dass wir uns alle gemeinsam nach Kräften darum bemühen, das Menschenmögliche zu tun, damit sich ein weiterer Fall Carolin nicht mehr ereignet. Das gilt umso mehr, als wir alle, aber insbesondere die Angehörigen der ermordeten Carolin, wissen, dass wir das furchtbare und tragische Mordgeschehen des 15. Juli 2005 nicht rückgängig machen können und alles, was an Versäumnissen, Fehlern, Nachlässigkeiten oder Pannen im Einzelnen zu beleuchten ist, Schmerz und Leid der Betroffenen nicht zu lindern vermögen. Umso bemerkenswerter ist, dass gerade die Eltern der ermordeten Carolin mit großem Nachdruck immer wieder erklärt haben, dass für sie der unfassbare Tod ihrer Tochter wenigstens nicht für alle Zeiten völlig sinnlos bleiben muss, wenn sie wissen, dass das, was die Verantwortlichen tatsächlich leisten können, getan wird, um zu verhindern, dass es einen weiteren Fall Carolin gibt.
Ja, es ist richtig, der allein strafrechtlich verantwortliche Mörder der Carolin ist inzwischen zu lebenslanger Freiheitsstrafe und Sicherungsverwahrung rechtskräftig verurteilt. Damit ist das Verfahren im strafrechtlichen Sinne formell abgeschlossen. Hiermit dürfen wir es allerdings, von denen jeder auf seine Weise in unterschiedlicher Funktion Verantwortung dafür trägt, dass auch tatsächlich das Menschenmögliche getan wird, um einen weiteren Fall Carolin zu verhindern, nicht bewenden lassen. Gerade deshalb war die Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses sinnvoll, dringend geboten und notwendig. Auch wenn der Untersuchungsausschuss sich nur mit einem der beiden durch den Einsetzungsbeschluss aufgegebenen Themenkomplexe befasst hat und befassen konnte, muss dessen bisherige Arbeit dennoch, soweit es das Aufzeigen von Fehlern, Mängeln und Schwächen angeht, als erfolgreich im Sinne des Einsetzungsbeschlusses gewertet werden.
In der Begründung zum Antrag der CDU-Fraktion auf Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Klärung von Sachverhalten im Bereich des Justizministeriums heißt es: „Ziel des Untersuchungsausschusses in diesem Zusammenhang ist die rückhaltlose Offenlegung von etwaigen Missständen und Versäumnissen, die mit diesem Mordfall im Zusammenhang stehen, um daraus Konsequenzen für die zukünftige Arbeit ziehen zu können.“
Und dieses Ziel, das stelle ich hier ausdrücklich fest, wurde weitgehend erreicht, soweit es um die Offenlegung von Missständen und Versäumnissen geht. Eine andere Frage ist es: Wie weit sind erforderliche Konsequenzen bereits gezogen worden? Wie weit besteht die Bereitschaft, solche Konsequenzen zu ziehen?
Bevor ich zu den einzelnen vom Ausschuss untersuchten Sachverhalten komme, lassen Sie mich einige grundsätzliche Anmerkungen zur Arbeit des Ausschusses, dem Ihnen heute vorliegenden Sachstandsbericht und dem Sondervotum der Mitglieder der CDU-Fraktion im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss machen.
Zunächst danke ich den Mitgliedern des Ausschusses dafür, dass es – und das sage ich ausdrücklich bezogen auf alle Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Untersuchungsausschusses – fraktionsübergreifend möglich war, die Beweisaufnahme der tragischen Problematik angemessen mit großem Ernst, in sachlicher Atmosphäre, hoher Intensität und Zielstrebigkeit durchzuführen. Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammen
hang dem Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, dem Kollegen Klaus Mohr, der es angesichts der schwierigen Ausgangslage, des enormen Zeitdrucks und der zum Teil sehr weit auseinander liegenden Auffassungen von Sachverständigen, Zeugen und insbesondere auch Mitgliedern des Untersuchungsausschusses verstanden hat, die Verhandlungen des Ausschusses mit großer Umsicht und trotz seiner selbstverständlich unverkennbaren Parteizugehörigkeit im Sinne des Untersuchungsausschussgesetzes unparteiisch zu führen. Er war um diese Aufgabe nicht zu beneiden, hat sie aber gut gemeistert. Ich denke, dass die Berichterstattung uns heute stärker das Mitglied der Fraktion vor Augen geführt hat, aber er wusste ja auch, dass ich zum Sondervotum Gelegenheit habe Stellung zu nehmen. Insofern, Kollege Mohr, möchte ich ausdrücklich sagen, das, was Sie insbesondere a n Schlussfolgerungen hier vorgetragen haben, ist ausschließlich das Ergebnis, das die Koalitionsfraktionen aus der Beweisaufnahme gezogen haben. Die CDU-Fraktion hat in fast allen anderen Punkten eine zum Teil sehr grundlegend andere Bewertung der erhobenen Beweise vorgenommen und in ihrem Sondervotum niedergelegt.
