Bevor wir zur Tagesordnung übergehen, möchte ich zunächst noch einmal auf den vorherigen Tagesordnungspunkt zurückkommen. Bei seinen Ausführungen hat der Abgeordnete Tino Müller von der NPD unter anderem gesagt: „Um zu beweisen, dass Ihnen etwas an der Aufklärung über DDR-Verbrechen liegt, stimmen Sie unserem Antrag zu oder lehnen Sie ihn ab und paktieren Sie mit Verbrechern!“ Mit diesem Ausdruck hat er im Grunde genommen alle Abgeordneten hier als Verbrecher tituliert. Deshalb erteile ich dem Abgeordneten Müller einen Ordnungsruf. Da es der dritte ist, sind ihm die Folgen aufgrund unserer Geschäftsordnung bekannt.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 25: Beratung des Antrages der Fraktion DIE LINKE – Bedingungen für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter verbessern, Drucksache 5/989.
Antrag der Fraktion DIE LINKE: Bedingungen für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter verbessern – Drucksache 5/989 –
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Zeitarbeitsbranche stärkt den Wirtschaftsstandort Deutschland … Wir garantieren Flexibilität“.
So lauten die unternehmerfreundlichen Schlagzeilen in der Presse, wenn es um den massiven Zuwachs an Beschäftigten in der Zeit- und Leiharbeitsbranche geht. Ganz anders klingt es, wenn Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter darüber reden. Aus Angst meistens anonym: Wir fühlen uns als moderne Sklaven. Für die Stammbelegschaft sind wir eine Bedrohung. Geht es wieder schlechter im Betrieb, fl iegen wir raus. Und da kann einen schon die Wut packen, fi nde ich.
Leiharbeitsverhältnisse sind rechtlich sogenannte Dreiecksverhältnisse. Leiharbeiter sind bei der Verleihfi rma angestellt. Ihre Arbeitsleistungen erbringen sie aber nicht dort, sondern beim Entleihunternehmen, dem Kunden.
Fachlich sind sie dem Kunden unterstellt, disziplinarrechtlich dem Verleihunternehmen, ihrem Arbeitgeber. Der Überlassungsvertrag wird allgemein zwischen dem Verleiher und dem Entleiher geschlossen. Auf diesen Vertrag haben die Beschäftigten keinen Einfl uss. Man könnte auch sagen, sie sind ausgeliefert.
Grundlage der Leiharbeit ist das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz aus dem Jahre 1972. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte die Leiharbeit als Instrument für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt dienen, Auftragsspitzen sollten so schnell und unbürokratisch abgedeckt werden. Zunächst ging es um eine Überlassungsdauer von bis zu drei Monaten, später um 24 Monate. Aber die unsäglichen Hartz-Gesetze öffneten Tür und Tor. Flexible Arbeitskräfte, das war das neue Zauberwort zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und zum Abbau der Arbeitslosigkeit. Ruck, zuck wurde die Begrenzung der Überlassungsdauer gänzlich gestrichen. Im Klartext: Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter können ohne Begrenzung jahrelang an ein und dasselbe Unternehmen ausgeliehen werden. Als Feigenblatt wurde zwar das Gebot „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in das Gesetz aufgenommen, aber für die Unternehmer ist das Schall und Rauch. Nur auf dem Papier erhalten Leiharbeitskräfte Arbeitsentgelt, Arbeitszeit oder Urlaub wie das Stammpersonal.
In Mecklenburg-Vorpommern gibt es in der Leiharbeitsbranche drei Tarifverträge. Die dort vereinbarten Bruttoentgelte liegen je nach Tarifvertrag zwischen 5,70 Euro und 6,27 Euro. Damit liegen die Stundenlöhne in den meisten Fällen erheblich unter denen der Stammbelegschaften. Nach neuesten Angaben des DGB gibt es Lohndifferenzen von bis zu 40 Prozent. Sogar Gesamtmetallpräsident Kannegiesser meint, ich zitiere: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ist unabdingbar.“ Zeitarbeitnehmer seien aber in der Regel wesentlich unproduktiver als Festangestellte und verfügten nicht über das gleiche Know-how. Weiß der Mann eigentlich, was er da sagt? Kein Unternehmer stellt unqualifi zierte Leute für Facharbeitertätigkeiten ein. Leiharbeitskräfte gelten zudem als besonders motiviert und engagiert.
