Protocol of the Session on May 30, 2002

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Die sich aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft ergebende Behauptung, die Anzeige sei Parteiarbeit, lässt das Erfordernis der Begründung vermissen.

(Heiterkeit bei Rudolf Borchert, SPD, Andreas Bluhm, PDS, und Angelika Gramkow, PDS)

Dazu wäre außerdem, wie oben dargelegt, eine Auseinandersetzung mit dem Parlamentsrecht erforderlich.

(Zuruf von Rainer Prachtl, CDU)

Neben der Frage der inhaltlichen Abgrenzbarkeit kann inhaltlich auch eine Prüfung wegen eines etwaigen strafbaren Inhalts erfolgen. Wenn es sich etwa um einen Aufruf zur Rassendiskriminierung handeln würde oder um eine verleumderische Beleidigung, dann könnte sich die Staatsanwaltschaft mit dem Inhalt befassen. Derartiges steht hier aber gar nicht zur Debatte. Darüber hinaus könnte man daran denken, dass Äußerungen und Darstellungen in Broschüren oder auch in Anzeigen unsachlich erscheinen. Aber auch darauf beruft sich die Staatsanwaltschaft nicht. Damit würde sie sich auch auf ein gefährliches Gleis begeben. Sie müsste sich dann nämlich eventuell mit inhaltlichen Entgleisungen auseinander setzen und müsste den politischen guten oder schlechten Stil prüfen. Das ist oft Geschmackssache, sicher aber keine Prüfungsaufgabe von Staatsanwaltschaften. Andererseits könnte man daran denken, dass versucht wird, bei der Sachdarstellung inhaltliche Wertungen vorzunehmen. Das läge aber schon dicht bei inhaltlicher Zensur. Über schlechte Darstellungen – zu groß, zu klein oder geschmacklos – mag man sich auch ärgern. Das mögen auch Fehler sein, aber, meine Damen und Herren, kein strafbares Verhalten.

(Beifall bei den Abgeordneten)

Wie sich eine Fraktion darstellt und wie das auf eine Partei zurückwirkt, mag der Wähler entscheiden. Nach meiner Auffassung liegt auf der Basis der herrschenden Meinung bei den Herren Schlotmann und Dankert, auch wenn man von der gleich zu behandelnden Indemnität absieht, kein strafbares Verhalten vor.

Nun sei auf die Ermittlungen gegen die 16 Fraktionsmitglieder eingegangen. Der Fraktionsvorsitzende Schlotmann und der Fraktionsgeschäftsführer Dankert haben der Fraktion die bewusste Zeitungsanzeige vorgeschlagen und die anwesenden Fraktionsmitglieder, also sie selbst und die weiteren 16 Mitglieder, haben dem zugestimmt. Damit erschien die Anzeige auf Fraktionskosten und mit der Unterschrift der SPD-Fraktion im Landtag Mecklenburg-Vorpommern. Für derartige Beschlüsse gilt, über die oben dargelegten Grundsätze hinaus, noch eine Besonderheit des Parlamentsrechts. Abgeordnete dürfen im Parlament und in seinen Ausschüssen beziehungsweise Beschlussgremien für den Inhalt ihrer Worte und Beschlüsse nicht bestraft werden. Ihnen steht der persönliche Strafausschließungsgrund, der Indemnität genannt wird, zur Seite. Dieser Grundsatz beziehungsweise dieses Freiheitsrecht der Parlamentarier ist in der Verfassung ausdrücklich geregelt und findet nach der Verfassung seine Grenze nur an verunglimpfenden Beleidigungen.

(Beifall Andreas Bluhm, PDS)

Der umfassendste finanzwirksame Beschluss, den die Parlamentarier alljährlich beschließen, ist der jeweilige Haushaltsplan in den Ländern beziehungsweise im Bund. Wenn der Haushaltsplan nicht den entsprechenden Verfassungsgrundsätzen entspricht, kann, falls eine Fraktion klagt, das zuständige Verfassungsgericht den Haushaltsplan oder Teile davon für verfassungswidrig und damit für rechtswidrig erklären. Für die Teilnahme an derartigen Beschlüssen gilt der Indemnitätsschutz, weil sonst Abgeordnete immer damit rechnen müssten, dass sie irgendetwas übersehen und dass sie mit einem Strafverfahren überzogen werden könnten. Eine derartige Abstimmungsunsicherheit soll durch die Indemnität beseitigt werden.

