Protocol of the Session on June 26, 2002

Anders als Sie, meine Damen und Herren von der CDU, hat sich diese Landesregierung von Beginn an sehr ernsthaft mit der Frage der Vergangenheit auseinander gesetzt.

(Harry Glawe, CDU: Na ja.)

Auf der Grundlage der Koalitionsvereinbarung hat sich die Landesregierung sehr früh zu Beginn der Legislaturperiode auf ein Verfahren verständigt, dass die Vergangenheit nicht verdrängt, gleichzeitig aber Menschen die Chance gibt, in der Demokratie anzukommen. Das Verfahren zur Überprüfung der in Frage kommenden Fallgruppen ist dabei klar geregelt. Überprüft werden erstmals einzustellende beziehungsweise zu berufende Personen durch eine Anfrage bei der Bundesbehörde auf eine Tätigkeit für das MfS grundsätzlich, wenn e r s t e n s tatsächlich Anhaltspunkte für eine Zusammenarbeit vorliegen, zweitensbei Einstellungen in den höheren Dienst oder Begründung vergleichbarer Angestelltenverhältnisse, drittens bei der Berufung für sicherheitsempfindliche Aufgaben. Entscheidend ist, dass in diesen Fällen immer eine Einzelfallprüfung vorgenommen wird. Dabei und bei der Beurteilung der Eignung sind die Gesamtumstände zu berücksichtigen und abzuwägen, insbesondere die Umstände und die Situation, unter denen der Bewerber in der DDR lebte, aber auch das Verhalten und die persönliche Entwicklung nach dem 3. Oktober 1990 sind in die Beurteilung mit einzubeziehen. Praktisch bedeutet das, nicht jeder, der Kontakt zur Staatssicherheit hatte, ist automatisch vom öffentlichen Dienst auszuschließen.

Herr Helmrich, Sie haben auf die gleichmäßige Handhabung abgehoben. Sie können keinen Katalog aufstellen, der auf alle wie ein Raster zu legen ist. Weil eben die persönlichen Lebensumstände gerade diese Einzelfallüberprüfung verlangen, ist das nicht möglich.

(Herbert Helmrich, CDU: Nicht ein Raster, aber gleichmäßig intensiv prü- fen. Darauf bezieht sich unser Antrag.)

Richtig. Ja, das wird auch gemacht.

Meine Damen und Herren, als Demokraten müssen wir der Verantwortung, die uns aus 40 Jahren DDR-Vergangenheit erwächst, gerecht werden. Verantwortung ist die Voraussetzung zur Versöhnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Tätern und Opfern. Und Versöhnung war und ist die Voraussetzung für die gemeinsa

me Gestaltung unserer Zukunft. Ich glaube, nur so bringen wir dieses Land weiter voran.

(Harry Glawe, CDU: Jaja, das glaubt keiner mehr.)

Wir dürfen die Vergangenheit nicht verdrängen und vergessen. Sie gehört unabänderlich zu unserer Geschichte und zu unseren Lebenserfahrungen und auch ein gelebtes Leben kann nicht rückgängig gemacht werden. Aber nur wer zur eigenen Vergangenheit steht, bleibt glaubwürdig, und darum geht es. Das heißt, Unrecht darf nicht verschwiegen werden, aber zugleich müssen Brücken in die Zukunft gebaut werden. Diese Brücken aber müssen so stabil sein, dass alle Menschen darüber gehen können und nicht nur einige wenige. Diese Brücken müssen die Grundlage sein für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in rechtsstaatliches Verwaltungshandeln und in eine unabhängige Justiz, auch in Zukunft. Die Glaubwürdigkeit des einzelnen Staatsbediensteten ist dafür eine wichtige Voraussetzung.

Meine Damen und Herren, Gerechtigkeit ist nicht durch Pauschalurteile herzustellen. Gerechtigkeit erfordert ein differenziertes Hinsehen und das tun wir. Wie wollen Sie einen Fall beurteilen, wo jemand unterschrieben hat und sich dann selbst gelöst hat, im Vergleich zu einem anderen Fall, wo jemand nicht unterschrieben hat, aber zum MfS gelaufen ist und seine Frau beim MfS angeschmiert hat,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig.)

um in einem Scheidungsprozess Vorteile für sich zu erlangen?

(Herbert Helmrich, CDU: Den Ersten habe ich schon vor zehn Jahren im Dienst gelassen. Das können Sie nachprüfen in unseren Akten.)

Ja, und was ist mit dem Zweiten, Herr Helmrich? Was ist mit dem Zweiten? Diese Frage stelle ich. Würden Sie den auch im Dienst lassen?

(Dr. Armin Jäger, CDU: Natürlich nicht. – Herbert Helmrich, CDU: Wahrscheinlich nicht. Da muss man genau gucken.)

Aha! Aha! Das ist ja sehr interessant.