Meine Damen und Herren, ich weiß, in diesem Zusammenhang wird insbesondere von den Arbeitgebern auf die Tarifautonomie verwiesen, aber wie auch beim Mindestlohn gilt beim Thema Leiharbeit, dass Tarifverhandlungen die Fehlentwicklungen einfach nicht lösen konnten und auch in Zukunft nicht lösen können. Außerdem bedienen sich Arbeitgeber dieses Arguments immer dann, wenn es ihnen in den Kram passt.
Die Verhandlungsführerin der Deutschen Bahn forderte jüngst im Konfl ikt mit der GDL das Eingreifen des Staates, weil die Streiks der Lokführer den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährdeten. Dann kann man also ruhig mal auf die Tarifautonomie verzichten. Nehmen wir zum Beispiel den Betrieb Liebherr: Die Stammbelegschaft muss ohne einen Tarifvertrag arbeiten. Um die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter schert sich erst recht keiner. Oder ein anderes Beispiel: Nordex beschäftigt zum Beispiel Leiharbeiter als Laminierer. Sie erhalten einen Stundenlohn von 6,50 Euro, ein Festangestellter erhält 10,50 Euro. Auch dieser Lohn ist für meine Begriffe noch zu niedrig. Einem Leiharbeiter dafür aber 4,00 Euro weniger zu geben, fi nde ich, ist ein Skandal.
Wir fordern einen gesetzlichen Mindestlohn für alle! Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, ohne Wenn und ohne Aber!
Leiharbeit steigt explosionsartig, so auch in Mecklenburg-Vorpommern, allein von 2005 zu 2006 um mehr als 40 Prozent auf 7.400 Beschäftigte. Inzwischen gehen die Gewerkschaften sogar davon aus, dass man von 8.000 sprechen kann. Leiharbeit schafft Arbeitsplätze, sagen Sie, meine Damen und Herren der Großen Koalition, und sie ist eine gute Einstiegshilfe für Erwerbslose und Berufseinsteiger, Unternehmen können so fl exibel reagieren. Wie kann es da aber sein, dass 98 Prozent der Beschäftigten in der Zeitarbeit laut „DGB-Index Gute Arbeit“ ihre Arbeitsbedingungen als mittelmäßig bis schlecht empfi nden?
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch der Zehnte Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Ich zitiere. „Besonders bei Großbetrieben sind Tendenzen erkennbar, Stammpersonal durch Leiharbeiter zu substituieren. Zum Teil werden Mitarbeiter entlassen, um sie über hauseigene Verleihfi rmen zumeist zu ungünstigeren Tarifbedingungen in den alten Betrieb zurück zu entleihen. Zum Teil werden aber auch ganze Teile der Produktion auf Fremdfi rmen verlagert, die entsprechenden Mitarbeiter jedoch zuvor an diese Fremdfi rmen verliehen, um dort die erforderlichen Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln. Anschließend wird der vormalige Entleihbetrieb als Subunternehmer tätig.“ So weit das Zitat.
Meine Damen und Herren, das Ausgliedern von Stammpersonal bei gleichzeitigem Wiedereingliedern als billige Leiharbeiter ist nichts anderes als ein mieses Geschäft auf dem Rücken der Betroffenen. Auch im Gesundheitswesen oder im Medienbereich wird fl eißig outgesourct, wie man es heute auf Neudeutsch sagt.
Kaum Sicherheit, weniger Geld, ständige Angst, das ist das Angebot der Großen Koalition an viele Menschen, die ihnen doch angeblich so am Herzen liegen. Der Mensch wird zum Objekt gemacht. Der Kündigungsschutz verliert für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter an Bedeutung.
