfahren vor Ort zuständig.

Meine Damen und Herren, die Bevölkerungsdichte und die erhebliche flächenmäßige Ausdehnung unseres Landes erfordern eine differenzierte Gerichtslandschaft, die dem Recht suchenden Bürger eine Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes und gerichtlicher Dienstleistungen in angemessener Entfernung gewährleistet.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Da zählen wir mal Malchin dazu. – Babara Borchardt, DIE LINKE: Das ist eine Außenstelle.)

Ein großer Vorteil der Amtsgerichte ist, dass die Bediensteten die örtlichen Verhältnisse kennen, um mit dem nötigen Fingerspitzengefühl befriedigende Lösungen zu finden. Diese bürgernahen und gut funktionierenden Strukturen sind zu erhalten, denn sie haben die verantwortungsvolle Aufgabe, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden zu wahren oder wiederherzustellen.

Meine Damen und Herren, wie Sie wissen, wurden bereits mit dem am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Gesetz über kostensenkende Strukturmaßnahmen in Mecklenburg-Vorpommern zehn Amtsgerichte aufgehoben. Von den anstelle der zehn Amtsgerichte errichteten zehn Zweigstellen sind in den zurückliegenden Jahren acht Zweigstellen geschlossen worden. Zum 1. Juli – also mit dem gestrigen Tag – ist nun auch die Zweigstelle Grimmen aufgelöst worden, denn mit Beendigung der Sanierung des Amtsgerichtes Stralsund sind jetzt die räumlichen Bedingungen gegeben, auch die Grimmener wie seinerzeit geplant unterzubringen.

Bei meinem Amtsgerichtsbesuch in Demmin Anfang Juni dieses Jahres habe ich ein ausführliches Gespräch mit dem Direktor und den Vertretern des Richterrates, des Personalrates und mit allen Mitarbeitern der Zweigstelle Malchin geführt. Denn hier ist absehbar, dass auch diese Zweigstelle geschlossen und damit der letzte Schritt zur Umsetzung der Gerichtsstrukturreform des Jahres 1997 vollzogen wird. Das Amtsgericht Demmin wird voraussichtlich ab Frühjahr 2009 umfänglich saniert. Mit dem Bezug eines Übergangsgebäudes für die Dauer der Sanierungen sind dann auch hier die räumlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der Zweigstelle Malchin gegeben, zumal diese wegen erheblichen Schwammbefalls nicht mehr auf Dauer genutzt werden kann.

Abzusehen ist auch, dass die auswärtige Kammer des Verwaltungsgerichtes Schwerin in Boizenburg wegen des nachhaltigen Rückgangs der Asylbewerberzahlen zum 1. Januar 2009 geschlossen wird. Weitere Änderungen, ich habe es bereits gesagt, sind nicht in der Planung.

Meine Damen und Herren, der Rechtsstaat in unserem Land benötigt gut funktionierende Gerichte, um eine unabhängige Rechtsprechung zu gewährleisten. Damit wird nicht zuletzt auch die Demokratie gestärkt. Diesem

Ziel dient der vorliegende Gesetzentwurf. Ich bitte daher, dem Gesetzentwurf nach Überweisung und Beratung in den Ausschüssen zuzustimmen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU)

Danke, Frau Ministerin.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst der Abgeordnete Herr Dr. Nieszery von der SPD.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus Sicht der SPD-Fraktion handelt es sich bei dem vorliegenden Gesetzentwurf um reine Rechtstechnik.

(Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Oh, oh, oh! Da schaun wir mal. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Der Anlass für dieses Gesetz ist sehr gut nachvollziehbar. Eine bundesgesetzliche Regelung als Grundlage für eine Verordnungsermächtigung zur Ausgestaltung der Gerichtsstrukturen in den Ländern gibt es nicht mehr.

(Zuruf von Barbara Borchardt, DIE LINKE)

Im Rahmen der unendlich weisen Föderalismusreform ist diese Verordnungsermächtigung auf die Länder übertragen. Und jetzt fordert die Landesregierung von uns eine Verordnungsermächtigung ein, um hier sinnvolle und auch effiziente Gerichtsstrukturen zu schaffen. Das erachten wir als SPD-Fraktion für vernünftig und effizient und stimmen der Überweisung des Gesetzentwurfes zu. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der SPD und CDU – Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE: Es wird alles gut.)

Danke, Herr Dr. Nieszery.

Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Frau Borchardt von der Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der heute durch die Landesregierung zur Ersten Lesung eingebrachte Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes gehört auf den ersten Blick nicht gerade zu den Gesetzentwürfen, die große politische Debatten erwarten lassen. Dazu ist er viel zu rechtstechnisch, geht es doch „lediglich“ um das Schließen einer Regelungslücke durch das Einfügen eines neuen Paragrafen 9a in das Gesetz zur Ausführung des Gerichtsstrukturgesetzes. Das Justizministerium soll die Möglichkeit erhalten, Zweigstellen zu errichten und die Abhaltung von Gerichtstagen anzuordnen. Und da das Ganze durch Rechtsverordnung geschehen soll, ist der Landtag ferner nicht mehr unmittelbar betroffen, es geht schlichtweg um exekutives Handeln.

