Protocol of the Session on June 27, 2001

Und wenn Frau Bunge sagt, sie hat am 20.06. ein Gespräch in ihrem Ministerium geführt und vorher wären die Briefe rausgeschickt worden, dann will ich zumindest Ihnen mal diesen Brief hier zeigen, der rausgeschickt worden ist nach dem Gespräch am 21.06. Er trägt die Überschrift „Datenzusammenführungsstelle der Krankenkassen, Landesverbände der Krankenkassen in Mecklenburg-Vorpommern“ und so weiter. Also in dieser Frage, Frau Bunge, müssten Sie vielleicht noch ein bisschen Aufklärung leisten.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Das hat sie nicht mitgekriegt.)

Aber auf der anderen Seite will ich auch einiges zu den Problemen der Krankenkassen sagen. Natürlich haben wir

ein Einnahmeproblem. Und wo haben wir es im Land Mecklenburg-Vorpommern in erster Linie festzustellen? Wir haben über 40.000 Arbeitsplätze im Land verloren. Diese Mittel fehlen auch den Krankenkassen. Wir haben, und das hat Herr Koplin zu Recht angesprochen, auch das Phänomen, dass auf Bundesebene die Beiträge für die Arbeitslosenhilfeempfänger abgesenkt worden sind, und das sind immerhin 1,2 Milliarden DM, die sich die rotgrüne Bundesregierung in die Tasche steckt und letzten Endes den Kassen vorenthält, meine Damen und Herren. Dasselbe trifft auch bei den Sozialhilfeempfängern zu. Die Mindereinnahmen betragen etwa 250 Millionen DM und ich kann es auch noch weiter fortführen. Bei der Erwerbsvermindertenrente sind 500 Millionen DM zusätzliche Mittel notwendig. Das SGB IX, das jetzt gerade im Bundestag verabschiedet worden ist, wird wahrscheinlich zu Mehrausgaben von 250 Millionen DM beitragen. Und alles das muss geschultert werden durch die gesetzlichen Krankenkassen, meine Damen und Herren. Und da sollten Sie mal anfangen zu überlegen.

Sie haben 1999 das Solidaritätsstärkungsgesetz gefeiert. Sie haben ein Jahr später die Gesundheitsreform 2000 gefeiert. Ergebnis: Die Probleme sind geblieben, sie werden größer, meine Damen und Herren. Das ist Ihre Gesundheitspolitik und Sie scheitern auf diesem Wege auf ganzer Linie. Sie wollten alles besser machen. Wo sind denn Ihre Dinge? Die Probleme gehen hoch jeden Tag, jeden Tag mehr Probleme und eigentlich verdrängen Sie ja schon. Sie sind ja eigentlich gar nicht mehr mitten im Leben, Sie wissen gar nicht so recht, wie Sie aus diesen Dingen herauskommen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Ach, Herr Glawe!)

Ihre Gesundheitsministerin Frau Schmidt hat vor kurzem erklärt, dass die Zwangsbeiträge auf 12,5 Prozent festgelegt werden sollen. Das ist seit vorgestern nicht mehr wahr. Da sind Sie also wieder beim Punkt null.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Aber unsere Sozialministerin heißt doch Bunge.)

Ja, Ihre Sozialministerin hat ja immer die ganzen Ergebnisse, die in Berlin besprochen worden sind, begrüßt. Das können Sie überall nachlesen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das stimmt ja nun gar nicht.)

Ja, in fast jeder Rede begrüßt Frau Bunge alle Dinge, die in Berlin gemacht werden, egal, ob es früher Frau Fischer war,

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Frau Bunge begrüßt auch Herrn Glawe.)

oder ob es heute Frau Schmidt ist.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Frau Bunge begrüßt auch Herrn Glawe, habe ich gesagt.)

Ja, das ist auch in Ordnung.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Macht sie oft, sie ist eine freundliche Frau.)

Das ist ja auch mal was Nettes.

Meine Damen und Herren, wir brauchen – und das ist die Frage, wenn wir uns den Dingen stellen wollen – auch

die Diskussionen zu den Festbetragsregelungen. Nur, es wird äußerst schwer, insgesamt dort zu Ergebnissen zu kommen. Da wird schon seit Jahren, ich will mal sagen, eigentlich seit zehn Jahren, darüber diskutiert. Auch Arzneimittelrichtlinien sollen rechtssicher gemacht werden. Darüber redet diese Bundesregierung auch schon drei Jahre. Und Steuerungsdaten müssen bereitgestellt werden. Die sind bis heute nicht in der Qualität vorhanden, dass man sagen kann, man kann die Richtgrößen so prüfen, dass sie auch jeder nachvollziehen kann.