Die SPD machte in ihrem Wahlslogan deutlich, ich zitiere: „Aufweichen des Kündigungsschutzes, nicht mit uns!“ Das ist aber leider nur Schall und Rauch. Unternehmen haben jede Möglichkeit, den Kündigungsschutz zu umgehen. Leiharbeiter brauchen Rechte, sagen wir. Betriebsräte brauchen mehr Einfl uss. Auch deshalb fordern wir die Landesregierung auf, für die Stärkung betrieblicher Mitbestimmung für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter in den entleihenden Unternehmen einzutreten!
Fakt ist auch: Leiharbeit bedeutet nur äußerst selten den Einstieg in reguläre Arbeit. Bei der Aker-Werft in Warnemünde zum Beispiel sind seit August von 300 Leiharbeitern trotz voller Auftragsbücher für mehrere Jahre lediglich 10 in ein festes Anstellungsverhältnis übernommen worden. Und Fakt ist auch: Firmen planen Leiharbeiter ein mit Löhnen, die zwischen 20 und 40 Prozent unter denen der Stammbelegschaft liegen. Ein lohnendes Geschäft für die Arbeitgeber, aber Unsicherheit und Druck für die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter.
gleicher Lohn für gleiche Arbeit – einen gesetzlichen Mindestlohn, wie ihn auch die Gewerkschaften wollen
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Als Erster hat ums Wort gebeten der Minister für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Herr Seidel. Bitte schön, Herr Minister.
ich fi nde es wirklich etwas sehr gewagt, wie locker Sie hier so über die Fähigkeiten von durchaus anerkannten Unternehmern reden.
wenn er sagt, dass natürlich ein Leiharbeiter gar nicht die Fähigkeiten haben kann, wie einer, der in der Firma über längere Jahre arbeitet.
Der weiß sehr wohl, was er sagt. Ich glaube, der Mann ist so vernünftig, dass er nicht so von Ihrer Arbeit sprechen würde, wie Sie von seiner sprechen.
Ich will aber auf die Dinge noch einmal im Einzelnen eingehen. Ich würde wirklich sehr darum bitten, dass wir das dem Thema angemessen tun, sowohl mit eigenen Erfahrungen, aber auch mit dem, was uns an Daten und Fakten zur Verfügung steht.
Lassen Sie mich ausführen, in der Zeitarbeitsbranche sind insbesondere zu Beginn der Aufschwungphase viele neue Arbeitsplätze entstanden, unbefristet und tarifgebunden. Als die Unternehmen noch unsicher waren, ob die gestiegene Nachfrage länger anhält – und das ist zum Beispiel bei den Werften so ein Thema, das muss man klar sagen –, haben sie zunächst verstärkt auf Zeitarbeitskräfte zurückgegriffen. Allerdings änderte sich dieses mittlerweile auch, denn die Firmen stellen überwiegend eigenes Personal ein. Dies zeigt auch die wichtige Funktion von Zeitarbeit für die Wirtschaft.
Es macht auch überhaupt keinen Sinn, das jetzt in dem Maße einschränken zu wollen, wie Sie das hier vorschlagen. Auch bei der Zeitarbeit will die Fraktion DIE LINKE die wirksamen und auch Beschäftigung schaffenden Arbeitsmarktreformen zurückdrehen.
Sie haben darauf hingewiesen, dass es dort Regelungen im Rahmen der Reformen des Arbeitsmarktes gegeben hat. Offenbar wurde die nächste gefühlte Ungerechtigkeit erkannt. Die Zeitarbeit soll unattraktiv und damit bedeutungslos gemacht werden. Darauf zielt ganz klar Ihr Antrag. Wenn ich mir den Punkt 1 anschaue, heißt das, Zeitarbeit fi ndet nicht mehr statt, wenn man dem folgen würde.
(Dr. Armin Jäger, CDU: Ja. – Egbert Liskow, CDU, Gino Leonhard, FDP, und Michael Roolf, FDP: Genau.)
Meine Damen und Herren, dies wäre eine Politik zur Verhinderung von Beschäftigung, das will ich klar sagen, also nicht das, was wir – wie ich es fi nde – angesichts von 127.500 gemeldeten Arbeitslosen im Land brauchen.