Es ist beantragt worden, den Antrag der Fraktion der Linkspartei.PDS auf Drucksache 5/161 zur federführenden Beratung an den Sozialausschuss sowie zur Mitberatung an den Wirtschaftsausschuss sowie an den Bildungsausschuss zu überweisen. Wer stimmt diesem Überweisungsvorschlag zu? – Das ist die große Mehrheit. Ich frage trotzdem noch nach den Gegenstimmen. – Enthaltungen? – Damit ist das einstimmig so überwiesen worden.
Ich komme zum nächsten Tagesordnungspunkt. Die Beratung des Tagesordnungspunktes 22 entfällt, da der Antragsteller den Antrag auf Drucksache 5/147 zurückgezogen hat.
Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 23: Beratung des Antrages der Fraktion der NPD – Den Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV im Bundesrat ablehnen, Drucksache 5/145.
Antrag der Fraktion der NPD: Den Entwurf des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV im Bundesrat ablehnen – Drucksache 5/145 –
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns heute hier zwar schon über dieses Thema unterhalten, aber es gibt trotzdem noch vieles zu besprechen. Seit Jahren werden die Menschen dieses Landes mit einem Begriff regelrecht drangsaliert. Ich meine den Begriff „Reformen“ beziehungsweise „Reformpolitik“. Immer wieder, wenn dieser Begriff in das Bewusstsein der Menschen rückt, bedeutet es in allererster Linie einen Griff in ihre Taschen. Gerade die fi nanziell schlechter gestellten Menschen empfi nden heute beim Begriff „Reformen“ nur noch Zukunftsangst. Dies ist eigentlich schade, da Reformen doch im eigentlichen Sinne Veränderungen zum Guten, ja, Verbesserungen beinhalten sollen. Diese Verbesserungen bleiben Sie und Ihre Politik den Menschen schuldig.
Nun hat sich die große Koalition in Berlin zu einer Gesundheitsreform aufgemacht. Bevor dieser Weg allerdings zu Ende gebracht wurde, möchte man feststellen, dass es besser gewesen wäre, auf halber Strecke umzukehren und die Pläne zur Gesundheitsreform still zu beerdigen. Es stimmt: Nur dann, wenn man etwas tut, ändert sich etwas. Aber die von der Koalition vorgesehenen Änderungen wirken sich, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, zum Nachteil der Versicherten und im Übrigen auch der Unternehmen sowie Ärzte aus. Oder glauben Sie im Ernst, dass, wenn die Verfechter der Reform recht hätten und die Änderungen tatsächlich positiv wären, alle anderen zu dämlich sind, um das zu begreifen?
Interessant in diesem Zusammenhang ist dann auch, dass nur die Pharmaindustrie keine Kritik übt. Für den überwiegenden Teil der Betroffenen allerdings kann man ungeschminkt feststellen, dass mit der Gesundheitsreform ein weiterer Anschlag auf die soziale Gerechtigkeit und damit auch ein Schritt in die weitere Zerstörung des Gemeinschaftsgeistes unseres Volkes unternommen werden soll.
Immer und immer wieder wird den Bürgerinnen und Bürgern über die verschiedenen Kanäle Ihrer Massensuggestion eingetrichtert, dass der Sozialstaat nicht mehr fi nanzierbar sei. Wir stimmen mit Ihnen überein, dass es erhebliche Finanzierungsprobleme beispielsweise in der gesetzlichen Krankenversicherung gibt. Sie reden in diesem Zusammenhang gern von einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Auch hier sei dann kurz daran erinnert, dass der massive Kostenanstieg im Bereich der Arzneimittel zu fi nden ist. Daher schweigt sicherlich die Pharmaindustrie so vornehm. Doch hängt die Nichtfi nanzierbarkeit des Gesundheitswesens vor allem mit der Massenarbeitslosigkeit und den niedrigen Lohnquoten zusammen. Genau hier spreche ich dann auch wieder die Politik an, spreche ich Sie alle an. Sie haben nämlich die grundlegend verfehlte Sozial-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik zu verantworten. Genau hier können Sie sich nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen und so tun, als wenn diese Entwicklung quasi Zwangsläufi gkeiten sind.
