Protocol of the Session on April 21, 2005

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

und sogar erwägt, aus Mecklenburg-Vorpommern fortzuziehen? Wie kann man die Frau oder überhaupt Bürger, die sich dagegen einsetzen – hier wird ja das bürgerschaftliche Engagement Zivilcourage lauthals von allen Seiten gefordert und das ist auch gut so –, wie kann man sie schützen? Was kann man dort überhaupt machen?

Stralsund gehört zu den hervorgehobenen Orten im Bereich Rechtsextremismus. Wir wissen zum Beispiel, dass das Störtebeker-Netz von Stralsund aus betrieben wird.

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS)

Ich kann nur sagen, die Solidarität derer, die sich gegen den Rechtsextremismus örtlicherweise stellen, muss unterstützt werden, weil gerade die Erscheinungen des Rechtsextremismus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern erheblich schaden. Und gerade diese Frau – ich habe den Artikel auch gelesen – bedarf unser aller Unterstützung. Wir haben im Innenministerium die Dinge analysiert und stehen hierzu auch im Kontakt mit Stralsund. Es darf gar nicht passieren, dass Bürgerinnen und Bürger zurückweichen vor dem, was eigentlich in der Auseinandersetzung betrieben werden muss, damit wir uns selbst stark machen und den Rechtsextremismus in die Schranken weisen.

Vielen Dank, Herr Innenminister.

Das Wort hat jetzt der Justizminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern Herr Sellering.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir wissen, das ist heute auch schon angeklungen, es gibt in anderen europäischen Staaten einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die rechtsextrem sind, die der Überzeugung sind, dass sie anders, dass sie besser sind als Minderheiten, dass sie anderen Menschen die Würde absprechen bis hin zur persönlichen Vernichtung. Dass das so ist, dass das auch in anderen Ländern Europas so ist, das kann uns als Deutsche in keiner Weise entlasten. Wir haben aufgrund unserer Geschichte eine ganz besondere Verpflichtung. Ich denke, dass es Teil unserer Identität als Nation ist, dass wir uns dem stellen müssen, was in Deutschland während der Nazizeit passiert ist, und dass es zu unserem Erbe gehört, dafür zu sorgen, dass so etwas hier nie wieder passieren kann.

Deshalb ist für uns sehr wichtig, dass wir uns mit den Anfängen im Land auseinander setzen, und zwar erfolgreich auseinander setzen in der Weise, wie das geschehen muss. Ich bin sehr froh, dass es dazu viele Ansätze gibt. Ich habe zum Beispiel letzte Woche in Greifswald an einer Veranstaltung teilgenommen, wo wir Schülerinnen und Schüler ausgezeichnet haben, die sich mit Geschichtsprojekten der Vergangenheit beschäftigt haben. Das ist etwas, um aus der Vergangenheit zu lernen, was unser eigenes Volk betrifft, was die damaligen Verbrechen betrifft, und es ist sicherlich auch ein Lernprozess für die Jugendlichen, dass Politik darin besteht, sich einzumischen, auch heute einzumischen.

Mir liegt als Justizminister daran, hier in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus zu trennen zwischen dem, was wir politisch tun müssen, wir als dieses Gremium, und was der Staat mit seinen Repressionsmöglichkeiten tun muss, der Staat, dem das Gewaltmonopol zur Verfügung steht, und der natürlich die Bürgerinnen und Bürger schützen und alles einsetzen muss, damit keine Straftaten passieren.

Ich halte diese Unterscheidung in der Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus für sehr wichtig, und

zwar deshalb, damit nicht der Eindruck entsteht, dass wir uns nicht stark genug als Staat gegen den Rechtsextremismus wenden. Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als hätten wir die Möglichkeit, mit staatlichen Mitteln gegen eine Ideologie vorzugehen. Gegen eine Ideologie – und mag sie noch so dumm sein – können wir nur politisch vorgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und einzelnen Abgeordneten der SPD)

Wenn Sie sich unsere Strafnormen im europäischen Vergleich anschauen, dann gehen wir schon sehr weit zu verbieten, bestimmte Meinungsäußerungen zu machen, bestimmte Dinge zu leugnen wie den Holocaust. Ich halte das für sehr wichtig, aber ich sage auch klar, wir gehen schon an die Grenze dessen, was man rechtsstaatlich erlauben und machen kann. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir auch in der Auseinandersetzung vermitteln. Es gibt Dinge, die wir nur als Gesellschaft, als Politik bekämpfen können. Und ich halte es für sehr wichtig, dass wir in der Gesellschaft gegenüber den Rechtsextremen deutlich machen, dass nichts mehr als peinlich ist, dass nichts mehr als blamierend ist, wie sich diese Menschen benehmen, und welche Wirkung das auch für uns in Deutschland, aber auch nach außen hat. Das halte ich für sehr wichtig. Und ich möchte alle Kolleginnen und Kollegen hier im Hause bitten, jede Gelegenheit wahrzunehmen, um das deutlich zu machen, auch durch Teilnahme an Demonstrationen.

