Protocol of the Session on October 9, 2003

entstehen als in solchen, die es eigentlich nötiger hätten. Arbeitslosigkeit und soziale Schieflagen verursachen also einen höheren Bedarf an Sozialpolitik, deren Rahmen freiwilliger Angebote aufgrund des Matthäus-Effekts meist aber gerade nicht gedeckt wird.

Nun gibt es mindestens zwei unterschiedliche Auffassungen darüber, was die Aufgabe der Landesebene im Bereich der Sozialpolitik, aber auch in anderen Politikbereichen sein sollte. Es gibt einerseits die traditionelle Auffassung, dass die Landesebene dafür zuständig sei, Einrichtungen von überregionaler oder Landesbedeutung zu fördern. Diese Auffassung führt aufgrund der beschriebenen sozialräumlichen Disparitäten allerdings dazu, dass der Matthäus-Effekt verstärkt oder zumindest nichts gegen ihn getan wird. Ich möchte dem daher eine andere Auffassung darüber entgegenstellen, wofür die Landesebene im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik hauptsächlich zuständig sein sollte.

Wie Sie wissen, geht unser Grundgesetz von dem Grundsatz vergleichbarer Lebensverhältnisse aus. Als eine Konsequenz hiervon ist im Artikel 107 der Finanzausgleich der Länder geregelt. Überträgt man diesen Grundsatz auch auf die Landespolitik, dann steht nicht so sehr die Förderung von Einrichtungen mit landesweiter Bedeutung, also zum Beispiel die Förderung von Landesverbänden im Vordergrund, sondern möglichst die Beseitigung sozialräumlicher Ungleichgewichte. Dieses bedeutet vor allem, dass der Matthäus-Effekt durch geeignete Instrumente umgekehrt werden muss. Wer wenig hat und daher vieler Dinge bedarf, muss auch mehr erhalten. Wer hingegen weitgehend aus eigener Kraft sein Leben meistert, bedarf auch einer geringeren Unterstützung.

„Die Wahrheit ist konkret“, habe ich in diesen Tagen von der CDU-Vorsitzenden Merkel gelernt.

(Zuruf von Torsten Koplin, PDS – Siegfried Friese, SPD: Das hat Lenin schon ge- sagt. – Heiterkeit bei Dr. Margret Seemann, SPD)

Deshalb möchte ich meine Überlegungen an einem konkreten Beispiel veranschaulichen.

Wenn man die einzelnen Maßnahmen der freien Jugendarbeit im Bereich des Sozialministeriums im Jahr 2003 einmal regional hochrechnet, ergibt sich folgendes Bild: Greifswald erhält etwa 2,6 Prozent aller Leistungen, Demmin 0,2 Prozent und Nordwestmecklenburg 5,4 Prozent. Nach Schwerin hingegen fließen knapp 45 Prozent aller Gelder. Natürlich darf man aus diesen Zahlen keine vorschnellen Schlüsse ziehen. Sie sind vor allem verursacht aufgrund der Tatsache, dass das Land bisher Projekte von Landesbedeutung, also vor allem auch Landesverbände fördert. Aber diese Praxis führt eindeutig zu diesem beschriebenen Matthäus-Effekt.

Wie könnte eine sozial gerechtere Kinder- und Jugendpolitik aussehen, die das Geld auch dorthin gibt, wo es am nötigsten gebraucht wird? Aus meiner Sicht sollte das Land die Einführung so genannter Sozialraumbudgets für die freie und öffentliche Kinder- und Jugendarbeit prüfen. Beispielsweise könnten die derzeit zur Verfügung stehenden Gelder folgendermaßen verteilt werden: Zunächst sollten etwa 30 Prozent der Mittel auch weiterhin für Projekte und Einrichtungen mit überregionaler oder landesweiter Bedeutung reserviert werden. Es lässt sich nicht bestreiten, dass hier ein gewisser sinnvoller Bedarf besteht. 50 Prozent aller Mittel könnten dann anhand der

