Protocol of the Session on April 10, 2003

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich begrüße Sie zur 13. Sitzung des Landtages. Die Sitzung ist eröffnet.

Mir liegt auf Drucksache 4/388 ein Antrag der Fraktionen der SPD und PDS zum Thema „Kein ,Bombodrom‘ in der Kyritz-Ruppiner Heide“ vor. Dieser Antrag wird momentan verteilt. Auf Wunsch der Antragsteller soll die Tagesordnung um diesen Antrag erweitert werden. Wird das Wort zur Begründung der Dringlichkeit gewünscht? – Das ist der Fall.

Herr Borchert, Sie haben das Wort.

Schönen guten Morgen! Sehr geehrte Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte mit zwei, drei Sätzen noch mal die Dringlichkeit begründen unseres Antrages auf der Drucksache 4/388: „Kein ,Bombodrom‘ in der Kyritz-Ruppiner Heide“.

Nach uns vorliegenden Informationen ist es wohl so, dass im Bundesverteidigungsministerium in den nächsten Wochen eine Entscheidung gefällt wird, die für unser Land von außerordentlicher Bedeutung ist. Die Absicht des Bundesverteidigungsministeriums ist bekannt, die KyritzRuppiner Heide, einen wesentlichen Teil dieses Bereiches, zu nutzen für die Einrichtung und zum Ausbau eines Bombenabwurfübungsplatzes. Wir hatten diese Thematik bereits hier im Landtag. Aber aufgrund der Tatsache, dass jetzt in den nächsten Wochen und Monaten diese Entscheidung ansteht, sehen wir die Dringlichkeit, dieses Thema heute noch mal im Landtag zu beraten, um in dieser Art und Weise noch einmal nicht nur auf das Problem aufmerksam zu machen, sondern auch noch mal jede Möglichkeit auszuschöpfen, hier Einfluss zu nehmen im Interesse unseres Landes.

Eine letzte Bemerkung dazu: Der Antrag, den wir dann heute Nachmittag debattieren – vorausgesetzt, er kommt auf die Tagesordnung –, wird sich noch mal ausdrücklich auch an die Landesregierung in Brandenburg richten, die ja in gleichem Maße wie unser Land von diesem Vorhaben betroffen ist.

Vielen Dank, Herr Borchert.

Gemäß Paragraph 74 Ziffer 1 unserer Geschäftsordnung kann diese Vorlage dann beraten werden, wenn zwei Drittel der Mitglieder des Landtages die Dringlichkeit bejahen. Zugleich muss über die Einreihung in die Tagesordnung beschlossen werden. Wer stimmt der Erweiterung der Tagesordnung um diese Vorlage zu? – Vielen Dank. Gegenprobe. – Gibt es Stimmenthaltungen? – Damit ist der Erweiterung der Tagesordnung mit einer Gegenstimme und wenigen Stimmenthaltungen mehrheitlich zugestimmt. Die Zweidrittelmehrheit wurde erreicht. Kann ich davon ausgehen, dass wir diese Vorlage am Schluss der heutigen Beratung behandeln? – Ich sehe und höre dazu keinen Widerspruch, dann ist das so beschlossen.

Ich rufe jetzt auf den Tagesordnungspunkt 9 unserer Tagesordnung, die Fragestunde. Die Fragen an die Landesregierung liegen Ihnen auf Drucksache 4/376 vor.

Fragestunde – Drucksache 4/376 –

Ich rufe auf den Geschäftsbereich des Ministers für Bildung, Wissenschaft und Kultur, hier zunächst die Fragen 1 und 2 der Abgeordneten Ilka Lochner-Borst.