Unsererseits gilt auch ein besonderer Dank den Mitarbeitern, insbesondere des Ausschusssekretariats unter Leitung von Frau Frohriep, und den eigens für die Arbeit des Untersuchungsausschusses eingesetzten Mitarbeitern der Landtagsfraktionen. Sie haben es mit einem ganz ungewöhnlichen Arbeitsaufwand erst ermöglicht, dass der Landtag ein knappes halbes Jahr nach Einsetzung des Untersuchungsausschusses heute über einen sehr umfangreichen Sachbericht debattieren kann.
Wer die deutsche Parlamentsgeschichte kennt, weiß, dass das Instrument eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses nichts Ungewöhnliches ist. Das gilt insbesondere auch für diesen Landtag. Was aber äußerst ungewöhnlich ist und seinesgleichen sucht, ist, dass ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss in nur wenigen Monaten mit solcher Intensität so viele unterschiedliche Sachverhalte untersucht, derart viele Zeugen und Sachverständige hört und den verantwortlich Handelnden Hinweise gibt, was konkret verbessert werden kann und muss. Der Ausschuss hat Gott sei Dank all diejenigen widerlegt, die immer wieder geunkt haben, so kurz vor Landtagswahlen könne doch nichts Vernünftiges bei einem derartigen Unternehmen herauskommen. Das sei doch alles nur ein nutzloses Wahlkampfgeplänkel.
Wäre es so gekommen, hätten wir als Parlamentarier nicht nur unsere Aufgabe gründlich verfehlt, sondern der geschundenen Familie nur noch mehr unsägliches Leid zugefügt. Tatsächlich liegt es jetzt an den Verantwortlichen für Justiz und Polizei, die unübersehbaren Schwachstellen im Strafvollzug, im Bereich der Staatsanwaltschaft, bei der Führungsaufsicht und vor allem im Leitungsbereich bei Abstimmung und Koordinierung der unterschiedlichen Zuständigkeiten zu beseitigen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Schließlich erlaube ich mir den Hinweis, dass mit dem heutigen Sachstandsbericht lediglich, das hat der Ausschussvorsitzende kurz angesprochen, ein Teilbereich des Untersuchungsauftrages im formellen Sinne als für die parlamentarische Arbeit abgeschlossen gelten kann.
Der zweite umfangreiche Komplex, der sich mit Vorgängen in der Staatsanwaltschaft Neubrandenburg befasst, konnte bisher nicht einmal ansatzweise aufgearbeitet werden. Auch deshalb war es notwendig klarzustellen,
dass die Mitarbeiter des Ausschusssekretariats bis zum Ablauf der Legislaturperiode ihre Aufgaben weiterhin konsequent wahrnehmen müssen, um die nötigen Grundlagen dafür zu schaffen, dass ein neu gewählter Landtag eine fundierte Entscheidungsgrundlage für die Fortsetzung der begonnenen Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses dieser Legislaturperiode hat.
Die CDU-Fraktion hat innerhalb des Sachstandsberichts ihr Sondervotum abgegeben. Dies ist, das möchte ich hier noch einmal deutlich hervorheben, ein völlig normaler demokratischer Vorgang. Das Sondervotum war notwendig, weil sich die CDU-Fraktion der Mehrheitsmeinung von Rot-Rot insbesondere bei den Bewertungen der Ergebnisse der Beweisaufnahme im Interesse der Sache, das heißt, hier vor allem im Interesse der dringend notwendigen Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen, nicht anschließen konnte. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Mitglieder des Ausschusses zahlreiche gemeinsame Beschlüsse gefasst haben. Dass die Bewertungen unterschiedlich sind, ist Ausdruck demokratischer Streitkultur, die auf sachlicher Grundlage unterschiedliche politische Positionen hervortreten lässt.