Kinder- und Jugendlichenzahlen in den einzelnen regionalen Sozialraumbudgets verteilt werden. Jeder Landkreis und jede kreisfreie Stadt würde dann beim Land über ein eigenes Sozialraumbudget verfügen, über das anhand der aktuellen Richtlinien und Förderprogramme weiterhin auf Basis der Freiwilligkeit verfügt werden könnte. Die restlichen 20 Prozent aller Mittel hingegen sollten strikt nach sozialräumlichen Kriterien verteilt und zur Aufstockung der Sozialraumbudgets verwendet werden. So könnten beispielsweise diese 20 Prozent der Mittel anhand der Arbeitslosenquote in den Landkreisen und kreisfreien Städten verteilt werden. Ich würde vorschlagen, dass die 20 Prozent ausschließlich unter denjenigen Landkreisen und kreisfreien Städten verteilt werden, deren Arbeitslosenquote über dem Durchschnitt des Landes liegt. Regionen mit unterdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit würden an diesen zusätzlichen Mitteln also nicht partizipieren.

Dieses Modell des Sozialraumbudgets wäre aus meiner Sicht ein sozial gerechtes und für die Landesentwicklung daher zuträglicheres Instrument der Kinder- und Jugendpolitik als die derzeitige Realisierung des Matthäus-Prinzips. Natürlich wäre ein solcher Umbau mit deutlichen Veränderungen verbunden. Dies scheint mir aber notwendig, wenn die Sozialpolitik im Land ihrem Anspruch auf soziale Gerechtigkeit, auf Ausgleich sozialer Ungleichgewichte und auf Erhalt des gesellschaftlichen Zusammenhalts gerecht werden möchte.

Dieser Vorschlag wird vermutlich eine Hauptkritik nach sich ziehen. Die Einführung regionaler Sozialraumbudgets könnte mit dem Prinzip der Freiwilligkeit kollidieren. Es mag ja sozialpolitisch wünschenswert sein, mehr Geld zum Beispiel nach Demmin zu geben, aber wenn die Gelder niemand abruft, wäre nicht viel gewonnen.

Gerade deshalb, meine Damen und Herren, finden Sie in unserem Antrag auch den deutlichen Hinweis auf eine stärkere Kooperation zwischen der Landes- und der kommunalen Ebene. Natürlich käme es beim Modell der Sozialraumbudgets ganz entscheidend darauf an, dass das Sozialministerium eng mit den kommunalen Jugendamtsleitern kooperiert und die Jugendamtsleiter eine Leitfunktion für die Verausgabung der Sozialraumbudgets in ihrer Region übernehmen. Wenn dieses richtig organisiert wird, könnten daher aus meiner Sicht die möglichen Bedenken ausgeräumt werden.

Die Konzeption der Sozialraumbudgets hat eine weitere wesentliche Konsequenz. Die Kinder- und Jugendhilfe hatte von Anfang an einen ambivalenten Charakter. Sie konnte sich nie so richtig entscheiden, ob sie vorwiegend Anlaufstelle für Problemkinder oder Angebot für alle Kinder und Jugendlichen sein sollte und wollte. Sie beanspruchte daher stets, beides zu sein – Hilfestation für besonders bedürftige Kinder und Jugendliche, aber auch selbstverständliche Begleiteinrichtung in den Sozialisationsprozessen der Kinder und Jugendlichen. Dieser ambivalenten Zielstellung wurde die Kinder- und Jugendhilfe aber wahrscheinlich nie so richtig gerecht. Eine Studie der Universität Rostock aus dem Jahr 1998 hat für die Hansestadt Rostock gezeigt, dass die Kinder und Jugendlichen selbst die regionalen Angebote der Kinderund Jugendhilfe zu 75 bis 95 Prozent nie in Anspruch nehmen.

Auch der 11. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung bestätigt, dass eine absolute Mehrheit der Kinder

und Jugendlichen keine Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere der freien Jugendarbeit, besucht. Die Einführung von Sozialraumbudgets würde auch in dieser Frage zu einer gewissen Akzentuierung führen. Zwar würde der universalistische Anspruch der Kinderund Jugendhilfe nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber es würde wohl doch zu einer stärkeren Hinwendung zu Kindern aus benachteiligten Familien – aus sozialen oder aus anderen Gründen – führen. Angesichts der vor uns stehenden gesellschaftlichen Entwicklung, angesichts der zunehmenden sozialen Spaltung unserer Gesellschaft und angesichts der knapper werdenden öffentlichen Mittel halte ich persönlich eine solche Akzentuierung allerdings für sinnvoll und gerechtfertigt. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Danke schön, Herr Abgeordneter.

