Protocol of the Session on May 17, 2001

In Schröders persönlichem Wahlkampfversprechen von 1998 hieß es unter anderem selbstkritisch, dass wir in der Vergangenheit zwar sehr intensiv über den Schutz der Verdächtigen und, was den Strafvollzug anbelangt, über die Resozialisierung nachgedacht haben, aber sehr wenig über den Schutz der Opfer. Auf die Einlösung dieses Wahlkampfversprechens warten wir noch.

Alle Initiativen von uns für einen wirksamen Kampf gegen die Kriminalität und für den Schutz der Bürger, vor allem im Sexualbereich, wurden bisher leider ausgebremst. Auch die eingebrachten Bundesratsinitiativen zur nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung beweisen das. Es sind – mit der letzten vom 07.03.2001 – vier von verschiedenen Ländern und wir hoffen, dass dieser Anlauf etwas mehr bringt. Zwischenzeitlich hat allerdings Baden-Württemberg als erstes Bundesland am 20. Februar diesen Jahres ein Gesetz eingeführt, das nach Polizeirecht die Unterbringung von Straftätern über das Ende der Freiheitsstrafe hinaus ermöglichen soll, wenn von ihnen eine erhebliche gegenwärtige Gefahr für das Individualrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ausgeht.

Beim Thema Schutz der Bürger vor gefährlichen Straftätern gibt es in Deutschland leider ein regelrechtes Süd-Nord-Gefälle. Bei der Kriminalitätsbekämpfung fällt das besonders auf. Je weiter man nach Norden, also in rot-grün-regierte Länder kommt, desto seltener werden die Strafrahmen wirklich ausgenutzt. Bei vielen gefährlichen Mehrfachstraftätern sowie bei Mördern und bei Drogendealern geht es manchmal zu wie beim Großeinkauf. Je mehr Straftaten einer begeht, desto größer ist der Strafrabatt. Je gefährlicher der Straftäter ist, desto größer scheint manchmal seine Chance, zu einem Freigang zu kommen. Und das trifft für den Strafvollzug ebenso zu wie für den Maßregelvollzug. Wir haben in unserem Land in Ueckermünde ja leider ähnliche Erfahrungen machen müssen.

Bis heute wird die Generalprävention des Strafrechtes auch von Ihnen, sehr geehrte Damen der Koalition, mit dem Argument abgewürgt, der Täter lasse sich von der Existenz des Strafrechtes und des Strafmaßes nicht beeindrucken. Ich glaube, das stimmt so nicht. Die heutigen Straftäter, zumindest ein sehr großer Teil davon, kalkulieren vor der Tat ein, was sie vor Gericht und im Knast zu erwarten haben. Und der Mehrfachstraftäter kennt die Justiz, den Strafvollzug und den Maßregelvollzug. Gerade weil die Straftäter diesen Justizvollzug und den Maßregelvollzug eben nicht fürchten, werden sie aus unserer Sicht zu weiteren Straftaten auch ermuntert. Übrigens fängt das zum Beispiel bei solchen Urteilen an: Im Dezember 1999 wurde ein Banker in Wittenberg angezeigt, der sechs Frauen, die wegen Krediten zu seiner Bank kamen, mit dieser Kreditvergabe zu sexuellen Handlungen nötigen wollte. Ergebnis der Anzeige: Die Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen gegen diesen – aus meiner Sicht – üblen Banker gegen eine Zahlung von sage und schreibe 500 DM ein. Auch so können unter Umständen Karrieren von zukünftigen Sexualstraftätern gefördert werden.

