Protocol of the Session on June 27, 2002

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Von den in unserem Antrag benannten Positionen möchte ich zwei Aspekte besonders hervorheben:

Erstens. Für uns ist der Fortbestand der paritätischen Finanzierung der Arbeitslosenversicherung durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer unverzichtbar. Eine Verschiebung zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird es mit Sozialdemokraten nicht geben!

Zweitens. Die besonderen Bedingungen des ostdeutschen Arbeitsmarktes erfordern eine eigene Arbeitsförderungsinstitution – der Minister ist auch darauf eingegangen –, die den auch künftig bei uns notwendigen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor gemeinsam mit dem Land, den Sozialpartnern und den Kommunen organisieren kann.

(Beifall Norbert Baunach, SPD, und Angelika Gramkow, PDS)

Gerade die Architektur unseres neuen Arbeitsmarktund Strukturentwicklungsprogramms mit der die vorhandenen Mittel der EU, des Bundes, der Landkreise und der Kommunen zusammengefasst und zielgerichtet koordiniert eingesetzt werden, erfordert auf der Seite des Bundes eine Instanz, mit der die arbeitsmarktpolitischen Schwerpunkte unseres Landes gesteuert werden können.

Lassen Sie mich abschließend noch kurz auf die aktuelle Diskussion zu den Vorschlägen der Hartz-Kommission eingehen. Die strukturelle Neuausrichtung der Arbeitsverwaltungen weisen in die richtige Richtung. Die Überwindung der Beschäftigungskrise in Deutschland erfordert Mut zur grundlegenden Erneuerung mit sozialem Ausmaß.

Peter Hartz hat das Ausmaß seiner Bemühungen in seinem „Spiegel“-Gespräch mit einem Wort von Antoine de Saint-Exupéry sehr schön umschrieben: „Wenn du mit anderen ein Schiff bauen willst, so beginne nicht, mit ihnen Holz zu sammeln, sondern wecke in ihnen die Sehnsucht nach dem weiten, unendlichen Meer.“ Die Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer, eine spürbare Reduzierung der Arbeitslosigkeit, die haben die Betroffenen ebenso wie Politiker aller Fraktionen. Wege, Inhalte

und Organisationsformen sollen bis zum 16. August diskutiert und abgewogen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie uns das Ergebnis abwarten, ohne es im Vorfeld zu zerreden. Ich bin mir sicher, dann könnte das der vom Altbundespräsidenten Roman Herzog geforderte Ruck sein, der durch unser Land gehen soll. Lassen Sie uns nicht zurückzucken, sondern mutig neue Wege gehen! Hier sind Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Gewerkschaften, Arbeitsverwaltungen, Staat, Kirchen und Gesellschaft gleichermaßen in der Verantwortung.

Und jetzt möchte ich gerne noch ein paar Worte in eigener Sache sagen.

(Heiterkeit bei Norbert Baunach, SPD: Heidemarie!)

Ich habe mich vor 13 Jahren mit dieser Sehnsucht nach dem unendlichen weiten Meer auf den Weg gemacht, um die Wende herbeizuführen, um diese räumliche und geistige Enge damals zu überwinden. Ich bin vor 12 Jahren in die Politik gegangen mit dieser Sehnsucht, eine bessere Politik zu machen, und ich habe in diesen Jahren auch so manche Sternstunde erlebt, wo wir uns getragen fühlten von dieser Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer. Aber wir haben uns leider auch viel zu oft mit dem Holzsammeln abgefunden oder zufrieden gegeben und auch nicht selten den einen oder anderen Knüppel zwischen die Beine geschmissen. Und ich denke, leider haben wir auch den Menschen in diesem Land viel zu oft Angst gemacht, als die Sehnsucht zu wecken. Und es wäre heute eigentlich mein Wunsch, dass wir nicht Angst machen, sondern dass wir ermutigen, dass wir Hoffnung machen, dass wir Hoffnung geben, dass die Aufgaben der Zukunft zu bewältigen sind.

Ich möchte noch mal auf die PISA-Studie eingehen. Wie sollen Kinder in einem Land, wo sie mit Arbeitslosigkeit ihrer Eltern, mit den Umbrüchen seit Jahren leben müssen, wie sollen sie in einem solchen Klima Spitzenleistungen hervorbringen? Das sollten wir auch mal mit berücksichtigen, wenn jetzt die Ergebnisse verglichen werden. Ich denke, es ist unsere Sache, den Kindern zu sagen, jeder, der heute zur Schule geht – und dazu sollten wir auch jede Möglichkeit hier in diesem Haus nutzen –, die Schule verlässt oder eine Ausbildung macht, wird in diesem Land gebraucht. Er bekommt eine Arbeitsstelle. Ab 2006 wird jeder gebraucht. Es wird auch immer wieder die Angst geweckt davor, dass Betriebe nicht genügend Personal bekommen können. Ich denke, wir sollten den Kindern sagen, ihr werdet gebraucht in diesem Land, egal in welchen Bereichen. Das gibt den Kindern Mut und motiviert zum Lernen und es gibt natürlich auch Eltern und Großeltern Mut.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Ich wünschte mir, dass wir die Möglichkeiten nutzen, um diese Sehnsucht nach dem weiten unendlichen Meer in den Menschen zu wecken, damit sie in der Lage sind, die Anforderungen des Alltags zu bewältigen. Machen Sie es gut!