Aber ich komme auf den Rechtsstaat zurück und das, was er tun kann. Ich halte für sehr wichtig die Unterscheidung, was wir tun können an Repressionsmaßnahmen, die notwendig sind, damit nicht die Grenze verwischt wird und wir einen schwachen Eindruck erwecken, denn gerade das, was wir tun können, müssen wir mit aller Kraft tun.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Mir geht es darum, dass wir vor allem, wenn es um Straftaten geht, mit der nötigen Härte und Konsequenz vorgehen. Es wäre ein aus meiner Sicht verheerendes Zeichen, wenn es der rechtsextremen Szene gelingen würde, sich bei einer Vielzahl von Straftaten durch Einschüchterung von Zeugen gegenseitig Alibis zu verschaffen, dass der Eindruck entsteht, in der rechtsextremen Szene können Straftaten begangen werden und die Täter werden nicht verfolgt, wir kommen da nicht ran. Das wäre ein ganz schlechtes Zeichen. Das, was Herr Friedrich angesprochen hat, dass der Eindruck entstehen kann, dass man davor Angst haben muss, das darf nicht sein, denn ich glaube, dass es umgekehrt eine sehr positive Wirkung hat, wenn den Strafverfolgungsbehörden der Nachweis von Straftaten gelingt und wir die Rädelsführer einsperren können. Das hat eine sehr positive Wirkung.

Aber dazu muss man auch deutlich sagen, um das zu erreichen, dürfen wir rechtsextremistisch motivierte Straftaten nicht verfolgen wie jede andere Straftat, indem wir einfach, wenn eine Straftat passiert ist, versuchen zu ermitteln, was passiert ist. Da geraten wir an Grenzen. Wir müssen – das ist das, was wir auch tun – Ermittlungsverfahren in der rechtsextremen Szene betreiben, wie wir sie zum Beispiel auch bei der organisierten Kriminalität betreiben. Ich denke, dass dieser Vergleich nicht falsch ist. Wir wissen, dass in beiden Bereichen Straftaten geschehen, und wir können uns auch in der organisierten Kriminalität nicht darauf beschränken, bei zufällig kommenden Strafanzeigen zu versuchen, diese Mauer des

Schweigens zu durchdringen, sondern in beiden Bereichen müssen wir Ermittlungen machen, die davon ausgehen, dass es Vernetzungen gibt und wir sehr langfristig so etwas beobachten müssen. Ich erinnere daran, dass die Erfolge in der Rotlichtszene in Rostock zwei Jahre lang vorbereitet worden sind.

Die Staatsanwaltschaft des Landes und die Polizei haben aus dieser Erkenntnis Konsequenzen gezogen und da, wo es zum Beispiel in einigen Dörfern immer wieder zu rechtsextremen Straftaten kommt, gehen wir so vor, dass wir nicht hinterher ermitteln, sondern vorher versuchen, so weit aufzuklären, dass man schnelle Fahndungserfolge hat oder vielleicht sogar Straftaten verhindert.

Es hat ja vor einiger Zeit einen sehr besonderen Fall gegeben, dass in einem Dorf in der Nähe von Wismar über Monate und Jahre die Dorfbewohner von Rechtsextremen beinahe terrorisiert worden sind. Da hat diese Strategie, die wir vereinbart haben, zu einem vollen Erfolg geführt. Ich denke, dass es der richtige Weg ist, diese gemeinsame Strategie von Staatsanwaltschaft und Polizei, denn es darf nicht das passieren, was Herr Friedrich hier angesprochen hat, es darf nicht passieren, dass Bürger Angst haben, sich den Strafverfolgungsbehörden als Zeugen zur Verfügung zu stellen. Das gilt in allen Bereichen.

(Torsten Renz, CDU: Na, wie wollen Sie das verhindern?)

In der organisierten Kriminalität haben wir uns daran gewöhnt, dass wir zum Beispiel Zeugenschutzprogramme machen müssen.