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf der Drucksache 4/808. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke schön. Die Gegenprobe. – Danke schön. Stimmenthaltungen? – Damit ist der Antrag der Fraktionen der SPD und PDS auf Drucksache 4/808 mit Zustimmung der Fraktionen der SPD und PDS bei Gegenstimmen der Fraktion der CDU angenommen.

Ich rufe auf den Tagesordnungspunkt 22: Beratung des Antrages der Fraktionen der PDS und SPD – Entschließung zur Einrichtung eines Zentrums zur Sicherung der Qualität in der Medizin der Bundesrepublik Deutschland in Mecklenburg-Vorpommern, Drucksache 4/811. Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU auf der Drucksache 4/843 vor.

Antrag der Fraktionen der PDS und SPD: Entschließung zur Einrichtung eines Zentrums zur Sicherung der Qualität in der Medizin der Bundesrepublik Deutschland in Mecklenburg-Vorpommern – Drucksache 4/811 –

Änderungsantrag der Fraktion der CDU – Drucksache 4/843 –

Das Wort zur Begründung des Antrages hat der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion der PDS. Bitte schön, Herr Koplin.

Danke schön, Herr Präsident.

Sehr geehrte Damen und Herren, um eine Brücke zwischen der Entschließung zu einem zukunftsfähigen Gesundheitswesen von heute Morgen und dem jetzt zur Debatte anstehenden Antrag zu bauen, will ich so beginnen: Eine Diskussion, die sich bislang nur mit Beitragssätzen, Vorsorgezwang und Renteneintrittsalter, also letztlich nur mit der Veränderung von Geldflüssen zwischen und innerhalb der Generationen beschäftigt, eine Diskussion, die den Wert einer Gesundheitsreform nur an Beitragszehntelprozenten misst, ist schon jetzt nicht mehr auf der Höhe der Zeit.

All diese und zumal ideologisch geprägten Diskussionen von „überbordenden sozialen Leistungen“, von Unbezahlbarkeit „lieb gewordener Annehmlichkeiten“, von ausufernden Subventionen et cetera unterschlagen einen

Tatbestand, nämlich den, dass all das ökonomisch selbstverständlich leistbar ist, denn die ständig steigende Arbeitsproduktivität macht wachsenden Ertrag bei geringerem Einsatz sehr wahrscheinlich. Die Frage besteht allerdings, wohin die Gewinne fließen und wozu sie dienen. Und ich denke schon, dass eine richtige Entscheidung sein kann, nicht unerhebliche Mittel für ein Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit in der Medizin einzusetzen. Vom geplanten Institut sollen, so die Bundesgesundheitsministerin, eine der ersten Verlautbarungen dazu ihrerseits, Bürgerinnen und Bürger verständliche Auskünfte über Ärzte, Behandlungsmethoden oder Medikamente bekommen.

Es ist wohl keinem unbekannt, dass jeder Kranke auf der Suche nach Heilung ein Lied davon singen kann, dass es nicht immer einfach ist, den richtigen Arzt und die beste Therapie zu finden. Doch liegen die Gründe nicht auch darin, dass ein unübersichtliches System viel besser geeignet ist, mit allen möglichen Methoden Geld zu verdienen, auch mit denen, die unwissenschaftlich und unwirtschaftlich sind? Wäre es anders, hätten wir längst Tausende von Medikamenten weniger und es gäbe vielleicht sogar Ärzte- und Therapieempfehlungen der Standesorganisationen der Medizinerinnen und Mediziner.

(Harry Glawe, CDU: Gibt es.)