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke schön, Frau Beyer. Ich denke, es war Ihre letzte Rede in dieser ordentlichen Sitzung des Landtages. Auch ich möchte Ihnen recht herzlich danken. Sie haben sich von Anfang

an in diesen Landtag eingebracht. Ich denke, ich spreche im Namen aller, wir wünschen Ihnen für den neuen Lebensabschnitt alles Gute und auch noch viel Engagementmöglichkeiten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, PDS und Thomas Nitz, CDU – Heidemarie Beyer, SPD: Danke. – Zuruf von Bärbel Nehring-Kleedehn, CDU)

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Koplin von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich habe mir eben das Okay von meiner Fraktionschefin geholt,

(Angelika Gramkow, PDS: Als wenn du das brauchst.)

weil ich selbstverständlich nicht unreflektiert lassen möchte, was Sie eben an Nachdenklichkeit und tiefem Sinn hier gesagt haben. Frau Beyer, Ihnen und allen, die hier dieser Tage die letzten Reden halten, alles Gute und herzlichen Dank vor allen Dingen für die schwere Arbeit in den ersten Stunden unmittelbar nach der Wende. Das kann man nicht hoch genug würdigen, denke ich.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und auch inhaltlich freue ich mich, sagen zu können, Frau Beyer, unsere Intentionen zu diesem Thema sind sehr nah beieinander. Wir sehen es genauso wie Sie. Es ist der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort, dieses Thema hier und heute zu behandeln. Und ich freue mich auch, dass Herr Albrecht so oft in seiner Rede Frau Borchardt Recht gegeben hat.

(Heiterkeit bei Heidemarie Beyer, SPD: Das stimmt.)

Was mich dabei dann aber in der Folge verwunderte, war, dass es so viele Widersprüche in der Rede gab. Einerseits sagten Sie, die ABM sind von Übel

(Peter Ritter, PDS: Das ist Herr Albrecht.)

und man müsse öffentlich geförderte Beschäftigung ablehnen, und andererseits sagten Sie dann wiederum, ABM brauchen wir, was wir selbstverständlich auch so sehen,

(Zuruf von Nils Albrecht, CDU)

aber die Schwierigkeit, die sich für mich daraus ergibt, ist, es ist keine Schlüssigkeit in den Ausführungen, es ist keine Logik in Ihren Ausführungen. Diese Unlogik erlebe ich an anderer Stelle auch.

(Heidemarie Beyer, SPD: Ja.)

Vor einigen Tagen hatte die IHK zu Neubrandenburg Herrn Lothar Späth eingeladen. Dieser Einladung sind unter anderem auch Herr Prachtl, Herr Grams, ein weiterer CDU-Abgeordneter und ich gefolgt und wir haben mit Interesse die Ausführungen von Herrn Späth auch zu strukturpolitischen Vorstellungen gehört. Das war zwei Tage vor seiner Ernennung in das so genannte Kompetenzteam.

(Zuruf von Peter Ritter, PDS)

Sowohl die Kollegen von der CDU als auch ich haben applaudiert. Offenkundig auch zur Verwunderung meiner

CDU-Kollegen hatte ich applaudiert, nur muss ich eins dazusagen, die Motive, warum wir applaudiert haben, waren offenkundig sehr unterschiedliche. Während die CDU-Abgeordneten vermutlich sich sehr mit den Ausführungen von Herrn Späth identifiziert haben, habe ich applaudiert, weil ich den Unterhaltungswert seiner Rede so toll fand.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das war Politentertainment bester Sorte.

(Nils Albrecht, CDU: Durchschaubar.)

Ansonsten hatte Herr Späth zwei kolossale logische Fehler in seinen Ausführungen und die können Sie auch im „Nordkurier“-Interview – das muss etwa vor vier Wochen auch abgedruckt worden sein – wiederlesen. Er ist weit weg. Es ist die Gefahr, die viele Wirtschaftleute haben, dass Betriebswirte nicht unbedingt gute Volkswirte sein müssen.

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der CDU – Nils Albrecht, CDU: Dann fahren Sie mal nach Thüringen und fragen dort, was die Leute von Lothar Späth halten!)

Da gibt es...

Wissen Sie, ich möchte mich gar nicht so sehr an den Personen aufreiben, sondern gerne auf die Widersprüche im Denken hinweisen, das ist das Entscheidende, denn die lassen tief schließen auch auf politisches Verhalten von diesen Personen und den Getreuen dieser Personen. Zum einen sagen sie nämlich, das hat Herr Späth dort auch offeriert, das Konsumverhalten muss angereizt werden. Und im gleichen Atemzug, im gleichen Interview sagt er, aber der Niedriglohnsektor muss ausgebaut werden. Das ist ein Widerspruch in sich.

(Nils Albrecht, CDU: Wieso ist das ein Widerspruch?)

Wenn ich wenig Einkommen habe, kann ich weniger konsumieren,

(Nils Albrecht, CDU: Das ist richtig.)

weniger nachfragen und dann funktioniert der Markt nicht.

(Unruhe bei Nils Albrecht, CDU, und Peter Ritter, PDS)

Und der zweite Widerspruch ist: Er sagt, wir haben keinen Spielraum für Neuverschuldung, und im gleichen Atemzug sagt er, wir müssen drei mal vierzig die Steuern senken. Drei mal vierzig die Steuern senken heißt, die Einnahmen werden geringer. Wer bezahlt die Zeche?

(Beifall Angelika Gramkow, PDS: Richtig.)