Doch noch einmal zurück zur Kostenexplosion. In den letzten zweieinhalb Jahrzehnten sind die Ausgaben der
gesetzlichen Krankenversicherung gemessen am Bruttoinlandsprodukt relativ moderat gestiegen, nämlich von 5,57 Prozent im Jahr 1977 auf 6,39 Prozent im Jahr 2003. Die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung Mitte der 70er Jahre sind von rund 10,4 Prozent auf 14,4 Prozent gestiegen.
Einen weiteren Punkt sollte man unter diesem Thema beleuchten, da Sie sich diesen bitte an die Fahnen Ihrer Parteien heften müssen. Wären die Beiträge aus der gesetzlichen Krankenversicherung bestimmungsgemäß verwendet worden, dann würden wir heute vermutlich gar nicht vor diesem Problem stehen. Doch haben Sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung Verschiebebahnhöfe gemacht, welche Sie dann ehrlicherweise auch politisch verantworten müssen. Ihre Parteien haben die Sozialversicherungen immer und immer wieder zu systemwidrigen Entlastungen des Staatshaushaltes missbraucht. Allein durch die Gesetzgebung der Bundesregierung in den Jahren 1989 bis 2002 ergibt sich eine kumulierte Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung bis einschließlich 2003 von über 30 Milliarden Euro, meine Damen und Herren, und durch die Arbeitsmarktgesetze Hartz I bis Hartz IV eine jährliche Belastung der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem letzten Jahr von etwa 3,57 Milliarden Euro – Tendenz steigend.
Und um noch mal ein letztes Beispiel der Unverfrorenheit deutlich zu machen, die für die Politik des Bundes steht: Die Mehrwertsteuererhöhung seinerzeit von 14 auf 16 Prozent hat zu einer jährlichen Mehrbelastung der gesetzlichen Krankenversicherung von etwa 1,7 Milliarden Euro geführt. Sie setzen jetzt noch eines drauf, denn wenn wir seit Anfang dieses Jahres die 3-prozentige Mehrwertsteuererhöhung haben, werden die Krankenversicherungen zusätzlich belastet. Wer nach solcher Politik dann meint, es gebe eben das reine irgendwoher stammende Systemproblem, der will von seiner eigenen Verantwortung in dieser Frage ablenken. Schon 2004 hat die damalige Bundesregierung am Gesundheitswesen herumgepfuscht und brachte das sogenannte Gesundheitsmodernisierungsgesetz auf den Weg.
Was brachte diese sogenannte Jahrhundertreform? Milliarden Einsparungen waren geplant, aber realisiert wurden diese durch Leistungsausgrenzung, zum Beispiel von nicht mehr erstattungsfähigen Arzneimitteln, durch Einschränkung des Leistungsanspruchs bei Sehhilfen, durch Einschränkung ambulanter Fahrkosten. Dafür kamen höhere Zuzahlungen für Medikamente und die Praxisgebühr sowie ein Sonderbeitrag von 0,9 Prozent und die Absenkung des Arbeitgeberbeitrages zur Schaffung vorgeblich von Arbeitsplätzen.
Die Folgen schon dieser Reform sind eigentlich nur fatal und sie werden wiederum von der Mehrheit der Versicherten am Ende bezahlt. Die Belastungen für Kranke und Versicherte steigen seitdem zu einer jährlichen Mehrbelastung von 11 Milliarden Euro gegenüber dem Jahr 2003. Das sind die Ergebnisse der letzten Reform, die wir auf diesem Gebiet haben.