Meine Damen und Herren, die Probleme sind da. Sie sind in besonderer Weise da und sie sind eben auch da, inwieweit kriegen wir innovative Medizin, inwieweit kriegen wir die Probleme der Krankenhäuser im Land Mecklenburg-Vorpommern gelöst, inwieweit können wir insgesamt die Gesundheitspolitik mit den anstehenden Kosten in den Griff kriegen. Und dazu, denke ich, können jetzt nicht nur die Regierung und die Genossinnen und Genossen reden. Meine Damen und Herren, wir bieten unsere Mithilfe an. – Danke schön.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Rißmann von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Herr Rißmann.

Ja, nun werde ich meinem vorigen Prinzip, mich auf das Land zu beschränken, doch etwas untreu. Ich möchte ein bisschen über den Tellerrand hinaussehen. Arzneimittel sind in Deutschland wesentlich teurer als in den anderen EU-Staaten. Zu diesem Schluss kommt die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung 1997 in einem Deutschlandbericht. Die relativen Arzneimittelpreise sind in Deutschland 3-mal so hoch wie in Frankreich, 1,8-mal so hoch wie in den Niederlanden und 1,6-mal so hoch wie in England und in der Schweiz.

Der Grund für die relativ hohen Arzneimittelpreise in Deutschland wird in der Einzelhandelsstruktur des Apothekenmarktes gesehen. Die Arzneimittelpreise in Apotheken unterliegen nicht den Mechanismen der Marktwirtschaft. Stattdessen wird bundesweit per Preisverordnung derselbe Preis verlangt. Das heißt, wenn Apotheken Rabatte erzielen beim Einkauf, werden diese nicht an die Patienten und schon gar nicht an die Krankenkassen weitergegeben. Zur Stabilisierung der finanziellen Grundlage wird im Augenblick die Herabsetzung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel diskutiert.

Ich würde das in vollem Umfang unterstützen. Mit Ausnahme von Dänemark ist nur Deutschland in Europa noch das Land, das den vollen Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel erhebt. Rollstühle, Prothesen, Hörgeräte, Herzschrittmacher sind bereits von der Mehrwertsteuer in vollem Umfange ausgenommen. Die Absenkung der Mehrwertsteuer für Arzneimittel auf sieben Prozent würde etwa 3 Milliarden DM in Deutschland erbringen an Vorteilen, an Einsparungen bei den Krankenkassen. Darüber hinaus kritisiert die OECD, dass deutsche Ärzte im internationalen Vergleich mehr verhältnismäßig viele Medikamente an einzelne Patienten verschreiben, dabei insbesondere auch die teuren Arzneimittel.

Ich habe nichts dagegen, wenn es eine Qualitätssicherung für die Dienstleistungen, die Ärzte an Patienten erbringen, mit sich bringen würde, dass eine bestimmte Zeit zur Auffrischung nachgewiesen werden muss, Auffrischung ihrer aktuellen wissenschaftsstandorientierten

Kenntnisse. So etwas gibt es in anderen Ländern. Bei uns gibt es das bisher nicht. Aber auf freiwilliger Grundlage für solche Gesprächsmöglichkeiten konnten Gesprächszirkel, Ärzte, Apotheker, Kassen und Wissenschaftler in einem unserer Bundesländer, in Hessen, bei 100 teilnehmenden Ärzten Einsparungen von mehr als 4 Millionen DM im Laufe eines Jahres erwirken. Es lohnt sich also auch über Dinge zu reden, die außerhalb unseres Bundeslandes passieren.