Das Gleiche gilt für das freie Wort im Landtagsplenum und in seinen Beschlussorganen. Durch Ermittlungs- und Strafverfahren gegen alle anwesenden Mitglieder von Beschlussorganen dürfen derartige Beschlusseinheiten nicht ausgehebelt werden. Fraktionen zählen nach allgemein herrschender Meinung zu derartigen Beschlussgremien, weil die Fraktionen zum Teil die klassischen Parlamentsaufgaben teils erfüllen und teils vorbereiten.

Ein derartiges Verfahren gegen alle anwesenden Mitglieder eines Beschlussgremiums wegen eines dort gefassten Beschlusses, wie hier gegen die Mitglieder der SPD-Fraktion, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gegeben. Der Grund ist einfach: Dem steht die Indemnität entgegen. Zur Begründung und zur Plausibilität des Antrages der Staatsanwaltschaft hätte diese auf die Indemnität eingehen müssen. Sie hat diesen Gedanken nicht einmal erwähnt. Der Indemnitätsschutz muss selbstverständlich auch in Bezug auf die Herren Dankert und Schlotmann zutreffen, denn sie haben sich an der Abstimmung in der Fraktion auch selbst beteiligt. Auch in Bezug auf Dankert und Schlotmann ist über die Indemnität kein Wort verloren worden.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen, auch wenn man also vom Indemnitätsschutz absieht, ist nicht ersichtlich, wie diese Zeitungsanzeigen weiter Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Prüfungen sein sollten. Die Vorwürfe richten sich auf vorsätzliche Veruntreuung von Fraktionsgeldern zugunsten von Parteien und deren Aufgaben. Ich habe einige der zu prüfenden Fragen angesprochen, sie sind bedauerlicherweise in den sehr knappen Anträgen der Staatsanwaltschaft überhaupt nicht angesprochen worden.

Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass zur Kontrolle von Ausgaben öffentlicher Mittel in Bund und Ländern die Rechnungshöfe zuständig sind. Der Landesrechnungshof prüft auch jährlich unsere Abrechnungen. Dabei werden die Ausgabenposten der Fraktionen geprüft und da auch der Posten für Öffentlichkeitsarbeit.

(Angelika Gramkow, PDS: Der immer besonders.)

Landtag und Fraktionen werden also auf ihr Ausgabengebaren hin überprüft. Dies ist das Verfahren, das für alle Ausgaben öffentlicher Mittel vorgesehen ist. Wie dargelegt sind schon immer bestimmte politische Äußerungen und bestimmte Beschlussverfahren von der strafrechtlichen Überprüfung und Verantwortung ausgenommen. Dies habe ich schon dargelegt.

Selbstverständlich haben Parlamente und Fraktionen die Pflicht, die ihnen zufließenden öffentlichen Mittel zweckentsprechend zu verwenden. Daran besteht kein Zweifel. Andererseits müssen wir den erforderlichen Freiraum in der Massenmediengesellschaft für öffentliche Darstellung und zum öffentlichen Diskurs beanspruchen. Hierzu müssen auch die Parlamente sich selbst und ihre Arbeit beschreiben und definieren. In der gewaltenteilenden Demokratie sind sie eine Gewalt neben der Verwaltung und der Justiz. Nur in einem transparenten Dialog zwischen den Gewalten können die jeweiligen Aufgaben und Zuständigkeiten austariert werden.

Ich komme zum Schluss auf den Ausgangspunkt meiner Ausführungen zurück. Ich hatte davon gesprochen, dass unsere heutigen Beschlüsse im vorhergehenden Tagesordnungspunkt einen Vorlauf hatten. Wir haben die

Rechtserörterungen, die ich hier vorgetragen habe, in einem offiziellen Verfahren mit der Staatsanwaltschaft gesucht. Das wäre der Weg gewesen, auf dem Verfassungsorgane miteinander umzugehen haben. Nun waren wir gezwungen, übereinander zu reden und nicht miteinander, wie es sonst in nicht einfachen Ermittlungsverfahren üblich ist.

Eine Staatsanwaltschaft, die die Auffassung vertritt, als Angehörige der SPD-Fraktion den Ministerpräsidenten, zwei weitere Minister und 15 weitere Mitglieder der SPDFraktion auf die Anklagebank zitieren zu müssen, verändert damit zunächst das Arbeitsklima im Landtag.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Ferner verändert sie damit den öffentlichen politischen Diskurs, weil damit in unserer Massenmediengesellschaft Vorverurteilungen schon eine fast normale Folge sind. Gerade auch hiervor soll der Indemnitätsschutz, schon vor Einsetzen von Ermittlungen, bei Beschlüssen schützen.

