Protocol of the Session on March 6, 2008

Was das Mecklenburg-Vorpommern-Ticket betrifft, so muss man 25 Euro zusammenkriegen. Wenn man auf dem Dorf wohnt, muss man auch noch zum Bahnhof kommen, und wenn man dann diese endlose Strecke fährt, immer mit den langsamen Zügen, kommt man vielleicht nach Hamburg, kann einmal aussteigen, einmal um den Bahnhof herumlaufen und dann wieder zurück. Das war’s. Das ist die Reisefreiheit zu Hartz-IV-Zeiten?

Aber das ist den Ämtern noch nicht genug. Es könnte ja sein, dass ein Leistungsempfänger aus Wolgast etwa für zwei Tage einen Bekannten, sagen wir, in Züssow besucht. Um das zu verhindern, gibt es die Erreichbarkeitsanordnung der sogenannten Bundesanstalt für Arbeit, die jetzt durch das ebenfalls sogenannte Fortentwicklungsgesetz Teil des SGB II geworden ist. Und diese Regelung besagt: Jeder Hartz-IV-Empfänger muss an jedem Werktag seine Post durchsehen, damit er sofort am nächsten Tag um 8.00 Uhr bei der Sozialbehörde auf der Matte stehen kann, denn es kommt ja ständig vor, dass urplötzlich Arbeitsplätze auftauchen, die gleich am nächsten Tag wieder verschwunden sind, wenn der Hilfsbedürftige nicht sofort bei seinem sogenannten Fallmanager erscheint, jedenfalls in der Vorstellung der Behörden.

Die Betroffenen erleben das anders. Wenn so eine Blitzeinladung ergeht, dann stellt sich das fast immer als Windei heraus, bestenfalls als eine Angelegenheit, die Zeit gehabt hätte, meistens als reiner Scheintermin, der dem Zweck diente, Gründe zu schaffen für Leistungskürzungen. Die Einladungen oder besser Marschbefehle kommen besonders gern am Freitag, möglichst spät, in der Hoffnung, der Betreffende wäre am Wochenende irgendwo anders. Wenn er dann am Montag um 8.00 Uhr nicht da ist, kommt sofort, manchmal noch am selben Tag, manchmal einen Tag später, der Leistungsbescheid, der Kürzungsbescheid natürlich – 10 Prozent, manchmal auch 30 Prozent, vermutlich schon vorbereitet. Es wäre nicht verwunderlich, wenn es interne Vorgaben geben sollte, wie viele Opfer und damit Einsparungen monatlich zu erzielen sind.

Dafür sorgt auch der sogenannte Sozialermittlungsdienst, der des Öfteren Leistungsempfänger unter Vorwänden ins Amt bestellt und sie dann mit Vorwürfen überfällt, sie seien tagelang nicht zu Hause gewesen. Beweis: Sie seien nicht ans Telefon gegangen, obwohl man mehrfach angeklingelt habe. Sie hätten nicht aufgemacht, als man geklingelt habe. Man solle sofort ein Geständnis unterschreiben. Das gilt manchmal für diesen Sachverhalt, manchmal muss man auch gestehen, dass man in einer Bedarfsgemeinschaft lebt. Manche machen das dann auch, überrumpelt und eingeschüchtert, und kommen zu dem Ergebnis, dass nicht nur die Mauer in veränderter Form wieder da ist, sondern auch die Stasi.

Welchen Sinn außer Schikane und Einsparung mit allen zweifelhaften Mitteln kann diese Anwesenheit nun haben? Zu verhindern, dass jemand auf Montage schwarzarbeitet und trotzdem ALG II kassiert? Dafür reicht es auch, wenn die Leistungsempfänger vielleicht jeden dritten Tag anwesend sind. Die heutige Regelung ist nicht nur neofeudal und bindet die Leute an die Scholle wie früher die Leibeigenen, sie ist auch verfassungsrechtlich höchst zweifelhaft. Es gibt ein Büchlein namens „Grundgesetz“ und darin ein Grundrecht auf körperliche Bewegungsfreiheit. Die kann zwar eingeschränkt werden, Hauptfall die Freiheitsentziehung und Ähnliches, etwa das Anhalten bei einer Polizeikontrolle oder einer körperlichen Durchsuchung oder auch die Verpfl ichtung eines Ausländers, sich nur in einem bestimmten Gebiet aufhalten zu dürfen, wenn sein Aufenthaltsstatus das vorschreibt.

Angesichts dessen muss man sich fragen, als was dieser Staat Langzeitarbeitlose eigentlich ansieht. Als aus der Gesellschaft gefallene Fremde, denen man gerade noch widerwillig einen begrenzten Aufenthaltsstatus zugesteht, als Kriminelle, die man einer Art Freiheitsentziehung unterziehen muss? Wie wäre es denn mit der Pfl icht, Sender zu tragen, an Fußfesseln angebracht, vom GPS-Netz überwacht?