1. Sind der Landesregierung unter anderem die Fakten bekannt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 2003 dem ITER-Forschungsverbund erneut beigetreten sind und 10 Prozent der Investitionssumme für den ITER übernehmen wollen, China am 10. Januar 2003 erklärte, dem Projekt ITER auch beitreten und adäquat finanzieren zu wollen, der Realisierungszeitraum des ITER 10 Jahre beträgt, Investitionen in Höhe von 4,6 Milliarden Euro getätigt werden, die Laufzeit des ITER mehr als 20 Jahre beträgt und Folgeinvestitionen von 5,7 Milliarden Euro nach sich zieht sowie die Kernfusion keine Auswirkungen auf den Treibhauseffekt hat, und welche Schlussfolgerungen zieht die Landesregierung daraus für das weitere eigene Engagement im Sinne der Bewerbung des Standortes Greifswald/Lubmin?

Frau Präsidentin! Frau Lochner-Borst! Meine Damen und Herren! Die genannten Fakten und Annahmen sind der Landesregierung natürlich bekannt. Das Engagement für die Bewerbung des Standortes Greifswald/Lubmin ist nach den direkten Gesprächen des Ministerpräsidenten am 24. März dem EU-Kommissar für Forschung Herrn Busquin dahin gehend präzisiert worden, dass die Finanzierung des ITER-Koprojektes Wendelstein 7-X auch über den Zeitrahmen der derzeitigen Förderung hinaus – und das ist ja leider erforderlich geworden durch Verzug der Vorarbeiten – im Vordergrund stehen muss.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch etwas über den Hintergrund der Entscheidungen, die in Brüssel anstehen, sagen und das kommt ja in der Aufzählung der Länder zur Sprache, die Sie genannt haben – China und die USA. Das ITER-Projekt hat eine außerordentliche geopolitische Bedeutung. In dieser Abwägung ist Deutschland nicht stark genug. Eine ähnliche Selbsteinschätzung hat im Übringen das Vereinigte Königreich Großbritannien dazu veranlasst, den eigenen außerordentlich geeigneten Standort Sellafield nicht mehr weiter zu propagieren.

Die zweite Frage:

2. Wie beurteilt die Landesregierung die Standortfaktoren Greifswald/Lubmin für die Ansiedlung des ITER-Forschungsreaktors im internationalen Vergleich?

S t a n d o r tfaktoren sind im internationalen Vergleich mit den Bewerbern um die ITER-Ansiedlung differenziert zu betrachten. Die geotechnologischen, hydrologischen, seismologischen und meteorologischen Standortbedingungen sowie die geographische Lage und die verkehrliche Infrastruktur sind bei allen Bewerbern nach diesseitiger Einschätzung mehr oder weniger ausgeglichen. Es gibt keine entscheidenden Vor- oder Nachteile für einen der Bewerber.

Für den Standort Lubmin ergeben sich Vorteile, weil das Gelände erdbebensicher ist und weil eine eigene Hafenanbindung an die Ostsee das Anlegen größerer Schiffe ermöglicht. Nachteil ist das Problem des Mindestabstandes zu dem geplanten GuD-Kraftwerk. Der wich

tigste Vorteil, den Greifswald/Lubmin hat, ist die wissenschaftliche Exzellenz in diesem Raum. Das hat der EUKommissar am 24. März ausdrücklich noch einmal hervorgehoben. Und gerade weil dies so ist, konnte in den Gesprächen die verbindliche Kooperation eines ITERProjektes, an welchem Standort es auch immer dann durchgeführt werden soll, mit dem wissenschaftlichen Partner und Vorläufer und derzeit weltweit größten Fusionsprojekt, wie wir gerade auf der Hannover-Messe sehen, nämlich Wendelstein 7-X, erreicht werden.

Hier gab es ja bislang eine Gefährdung der finanziellen Absicherung, weil das Projekt auch durch wissenschaftlichen Verzug aus dem Finanzierungsrahmen herausfällt. Und als energiepolitische und europapolitische Profilierung wird an Mecklenburg-Vorpommern das Forschungsprojekt „Erneuerbare Energien aus biogenen Ressourcen“ vergeben. Das entspricht unserem Standort energiepolitisch, agrarwissenschaftlich, ingenieurwissenschaftlich, das entspricht der wirtschaftlichen Infrastruktur des Landes. Es dient der Entwicklung des ländlichen Raumes, hat die politische Unterstützung der Bundesregierung und der EU-Kommission in Brüssel und es wird das zentrale Projekt der Scanbalt-Initiative sein auf der Grundlage des Sechsten Rahmenprogrammes des europäischen Forschungsprogramms.

