Protocol of the Session on June 29, 2006

Meine Damen und Herren, der Ausschuss ist zu der Überzeugung gelangt, dass dieses Verbrechen mit dem geltenden rechtlichen Instrumentarium der Führungsaufsicht nicht zu verhindern gewesen wäre, denn selbst wenn die JVA die Bewährungshelferin über das Nichterscheinen von Maik S. zur Therapie informiert hätte, wären keine Eingriffsmöglichkeiten vorhanden gewesen, die es hier der Justiz ermöglicht hätten, Maik S. vor der Tat am 15.07.2005 festzuhalten. Insbesondere hätte die Bewährungshelferin hier nicht auf die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Maik S. hinwirken können, denn die Nichtteilnahme an der Therapie war im vorliegenden Fall nicht strafbar, weil es sich nicht um eine strafbewährte Weisung des Gerichts gehandelt hat.

Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass bei einem Haftentlassenen, der sich nicht an Weisungen hält oder bei dem Anzeichen bestehen, dass von ihm möglicherweise Straftaten zu befürchten sind, man allenfalls ein kurzfristiges Gespräch erreichen kann. Die Verantwortlichen verfügen jedoch nicht über die rechtliche Handhabe, ihn unverzüglich festzuhalten, selbst bei einem Verstoß gegen eine strafbewährte Weisung nicht, denn ein solcher Verstoß ist mit einer Höchststrafe von nur einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht. Das bedeutet, dass hier Untersuchungshaft als sofortige Sanktion nicht möglich ist.

Für den Ausschuss sind daher vier Dinge wichtig:

Erstens. Er kommt überwiegend zu der Auffassung, dass das Rechtsinstitut der Führungsaufsicht konsequenter und effektiver ausgestaltet werden muss, damit die All

gemeinheit besser vor hochgefährlichen Straftätern geschützt wird.

Zweitens. Die Zusammenarbeit der Verantwortlichen in Führungsaufsichtsstellen, Bewährungshilfe und Vollzugsanstalten mit der Polizei muss weiter intensiviert werden.

Drittens. Die festgestellten Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Vollzugsanstalten und Bewährungshilfe erfordern zukünftig eine bessere, eine engere Verzahnung von Vollzug und sozialen Diensten.

Viertens. Im Bereich der Bewährungshilfe erscheint es sinnvoll, für entlassene Strafgefangene eine deliktspezifische Betreuung durchzuführen.

Meine Damen und Herren, beim Punkt 1.6 stellte sich dem Ausschuss die Frage, wie sich der Verlauf eines Strafverfahrens im Fall der Vergewaltigung eines zwölfjährigen Jungen, in dem Maik S. verdächtig war, gestaltete. Im Rahmen der Ermittlungen zum Verbrechen an Carolin hat die KPI Rostock im August 2005 von der Polizeidirektion Künzelsau ein Ersuchen erhalten. Darin wurde mitgeteilt, dass sich dort ein junger Mann namens Andreas O. gemeldet habe. Dieser gab an zu glauben, MaikS. auf Lichtbildern im Zusammenhang mit der öffentlichen Berichterstattung über den Fall Carolin wiedererkannt zu haben. Maik S. gleiche möglicherweise einem Mann, der ihn im Alter von damals zwölf Jahren – im Jahr 1995 – im Raum Laage sexuell missbraucht habe. Daraufhin wurde ein neues Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des schweren sexuellen Missbrauchs eines Minderjährigen gegen Maik S. eingeleitet. Die zuständige Staatsanwältin, die Zeugin Below, stellte dieses Verfahren jedoch am 09.12.2005 ein, da der mutmaßlich Geschädigte Maik S. zuvor nicht zweifelsfrei identifizieren konnte.