Sieht man sich all die Internetportale, die zufälligen Empfehlungen in Zeitschriften oder die angeblichen Fachgesellschaften an, so macht ein Qualitätsinstitut durchaus Sinn. Angedacht war bekanntlich, dass die Partnerinnen und Partner der Selbstverwaltung eine vom Staat unabhängige Stiftung für Qualität und Wirtschaftlichkeit gründen mit einem unabhängigen wissenschaftlichen Institut. Dieses soll den Wissensstand zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren bei ausgewählten Krankheiten bewerten, Gutachten erstellen und Leitlinien für die wichtigsten Erkrankungen, auch für die so genannten Volkskrankheiten bewerten. Das sind Leistungen, meine Damen und Herren, für die es in Mecklenburg-Vorpommern sehr gute Voraussetzungen gibt mit seinen Hochschulen und Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten hierzu prädestiniert sind. Mein Kollege Herr Dr. Bartels wird zu diesen Aspekten nachher noch nähere Ausführungen machen.

Als PDS-Fraktion sehen wir die Möglichkeit, mit Hilfe eines solchen Instituts die Versorgung qualitativ zu verbessern. Wir reden nicht einer falsch zu verstehenden Effizienz das Wort, sondern, wie im Entschließungstext nachzulesen, einer erhöhten Wirksamkeit, wovon Patientinnen und Patienten profitieren sollen. Wenn von Qualität in der Gesundheitsversorgung die Rede ist, dann meinen wir auch zuverlässiges Qualitätsmanagement, praxisbezogene Leitlinien und Standards der Krankenbehandlung, überprüfbare ärztliche Weiterbildung und die Verbindung von ambulanter und stationärer Versorgung.

Wir denken an dieser Stelle auch an den Moloch Arzneimittelmarkt, sehr geehrte Damen und Herren, wie Norbert Blüm ihn jüngst bezeichnete. Nach wie vor werden zu viele neue Medikamente verschrieben, die teurer, aber nicht wirksamer als herkömmliche Mittel sind. Das verdeutlicht der Arzneiverordnungs-Report des Jahres 2003, der vor etwa zehn Tagen in Berlin vorgestellt wurde. Danach sind Arzneimittel inzwischen der zweitgrößte Kostenblock in der mit einem Milliardendefizit kämpfenden Gesetzlichen Krankenversicherung. Zum Anstieg hät

ten vor allem teure Analogpräparate ohne therapeutischen Zusatznutzen beigetragen. Die Autorinnen und Autoren betonen, dass ohne Qualitätsverluste in der medizinischen Behandlung rechnerisch 4,1 Milliarden Euro eingespart werden könnten.

Wäre die dringend benötigte Positivliste auf den Weg gebracht, wäre sehr vieles zu gewinnen gewesen, wenn auch nicht für die Pharmakonzerne, das gebe ich zu, jedoch für die Patientinnen und Patienten allemal. Die finanzielle Bürde, die Versicherte und Kranke übergeholfen bekommen sollen, wäre nicht notwendig. Ich nenne in diesem Zusammenhang nur einige Prozentzahlen: 80 Prozent aller Arzneimittel haben keinen Heilnachweis. Mit einem Plus von 13 Prozent im Jahre 2002 schreibt keine Branche so hohe Gewinne wie die Pharmaindustrie. 4 4 Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen verschwinden in der Pharmaindustrie, die ja auch so weit geht, neue Krankheiten zu erfinden. Ich muss aber eine Einschränkung machen aus einem Anlass, dass sich zum Beispiel das Riemser Arzneimittelwerk an mich gewandt und darauf hingewiesen hat, dass in der Pharmabranche – selbstverständlich gehört das zu einer seriösen Einbringung dazu, darauf hinzuweisen, dass Pharmakonzern nicht gleich Pharmakonzern ist – durchaus Unternehmen, kleine mittelständische Unternehmen am Markt zu kämpfen haben.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Aber auch grundsätzlich aus dieser Sicht heraus sollte das Institut eine wichtige Aufgabe darin sehen, eine tatsächliche Nutzenbewertung der Medikamente vorzunehmen. Damit entstünde für die Kassen, die Ärzte sowie Patientinnen und Patienten eine wichtige und verlässliche Orientierungsgröße und man käme der Forderung nach mehr Transparenz und nach industrieunabhängigen Informationen entgegen.