Zu Einsparungen durch Therapiezirkel: Es gab früher Kreistherapiekommissionen in der DDR, die solche Probleme besprochen haben. Es gab früher – und ich greife auch gerne auf ein Beispiel aus meiner beruflichen Geschichte zurück – Beschwerden über das Verhalten einzelner Ärzte, die Mütter zu lange krank schrieben, weil sie gewartet haben mit der Ansetzung von Antibiotika und erst dem Kind eine Chance für die eigene Stabilisierung der Widerstandskräfte lassen wollten. Hier hat die Kreisleitung der SED mit den niedergelassenen beziehungsweise mit den in der Praxis tätigen Kollegen Gespräche geführt.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Heute habe ich fast den Eindruck, Sie möchten so etwas wieder aufleben lassen. Ich würde mich sehr dagegen verwahren,

(Harry Glawe, CDU: Zurück in die Zukunft, ja?! – Zuruf von Wolfgang Riemann, CDU)

denn ich bin sicher, dass die Ärzte eine verantwortungsvolle Tätigkeit und auch einen verantwortungsvollen Umgang mit den finanziellen Möglichkeiten vorhaben und durchführen, dass natürlich in einzelnen Bereichen Beratungen zwischen Kassen und Ärzten, zwischen den Apothekern und den Ärzten erfolgen könnten, um zu Einsparungen zu kommen.

Ein weiterer Aspekt, der mündige Patient. Es kommt heute zum Glück immer häufiger vor, dass mancher Patient über die Wirkungen und Nebenwirkungen besser informiert ist als der eine oder andere niedergelassene Mediziner. Zugang über das Internet, Zugang über die Begleitzettel in den Packungen führen zu einem Anspruch, den der Patient mit Recht hat, besser über Wirkungen und Nebenwirkungen informiert zu werden, und als Aktivum in die Möglichkeit, mit Kosten verantwortungsbewusst umzugehen, einbezogen werden möchte, einbezogen werden muss. Das ist ein wichtiger Aspekt, mit dem wir ohne gesundheitliche Einbußen für den Patienten Gewinn für die Gesellschaft insgesamt einfahren können, und auf dem Wege haben wir noch eine ganze Weile und eine ganze Menge an Diskussionsstoff. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schädel von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Schädel.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Trotz der unterschiedlichen Darstellung, Gewichtung und auch Bewertung der Problemlage bleibt für mich festzuhalten: Eine umfassende Reform des Gesundheitssystems ist längst überfällig. Die Betonung liegt dabei auf umfassend. Dafür wirbt auch unsere Sozialministerin, denn, Herr Glawe, so eine Zustimmungsmaschinerie, wie das möglicherweise bei der CDU gang und gäbe ist, gibt es bei uns nicht. Umfassend, denke ich, muss das Gesundheitssystem deshalb umgestellt wer

den, weil es einfach unübersehbare Schwächen im Gesundheitssystem gibt, die seit langem bekannt sind und mit einzelnen kleinen Reförmchen natürlich nicht bewältigt werden können. Die zugespitzten Probleme brauchen eine umfassende Behandlung. Bekanntlich haben die zurückliegenden Reformversuche im Gesundheitswesen nur zur weiteren Belastung der Patientinnen und Patienten geführt – das haben wir hier heute auch schon mehrfach gehört –, zu mehr Bürokratie, zu mehr Verwaltungsaufwand sowie letztlich zu wachsendem Unmut und Verunsicherung, vor allen Dingen bei den Versicherten, aber auch bei den Akteuren des Gesundheitsbereiches.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sicherung der Beitragsstabilität war bekanntlich das oberste Ziel der Gesundheitsreform 2000. Dieses Ziel ist, denke ich, grundsätzlich zu begrüßen, geht jedoch nicht primär von gesundheitspolitischen Konzepten aus, sondern ist in erster Linie eine wirtschaftspolitische Vorgabe. Eine Vorgabe, die Teil der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik der Regierung Schröder ist, zu der neben sinkenden Unternehmersteuern und dem so genannten Sparpaket zur Haushaltskonsolidierung vor allem auch mäßige Tarifabschlüsse und „möglichst niedrige“ Lohnnebenkosten gehören. Diese alleinige wirtschaftspolitische Orientierung hat in dieser Republik auch die Gesundheitspolitik auszubaden.

Natürlich sind Gesundheitspolitik und Krankenversorgung auch immer ökonomische Determinanten, aber es ist auch darauf zu achten, wo die ökonomischen Grenzen anzusetzen sind und wo politische und ethische Fragen gesellschaftsbestimmend werden. Ernst nehmen sollten wir die Warnung vor der so genannten „Ökonomisierung“ der Gesellschaft und auch des Gesundheitswesens. Damit ist die um sich greifende bruchlose und unkontrollierte Übertragung ökonomischer Gesetze und Instrumente auf außerökonomische Sachverhalte und Probleme und eben auch auf das Gesundheitssystem gemeint. Zu Recht wird kritisiert, dass die Menschen, die davon betroffen sind, oft als Kunden betrachtet werden oder nur noch auf ihren ökonomischen Wert reduziert werden. Doch Geld und Profit ist nicht das Maß aller Dinge. Ökonomie darf nicht zur Norm menschlichen Lebens werden, wenn wir uns noch weiterhin als Menschen bezeichnen wollen.