Dieselbe Staatsanwältin hatte bereits im Jahr 1995 ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen der mutmaßlichen Straftat geführt. Dieses Verfahren war seinerzeit im Januar 1996 eingestellt worden. Die entsprechende Ermittlungsakte ist dann am 19.06.2002 vernichtet worden, obwohl die angezeigte Tat erst am 05.06.2005 verjährt gewesen wäre. Diese vorzeitige Vernichtung der Akte hat dem Ausschuss die vollständige Rekonstruktion des 1995 geführten Verfahrens erschwert. Der Ausschuss sieht deshalb Anlass, dass zukünftig die Aktenführung noch besser kontrolliert wird.

Wichtig ist aber die Feststellung, dass auch, wenn die Akte regelgerecht vernichtet worden wäre, der Geschädigte sich erst im August 2005 erneut an die Polizei gewandt hat. Zu diesem Zeitpunkt war die Tat jedoch, wie ich bereits erwähnt hatte, verjährt. Zudem ist auch in keiner Weise ersichtlich, dass Maik S. die fragliche Tat überhaupt begangen hat. Hier wie selbstverständlich eine wahrscheinliche Täterschaft von Maik S. zu unterstellen wird den objektiven Umständen, und auf die kommt es an, nicht gerecht.

Meine Damen und Herren, abschließend bleibt die Feststellung, dass auch die im Jahr 1995 sichergestellten Spuren – zwei Abstriche, ein Bonbonpapier und eine Zigarettenkippe – nicht mehr auffindbar waren. Ob aus diesen Spuren DNA-fähiges Material hätte gewonnen werden können, welches dann in die ab 1998 beim Landeskriminalamt geführte DNA-Datei hätte eingestellt werden können, konnte vom Ausschuss zumindest nicht aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme geklärt werden. Alle Mutmaßungen diesbezüglich fallen daher in den Bereich der Spekulationen.

Meine Damen und Herren, so weit mein Bericht zum ersten Untersuchungsauftrag. Wie ich eingangs meiner Ausführungen gesagt hatte, war es dem Ausschuss aus zeitlichen Gründen nicht möglich, den zweiten Untersuchungsauftrag hinsichtlich der Situation an der Staatsanwaltschaft in Neubrandenburg zu erfüllen.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich an der Stelle all denjenigen, die in diesem Untersuchungsausschuss in den vergangenen vier Monaten mitgewirkt haben, also selbstverständlich allen Abgeordneten und Fraktionsmitarbeitern, ganz besonders aber den Mitarbeitern im Ausschusssekretariat unter der Leitung von Frau Frohriep, sehr herzlich für ihre engagierte Arbeit danken. Das haben sie verdient.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und Linkspartei.PDS)

Meine Damen und Herren, ich glaube, kein Untersuchungsausschuss zuvor hat unter einem solchen Zeitdruck bei seiner Arbeit gestanden wie dieser.

Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir am Schluss noch eine persönliche Anmerkung. Ich glaube, niemand kann wirklich das Leid ermessen, das die Angehörigen von Carolin empfinden. Ich kann nur sagen, auch wenn die Untersuchung heute ihr Ende findet, dieser Fall ist mir sehr nahe gegangen, er geht mir sehr nahe und er wird mich sicher noch lange begleiten.

Meine Damen und Herren, der Untersuchungsausschuss hat einstimmig beschlossen, dem Landtag die Kenntnisnahme des Sachstandsberichts zu empfehlen. – Vielen Dank.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und Linkspartei.PDS)

Danke schön, Herr Mohr.