Herr Renz, natürlich kann man nicht in jedem Einzelfall den gesamten staatlichen Schutz entfalten. Doch wenn wir nicht damit beginnen, dann wird die psychologische Wirkung verheerend sein. Wir müssen das auch als eine psychologische Auseinandersetzung begreifen.

Ich verstehe das Verhalten der rechtsextremen Szene so, dass sie versucht, diesen Rechtsstaat, den sie ablehnt, dadurch herauszufordern und zu provozieren, dass sie sich immer sehr nah an der Grenze dessen zu bewegen versucht, was rechtlich erlaubt ist, aber hochgradig provokativ ist. Ich denke, da dürfen wir uns nicht in falscher Weise herausfordern lassen, sondern müssen mit kühlem Kopf da verfolgen, wo es möglich ist. Und wenn wir zum Beispiel über Demonstrationen sprechen, müssen wir sehr genau alle Möglichkeiten prüfen. Es ist nun mal so, dass wir Demonstrationen nicht deshalb verbieten können, weil sie von Rechtsextremen durchgeführt werden. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir aufgeben, bei jeder einzelnen Demonstration zu schauen, ob es Gründe gibt, die hier dafür sprechen, dass Straftaten drohen, so dass wir im Einzelfall zu einer Untersagung kommen können. Ich verstehe, dass Bürgermeister frustriert sind, wenn das Bundesverfassungsgericht immer wieder seine Rechtsprechung bestätigt. Nur da müssen wir dann auch mit der nötigen juristischen Phantasie und mit der nötigen Aufklärungsarbeit herangehen, dass wir eben sagen, im Einzelfall müssen wir sehen, ob Untersagungsgründe vorhanden sind.

In diesem Sinne denke ich, dass es sehr wichtig ist, dass hier heute darüber gesprochen worden ist, was die Politik tun kann, was wir politisch tun können. Und ich meine, dass dadurch, dass hier zwei Minister zu diesem Thema gesprochen haben, deutlich geworden ist, dass die Landesregierung alles tut, um ihren Beitrag zu leisten.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Ich denke, dass der Staat da, wo er repressiv eingreifen muss, das mit der nötigen Konsequenz und Härte tun muss, und wir das hier tun. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Vielen Dank, Herr Minister Sellering.

Bevor ich jetzt dem Abgeordneten Herrn Dr. Jäger von der CDU das Wort erteile, mache ich darauf aufmerksam, dass gemäß unserer Geschäftsordnung Paragraph 85 Absatz 1 aufgrund der Überschreitung der angemeldeten Redezeit der Landesregierung der CDU sieben Minuten zusätzliche Redezeit zur Verfügung stehen.

Bitte, Herr Dr. Jäger.

(Zuruf von Torsten Renz, CDU)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich auf der Tagesordnung gelesen habe, dass hier eine Aussprache unter Bezugnahme auf die Geschäftsordnung stattfinden sollte, habe ich mich sehr gewundert, denn in diesem Haus haben wir über die Problematik des Rechtsextremismus, über Versäumnisse von Gesellschaft und Staat in diesem Bereich des Öfteren mit sehr unterschiedlichen Facetten diskutiert. Im Grunde geht es hier auch gar nicht um unterschiedliche Ansätze bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus, sondern ich habe den Eindruck, dass es bestimmte ideologische Ausrichtungen gibt, die uns bei der Arbeit, nämlich als Demokraten gemeinsam konsequent für die Wertordnung dieses Grundgesetzes anzutreten und das glaubwürdig auch nach außen gemeinsam zu vertreten, so behindern, dass wir uns teilweise selbst behindern.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, es ist auch aus der Sicht von jungen Menschen kaum verständlich, wenn Demonstrationen, die sich eindeutig gegen die Wertordnung unseres Grundgesetzes richten, im Endergebnis unter dem Schutz der Polizei stattfinden müssen. Mir tun immer die Polizeibeamten Leid,

(Andreas Petters, CDU: Ja.)

die, weil die Demonstrationen im Ergebnis entweder nicht verboten waren oder aber von den Gerichten die Verbote aufgehoben wurden, dafür zu sorgen haben, dass Gewalt auf der Straße nicht eskaliert. Da sollten wir einmal unserer Polizei gemeinsam den Rücken stärken.