Ich hätte eine Nachfrage bitte. Wie sehen Sie in dem Zusammenhang die Zukunft des IPP in Greifswald?

D i e s e r Zukunft muss unsere gesamte Aufmerksamkeit gelten. Gerade weil die Wissenschaftlichkeit, die Exzellenz in diesem Bereich Greifswald/Lubmin auch von Kommissar Busquin unterstrichen worden ist, konnte er dann auch zusagen, dass die Finanzierung aus der zweiten Säule des Euratomprogrammes mit einem Gesamtvolumen von jetzt über 840 Millionen Euro – wir müssten sehen, wie viel wir dafür benötigen – gesichert ist. Es ist eine Art Havarietopf, der aufgelegt worden ist, um das IPP abzusichern. Die Sorgen waren dort groß, auch deshalb, weil man fürchtete, dass durch die Parallelentwicklung eines Tokamak an dieser Stelle ein Stellaratorprojekt in den Hintergrund treten könnte. Diese Sorgen müssen wir heute nicht mehr teilen. Das ist auch die Einschätzung von Professor Bradshaw, mit dem ich nach der Entscheidung von Kommissar Busquin telefoniert habe.

Vielen Dank.

Herr Minister, der Abgeordnete Herr Dr. Born möchte offensichtlich eine Zusatzfrage stellen.

Selbstverständlich.

Herr Minister, trügt mich meine Erinnerung, wenn ich davon ausgehe, dass der Landtag am 13. März einen Antrag der CDU-Fraktion abgelehnt hat, mit dem die Regierung aufgefordert wurde, die erforderlichen Schritte zu unternehmen, damit die Bewerbung des Standortes Greifswald/Lubmin sichergestellt wird? Und gehe ich zu Recht davon aus, dass Sie seitens der Regierung ebenfalls der Meinung waren, dass eine entsprechende Initiative des Landtages nicht nötig sei, weil der Antrag gegebenenfalls auch ohne die Bundesregierung weitergeleitet werden könnte?

H e r r Dr. Born, Sie leiten schon über zu den Fragen 3 und 4, die uns natürlich bekannt sind. Wir haben die Möglichkeiten, die wir als Landesregierung sehen, ausgeschöpft. Uns lag daran, dass der Antrag von uns propagiert wird, dass er von uns auch in Brüssel vorgetragen wird, dass er mit dem größten Druck, den wir entwickeln können – und das ist der persönliche direkte Besuch des Ministerpräsidenten beim Kommissar der Generaldirektion Forschung –, vorgetragen wird. Genau das ist erfolgt. Wir haben parallel dazu natürlich alles unternommen, um die Bundesregierung dort an dieser Stelle mit ins Boot zu holen. Gerade weil man sich, und da wiederhole ich mich, der wissenschaftlichen Stärke dieses Standortes nicht verschließen konnte, ist es gelungen, zwei neue Entwicklungen anzustoßen, auf die ich gleich eingehen kann. – Danke schön.

Ich bitte jetzt den Abgeordneten Herrn Riemann, seine Fragen zu stellen.

Sehr geehrter Herr Minister!

3. Welche konkreten Initiativen und Maßnahmen wurden hinsichtlich der ITER-Bewerbung durchgeführt und welche Gespräche hat die Landesregierung insbesondere mit den Mitgliedern der Bundesregierung geführt (Bundeskanzler, Bun- desumweltminister, Bundesbildungsministerin, Bundesminister für Verkehr, Bau- und Woh- nungswesen), um wie angekündigt – hier im Landtag – die Bewerbung des ITER-Förderverbandes Greifswald/Lubmin erfolgreich an die Europäische Kommission weiterzuleiten?

Sehr geehrter Herr Riemann! Ich kann das in Ergänzung zu dem, was ich hier schon im März vorgetragen habe, erläutern.