Doch, und das halte ich unter den hier aufgezeigten Aspekten für ebenso beleuchtungswürdig, wie sieht es im Gegenzug in der Steuerpolitik des Bundes aus? Zum 1. Januar 2008, und das soll sich fortsetzen, will die Bundesregierung eine entsprechende Reform der Unternehmensbesteuerung sowohl für Körperschaften als auch für Personengesellschaften umsetzen, und das, und hier kommen wir doch erneut zu den Finanzierungsfragen, angesichts der Tatsache, dass das Einkommen
aus Gewinn und Vermögen in diesem Land seit 2002 um 23 Prozent gesteigert werden konnte, während die Arbeitnehmerentgelte auf ihrem Niveau verharren und teilweise sogar rückläufi g sind. Fangen Sie doch bitte in Ihren Parteien erst einmal mit einer vernünftigen Steuerpolitik an, bevor Sie den Menschen dreist zur Finanzierung Ihres fabrizierten Unsinns in die Taschen greifen.
Jetzt komme ich noch einmal zu dem Gesundheitsfonds, der eingeführt werden soll. Es wird hier aber kaum kommuniziert, dass alle gesetzlichen Krankenkassen, die sich diesem Fonds anschließen müssen, auch entschuldet sein müssen. Es gibt aber Krankenkassen mit erheblichen Altschulden. Wie sollen sie diese Schulden tilgen? Dafür gibt es nur einen Weg: die Erhöhung der Beiträge, und zwar sowohl für die Versicherten als auch für die Unternehmen. Das betrifft wiederum die sogenannten Lohnnebenkosten, die in Wirklichkeit eine Abgabe der Unternehmen für die sozialen Sicherungssysteme sind. Daher werden die Versicherungsbeiträge weiter erheblich steigen und die angegebenen 0,5 Prozentpunkte bilden hier den Einstieg. Nicht umsonst hat die AOK Mecklenburg-Vorpommern ihre Beiträge zum 1. Januar um einen Prozentpunkt erhöht. Das wird in der Diskussion seitens der großen Koalition aber mit keinem Satz erwähnt. Das ist nicht in Ordnung, denn diese Belastung kommt auf die Unternehmen und die Versicherten zu.
Des Weiteren sollen die Beiträge der Unternehmen ab 2009 eingefroren werden, nicht aber die der Versicherten. Nach der geplanten Regelung haben die gesetzlichen Krankenkassen das Recht, von dem Versicherten einen Zusatzbeitrag zu fordern, wenn die Mittel aus dem Gesundheitsfonds nicht ausreichen. Hier kommt wieder die alte Kopfpauschale der Union zum Vorschein.
Die Koalition hat aber die Menschen mit zwei Regelungen verwirrt. Alle denken, der monatliche Zusatzbeitrag dürfe nur 8 Euro betragen. Das ist aber ein Irrtum. Bei 8 Euro muss lediglich nicht darauf geachtet werden, ob die Grenze von einem Prozent des Haushaltseinkommens überschritten wird. Wenn die gesetzlichen Krankenkassen einen höheren Zusatzbeitrag von den Versicherten verlangen, dann muss die Grenze von einem Prozent des Haushaltseinkommens berücksichtigt werden. Der Zusatzbeitrag kann also sehr viel höher als 8 Euro liegen. Wenn das alles nicht reicht, dann ist in dem Gesetzentwurf geregelt, da schweigt man sich aber besser aus, dass die Regierung die Beiträge erneut festsetzen darf, und zwar sowohl für die Arbeitnehmer als auch für die Arbeitgeber. Seitens der Koalition hingegen wird behauptet, dass das Gesetz nicht zu Leistungseinschränkungen und Beitragserhöhungen führen werde. Entweder haben Ihre Parteivertreter in Berlin ihren eigenen Gesetzesentwurf nicht richtig gelesen oder sie sagen nicht die Wahrheit, denn das Gegenteil ist richtig. Wenn eine gesetzliche Krankenkasse in Zukunft vor der Entscheidung steht, ob sie die Beiträge für die Versicherten erhöhen soll, dann muss sie dabei berücksichtigen, dass viele Versicherte nach einer angekündigten Erhöhung austreten und zu einer anderen gesetzlichen Krankenkasse wechseln werden.