Wenn dieser Vorgang in der Bundesrepublik bisher einmalig ist, mögen ja die Staatsanwaltschaft und der die Aufsicht führende Justizminister die Auffassung vertreten, sie müssten auch tapfer Neuland betreten. Das sei ihnen auch unbenommen. Dies beginnt aber nicht mit zwei kargen Schreiben – ich müsste sie eigentlich hier zeigen, eine halbe Seite das eine Schreiben –, die keine Begründung enthalten, und auch nicht zusätzlich dadurch, dass man sich dem Gespräch verweigert. Wer in einem solchen Fall glaubt, Neuland betreten zu müssen, muss sich auf der Seite der herrschenden Lehre befinden und sich nicht, wie jetzt wohl versucht wird, notdürftig auf einige abweichende Literaturstellen stützen, die in der Jurisprudenz immer zu finden sind.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Denn, meine Damen und Herren, Recht muss berechenbar bleiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Wer aber glaubt, Neuland betreten zu müssen, und einen Überraschungscoup landen will, der muss sich sagen lassen, dass das Gebiet des Parlamentsrechts zwischen zwei Verfassungsorganen kein Experimentierfeld ist

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und einzelnen Abgeordneten der PDS)

und Fraktionen vor Gericht keine Versuchskaninchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der CDU und PDS)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wer über diesen Vorgang noch mehr nachdenken möchte, den bitte ich sich vorzustellen, dass dies bei fast gleichen Rechtsvorschriften auf Bundesebene etwa 250 bis 280 Abgeordnete der SPD- oder CDU-Fraktion im Bundestag betroffen hätte.

(Angelika Gramkow, PDS: Ein ganz schönes Arbeitspensum für die Staatsanwaltschaft.)

Um mich weiterer Äußerungen zu enthalten, um nicht grob zu werden, muss ich es Ihnen überlassen, darüber

nachzudenken, wie man so etwas nennen würde. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, CDU und PDS)

Danke schön, Herr Helmrich.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Schoenenburg von der Fraktion der PDS.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Damit wir wissen, worüber wir eigentlich streiten:

(Der Abgeordnete Dr. Arnold Schoenenburg zeigt drei Annoncen.)

Das ist es zum Ersten. Können Sie es alle lesen, ja!? Das ist es zum Zweiten. Und das ist es zum Dritten.

(Hinrich Kuessner, SPD: Das kann ich nicht le- sen von so weit. – Wolfgang Riemann, CDU: Fernglas nicht mit. – Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Ja, ich kann es noch größer machen.

Die drei Annoncen, sind sie zulässig, das ist die Frage. Nach meinem politischen Geschmack sind sie nicht zulässig, sie sind platt und abgeschmackt. Und fast ist man geneigt zu sagen: Ja, soll doch der Kadi gegen solche Zeitungsenten vorgehen. Jedenfalls ist das kein Niveau, auf dem sich Parteien oder Fraktionen begegnen sollten.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Wenn wir aber dahin kommen, dass Staatsanwälte über politischen Geschmack entscheiden, sie sich zum politischen Oberzensor erheben, dann werden sich wohl bald die Strafen häufen, vielleicht allerdings zuerst gegen die Vertreter der schreibenden Zunft. Die müssten dann ja auch beurteilt werden. Also eines ist wahr: Über politischen Geschmack lässt sich nicht nur lange, sondern ewig streiten. Lassen wir dabei die Staatsanwälte außen vor und mögen sie sich heraushalten!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Es ist nicht ihre Sache, auch wenn sie sich beim Genuss der „Bild-Zeitung“ ärgern, aber sie müssen sie ja nicht lesen!

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und PDS – Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Jedenfalls, wenn sie sich dann ärgern, dann gönne ich ihnen das!

Worum es allein bei den Annoncen geht, das ist die Frage: Sind sie rechtlich zulässig? Es versteht sich, dass es zwischen den Gewalten – der Legislative, Exekutive und Judikative – durchaus unterschiedliche Auffassungen und Wertungen darüber geben kann, was im Einzelnen als zulässige Öffentlichkeitsarbeit anzusehen ist und was nicht. Darum gibt es beispielsweise eine Reihe von Verfassungsgerichtsurteilen, und unabhängig davon kommt es in vielfältigsten Einzelfällen immer wieder zu Streitigkeiten mit den Rechnungshöfen. Wer wie wir das zwölf Jahre betreibt, weiß das genau.