Entwicklungen bedrohen nicht nur den sozialen Frieden in unserer Gesellschaft, sondern bergen langfristig die Gefahr in sich, sich zu multiplizieren und soziale Abstiegsund Schließungsprozesse für die Betroffenen und die Regionen zu produzieren.
Angesichts derartig tief greifender Veränderungen und drohender Probleme können auch die bisherigen Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe nicht unverändert bleiben. Es gilt, zukunftsfähige Antworten zu finden, um auf die bereits bestehenden und drohenden Probleme angemessen zu reagieren. Am Beginn einer Neuordnung steht allerdings die Überprüfung der bisher geleisteten Arbeit. Ich gehe dabei davon aus, dass das Sozialministerium dies selbstverständlich unter Hinzuziehung von Sachverstand aus Theorie und Praxis der Kinder- und Jugendhilfe Mecklenburg-Vorpommerns leisten wird. Im Namen der Koalitionsfraktionen bitte ich daher um Zustimmung zum vorliegenden Antrag.
Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.
Als Erste hat sich zu Wort gemeldet die Sozialministerin des Landes Frau Dr. Linke. Bitte schön, Frau Ministerin, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Eine kritische Bestandsaufnahme der Jugendhilfestrukturen im Lande durchzuführen ist ein grundsätzlich begrüßenswertes Anliegen. Die Vorgabe, bis zum Mai 2004 darüber im Landtag zu berichten, wird dazu beitragen, hier zügig und konzentriert vorzugehen. Dem Wunsch der Regierungsfraktionen werde ich deshalb gern nachkommen.
Schon heute möchte ich auf einige Rahmenbedingungen für die Strukturen in der Jugendhilfe aufmerksam machen. Die Strukturen der Jugendhilfe sind durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes zum ganz überwiegenden Teil konkret und verbindlich vorgegeben. Das gilt insbesondere für die Trägerstrukturen, die Jugendhilfeausschüsse des Landes und auf örtlicher Ebene sowie die gesetzlichen Leistungs- beziehungsweise Aufgabenerfüllungsverpflichtungen. Das Land hat die Ermächtigungen des Bundesrechts dazu genutzt, um mit dem Bundesrecht kompatible Strukturen aufzubauen und festzuschreiben.
Das ist in einer ganzen Reihe von Gesetzen geschehen. Es sei beispielsweise nur auf das Organisationsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz, auf das Kindertagesstättengesetz und auf das Kinder- und Jugendförderungsgesetz verwiesen. Derartigen Entscheidungen folgen beispielsweise die Besetzung des Landesjugendhilfeausschusses, die Besetzung der örtlichen Jugendhilfeausschüsse und die Festlegung der überörtlichen Trägerschaft. Eine bundesrechtliche Änderung dieser im nationalen Konsens erarbeiteten Festlegungen ist nicht zu erwarten. Also auf eine Lex Mecklenburg-Vorpommern brauchen wir nicht zu hoffen.
Die landesrechtlichen Strukturvorgaben der Jugendhilfe wurden jedoch in den letzten Wochen und Monaten gerade im Rahmen der umfangreichen Verwaltungsstrukturdebatte durch Gremien der Landesregierung auch auf ihre Notwendigkeit und Effizienz hin geprüft und im Wesentlichen bestätigt. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Vorhaben, mit denen wir die vorhandenen und die bewährten Strukturen weiterentwickeln wollen. Das Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz soll mit dem Ziel einer breiteren Beteiligung der Jugend und der Verbandslandschaft überarbeitet werden. Dabei wird auch über die zukünftige Zusammensetzung der Jugendhilfeausschüsse nachzudenken sein. Mit der Novellierung soll noch in diesem Jahr begonnen werden.
Die Leistungen beziehungsweise Förderinstrumente des Landes werden gemeinsam mit den Beteiligten noch einmal überprüft und zur Diskussion gestellt werden. Dazu werden wir noch einmal in einen Dialog mit der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendförderung, der Landesarbeitsgemeinschaft Jugendgerichtshilfe und dem Landesjugendhilfeausschuss eintreten. Wie bereits in der Vergangenheit, so werden wir auch jetzt darüber zu befinden haben, ob das gesamte Instrumentarium noch den neuen, sich ständig ändernden gesellschaftlichen Anforderungen entspricht. Und ich denke, das ist auch das, was letztendlich zu diesem gemeinsamen Antrag der Koalitionsparteien geführt hat.