Die Bürger und auch meine Fraktion hätten sich daher mehr Einsatz in diesen Fragen gewünscht. Selbst in der Sitzung des Bundesrates am 15. Dezember 2006, wo der Gesetzentwurf behandelt wurde, war das Wort Mecklenburg-Vorpommerns nicht zu vernehmen. Wir können uns angesichts der Wichtigkeit dieses Themas nicht vorstellen, dass diese Sitzung dieses Gesetz besiegelt
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.
Sehr geehrte Herren von der NPD, im Gegensatz zu Ihnen favorisieren wir das Handeln für die Bürger und nicht das blanke Polemisieren. Nun haben wir gehandelt und das Ergebnis ist die Gesundheitsreform. Sie steht für mehr Transparenz, mehr Wettbewerb, mehr Eigenverantwortung, weniger Bürokratie und Versicherungsschutz für alle. Union und SPD ist es nach langen und schwierigen Verhandlungen auf der Bundesebene gelungen, ein Konzept zur Reform auf den Weg zu bringen, das viele Überzeugungen berücksichtigt.
Im Übrigen, sehr geehrte Herren von der NPD, lehnen wir Ihren Antrag ab, weil es Ihnen eben nicht um das Wohl aller Versicherten geht in Deutschland, sondern um Polemik und, ich meine, gefährliche Ideologie.
Gestern haben Sie sich desavouiert. Sie haben Ihre Maske fallen lassen. Ihre Vorstellungen zum Gesunden und Starken sind kein Witz, sie sind eine Drohung.
Wer solche Gedanken hegt, ist nicht weit von Wünschen nach einer Selektion. Das erinnert mich an das fi nsterste Kapitel deutscher Geschichte.
Und das Unheil geschah auch vor dieser Haustür, zum Beispiel auf dem Sachsenberg oder in meiner Heimat am Tollensesee,
in Alt Rehse, einem idyllischen Ort, nationalsozialistisches Musterdorf und Reichsärzteführerschule. Dort wurde Euthanasie gelehrt und Ärzte und Schwestern wurden entsprechend geschult.
Wir stehen für ein solidarisches Gesundheitssystem, welches Versicherungsschutz für alle garantiert. Daher lehnen wir Ihren Antrag ab.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Für die Beschäftigung mit dem Thema habe ich ein Buch von Brecht zurate gezogen und einen Text aus dem März 1936 gefunden,
überschrieben „Über die Frage, ob es Hitler ehrlich meint“: „Die Frage, ob Hitler ehrlich ist, wird häufi g gestellt und viele tun so, als hinge von ihrer Beantwortung viel ab.“
„Man kann natürlich ebenso fragen, ob ein Negermedizinmann, der verkündet, daß erst wieder Regen kommen wird, wenn ein bestimmter Mann aufgefressen ist, es ehrlich meint. Im Allgemeinen wird man nur dann dazu neigen, den Medizinmann für unehrlich zu halten, wenn er mit dem Mann, den er zu essen empfi ehlt, nichts persönlich zu tun hat, also weder verwandt noch verschwägert noch geschäftlich liiert noch sonst irgendwie verfeindet ist. Der betreffende Mann selber wird ihn aber auch dann nicht für ehrlich halten, und auch wenn er ihn für ehrlich halten würde, so würde er doch gefressen werden, und zwar ohne, daß dadurch ein Regen kommt.“
Warum zitiere ich diesen etwas kompliziert daherkommenden Text? Weil ich denke, er ist hilfreich im Umgang mit dem Antrag der NPD, der so scheinbar makellos daherkommt. Der betreffende Mann, wie Brecht meint, oder, wie es hier zutreffenderweise heißen müsste, wir Abgeordneten müssen uns die Frage vorlegen: Können wir ehrlichen Herzens diesem Antrag zustimmen, weil es die NPD ehrlich meint und sie gut für die Menschen in diesem Land sein will?