(Herbert Helmrich, CDU: Sicher. – Zuruf von Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Ja, Sie haben den Zwischenruf gehört.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Herr Helmrich, auch in Zukunft wird die Demokratie die Frage beantworten müssen, wie sie mit der Vergangenheit umgeht. Und diese Frage, meine Damen und Herren, wird sie immer wieder neu beantworten müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Danke schön, Herr Ministerpräsident.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Schoenenburg von der Fraktion der PDS.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ach so? Da hat doch die Opposition das Recht nach der Rede des Ministerpräsidenten.)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nun bekommen wir am Ende

der Legislaturperiode doch noch einmal das Thema MfS aufgebrummt, so ausgeleiert, wie es auch ist.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Ach ja!)

Ich kann mich nicht erinnern, dass wir irgendeine Wahlperiode und irgendein Jahr im Landtag hier verbracht haben, ohne dass wir dieses Thema debattiert haben.

(Herbert Helmrich, CDU, und Dr. Armin Jäger, CDU: Wundert Sie das?)

Und ich kann mich nicht erinnern, dass es in irgendeiner Diskussion tatsächlich sachlich vernünftig zuging und es nicht um parteitaktisches Kalkül ging.

(Dr. Armin Jäger, CDU: Es geht nur um die Wahrheit. – Barbara Borchardt, PDS: Die haben Sie doch gepachtet.)

Um die Wahrheit geht’s Ihnen schon gar nicht. Ihnen schon gar nicht!

(Dr. Armin Jäger, CDU: Na geben Sie es doch zu! Wir sind doch belogen worden als Parlament. Das kann ich nachweisen. – Zuruf von Angelika Gramkow, PDS)

Nun, meine Damen und Herren von der CDU, ich denke, dass Sie mit diesem Thema keine Punkte und auch keinen Blumentopf gewinnen können, denn das Thema ist von Ihnen so ausgeleiert worden

(Dr. Armin Jäger, CDU: Da kann man immer drüber reden.)

und ich will schon darum nicht der Versuchung unterliegen, mit Ihnen allzu sehr zu polemisieren und all das zu wiederholen, was hier dazu bereits x-mal gesagt wurde.

(Rainer Prachtl, CDU: Geschichte ist nie ausgeleiert.)

Es ist nicht Geschichte, Herr Prachtl,

(Rainer Prachtl, CDU: Das ist Geschichte.)

was Sie hier bemühen,

(Rainer Prachtl, CDU: Es ist Geschichte!)

es ist sozusagen einseitige Schmutzzuweisung. Mehr nicht!

(Rainer Prachtl, CDU: Wir müssen auf die Geschichte des Faschismus genauso aufpassen wie auf die Geschichte des Kommunismus.)

Ich möchte lediglich ein paar Anmerkungen zum vorliegenden CDU-Antrag machen, was natürlich kein leichtes Unterfangen ist, da der Antrag außerordentlich dürftig ist.

Wenn der Ministerpräsident nach Ziffer 1 des Antrages zur Personalpolitik der Landesregierung in Bezug auf Mitarbeiter, die für das MfS tätig waren, Stellung nehmen und er sich zur Überprüfungspraxis bei Bewerbern in der dritten Legislaturperiode äußern soll, ist es ihm überlassen, was er sagt. Und natürlich hat er gesagt, was er wollte. Es ist doch wohl klar, dass die CDU gern den Ministerpräsidenten vorführen möchte – darum geht es doch hier heute – und dass es ihr darum überhaupt nicht um eine Stellungnahme und Äußerung des Regierungschefs geht, sondern sie möchte sich selber gern äußern. Der Antrag ist offensichtlich wiederum nur ein Vehikel, der Aufhänger für Wahlkampfgetöse, denn zur Personalpolitik in Bezug auf die Überprüfungspraxis gibt es über

haupt nichts Neues. Es gibt nichts, was nicht auch der CDU bekannt wäre.

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

Und es macht auch im Übrigen wenig Sinn, am Ende der Legislaturperiode eine Äußerung des Ministerpräsidenten zur Überprüfungspraxis der verflossenen vier Jahre haben zu wollen. Natürlich lausche ich – und Sie ja auch – gern den Äußerungen des Ministerpräsidenten und freue mich, dass es offenbar auch weitere Leute gibt, die das gerne tun. Nur sind derartige Äußerungen geschenkt, wenn die Opposition sie erst am Ende der Legislatur einfordert, zu einem Zeitpunkt also, wo die Messen gesungen sind.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

So etwas riecht ausschließlich nach Wahlkampf. Und ich weiß auch nicht, meine Damen und Herren von der CDU, was Ihnen überhaupt vorschwebt, wenn Sie in Ihrem Antrag großspurig von Personalpolitik in Bezug auf ehemalige MfS-Mitarbeiter reden. Was meinen Sie denn überhaupt? Ich finde, Herr Helmrich hat richtig das Grundgesetz zitiert und ich zitiere an der Stelle gerne, weil es ja auch fast deckungsgleich ist, die Landesverfassung, und zwar den Artikel 71. Dort heißt es: „Jeder Deutsche“ – und auch ein früherer MfS-Angehöriger oder eine frühere MfSAngehörige sind in der Regel Deutsche – „hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt im Land.“