Unter Federführung meines Hauses wird es also ein ressortübergreifendes Kinder- und Jugendprogramm der Landesregierung geben. Damit wollen wir die vielen Einzelaktivitäten der Landesregierung bündeln. Kindern und Jugendlichen, aber auch den Eltern, Erzieherinnen und Lehrern soll ein Kompendium an die Hand gegeben werden, mit dem sie sich auch durch den bisweilen manchmal unübersichtlichen Dschungel von Vorschriften, Förderungen und Angeboten durchfinden können. Aber das kann natürlich nur ein Anliegen sein. Denn Ziel eines solchen Programms darf es natürlich nicht sein, über schon Getanes einfach zu berichten, sondern Ziel muss es vor allem sein, mehr für die Arbeit zugunsten von Kindern und Jugendlichen zu erreichen, als das eben gegenwärtig schon der Fall ist. Und ich denke, die fünf Schwerpunkte, die Herr Brodkorb hier in seiner Einbringungsrede darlegte, sind ein ausdrücklich aufzugreifender Ansatz, dem wir uns dann stellen werden mit dem Programm.
Mit der Arbeit an diesem Programm sind also alle Ressorts aufgefordert, auch zusätzliche oder neue Angebote zur Unterstützung junger Menschen in unserem Lande zu entwickeln. Ganz bewusst wollen wir uns auf den Blickwinkel der Jugendlichen hier konzentrieren. Selbstverständlich werden wir den Landesjugendhilfeausschuss und den Landesjugendring an der Erarbeitung des Programms beteiligen. Durch den Landesjugendhilfeausschuss sind wesentliche Teile der freien Trägerschaft sowie die kommunalen Landesverbände einbezogen. Der Landesjugendring vertritt seinerseits kompetent 20 Landesjugendverbände mit über 200.000 Mitgliedern, also junge Menschen, die damit an der Erarbeitung dieses Programms – jedenfalls mittelbar und, soweit praktisch möglich, auch unmittelbar – mitwirken können.
Der Antrag der Regierungsfraktionen ist als Chance, Bewährtes als solches zu erkennen in der Kinder- und Jugendpolitik und fortzusetzen, aber auch Überholtes durch zeitgemäßes und zukunftorientiertes Handeln zu ersetzen. Der Bericht an den Landtag im Frühjahr nächs
Es hat jetzt das Wort für die Fraktion der CDU der Abgeordnete Herr Glawe. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD und PDS, Jugendhilfestrukturen in Mecklenburg-Vorpommern, wieder mal ein Auftrag zum Arbeiten für die Landesregierung – das ist ja schon erstaunlich. Das ist der dritte innerhalb von vier Wochen.
Das spricht ja also in besonderer Weise für Sie, die Sie uns gerade einen Doppelhaushalt vorgelegt haben, in dem all die Dinge, die Sie hier beklagen oder einfordern oder überarbeiten wollen, auf Effizienz überprüfen wollen, Strukturen ändern wollen, die Frage, wie gut arbeitet der Landesjugendhilfeausschuss, oder auch die Frage, wie gestalten wir sozusagen die Finanzen für die Kommunen aus. Sie machen Streichorgien über Streichorgien und schreiben dann hier rein, insbesondere „im Zusammenwirken mit der kommunalen Ebene“. Meine Damen und Herren, wissen Sie, das ist ja langsam hier so wie das potemkinsche Dorf. Sie kommen ja von einer Ohnmacht in die andere.