Lassen Sie mich im Einzelnen nun zum Ergebnis der Ausschussarbeit und dem Ihnen vorliegenden Sachstandsbericht kommen:
Gegenstand der Untersuchungen waren die Umstände, die dazu geführt haben, dass Maik S. nach siebenjähriger Haftzeit nur eine Woche nach seiner Freilassung ein 16-jähriges Mädchen ermordet hat. Alle im Ausschuss vertretenen Parteien haben zum Ausdruck gebracht, dass verantwortlich im strafrechtlichen Sinne für den tragischen Mord an der 16-jährigen Carolin allein Maik S. ist. Das war auch von Anfang an nicht umstritten. Aber es ist deutlich herauszustellen, dass gravierende Mängel bei der Leitungskompetenz sowie den nötigen Abstimmungen zwischen den beteiligten Behörden zu beklagen sind. Dies gilt in besonderer Weise für den Generalstaatsanwalt, der auch gerade in diesem Untersuchungsausschuss eine mehr als unrühmliche Rolle gespielt hat. Es geht und ging ihm nicht darum, wie er glauben machen wollte, indem er versucht hat, sich mannhaft vor seine Behörde zu stellen, einzelne Sachbearbeiter an den Pranger zu stellen, sondern es hat sich sehr deutlich gezeigt, es war vor allen Dingen ein Problem der Leitung, der Kommunikation und der Informationen zwischen den beteiligten Dienststellen. Dafür trägt der Generalstaatsanwalt im Besonderen Verantwortung.
Die Regierungsfraktionen räumen das zwar zum Teil ein, wollen aber im Ergebnis doch glauben machen, dass alles genau so passiert wäre, wenn die erheblichen Mängel, Pannen, Unzulänglichkeiten und Verfahrensfehler nicht stattgefunden hätten, und zwar auch dann, wenn die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden besser funktioniert hätte. Das aber genau ist der Weg, der nicht zielführend ist.
Ich habe ebenso wie meine Fraktionskollegen bereits des Öfteren darauf hingewiesen, wäre es zutreffend, dass letztendlich im Großen und Ganzen tatsächlich doch alles mehr oder weniger ordnungsgemäß gelaufen wäre, wenn auch schlecht und recht, und keine Konsequenzen aus den getroffenen Feststellungen zu ziehen wären, wäre der nächste Fall Carolin geradezu vorprogrammiert. Das wäre das Schlimmste, was passieren könnte.
Deshalb noch einmal vorab in aller Deutlichkeit und Unmissverständlichkeit: Es ging und geht nicht darum,
irgendeinem Sachbearbeiter am Zeuge zu flicken oder, wie der Minister es einmal sinngemäß formuliert hat, herauszufinden, ob vielleicht irgendjemand ein „belangloses Formular“ falsch ausgefüllt hat, nein, es geht mehr oder weniger darum, die erkannten und zum Teil erheblichen Schwachstellen schonungslos offen zu legen, um daraus endlich und mit aller Härte die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.
Die zu Tage getretenen Probleme in der Verwaltung, im Strafvollzug, die Kommunikationsprobleme, insbesondere zwischen den Staatsanwaltschaften und den Justizvollzugsanstalten, wären, davon bin ich überzeugt, ohne die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses nicht zu Tage befördert worden. So sehr die alleinige strafrechtliche Verantwortung für den Mord an der 16-jährigen Carolin bei dem hierfür rechtskräftig verurteilten Maik S. liegt, so sehr ist es erforderlich, im Einzelnen Folgendes zu untersuchen:
Erstens, inwieweit der Strafvollzug für gefährliche Sexualverbrecher verbessert werden kann. Insbesondere muss geprüft werden, inwieweit eine speziell auf derart gefährliche Gewaltverbrecher ausgerichtete Sozialtherapie dazu führen kann, die Gefährlichkeit derartiger Täter zu entschärfen.