Das Beispiel Dieter Zurwehme, zuständige Staatsanwaltschaft Aachen, zeigt das drastisch. Ich will mal diese Karriere aufführen. Mit 12 der erste Raubüberfall, mit 13 lebte er das erste Mal im Wald, mit 16 kam er in die Nervenklinik, mit 17 wollte er eine Frau erschießen, mit 18 dann das erste Mal im Gefängnis, mit 23 wegen einer Sexualstraftat wieder im Gefängnis, mit 30 beging er seinen ersten Mord und erhielt lebenslang, mit 48 überfiel er im Hafturlaub eine junge Frau, mit 56 durfte er im Freigang in einem Restaurant kochen, mit 57 kehrte er dann aus dem Freigang vom 12. Dezember 1998 nicht zurück.

(Dr. Klaus-Michael Körner, SPD: Und dann nahm er eine Ölente. – Heiterkeit bei ein- zelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Diese Fehlentscheidung kostete vier Menschen das Leben, denen auf brutalste Weise die Kehle durchgeschnitten wurde. Die Staatsanwaltschaft Aachen leitete nach dem Verschwinden von Zurwehme keine öffentliche Fahndung ein. Ein Bild war nicht vorhanden, selbst die Akte war nicht mal in der Behörde.

Beispiel Heidemörder Thomas Holst, der 1995 aus der Psychiatrischen Abteilung Hamburg-Ochsenzoll mit seiner Therapeutin floh:

(Zuruf von Irene Müller, PDS)

1994 hatte Holst drei Frauen missbraucht und ermordet. Laut Gutachter verspürte Holst ständig den Drang, junge Frauen töten zu müssen. Der Polizei wurde nach seiner Flucht aus datenschutzrechtlichen Gründen kein Fahndungsfoto herausgegeben.

Eine Richterin am Potsdamer Landgericht entließ im Oktober 1999 trotz Warnung des Psychiaters Professor Hans-Ludwig Kröber einen Sexualmörder. Diese Entlassung endete mit der brutalen Vergewaltigung einer Leipziger Schülerin.

Abschließend – und das ist ja auch ganz wichtig aus unserer Sicht – möchte ich noch auf einige Zitate aus dem Gutachten zum Maßregelvollzug Brandenburg nach der mörderischen Flucht von Schmökel laut FAZ vom 20. März dieses Jahres aufmerksam machen. Kritik gab es zum Beispiel zu folgenden Punkten: Therapie ging vor Sicherheit – übrigens ein Thema, das wir hier im Landtag hatten. Grundsatz war, wir versuchen es mal. Lockerungsstu

f e n wurden fälschlicherweise als Therapie verstanden. Schmökel erhielt Lockerungsstufen von seinem Therapeuten, während die Pfleger auf seine Gefährlichkeit hinwiesen. Ich glaube, da haben wir hier auch Parallelen. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, dass die praktizierte Art und Weise der Lockerungsentscheidung keinen Bestand mehr haben darf. Die Klinik in Neuruppin hätte nach Meinung der Kommission sofort geschlossen werden müssen. Sozialminister Alwin Ziel, SPD, redete aber nach fünf Ausbrüchen von Schmökel am 9. November vorigen Jahres schon wieder von Freigang und Lockerungsstufen.

Die Kommission bestätigte übrigens in den meisten Punkten – nicht in allen – unsere Position, die CDU-Position. Uns geht es mit der Initiative vor allem um die gefährlichen Mehrfachstraftäter und um diejenigen Sexualstraftäter, die ein Leben lang eben doch gefährlich bleiben. Dazu gibt es zwar bisher kaum Zahlen, eben wegen dem besagten Datenschutz, aber Fakt ist, in vielen norddeutschen Justiz- und Maßregelvollzugseinrichtungen gibt es wie erwähnt nicht einmal aktuelle Fotos von länger einsitzenden Verbrechern, die als Fahndungsfotos wenigstens nach Ausbrüchen verwandt werden könnten. Wie aktuell unsere Forderung ist, zeigt eine jüngst vorgelegte Studie, nach der mindestens jeder fünfte Sexualstraftäter wieder rückfällig wird, also gefährlich bleibt.