Die ungehemmte Preistreiberei der Pharmaindustrie, vor allem auch bei pseudoinnovativen Arzneimitteln, muss endlich unterbunden werden. In diesem Zusammenhang ist dann natürlich auch das sehr unterschiedliche Verschreibungsverhalten einiger Ärzte zu sehen. Ich maße mir nicht an, darüber im Detail zu befinden, weil ich ja kein Arzt bin, aber die Frage muss gestattet sein: Liegt die Entscheidung, welche Medikamente verschrieben werden, vielleicht auch mit daran, dass die Fortbildung der Ärzte in Fragen der Arzneimitteltherapie fachlich nicht ganz unabhängig gestaltet wird, wenn die Hersteller diese durchführen und sie über weite Strecken dann eher als Marketingveranstaltung benutzt wird oder dieser gleichkommt? Positivlisten, wie sie der Kollege Dankert und auch der Kollege Koplin bereits anregten, könnten da sicherlich helfen, um diesem entgegenzuwirken.

Zu beleuchten wäre natürlich auch die Finanzsituation der Gesetzlichen Krankenversicherung. Zu Recht werden hier eine Konsolidierung angemahnt und entsprechende Regelungen, insbesondere zur Verbesserung der Einnah

mesituation, gefordert. Der Kollege Koplin nannte, denke ich, eine ganze Reihe von Beispielen, die dazu beitragen können.

Zum Schluss: Die PDS wird Bestrebungen zur Privatisierung und Marktsteuerung im Gesundheitswesen entschieden entgegenwirken. Die Solidarität im Gesundheitswesen ist zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen. Daran arbeiten müssen – das ist hier heute auch schon mehrfach gesagt worden von allen Fraktionen – Ärzte, Krankenversicherungen, Pharmaindustrie und Politik, denn nur gemeinsam und nicht gegeneinander, im Interesse der Kranken, der Patienten und nicht des Profits kommen wir auch voran. – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Vorsitzende der CDU-Fraktion Herr Rehberg. Bitte sehr, Herr Rehberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete!

Herr Rißmann, mit den Zähnen ist das so ein Problem, aber sogar Sie mussten konstatieren, dass die Situation der Arzneimittelkosten in Mecklenburg-Vorpommern kein hausgemachtes Problem ist.

Lassen wir uns doch mal in der Zeitschiene vor Augen führen, wann Arzneimittelkosten stagnierten oder gesunken sind oder durch welche Maßnahmen sie dann exorbitant gestiegen sind: 1998 sind die Arzneimittelkosten gesunken, auch in Mecklenburg-Vorpommern. Die Zuzahlung wurde eingeführt. Sie – SPD, Grüne und PDS – haben versprochen, nach der Wahl wird die Zuzahlung völlig abgeschafft. Was ist von Ihrem Versprechen geblieben? Budgetierung haben Sie 1999 eingeführt, den Deckel drauf. Budgetierung bedeutet Rationierung, bedeutet Zweiklassenmedizin.

(Dr. Ulrich Born, CDU: So ist es.)

Jetzt haben Sie die Budgetierung abgeschafft, die Zuzahlung leicht zurückgefahren und auf einmal gehen bundesweit im Schnitt die Arzneimittelkosten um zehn Prozent hoch. So viel, Herr Kollege Rißmann, zu Rundumschlägen und so viel auch zu der kurzen Historie der letzten drei beziehungsweise vier Jahre, was Gesundheitspolitik und Arzneimittelkosten betrifft.

Ich habe schon mal auf das Beispiel der kleinen und der großen Packungsgrößen hingewiesen. Eins ist doch ganz klar und deutlich, meine Damen und Herren: Dort, wo Eigenverantwortung einsetzt, und wenn es über das eigene Portemonnaie ist, führt es auch dazu, dass im Interesse aller weniger verbraucht wird. Was hatten Sie denn an den Regelungen auszusetzen? Chronisch Kranke waren außen vor, es gab die Sozialklausel. Dann führen wir doch diese Regelungen wieder ein, denn das sozial Ungerechteste, Herr Rißmann, – und das ist für mich nicht nur Diskussionsstoff – ist eine Beitragserhöhung für alle.