Zweitens. Darüber hinaus müssen alle im Rechtsstaat zulässigen Mittel eingesetzt werden, um die Allgemeinheit vor nicht therapiefähigen Gewaltverbrechern wirksam zu schützen. Zu diesem in unserem Rechtsstaat vorgesehenen Mittel gehört auch das Rechtsinstitut der nachträglichen Sicherungsverwahrung.
Drittens. Schließlich geht es im Einzelnen darum zu untersuchen, inwieweit das Instrumentarium der Führungsaufsicht verbessert werden kann und insbesondere bei erkennbar gefährlichen Haftentlassenen eine sehr viel stärkere Kontrolle der Befolgung der im Rahmen der Führungsaufsicht erteilten Weisungen und Auflagen möglich ist. In diesem Zusammenhang gilt es auch der Frage nachzugehen, inwieweit der Informationsaustausch zwischen Justizvollzugsanstalten, Staatsanwaltschaften, Gerichten und Polizei im Zusammenhang mit der bevorstehenden Entlassung von nach wie vor als gefährlich eingestuften Straftätern im Hinblick auf einen stärkeren Schutz der Allgemeinheit nachhaltig verbessert werden kann.
Viertens. Klärungsbedürftig ist auch die Frage eines verbesserten Informationsaustausches zwischen Ministerialverwaltung, Staatsanwaltschaften, Haftanstalten und Bewährungshelfern.
Fünftens. Auch die konkrete Ausgestaltung von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren muss, insbesondere was die Zusammenarbeit zwischen Staatsanwaltschaften und Polizei betrifft, verbessert werden.
Sechstens. Die strikte Einhaltung und Kontrolle von Verjährungsfristen ist unbedingt zu gewährleisten.
Achtens. Bildung und Ausbildung von Therapeuten sind von besonderer Bedeutung und müssen verbessert werden.
Neuntens. Letztendlich, dies aber wirklich erst ganz zum Schluss, ist erneut zu prüfen, inwieweit weitere gesetzgeberische Maßnahmen, und das nicht nur im Hinblick auf die nachträgliche Sicherungsverwahrung, mög
lich und erforderlich sind, um, und das ist der entscheidende Maßstab, die Allgemeinheit vor erkennbar gefährlichen Gewaltverbrechern besser schützen zu können als bisher.
Zu allen hier aufgeworfenen Fragen hat der Parlamentarische Untersuchungsausschuss erstaunlich weit reichende Erkenntnisse gewinnen können.
In seinem Urteil vom 25. März 1998 hat das Landgericht am Ende seines Urteils festgestellt, ich zitiere wörtlich:
„Im Vollzug wird der Angeklagte dringend sozialtherapeutischer Hilfen bedürfen, um so die bei ihm festgestellten Defizite aufzuarbeiten, wobei insbesondere Wert darauf zu legen sein wird, dass sich seine Mitschwingungsfähigkeit bezüglich anderer Personen steigert beziehungsweise erst ausbildet.“ So weit das Zitat. Diese, auf den Erkenntnissen eines sorgfältigen und ausführlichen Sachverständigengutachtens beruhende Feststellung des Landgerichts, ist nicht als bloße Meinungsäußerung des Gerichts abzutun. Es ist nicht die Frage, ob das, wie der Ausschussvorsitzende es eben gesagt hat, Bestandteil des Tenors des Urteils geworden ist. Das ist es selbstverständlich nicht. Aber das Gericht hat sich etwas dabei gedacht, als es das festgestellt hat. Ich sage noch einmal ausdrücklich: Es fußt auf einem sorgfältigen ausführlichen Sachverständigengutachten mit dieser Feststellung. Diese Feststellung war für alle, die mit Maik S. im Strafvollzug zu tun hatten, eine ganz entscheidende Grundlage für die Arbeit im Strafvollzug oder hätte es sein müssen. Stattdessen hat fünf Jahre lang beim Vollzug der Freiheitsstrafe von Maik S. keine Sozialtherapie im Sinne des Gesetzes stattgefunden. Das Urteil ist nicht und danach nur sehr unzulänglich umgesetzt worden.