Der Ministerpräsident hat am 15. Juli 2002 in einem Brief an die Bundesministerin die Interessenbekundung des ITER-Förderverbandes, und zwar war das die vom 27.06., übergeben und damit ja die Bundesregierung um Unterstützung des Antrages gebeten. Ich selbst habe nach meinem letzten Vortrag von dieser Stelle aus mit der Bundesministerin insgesamt vier Gespräche geführt – davon zwei telefonisch, ein Gespräch in Bonn und ein Gespräch in Berlin –, um die Unterstützung des Fachressorts zu bekommen, des Fachressorts, in dem ich natürlich nur aktiv werden kann. Der Ministerpräsident hat, das habe ich schon gesagt, am 24. März den EU-Kommissar Generaldirektion Forschung Herrn Busquin in Brüssel direkt aufgesucht, hat direkt die Bewerbung des ITERFörderverbandes Greifswald/Lubmin, die Unterstützung der Landesregierung an dieser Stelle und die Gesprächsergebnisse – nämlich eine inhaltliche Unterstützung der Bundesministerin für Bildung und Forschung – vorgetragen und um Annahme gebeten.

4. Zu welchen konkreten Ergebnissen haben diese Initiativen und Gespräche bei der Bundesregierung geführt?

Wie war die Stellungnahme der Minister und Ministerinnen zu unserem Anliegen?

Die Stellungnahme der Bundesministerin war inhaltlich deutlich positiver als die Stellungnahme von Herrn Rüttgers 1996. Das hat der Ministerpräsident vorgetragen. Aber er hat

sich dann auch sagen lassen müssen, dass eine direkte Bewerbung unmittelbar durch das Land und den Förderverband nicht angenommen werden kann. Damit sind die Möglichkeiten, die wir in diesem Land haben, ausgeschöpft. Der Ministerpräsident ist den ganzen Antragsweg gegangen bis zur letzten Tür und die Tür ist verschlossen.

Zwei konkrete Ergebnisse sind erreicht worden. Kommissar Busquin hat einen positiven Bescheid zugesichert, erstens die finanzielle Sicherung des Forschungsprojektes Wendelstein 7-X als entscheidendes Vorlaufprojekt für das ITER-Koprojekt weiter zu fördern – das ist der Griff in das Euratomprogramm – und zweites die finanzielle Förderung des internationalen Forschungsschwerpunktes „Erneuerbare Energien“ aus biogenen Ressourcen im Zusammenhang mit der Scanbalt-Initiative. Das ist die dritte Säule Biotechnologie des Sechsten Rahmenprogramms.

Herr Minister, gestatten Sie eine Zusatzfrage?

Natürlich.

Herr Minister, Sie hatten ausgeführt, dass England aufgrund seiner Stärkeeinschätzung die aussichtsreiche Bewerbung zurückgezogen hat. Wie beurteilen Sie die aufrechterhaltene Bewerbung von Spanien im Vergleich mit einer möglichen Bewerbung zu Deutschland hinsichtlich der Stärke?

Ich muss zugeben, dass ich mich mit der spanischen Bewerbung nicht ausreichend beschäftigt habe.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und Frankreich?

Da gilt das Gleiche. Ich habe ITER im Blick, in diesem Lande.

Gut. Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Herr Minister, der Abgeordnete Herr Friese hat offensichtlich eine Zusatzfrage.

Ja, natürlich.

Herr Minister, mir liegt eine Presseerklärung aus dem Jahre 1996 vor, abgegeben vom damaligen Bundesforschungsminister Dr. Jürgen Rüttgers, CDU, in der er mitteilt, dass Frankreich und Deutschland sich nicht um den Standort für den ITERReaktor bewerben werden. Wenn diese Erklärung damals nicht abgegeben worden wäre, wäre dann möglicherweise die Position Deutschlands dafür günstiger gewesen?

(Heiterkeit und Unruhe bei Abgeordneten der CDU – Zurufe von Dr. Ulrich Born, CDU, und Dr. Armin Jäger, CDU)

Das ist eine ausgesprochen europapolitisch dimensionierte Frage und auf diesem Schachbrett bin ich eine Nummer zu klein.