Das Ganze steht überdies im Gegensatz zu der Verpfl ichtung, jeden Arbeitsplatz annehmen zu müssen, sogar im Ausland. Und das ist auch wieder eine Parallele. Man kommt eigentlich als Hartz-Empfänger in den Westen oder ins Ausland nur noch durch Zwang wie damals Biermann. Denn es heißt ja, hier in Österreich haben wir einen Billigjob gefunden, da gehen wir hin. Die Nebenwirkung ist nur, man verdient so wenig, dass man nicht wieder zurückkommt. Das kann man sich nämlich nicht leisten.

Hartz-IV-Empfänger sind keine freien Menschen mehr. Wo sie sich aufhalten dürfen, wohin sie ziehen müssen, alles bestimmt die Bürokratie. Sie sind unfreier als DDRBürger in vielen Bereichen, denn die durften wenigstens im Ostblock reisen. Und das bisschen Meinungsfreiheit, das heute angeblich herrscht, schmilzt auch immer mehr dahin. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Rühs von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der NPD-Fraktion auf Ergreifung einer Bundesratsinitiative zur Änderung des Paragrafen 7 Absatz 4a SGB II ist aus folgenden

Gründen abzulehnen: Nach Paragraf 7 Absatz 4a SGB II erhält keine Leistungen nach dem SGB II, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält. Zur Defi nition dieses Bereiches wird Bezug genommen auf die Erreichbarkeitsanordnung der Bundesanstalt vom 23. Oktober 1997, geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001. Die Erreichbarkeit an jedem Werktag ist nicht explizit im Gesetz geregelt, sondern in einer Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt, der Erreichbarkeitsanordnung, auf die in Paragraf 7 Absatz 4a SGB II Bezug genommen wird.

(Michael Andrejewski, NPD: Ja.)

Es besteht also kein Bedarf für eine Gesetzesänderung. Der Arbeitslose kann sich nach dieser Anordnung auch vorübergehend von seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort entfernen, wenn er unter anderem sicherstellt, dass die Arbeitsagentur beziehungsweise Arge ihn persönlich an jedem Werktag, an seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort unter der von ihm benannten Adresse durch Briefpost erreichen kann.

(Udo Pastörs, NPD: Nichts anderes hat Herr Andrejewski gesagt.)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese Regelungen dienen dem Zweck, Arbeitslosen möglichst zeitnah Vorschläge zur berufl ichen Eingliederung unterbreiten zu können.

(Udo Pastörs, NPD: Absoluter Unsinn!)

Dies sollte auch im Interesse eines jeden Arbeitssuchenden sein,

(Stefan Köster, NPD: Herr Rühs, haben Sie schon gemerkt, dass Sie von der Praxis überhaupt keine Ahnung haben? – Zuruf von Egbert Liskow, CDU)

zumal es sich um Personen handelt, die oftmals Langzeitarbeitslose sind. Gerade für Langzeitarbeitslose bestehen, abgesehen von den individuellen Folgen der Arbeitslosigkeit, wie psychologische, gesundheitliche oder soziale Probleme, deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt,

(Udo Pastörs, NPD: Oh, jetzt weichen Sie aber aus.)

sodass jede Chance einer Beschäftigungsmöglichkeit unverzüglich den jeweiligen Arbeitslosen erreichen sollte. Dies ist umso wichtiger, als sich jeder Arbeitslose in Bezug auf einen Arbeitsplatz in Konkurrenz mit anderen Interessierten befi ndet.

Herr Andrejewski, Ihre Ausführungen habe ich hier als Diskriminierung von Langzeitarbeitslosen empfunden

(Zuruf von Michael Andrejewski, NPD)

und ich empfehle daher die Ablehnung des vorgelegten Antrages. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktionen der CDU und FDP)

Danke schön, Herr Rühs.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Andrejewski von der Fraktion der NPD.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sie steigern sich wirklich immer mehr: Es fängt mit Ausländerfeindlichkeit an, die Sie uns vorwerfen, dann sind wir auch deutschfeindlich, wenn wir deutschen Konzernen vorwerfen, dass sie ihren Müll im Ausland abladen.

(Helmut Holter, DIE LINKE: Sie sind beides. – Torsten Koplin, DIE LINKE: Sie sind menschenfeindlich.)

Nun werfen Sie mir auch noch Selbstdiskriminierung vor. Wie man sich als Langzeitarbeitsloser fühlt, weiß ich ja wohl besser als Sie, und ich weiß auch besser, wie die Psychologie eines Langzeitarbeitslosen ist. Und wenn Sie mir vorwerfen wollen, dass ich mich selber diskriminiere, wunderbar. Das erinnert mich wirklich an eine Talkshow, wo lauter hochvermögende Herrschaften waren, Politiker, Gewerkschafter und dann ein Gast aus dem Volk, ein Langzeitarbeitsloser. Und als der irgendwas sagte, erklärte ihm der damalige, ich glaube, Wirtschaftsminister von NRW der SPD-Regierung: Sie haben keine Ahnung. Hören Sie mal zu, wie sich ein Langzeitarbeitsloser fühlt, denn ich weiß das besser als Sie. Das hat er dem Langzeitarbeitslosen gesagt. Also da muss ich Sie leider enttäuschen.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Was das Gesetz angeht, natürlich würde eine Gesetzesänderung Sinn machen, denn ein Gesetz steht über einer Anordnung irgendeiner Behörde und wenn Sie ins SGB reinschreiben würden, man muss jeden dritten Tag da sein, jeden dritten Werktag, wäre das der Anordnung übergeordnet. Dann wäre das Gesetz nicht die Regel und fertig. Natürlich würde eine Gesetzesänderung Sinn machen und der Psychologie des Langzeitarbeitslosen tut es auch nicht unbedingt gut, wenn er permanent überwacht wird,