Alle Sachverständigen – und das betone ich, alle Sachverständigen – oder sachverständigen Zeugen, das ist schon erstaunlich, wenn man das so feststellen kann, haben bestätigt, dass bei einem Täter wie Maik S. mit echten sozialtherapeutischen Maßnahmen nicht früh genug begonnen werden kann. Dies gilt ganz unabhängig von der Frage, ob Maik S., so, wie es am Ende seiner siebenjährigen Haftzeit konstatiert wird, jetzt nicht mehr therapiefähig war vor seiner Haftentlassung oder ist. Die Frage ist, und das ist der entscheidende Punkt: Was war 1998? Und hier ist es ganz offenkundig so, dass der Gutachter, von dem alle sagen, dass er über einen besonderen Sachverstand verfügt, der ja als einziger Maik S. zweimal begutachtet hat, 1998 der Meinung war, so, wie es das Urteil festgestellt hat: Dieser Maik S. bedarf dringend sozialtherapeutischer Hilfen.
Sämtliche juristische wie psychologische Sachverständige und auch sachverständigen Zeugen haben bestätigt, dass man mit sozialtherapeutischen Maßnahmen bei einem solchen Täter so früh wie möglich beginnen müsse. Besonders deutlich und nachdrücklich hat das zum Beispiel der forensisch tätige Professor Dr. Michael Osterheider, Leitender Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie, Neurologie und forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg, hervorgehoben. Er hat ausgeführt: Psychotherapeutische Hauruckverfahren, die dem Patienten kurz vor der Entlassung übergestülpt würden, wären wenig hilfreich. Man müsse mit dem Patienten möglichst früh in der ersten Phase eine Therapiemotivationsarbeit leisten, die dauere schon ein bis zwei Jahre. Und in der Regel komme man nach zwei, drei Jahren erst an den eigentlichen Kernpunkt der sexuellen Fantasien des Täters, um
sie bearbeiten zu können. Wenn man eine Therapie als sinnvoll erachtet, müsse man damit auch so früh wie möglich beginnen.
Meine Damen und Herren, das ist eine Feststellung, die, glaube ich, sogar jedem Laien einleuchtet, dass gerade bei einem solchen Täter die Therapie zum frühestmöglichen Zeitpunkt beginnen muss und es sein kann, dass sie während der gesamten Dauer des Strafvollzuges durchgeführt werden muss, damit man seine Gefährlichkeit zurückfahren kann, und zwar so, dass es verantwortet werden kann, ihn auch wieder in die Freiheit zu entlassen.
Dieser erfahrene und in zahlreichen Gerichtsverfahren als psychologischer und psychiatrischer Gutachter tätige Sachverständige hat, wie er dem Ausschuss mitgeteilt hat, bereits in sechs Verfahren, bei denen über eine nachträgliche Sicherungsverwahrung zu entscheiden war, entsprechende Gutachten geliefert. In vier von diesen sechs Fällen ist, wie er berichtet hat, auch eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet worden, in zwei Fällen lagen noch keine rechtskräftigen Entscheidungen vor. Dies zeigt deutlich, über welche Fachkompetenz der genannte Sachverständige Professor Osterheider auf diesem Gebiet verfügt.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang nur auf eines hinweisen: Die Ausschussmitglieder der Regierungsfraktionen, wir konnten es vorhin ja noch einmal vernehmen, haben sich insbesondere auf Ausführungen von Professor Renzikowski gestützt. Dieser allerdings hat auf Nachfrage eingeräumt, dass er außer während seiner Referendarzeit – und ich betone, das ist juristische Ausbildungszeit – über keinerlei Erfahrungen bezüglich des Strafvollzuges, der Sozialtherapie oder der nachträglichen Sicherungsverwahrung in praktischer Hinsicht verfüge. Das unterstreicht, denke ich, deutlich, auf welche Fachkompetenz man sich stützt, wenn man nicht müde wird, hier Professor Renzikowski als Sachverständigen anzuführen. Ich darf an der Stelle auch noch hinzufügen, dass er als einziger Sachverständiger sehr nachdrücklich das gesamte Instrumentarium der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Frage gestellt und erhebliche Zweifel angemeldet hat,
ob diese überhaupt mit der europäischen Menschenrechtskonvention oder dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vereinbar sei.