Herr Brodkorb, Sie sprechen hier von SAM-Stellen und in besonderer Weise von der Arbeit mit der Jugend. Es heißt „Bundesanstalt für Arbeit“. So heißt es ja eigentlich, aber es heißt nicht „Bundesanstalt für Alles“, meine Damen und Herren, denn die Aufgaben sind nun mal von den Kommunen und vom Land – denn viele Dinge sind durch Bundesgesetze geregelt – auszuführen und umzusetzen. Und deswegen kann man jetzt nicht, wo die Bundesanstalt für Arbeit sozusagen sich auf ihre Kernpunkte zurückzieht, den Bund verantwortlich machen und sagen: Tja, also das ist ja so, wie das hier so ist, von der Bushaltestelle bis zum Jugendclub kriegen wir ja alles hin und Bushaltestellen sind ja auch Jugendarbeit. So ist ja Ihre Bilanz. Man kann ja durchs Land fahren, überall sitzen Jugendliche in den Bushaltestellen und machen Jugendarbeit. Das, denke ich, kann ja nicht Ihr Ziel sein. Aber da Sie uns wieder so einen Antrag untergejubelt haben, der sozusagen die Regierung zur Arbeit tragen soll, sage ich mal, ist es ja schon ganz in Ordnung. Wir sagen, es ist eine verdammte Pflicht der Regierung, diese Dinge vorzulegen.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Gemäß dem Ihnen vorliegenden Antrag sehen wir die Notwendigkeit der Überprüfung der Jugendhilfestrukturen in unserem Land. Hintergrund ist wie bei vielen anderen Themen leider wiederum, dass die Finanzmasse auch für die Förderung der Jugendhilfe vor Ort abnimmt, nicht so sehr, was die Landesförderung angeht, die Mittel des Landes für die Pro-Kopf-Förderung der 10- bis 26-Jährigen stehen fest, aber wir wissen alle, dass die öffentlichen Träger der Jugendhilfe ihre Kofinanzierung in den letzten Jahren immer mehr zurückgefahren haben und sich oft nur noch an der Mindestgrenze dessen, was sie leisten müssen, aufhalten.
Anhand der Überprüfungsergebnisse wollen wir Hindernisse bei der Jugendhilfe vor Ort aufzeigen, um sie abbauen zu können. Wir wollen Mitbestimmungsrechte der Jugendlichen stärken und wir wollen die Fachlichkeit, man kann sie auch Professionalisierung nennen, als Maßstab für die künftige Vergabe festziehen. Und auch über eines müssen wir uns verständigen, nämlich wie sich die demographische Entwicklung auf die Angebote der Jugendhilfe auswirkt. Dass Demographie allein kein umfassendes Bild der Bedingungen vor Ort zeichnet, das wissen wir auch aus anderen Bereichen der Sozialpolitik. Das Schlagwort Flächenfaktor als Anerkennung schwieriger Bedingungen in dünn besiedelten ländlichen Gebieten sei hier als ein Punkt für strukturelles Nachdenken genannt.
Tabus soll es bei den Überlegungen nicht geben und so steht auch die Rolle des Landesjugendamtes auf dem Prüfstein. Eine teilweise Herauslösung von Aufgaben ist durchaus denkbar mit der Maßgabe der Kommunalisierung dieser Teilbereiche.
Sie können dem Antrag entnehmen, dass wir ein ressortübergreifendes Kinder- und Jugendprogramm zur Verbesserung der Qualität der Kinder- und Jugendarbeit befürworten. Für uns, die Vertreter der PDS-Fraktion, kann ich sagen, dass wir an dieser Stelle weitergehende Vorstellungen hatten und daher erhoffen, dass die Analyse der vorhandenen Jugendhilfestrukturen aufzeigt, was auch in dieser Hinsicht nötig ist und möglich sein kann. Als Vorsitzender eines Trägers der freien Jugendarbeit würde ich mich beispielsweise sehr darüber freuen, wenn am Ende dieser Analyse geschrieben steht, dass wir ein Feststellenprogramm für die freie Jugendarbeit favorisieren. Ich weiß allerdings auch, dass die dafür nötigen finanziellen Voraussetzungen alles andere als günstig sind. Deshalb sind wir aufgerufen, gerade den ressortübergreifenden Ansatz verstärkt zu betrachten.