Im Ältestenrat ist vereinbart worden, eine Aussprache mit einer Dauer von 290 Minuten vorzusehen. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Krumbholz von der Fraktion der SPD.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! In zwei Wochen, am 15. Juli, ist es genau ein Jahr her, dass die 16-jährige Gymnasiastin Carolin Scholz auf bestialische Weise ermordet wurde. Ich kann mich noch sehr genau an die Berichterstattung der Medien nach diesem 15. Juli erinnern. Solche tragischen Ereignisse bewegen auch Außenstehende zutiefst. Gerade vor dem Hintergrund, dass meine jüngste Tochter zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt war, einen Freund hatte, der ebenfalls im Nachbarort wohnte, und sie damals gelegentlich auch mit dem Fahrrad zu ihm fuhr, stellt man sich als Vater schon die Frage: Wie würdest du handeln, was würdest du machen, wenn deine Tochter solch einem Monster begegnen würde? Ich habe auf diese Frage bis heute keine Antwort gefunden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, an dieser Stelle möchte ich den Eltern, dem Bruder, den Großeltern, dem Freund, allen Angehörigen von Carolin mein tiefstes Mitgefühl zum Ausdruck bringen, obwohl mir bewusst ist, dass ich als Außenstehender den Schmerz, die Trauer, die Wut, die sie durchlebt haben und durchleben müssen, eigentlich nur erahnen kann.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nachdem dann am 18. Juli vergangenen Jahres bekannt wurde, dass ein 29-jähriger Mann wegen des dringenden Tatverdachts festgenommen wurde, und sich herausstellte, dass dieser Mann erst am 8. Juli – also eine Woche vor dem Mord an Carolin nach Verbüßung einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren wegen Vergewaltigung in Tateinheit damit verbundener weiterer Straftaten – freigelassen wurde, freigelassen werden musste, seine Haftzeit war zu Ende, drängten sich schon die Fragen auf: Hat dort jemand falsch gehandelt? Hätte er in Haft gehalten werden können oder müssen? Diese Fragen stellten sich mir auch. Und Sie können mir glauben, gerade vor dem Hintergrund, den ich eingangs geschildert habe, war ich immer daran interessiert, hier eine solide umfassende Sachaufklärung vorzunehmen, was natürlich auch bedeutet, sollten sich Anzeichen beziehungsweise Beweise dafür ergeben, dass hier ein individuelles Fehlverhalten vorliegt, dass dies dann mit Namen und Adresse benannt werden muss.

Auf der ersten regulären Sitzung des Rechtsausschusses nach der Sommerpause am 25. August des vergangenen Jahres war dieser Fall dann Gegenstand der Erörterung. Geladen waren hierzu der Justizminister und der Generalstaatsanwalt. Nach der Verurteilung des Täters im November 2005 hat sich der zuständige Rechtsausschuss dann auf vier Sitzungen sehr umfassend mit diesem Sachverhalt beschäftigt, hat Sachverständige befragt, so Herrn Professor Joecks als Strafrechtsgelehrten, Frau Dr. Rissing-van Saan als Vorsitzende Richterin am BGH und damit Rechtsanwenderin und Herrn Dr. Orlob, der in seiner Eigenschaft als Psychologe den Maik S. begutachtet hat und uns daher ein sehr umfassendes Bild von dessen Persönlichkeitsstruktur abgeben konnte.

Leider hat, das muss man der Vollständigkeit halber auch erwähnen, die CDU-Fraktion diese Expertenanhörung im Rechtsausschuss boykottiert, stattdessen mittels Minderheitenrecht diesen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss durch den Landtag einsetzen zu lassen. Nach der Konstituierung des PUA hat sich der Rechtsausschuss interfraktionell dazu verständigt, den Mordfall Carolin nicht weiterzubehandeln und alle diesbezüglichen Protokolle dem PUA zur Verfügung zu stellen, damit dieser nicht erst bei Punkt null anfangen muss.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Zusammenfassung der nunmehr hinter uns liegenden 95 Sitzungsstunden des PUA liegt Ihnen in Form des Sachstandsberichtes des Ausschusses und in Form des Sondervotums der CDU-Fraktion vor. Der Vorsitzende hat uns den Sachstandsbericht in seiner Einbringungsrede sehr dezidiert erläutert, gerade was den Feststellungs- und den Bewertungsteil betrifft. Ich kann hier für mich und für meine Fraktion erklären, dass wir den Sachstandsbericht in allen seinen Feststellungen und Bewertungen vollumfänglich teilen. Aus diesem Grunde möchte ich mich in meinen Ausführungen nicht mehr auf den Sachstandsbericht beziehen, sondern ich möchte mich mit dem Sondervotum der CDU-Fraktion auseinander setzen.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist doch gar nicht vorgesehen. – Rainer Prachtl, CDU: Wir hätten drankommen müssen. Ich verstehe das nicht. Das ist peinlich!)