Aber, meine Damen und Herren, das war der erste Blick auf dieses Vorhaben. Beim genauen Hinschauen, und das haben wir, wie Sie sich sicherlich vorstellen können, getan, werden nachfolgende Probleme sichtbar:

Zunächst gilt es zu hinterfragen, warum denn Frau Justizministerin Kuder beziehungsweise die Landesregie

rung erst heute den Gesetzentwurf in den Landtag einbringt, lese ich doch in der Problembeschreibung des Entwurfes, dass bereits mit dem Gesetz zur Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz vom 19. April 2006 die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Bereich der Amtsgerichte in Mecklenburg-Vorpommern mit Wirkung vom 24. April 2008 aufgehoben worden ist, da überwiegend Regelungsmaterien betroffen sind, die heute der verfassungsrechtlichen Regelungskompetenz der Länder unterliegen. Die Landesregierung ist also verantwortlich.

Das Gesetz hätte also schon lange verabschiedet sein müssen. Das ist nun nicht mehr möglich. Erst nach der Sommerpause – also frühestens im September, wahrscheinlich aber erst im Oktober 2008 – wird das Gesetz verabschiedet werden können. Eine Erklärung für die verspätete Einbringung habe ich aus der Rede der Ministerin leider nicht erkennen können.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus gibt es ein viel schwerwiegenderes Problem. In der Problembeschreibung zitiert die Landesregierung aus einem Kommentar zum Gerichtsverfassungsgesetz, wonach für die Errichtung von Zweigstellen keine eigene gesetzliche Regelung erforderlich sei. Ich habe das natürlich nachgelesen und konnte feststellen, dass dies verfassungsrechtlich unbedenklich ist. Das Problem ist aber ein anderes. Wir werden auch zwangsläufig bei der Beratung des Gesetzentwurfes die grundsätzliche Frage beantworten müssen, ob denn der Landtag auf die Gesetzgebungskompetenz zu Fragen der Gerichtsorganisation verzichten und das Justizministerium ermächtigen will, im Wege der Verordnung Änderungen herbeizuführen, so, wie es der Gesetzentwurf vorsieht.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Debatte zur Änderung des Polizeiorganisationsgesetzes aus dem Jahre 2005. Insbesondere Herr Dr. Jäger hat sein Missfallen gegen die Zunahme der Verordnungsermächtigungen in den Fachgesetzen zum Ausdruck gebracht.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Ziel der Landesregierung sei es, so Herr Dr. Jäger weiter, ganz ohne die offensichtlich unliebsame Störung durch die Volksvertreter im Parlament regieren zu können.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Das sei eine Entwicklung, so Herr Dr. Jäger, die wir hier alle verhindern sollten. So Herr Dr. Jäger abschließend,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das haben Sie nur nicht gemacht, Frau Kollegin. Jetzt werden Sie auf einmal schlau.)

nachzulesen im Plenarprotokoll der 60. Sitzung des Landtages am 22. Juni 2005.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Schön, dass Sie das schon gemerkt haben, mit großer Zeitverzögerung.)

Und, meine Damen und Herren, damals hatte sich der Landtag durchgesetzt und die Landesregierung nicht ermächtigt,

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sehen Sie!)

etwa den Sitz der Polizeidirektion durch die Rechtsverordnung festlegen zu können.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Richtig.)

Ich frage mich nun, warum wir bei den Zweigstellen der Amtsgerichte andere Maßstäbe bei unserer Entscheidung zugrunde legen sollten.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Weil das eine ganz andere Materie ist. Das wissen Sie ja selber. – Peter Ritter, DIE LINKE: Na, weil es jetzt eine andere Regierung ist, Herr Dr. Jäger. – Dr. Armin Jäger, CDU: Nee.)

Zumindest ist dies in den Beratungen kritisch zu hinterfragen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ach, ihr habt doch keine Ahnung. Redet nicht über Dinge, die ihr nicht kennt! – Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, ja, ja, ja. – Dr. Armin Jäger, CDU: Wenn eine Kollegin solchen Unsinn hier von sich gibt! – Peter Ritter, DIE LINKE: Ja, ja, ja.)

Andererseits lese ich in Ihrem Koalitionsvertrag unter Ziffer 310 Folgendes: „In Mecklenburg-Vorpommern bleibt die Justiz weiterhin in der Fläche verfügbar. Die Gerichtsstandorte bleiben grundsätzlich unverändert. Um Bevölkerungsentwicklung und sich ändernden Fallzahlen Rechnung tragen zu können, ist eine größere Flexibilität beim Einsatz des richterlichen Personals zu ermöglichen. Es ist zu prüfen, inwieweit z. B. anstelle selbständiger Amtsgerichte unter Beibehaltung der bisherigen Gerichtsstandorte Zweigstellen oder Gerichtstage vor Ort eingerichtet werden können.“ Zitatende.

So weit, so gut. Und nun kommen wir zur praktischen Bedeutung dieser Umsetzung. Am 10. Mai dieses Jahres berichtete die „Ostsee-Zeitung“, dass die Zweigstelle des Amtsgerichtes in Grimmen zum 1. Juli 2008 aufgelöst wird. Frau Ministerin Kuder hat darauf verwiesen. Die Mitarbeiter ziehen nach Stralsund um. Die Zukunft der Zweigstelle in Grimmen hatte den Landtag bereits mehrfach beschäftigt, zuletzt in der letzten Legislatur durch eine Kleine Anfrage des Kollegen Glawe.

(Peter Ritter, DIE LINKE: Auch das war was anderes.)