Ich betone nochmals: Im Mittelpunkt sollte nicht die Kostenfrage stehen, sondern auf jeden Fall ein solidarisches Gesundheitssystem, denn jede und jeder Einzelne kann in eine Situation geraten, in der sie und er von der Solidarität der anderen abhängig wird. Damit, so meine ich, sollte sich eine der neuen Leitlinien befassen, denn außer den Kosten-Nutzen-Analysen für Medikamente gehört zum Beispiel auch dazu das Erstellen von Therapieleitlinien für die großen Volkskrankheiten, von denen ja etliche gesellschaftliche soziale Ursachen haben, zumindest, was ihre zunehmende Häufigkeit betrifft.

Um einige Beispiele zu nennen: Da ist die Volkskrankheit Nummer eins Depression – eine schwere, oft lebensbedrohliche Krankheit. Allein in Deutschland leiden etwa vier Millionen Menschen daran. 15 Prozent aller Menschen mit schweren Depressionen begehen Selbstmord, so einige Expertengutachten. Das sind rund 12.000 Suizide. Bei Verkehrsunfällen kommen 8.000 Menschen ums Leben. Das zeigt einmal die Dimension, die hier zu verzeichnen ist.

Oder nehmen wir die neue Volkskrankheit Allergie. Vor 70 oder 80 Jahren litten lediglich ein bis zwei Prozent zum Beispiel an Heuschnupfen. Heute sind es bereits zwölf Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Immer häufiger sind Kleinkinder und sogar Säuglinge betroffen. Ein Viertel der Bevölkerung reagiert inzwischen allergisch, sei es auf Pollen, Hausstaub, Milch, Gewürze, Wespen, Bienen, Penicillin, Haare oder Metalle.

Als Drittes nenne ich den Diabetes. Neben dem Diabetes Typ I mit einem Anteil von etwa fünf Prozent, was circa 20.000 Erkrankte ausmacht, sind etwa vier Millionen Deutsche vom Diabetes Typ II betroffen. Bei vermutlich 800.000 weiteren Bürgerinnen und Bürgern ist dies noch nicht erkannt, sagen ernst zu nehmende Expertinnen und Experten, weil anfangs kaum Beschwerden auftreten.

(Harry Glawe, CDU: Diabetes mellitus.)

Trotzdem können bereits Blutgefäße, Augen, Nieren und Nerven geschädigt sein. Was diese Zuckerkrankheit auch so gefährlich macht, sind mögliche Folgekrankheiten, die einen Herzinfarkt oder einen so genannten Brand im Fuß oder Bein verursachen oder aber zu Erblindung und Nervenschäden führen.

Weitere Volkskrankheiten wären zu nennen, wie die Osteoporose, von der sieben Millionen Menschen in Deutschland betroffen sind, oder die Schuppenflechte, der Rückenschmerz oder Asthma.

In eine der vorstellbaren Leitlinien müssten Präventions- und Reha-Maßnahmen durch Sport aufgenommen werden. Schätzungen zufolge bewegen sich zwischen 66 bis 75 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zu wenig. Rückenschmerzen oder Herzkrankheiten sind die Folge. Bewegungsmangel führt zu den häufigsten und teuersten Zivilisationskrankheiten.

Eine weitere Leitlinie sollte sich mit dem Gesundheitszustand besonders gefährdeter Menschen befassen. Ich denke zum Beispiel an die medizinische Versorgung von Obdachlosen, für die die Gesundheitsreform eine Verschlechterung hervorrufen könnte, wenn ich da nur an die Einführung von Fallpauschalen denke. Wir haben ja dazu auch einige Ausführungen im Sozialausschuss in der Anhörungsreihe seit Januar dieses Jahres gehört.

(Harry Glawe, CDU: Was soll denn das?)

Wohnungslose und sozial ausgegrenzte Menschen hätten kaum die Möglichkeit, eine tatsächliche Ausheilung nach einem Krankenhausaufenthalt zu erreichen. Hinzu kommt, dass Obdachlose häufig an mehreren Erkrankungen gleichzeitig leiden. Das künftige Institut sollte seine Aufgaben auch in diesem Sinne als soziale Entwicklung diagnostizierend verstehen.

Es darf also in der Tat nicht primär um Fiskalisches gehen. Im Gesundheitswesen muss der Patient zählen, nicht nur noch die gesunde Bilanz der Unternehmungen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Danke schön, Herr Koplin.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Dauer von bis zu 45 Minuten vereinbart. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.