Protocol of the Session on January 26, 2011

tagessen für bedürftige Kinder, Schulmaterial, Lernförderung und einem Budget etwa für Musik oder den Fußballverein nicht ablehnen wird“, Ende des Zitats. Recht hat sie offensichtlich.

Was beinhaltet dieses Paket für die 2,5 Millionen Kinder, deren Eltern Hartz-IV-Leistungsempfänger oder Geringverdiener sind? Es beinhaltet genau 790 Millionen Euro, wobei der größte Teil, nämlich 400 Millionen Euro, aus der Streichung des Elterngeldes für Hartz-IV-Leistungsempfänger in Höhe von monatlich 300 Euro herrührt.

Für 2,5 Millionen Kinder werden 790 Millionen Euro aufgewandt, die sich auch aus Kürzungen bei den Kosten der Unterkunft und Kürzungen in anderen sozialen Bereichen speisen, ohne jedoch einen einzigen Euro mehr für die kindlichen Regelsätze zur Absicherung ihres Lebensunterhaltes bereitzustellen. Die 790 Millionen Euro beinhalten allein 135 Millionen Euro für Verwaltungskosten, das heißt für örtliche Verwaltungsbeamte oder Sozialpädagogen. Diese Mittel, gerade für Sozialpädagogen, verehrte Abgeordnete, waren der mitverhandelnden SPD ganz außerordentlich wichtig, ebenso die Mittel für das warme Mittagessen oder die Ganztagsschule.

Damit Sie mich nicht falsch verstehen, auch meiner Fraktion sind diese Leistungen sehr wichtig. Frau Ministerin Schwesig wird uns möglicherweise in der Debatte erklären,

(Zurufe von Dr. Wolfgang Methling, DIE LINKE, und Peter Ritter, DIE LINKE)

wie das bei dieser Mittelbereitstellung sowie bei der Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen praktisch funktionieren soll. Und sie wird uns sicherlich auch erklären, wie glücklich die jungen Hartz-IV-Muttis und -Papas darüber sind, dass ihnen zu diesem Zwecke das Elterngeld in Höhe von monatlich 300 Euro gestrichen wurde.

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Summa summarum stehen zur Umsetzung der Verfassungsgerichtsentscheidung pro Jahr 316 Euro und monatlich 26,33 Euro je Kind zur Verfügung. Die Aufwendungen für die kommunalen Verwaltungsangestellten und Sozialarbeiter in Höhe von 4,50 Euro je Kind und Monat sind davon noch abzuziehen, verbleiben also 21,33 Euro je Kind und Monat für Schulmaterial, Mittagessen, Nachhilfe und Freizeitaktivitäten, die auf Antrag über die Kommune ausgereicht werden. 21 Euro und 33 Cent!

Letzteres, so hören wir nun von Frau von der Leyen, sei aber gewaltig kompliziert, weil es ja das Grundgesetz gäbe, welches solche Bund-Kommune-Direktbeziehungen nicht vorsehe. Wir erinnern uns: Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vor einem Jahr musste das Grundgesetz geändert werden, um für die unsoziale Hartz-IV-Politik einen verfassungskonformen administrativen Rahmen zu schaffen. Jetzt wird wieder etwas vorgeschlagen, was weder verfassungskonform ist noch – und das ist ja viel dramatischer – etwas mit moderner Bildungspolitik zu tun hat.

Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, in allen Staaten, die gerade immer wieder in den PISA-Studien gut abschneiden, in denen anders als in Deutschland die soziale Herkunft der Kinder nicht über die Bildungsbiografie entscheidet, sind Bildung und Bildungsprozesse dort angesiedelt, wo die Kompetenz dafür vorhanden ist. Und das ist nun weder bei den

Jobcentern noch bei den Kommunalbeamten, wie Frau Ministerin Schwesig und Frau Ministerin von der Leyen es uns weismachen wollen. Nein, in allen Staaten, die gerade immer wieder in den PISA-Studien gut abschneiden, sind Bildungsprozesse an den Schulen beziehungsweise bei den Trägern der Kinder- und Jugendhilfe, bei Vereinen und Verbänden inhaltlich und finanziell angesiedelt.