(Beifall bei der CDU, einzelnen Abgeordneten der SPD und Angelika Gramkow, PDS)

Ich verhehle nicht, dass ich – obwohl ich in dieser Rechtsordnung groß geworden und auch, wie ich glaube, stark verwurzelt bin, und weiß, dass letztendlich Gerichte zu entscheiden haben – schwer enttäuscht bin darüber, dass eine aus meiner Sicht wohl begründete Entscheidung unseres Oberverwaltungsgerichtes in einem einstweiligen Verfahren, wo man zugegebenermaßen noch nicht einmal so genau hingucken kann, dann aufgehoben wurde. Das bringt uns nicht weiter. Ich sage, das ist keine Schelte über Richter. Ich frage mich nur: Müssen wir nicht als Gesetzgeber – hier ist im Wesentlichen oder eigentlich nur der Bundesgesetzgeber gefragt – dafür sorgen, dass wir ein Demonstrationsrecht bekommen, in dem eindeutig

verfassungswidrig ausgerichtete, öffentliche Aufzüge auch wirklich gerichtsfest verboten werden können? Dahin müssen wir kommen.

(Beifall Renate Holznagel, CDU, und Andreas Petters, CDU)

Herr Innenminister, Herr Justizminister, es war schon ein eindrucksvoller Auftritt, den Sie hier hatten, aber da muss ich Ihnen sagen, man darf das nicht nur so kurzatmig machen. Wir haben über Jahre hinweg in diesem Parlament über Anträge beraten. Ich gebe zu, es waren unsere, aber wir haben das sehr ernst genommen, was ich gerade ausführe. Wir haben immer wieder Vorschläge gemacht, wie man das Demonstrationsrecht verändern könnte. Wir haben Vorschläge für Bundesratsinitiativen gemacht. Wir haben dieses Haus gebeten, der Landesregierung zu sagen, sie möge Bundesratsinitiativen anderer Bundesländer unterstützen. Und über die Jahre hinweg war der Grundtenor: Nein danke! So bekämpft man Rechtsextremismus auch nicht.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Meine Damen und Herren, es geht ja wohl im Wesentlichen bei dieser Aussprache darum, was wir als Landtagsabgeordnete in der örtlichen Arbeit, in der Aufklärungsarbeit, in der demokratischen Diskussion tun können. Es gibt diese berühmten, nein, nicht die berühmten, diese sehr geeigneten kommunalen Lagebilder und ich kann Ihnen nur empfehlen, liebe Kollegen, wenn Sie an die herankommen wollen, dann ist das ganz einfach. Setzen Sie sich mit Ihrem jeweiligen PI-Leiter vor Ort in Verbindung! Betätigen Sie sich selbst in den Präventionsräten, dann haben Sie nämlich eine Legitimation dazu! Dann bekommen Sie die Information und können das mit der Polizei, mit den örtlichen Behörden, mit den kommunalen Präventionsräten gemeinsam tun. Also die Debatte brauchen wir nicht. Ob man die nun an alle Abgeordneten verteilt oder nicht, meine Damen und Herren, Papier gibt es genug, es muss gehandelt werden.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Es gibt aber eine Entwicklung, die, glaube ich, jedem, der die Szene beobachtet, sehr viel Sorge macht. Und, Herr Innenminister, da stimme ich Ihnen ausdrücklich zu, das Bild der rechtsextremistischen Aktivitäten und ihrer Organisationen hat sich ganz maßgeblich verändert. Das sind nicht nur tumbe Schläger, die auf den Straßen herumtoben. Das auch nach wie vor, aber dahinter hat sich ein Netzwerk gebildet, dahinter wird eine durchaus vorhandene Intelligenz tätig, die leider in die falsche Richtung gerichtet ist. Man kann eben nicht sagen, es sind alles nur Dumme, sondern wir stellen fest, hier wird mit allen Tricks bis zum Rande der Rechtsordnung alles ausgenutzt, um dieses Grundgesetz mit seinen Freiheitsrechten dafür auszunutzen, um diese Freiheitsrechte zu beschneiden und gegen sie zu agitieren. Genau das findet heute statt.

Und, meine Damen und Herren, dann müssen wir uns aber auch mit den Wurzeln solcher Entwicklungen beschäftigen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Torsten Koplin, PDS: Richtig, richtig.)

Dann, da gebe ich Ihnen vollkommen Recht, müssen wir aber auch bitte so manche Scheuklappe ablegen, die man deswegen gern hat, weil man sich ja auch mit eigenen Beiträgen, die das Bild dazu führen können, nicht