Aber hier kommt es auch nicht darauf an, sich mit jeder noch so wunderlichen Einzelmeinung auseinander zu setzen, sondern entscheidend ist allein die Frage, wie durch einen effektiven Strafvollzug das gesetzliche Strafvollzugsziel auch tatsächlich erreicht werden kann. Der entscheidende Maßstab – und dies kann nicht oft genug betont werden – ist der Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Gewaltverbrechern. Ich zitiere an dieser Stelle erneut die zentrale Vorschrift des Strafvollzugsgesetzes. Paragraf 2 „Aufgaben des Vollzuges“ lautet: „Im Vollzug der Freiheitsstrafe soll der Gefangene fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Der Vollzug der Freiheitsstrafe dient auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten.“ So weit die entscheidende Vorschrift, an dem sich der Strafvollzug auszurichten hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, so sehr es wünschenswert ist, dass der Strafvollzug auch dazu führt, dass ein wegen eines gefährlichen Verbrechens verurteilter Straftäter im Laufe des Strafvollzugs zu einem besseren Menschen wird, so sehr darf nicht aus den Augen verloren werden, dass die Allgemeinheit ein berechtigtes schutzwürdiges Interesse vor anerkanntermaßen gefährlichen Gewaltverbrechern hat. Deshalb muss der Strafvollzug alles daransetzen, die Gefährlichkeit eines derartigen Strafgefangenen so zu verringern, dass er nach seiner Haftentlassung kein besonderes Gefährdungspotenzial für unschuldige Dritte mehr darstellt.
Gerade weil es nicht so ist, wie der derzeitige Leiter des Strafvollzugs Mitgliedern meiner Fraktion in einer Ausschusssitzung mehr oder weniger vorwurfsvoll entgegengeschleudert hat, der Strafvollzug sei keine Waschmaschine, wo man einen Kriminellen hineinstecke und ein Mensch mit blütenweißer Weste herauskomme, kommt es darauf an, den Vollzug ausgerichtet an der jeweiligen Gefährlichkeit des Täters so zu gestalten, dass das Vollzugsziel mit einem höchstmöglichen Maß an Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich erreicht wird.
Ich rufe in diesem Zusammenhang noch einmal in Erinnerung: Maik S., der spätere Mörder der Carolin, um den es hier geht, war am 25. März 1998 von der Zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts Stralsund wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit Vergewaltigung, Geiselnahme, Raub und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden und er hatte ein sattes Vorstrafenregister. Er war alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Was aber geschah konkret mit Maik S. bezüglich der Sozialtherapie, von der das Gericht basierend auf dem Gutachten von Professor Orlob sagt, diese sozialtherapeutischen Hilfen seien dringend erforderlich?
Und hier, das will ich in aller Deutlichkeit sagen, haben diejenigen, die in besonders kompetenter Weise dazu berufen waren, Stellung zu nehmen, uns klar gesagt: Sozialtherapie ist kein normaler Strafvollzug. Am deutlichsten hat es der Experte gesagt, der nun unbestritten einen besonders guten Ruf im Bereich des Strafvollzuges hat, und das ist der frühere vom Minister selbst berufene Abteilungsleiter im Strafvollzug Herr Freise, der heute als Staatssekretär im Land Berlin tätig ist. Er hat ganz klar gesagt: „Normaler Strafvollzug ist keine Sozialtherapie.“ Wenn es also darum geht, dass der Straftäter in die Lage versetzt werden soll, nach seiner Haftentlassung in Freiheit ein Leben in sozialer Verantwortung ohne die Begehung von Straftaten zu führen, dann besteht die Frage: Wie hätte denn sozialtherapeutisch auf Maik S. eingewirkt werden müssen?
Im November 2003, also fünf Jahre nach dem Urteil des Landgerichts Stralsund, das an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig lässt, musste das Landgericht Rostock feststellen, dass bei Maik S. im Vollzug – und jetzt bitte ich das wirklich genau zu beachten – „keinerlei Straftataufarbeitung“ durchgeführt worden ist, nach fünf Jahren! Wörtlich führt das Gericht in seinen Gründen aus, ich zitiere: „Zwar hat sich der Verurteilte im Strafvollzug bemüht, in eine sozialtherapeutische Maßnahme, wie es auch durch das Landgericht Stralsund in seinem Urteil vom 25. März 1998 dringend empfohlen wurde, eingebunden zu werden. Seine diesbezüglichen Bemühungen wurden, obwohl sich Maik S.
bereits mehr als fünf Jahre im Strafvollzug befindet, durch die Anstalt aus nichtnachvollziehbaren Gründen nicht realisiert.“