Lassen Sie mich Professor Prenzel sinngemäß zitieren. Sie können das nachlesen in der „Frankfurter Allgemeinen“ beziehungsweise in FAZ.NET vom 24. Januar. Er plädiert für den Ausbau von Nachmittags- und Ganztagsschulen und führt aus, dass der wichtigste Ort, um die Chance auf Anschluss zu wahren, der Unterricht ist. Intelligentes Üben und spielendes Lernen gilt es zu entwickeln, Fördermaßnahmen sollten an den vorhandenen Fähigkeiten der Kinder ansetzen und die vorhandenen Stärken dieser Kinder und Jugendlichen ansprechen und für das Weiterlernen nutzen. Nur so wird der in Deutschland nach Auffassung von Professor Prenzel vorherrschende defizitorientierte Blick in einen an den Stärken der Kinder orientierten Ansatz zu überführen sein.

Lernen, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete, ist ein kommunikativer Prozess, in dem die unterschiedlichen Stärken der Kinder zur Wirkung kommen, ein Prozess, der von den pädagogischen Fachleuten geführt und nicht in die Hand von Verwaltungsbeamten gelegt werden sollte, Verwaltungsbeamte, die dann nach einem Maßnahmenkatalog Nachhilfeunterricht verordnen.

Unser Antrag plädiert für eine inklusive Herangehensweise. Die zur Verfügung stehenden Mittel sollten im Interesse der Kinder zur Stärkung von Schule und Kinder- und Jugendhilfe, zur Stärkung der in diesen Bereichen tätigen Pädagogen eingesetzt werden, und zwar unabhängig von der daneben erforderlichen verfassungsgemäßen Ausgestaltung der Regelsätze. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE)

Danke, Frau Dr. Linke.

Meine Damen und Herren, im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von 60 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat zunächst die Abgeordnete Frau Tegtmeier von der Fraktion der SPD.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Frau Dr. Linke, Sie haben hier viel gesprochen, aber nicht zu Ihrem Antragsinhalt.

(Heinz Müller, SPD: Wenig gesagt. – Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

Nein, sie hat auch viel gesagt, das will ich gar nicht in Abrede stellen, aber allein die Formulierung Ihres Antrages in der Überschrift „Bildungsfonds statt Chipkarte – unabhängig von Regelsatzdebatten“.

(Torsten Koplin, DIE LINKE: Das ist der Antrag.)

Da die Chipkarte von Anfang an nach dem Gerichtsurteil ein Bestandteil der Regelsatzdebatte war, stellen Sie zunächst einmal in der Überschrift den Zusammenhang her und nach dem Bindestrich stellen Sie ihn wieder in Abrede.

Des Weiteren ist Ihr Antragstext drei Zeilen lang. Die drei Zeilen, die er umfasst, lassen vermuten, dass Sie eventuell meinen können, egal, was bei einer Neuberechnung der Regelsätze rauskommt, also bereits unter Berücksichtigung der Bedarfe für Bildung und soziokulturelle Teilhabe von Kindern, deren Eltern Hartz-IV-Bezieher sind, also unabhängig davon, dass sie für alle Kinder, eigentlich ist das ja nicht eingeschränkt in Ihrem Antragstext, einen Bildungsfonds aufgelegt haben möchten, der also mit der Regelsatzdebatte dann in der Tat nichts zu tun hätte. Sie haben sich aber hier die ganze Zeit sehr mit den Regelsätzen befasst und darauf Ihre ganzen Ausführungen aufgebaut.

Die Auffassung, die Diskussion unabhängig von der Regelsatzdebatte zu führen, geht aus dem einfachen Grund ja schon, das haben Sie ja selber gesagt, das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass Bildung und soziokulturelle Teilhabe zum menschenwürdigen Existenzminimum gehören und der Bundesgesetzgeber dafür Sorge zu tragen hat, dass diese Bedarfe hinreichend gedeckt werden und hilfebedürftige Kinder nicht von Lebenschancen ausgeschlossen werden dürfen, um später ihren Lebensunterhalt aus eigenen Kräften bestreiten zu können.

(Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Damit besteht also schon die höchstrichterliche Aufforderung, Bildung und Teilhabeleistung innerhalb der Regelsatzdebatte zu thematisieren.

Sie fordern die Landesregierung in Ihrem schmalen Antragstext des Weiteren auf, sich für einen Bildungsfonds einzusetzen, der den Kindern und Jugendlichen unmittelbar durch die Kitas und Schulen zur Verfügung gestellt wird.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Das hat der Ministerpräsident beim Bildungsgipfel auch getan.)

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Ja, ja.)

Und Sie führen in der Begründung aus, dass die strukturellen Voraussetzungen zur Umsetzung des Bildungspaketes nicht flächendeckend gegeben sind und die Länder und Kommunen die finanziellen Mittel nicht allein aufbringen können.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Genau.)

Aus all diesen Behauptungen und Ausführungen kann man zu ganz unterschiedlichen Zielrichtungen, die Sie verfolgen könnten, kommen. Aber vor welchem Hintergrund tun Sie dies? Das hat Frau Dr. Linke teilweise auch schon mit ausgeführt.

Wir haben hier zuletzt im Dezember über das Bildungspaket der Bundesregierung und die sogenannte Chipkarte gesprochen. Bereits damals haben wir und hat sich unsere Sozialministerin gegen dieses Bildungspäckchen und die Chipkarte als nicht zielführend und auch nicht ausreichend ausgesprochen. Wir haben da ganz klar gefordert, dass das Bildungspäckchen zu einem ernsthaften Bildungspaket ausgebaut werden muss

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Ja, aber die Ergebnisse im Moment deuten da nicht drauf hin.)

und vor allen Dingen auch auf die Kinder von Geringverdienern ausgeweitet werden soll,

(Zuruf von Peter Ritter, DIE LINKE)

deren Eltern aufgrund ihrer sozialen Lage Wohngeld beziehen können.

Die Sozialministerin ihrerseits hat keinen Zweifel an ihren Bemühungen auf Bundesebene gelassen, sondern sich hier immer klar und deutlich geäußert. Wir haben alle diese Entwicklung auf Bundesebene und insbesondere das Agieren der Ministerin im Vermittlungsausschuss mitverfolgt.

Dann darf ich Sie noch mal daran erinnern, wie das Angebot der Bundesregierung aussah. Die sogenannte Chipkarte sollte für die Kinder von Hartz-IV-Empfängerinnen beziehungsweise -Empfängern eingeführt werden, die Jobcenter sollten diese auf Antrag ausreichen. Die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger hätten für ihre Kinder zu den Jobcentern gehen sollen, um dort einen Antrag auf eine Chipkarte zu stellen.

Was hat nun unsere Ministerin Manuela Schwesig als Verhandlungsführerin der SPD im Vermittlungsausschuss erreicht?

(Irene Müller, DIE LINKE: Bis jetzt noch nichts.)

Nicht mehr die Jobcenter sollen den Bildungsetat verwalten, sondern die kommunale Ebene.

(Irene Müller, DIE LINKE: Gar nichts.)

Und das ist richtig, das betonen Sie selber auch immer wieder. Auf kommunaler Ebene weiß man am allerbesten, was wo gebraucht wird, und vor allen Dingen, wo welches Angebot auch vorgehalten wird.

Sie hat erreicht, dass die kommunale Ebene selbst die Entscheidungen auch treffen kann, einen Bildungsfonds und vielleicht an anderer Stelle tatsächlich eine Chipkarte, wo sich das anbietet – nämlich zum Beispiel in den größeren Städten kann man durchaus auch mit so einem Mittel arbeiten –, einzuführen.

(Andreas Bluhm, DIE LINKE: Hoch verschuldete Städte sind in der Lage, einen Fonds zu bilden? – Zuruf von Irene Müller, DIE LINKE)

Sie hat erreicht, dass nicht nur die Kinder – das habe ich eben schon gesagt – von Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern bedacht werden, sondern auch die Kinder von Eltern mit Wohngeldanspruch. Das Gesamtvolumen des Bildungspakets erhöht sich damit auf 790 Millionen Euro. Das sind also 50 Millionen mehr als vorher geplant.