Das ist nicht mein Problem, ich habe mich nicht als Erster gemeldet. Dann würde ich vorschlagen, …

(Unruhe bei Dr. Ulrich Born, CDU – Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Herr Abgeordneter, wir können ja dem Abgeordneten Herrn Dr. Born von der Fraktion der CDU jetzt das Wort erteilen.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das kann nicht sein. Ich mache mich nicht zum Affen!)

Diesen Vorschlag wollte ich gerade machen, Frau Präsidentin.

(Siegfried Friese, SPD: Der Bericht liegt doch jedem Abgeordneten vor. – Heike Polzin, SPD: Das hat der Ältestenrat so beschlossen.)

Ich habe mich nicht als Erster gemeldet, tut mir Leid.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Sie können nichts dafür.)

Der Fehler liegt bei mir. Wenn das jetzt nicht gewünscht ist, dann müssen wir weiter fortfahren.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Damit das keinen Eklat gibt, machen wir weiter.)

Ich unterbreche meine Rede und gehe erst einmal.

(Beifall Dr. Armin Jäger, CDU – Dr. Ulrich Born, CDU: Wir machen mal zwei Minuten Sitzungsunterbrechung.)

Ich unterbreche die Sitzung.

Unterbrechung: 12.32 Uhr __________

Wiederbeginn: 12.36 Uhr

Meine Damen und Herren, ich eröffne die unterbrochene Sitzung.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Born von der Fraktion der CDU.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mit meinen Ausführungen beginne, möchte ich mich ausdrücklich beim Kollegen Krumbholz dafür bedanken, dass er in einer besonders fairen Art und Weise seine Rede jetzt unterbrochen hat, damit zunächst die antragstellende Fraktion, die ja auch ein Sondervotum vorgelegt hat, ihren Standpunkt darstellen kann. Vielen Dank, Herr Kollege Krumbholz!

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Die besondere Tragik des Geschehens, das Ausgangspunkt und Grundlage für Beschlussempfehlung und Sachstandsbericht des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung von Sachverhalten im Bereich des Justizministeriums ist, verbietet es bei der Debatte der entsprechenden Landtagsdrucksache von vornherein, die ansonsten durchaus übliche scharfe parteipolitische Auseinandersetzung zu führen, ohne dabei zugleich immer das tragische Schicksal des Opfers und seiner Angehörigen im Blick zu haben.

Der Respekt vor dem unschuldigen sechzehnjährigen Opfer des brutalen Mordes am 15. Juli 2005 und den Angehörigen der ermordeten Carolin gebietet es vielmehr,

dass wir uns alle gemeinsam nach Kräften darum bemühen, das Menschenmögliche zu tun, damit sich ein weiterer Fall Carolin nicht mehr ereignet. Das gilt umso mehr, als wir alle, aber insbesondere die Angehörigen der ermordeten Carolin, wissen, dass wir das furchtbare und tragische Mordgeschehen des 15. Juli 2005 nicht rückgängig machen können und alles, was an Versäumnissen, Fehlern, Nachlässigkeiten oder Pannen im Einzelnen zu beleuchten ist, Schmerz und Leid der Betroffenen nicht zu lindern vermögen. Umso bemerkenswerter ist, dass gerade die Eltern der ermordeten Carolin mit großem Nachdruck immer wieder erklärt haben, dass für sie der unfassbare Tod ihrer Tochter wenigstens nicht für alle Zeiten völlig sinnlos bleiben muss, wenn sie wissen, dass das, was die Verantwortlichen tatsächlich leisten können, getan wird, um zu verhindern, dass es einen weiteren Fall Carolin gibt.