Es wäre beispielsweise die Ausdehnung des bestehenden Programms für Jugend- und Schulsozialarbeit auf die freie Kinder- und Jugendarbeit möglich. Hier müssten wir uns gegebenenfalls im Sinne einer Modifizierung der Landesinitiative engagieren. Aber auch da gebe ich Herrn Glawe in dem Punkt gerne Recht. Ich setze dabei nicht automatisch auf den zweiten Arbeitsmarkt. Ich bin mir schon sicher, dass wir, gerade was die Qualität und auch die Professionalisierung der Jugendarbeit angeht,
andere Formen finden können, und auch deshalb die erwähnte Modifizierung der Landesinitiative, die das mög
Viel mehr könnte man heute des Weiteren benennen, aber ich glaube, das Grundanliegen des Antrages ist verständlich und wir sollten uns auf die inhaltliche Debatte,
die Feinarbeit nach Vorliegen der Prüfungsergebnisse konzentrieren. Die PDS-Fraktion stimmt dem vorliegenden Antrag einstimmig zu. – Danke.
Es hat jetzt noch einmal das Wort der Abgeordnete Herr Brodkorb für die Fraktion der SPD. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für gewöhnlich wird in diesen Tagen der Mangel an öffentlichen Geldern beklagt, so auch in der Kinder- und Jugendpolitik. So bedauerlich unser enger finanzieller Spielraum auch sein mag, er bedeutet aus meiner Sicht eine große Chance, denn in Zeiten knapper Kassen stehen Politik und Verwaltung viel stärker als sonst unter dem Druck, die Verausgabung öffentlicher Mittel anhand fachlicher und qualitativer Anforderungen zu vollziehen. So merkwürdig es also vielleicht auf den ersten Blick klingen mag, Finanznot kann auch zu einer Steigerung der Qualität der Arbeit führen. Einen zwingenden Zusammenhang gibt es hier natürlich dennoch nicht.
Um aber zur Finanzausstattung der Kinder- und Jugendpolitik doch noch etwas zu sagen: Im bundesweiten Vergleich muss sich Mecklenburg-Vorpommern keinesfalls verstecken. Das Land verausgabte im Jahr 2003 nach Haushaltsansätzen 3,03 Euro je Einwohner, während der Durchschnitt aller Länder bei 3,09 Euro und der Durchschnitt der westlichen Bundesländer bei 2,86 Euro liegt. Wir erreichen also im Länderdurchschnitt 98 Prozent und im Vergleich mit den westdeutschen Bundesländern 106 Prozent der jeweiligen Durchschnittsausgaben. Rechnet man außerdem hinzu, dass Mecklenburg-Vorpommern im Bereich der Versorgung mit Kindertageseinrichtungen bundesweit im Spitzenfeld liegt, verbessert sich diese Bilanz noch einmal deutlich.
Meine Damen und Herren, es kann sicher nicht schaden, in diesem Hohen Hause auch einmal aus der Bibel zu zitieren. Und zwar geht es mir um Matthäus 13, Vers 12, in dem Jesus sagt: „Denn wer da hat, dem wird gegeben, daß er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“ Diese als Matthäus-Effekt weithin bekannte Logik spielt in zahlreichen politischen Bereichen eine zentrale Rolle,
so auch im Bereich der Sozialpolitik. Dabei ist gar nicht überraschend, dass es hierzu gekommen ist. Die freie Jugendarbeit unterliegt eben nicht dem staatlichen Dirigismus und ist freiwillig. Nur dann, wenn sich private Träger bereit finden, im Auftrage des Staates eine gewisse Aufgabe zu erledigen, können Angebote der freien Jugendarbeit entstehen. Das Ergebnis hiervon ist, dass in starken und gesicherten Sozialräumen mehr Initiativen
entstehen als in solchen, die es eigentlich nötiger hätten. Arbeitslosigkeit und soziale Schieflagen verursachen also einen höheren Bedarf an Sozialpolitik, deren Rahmen freiwilliger Angebote aufgrund des Matthäus-Effekts meist aber gerade nicht gedeckt wird.