(Raimund Borrmann, NPD: Ja.)

wenn er jeden Tag zu Hause sein muss, wenn er immer Angst haben muss, ob er irgendeine Leistungskürzung im Briefkasten fi ndet.

(Unruhe bei Egbert Liskow, CDU, und Stefan Köster, NPD)

Es gibt ja noch ein Zusatzproblem. Das Zusatzproblem ist die Zustellung. Wenn Sie nämlich als Langzeitarbeitsloser dem Amt irgendwas schicken, einen Antrag, einen Widerspruch, was auch immer, dann müssen Sie die Zustellung beweisen. Das Amt sagt dann zum Beispiel, das haben wir nie gekriegt.

(Unruhe bei Abgeordneten der Fraktion der CDU)

Das hätten Sie mit Einschreiben per Rückschein schicken müssen oder Sie hätten persönlich vorbeikommen müssen, um sich eine beglaubigte Kopie abzuholen. Die haben sich schon, wie ich aus meiner Praxis weiß, aus vielen Fällen herausgewunden, indem sie gesagt haben, das ist bei uns nie angekommen, beweisen Sie das. Und so ein Einschreiben mit Rückschein kostet 4 Euro,

(Raimund Borrmann, NPD: 4,40.)

mehr als 4 Euro, 4,40 jetzt. Das machen Sie ein- oder zweimal, dann sind Sie auch fi nanziell fertig als Hartz-IVEmpfänger.

Aber umgekehrt müssen sie gar nichts beweisen. Sie verschicken nämlich ihre Anordnungen und ihre Bescheide mit ihrer eigenen Behördenpost. Da fährt der Fahrer herum, steckt das in die Briefkästen und das gilt immer als hundertprozentig wasserdicht und bewiesen. Die machen das nicht wie Gerichte, dass sie etwa Postzustellungsurkunden nehmen. Gerichte weisen nach, dass sie zugestellt haben. Das Amt fährt das einfach aus und da sind Fehler vollkommen ausgeschlossen. Sie sagen immer, nein, das kann nicht sein, dass der sich mal in meiner Adresse geirrt hat oder im Namen oder dass er das vergessen hat. Nein, das gilt immer als bewiesen, während ich selbst immer beweisen muss. Und das nennt sich dann Partnerschaft. Dann heißt es, ich bin Kunde der Arbeitsgemeinschaft. Wir sind Kumpel. Wir machen Treffen. Wir machen so eine Eingliederungsvereinbarung auf gleicher Augenhöhe, mit Vertrag und so weiter. In Wirklichkeit befi ndet man sich in einem besonderen Gewaltverhältnis, und zwar eher in Richtung Strafgefangener als in Richtung Beamter oder Schüler.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Das ist die Wahrheit. Und noch viel schlimmer als die Gesetzeslage ist die wirkliche Lage. In der wirklichen Lage wird viel geblufft. Da wird nicht nur gesagt, Sie müssen jeden Werktag erreichbar, sondern Sie müssen immer da sein. Sie müssen immer sicherstellen, dass einer ans Telefon geht, wenn nicht, Kürzung. Sie müssen immer sicherstellen, dass jemand zu Hause ist und aufmacht und Ihnen Bescheid sagt, wenn nicht, Kürzung. Sie wollen einem Langzeitarbeitslosen zur psychologischen Aufhellung nach CDU-Art sogar das Recht nehmen, wenigstens den Tag im Park zu verbringen und einmal zum Briefkasten zu gehen, wenn er schon keine Arbeit kriegt. Nein, er soll immer zu Hause neben dem Telefon sitzen. Und das ist wirklich schon Hausarrest, hart am Rande zum Strafgefangenendasein.

(Udo Pastörs, NPD: Psychologische Kriegsführung gegen Hartz-IV-Empfänger. – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD)

Das widerspricht nicht nur der Freizügigkeit, das widerspricht der Menschenwürde total. Das ist verfassungsfeindlich. Das Verfassungsgericht hat schon in vielen Bruchteilen der ganzen Hartz-IV-Regelungen Verfassungswidrigkeit nachgewiesen, zum Beispiel bei der Mischverwaltung, den Arbeitsgemeinschaften. Und eins nach dem anderen würde fallen, wenn man es nur im Grundgesetz messen würde. Schauen Sie mal in dieses kleine Büchlein rein, das könnte sehr lehrreich werden. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion der NPD)

Danke, Herr Andrejewski.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.