In Hamburg steht seit Montag dieser Woche der Dreifachmörder Sven Böttcher vor Gericht. Die Staatsanwältin forderte wegen seiner unvorstellbaren Brutalität, die drei Mädchen das Leben kostete, und seinem Zynismus vor Gericht: Dieser Mann darf nie wieder raus. Genau! Und darum geht es uns, um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor besonders rückfallgefährdeten Gewalttätern, von denen eine ständige und bleibende Gefahr ausgeht. Im Sinne eines wirksamen Schutzes der Bürger sollte oder muss in solchen Fällen auch nach dem Gerichtsurteil die Sicherungsverwahrung nachträglich angeordnet werden können. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unserem Antrag.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der CDU)

Danke, Herr Thomas.

Im Ältestenrat wurde eine Aussprache mit einer Redezeit von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart. Ich sehe und höre …

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Im Ältes- tenrat ist die Redezeit geändert worden.)

Entschuldigung, die Redezeit ist auf 30 Minuten geändert worden. Ich sehe und höre keinen Widerspruch, dann ist es so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache.

Das Wort hat der Justizminister Herr Sellering.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, dass ich nichts Allgemeines zum Umgang des Landes mit psychisch kranken Straftätern sage. Ich habe dazu mehrfach meine Meinung hier dargelegt. Ich verzichte umso leichter darauf, als Herr Thomas inzwischen auch den Saal verlassen hat. Deshalb möchte ich nur etwas zum Antrag sagen.

(Präsident Hinrich Kuessner übernimmt den Vorsitz.)

Lassen Sie mich aber zunächst auch etwas zum Hintergrund dieses Antrages sagen. Aus meiner Sicht hat dieser Antrag folgenden Hintergrund: Die Bundesregierung in Berlin macht eine bemerkenswert aktive Rechtspolitik – Stichworte ZPO-Reform, Schuldrechtsmodernisierung, Überprüfung des Sanktionenkataloges. Da entstehen echte, wichtige Reformwerke, die wir als Landesregierung positiv und konstruktiv begleiten.

(Beifall Angelika Gramkow, PDS, und Dr. Arnold Schoenenburg, PDS)

Das bringt selbstverständlich die CDU im Bundestag und Bundesrat in die Defensive. Was hat sie eigentlich rechtspolitisch zu bieten? Die Antwort können Sie am vorliegenden Antrag ablesen. Der Antrag bezieht sich auf eine Bundesratsinitiative Hessens.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig.)

Allerdings haben wir da bereits einen Änderungsantrag vorliegen. Jetzt geht es um eine Bundesratsinitiative Bayerns.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig.)

Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, es gibt zahlreiche ähnlich lautende Vorläufer der letzten zwei bis drei Jahre. Also, was tut die CDU? Sie holt ihre alten Kamellen hervor und lässt sie immer wieder im Bundesrat ablehnen. Und manchmal unterstützt sie das dann in den Länderparlamenten, in denen sie nicht regiert, durch begleitende Anträge wie heute hier. Das macht diese Anträge weder aktueller noch richtiger.

Deshalb erlauben Sie mir, dass ich inhaltlich nur ganz kurz skizziere, weshalb Mecklenburg-Vorpommern diesen Anträgen bisher immer nicht zugestimmt hat. Allerdings, ganz deutlich, unabhängig von den Motiven, aus denen heraus wir heute diesen Antrag auf dem Tisch haben, möchte ich vorab sagen: Es geht in der Sache um eine ernste Frage. Wir müssen sicherstellen, dass diejenigen psychisch kranken Straftäter, die in Sicherungsverwahrung gehören, auch tatsächlich in Sicherungsverwahrung genommen werden können.

Meine Damen und Herren, wir gehen mangels anderer Erkenntnisse davon aus, dass dazu die Regelungen des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderer gefährlicher Straftaten von Anfang 1998 ausreichen. Durch dieses Gesetz sind die Möglichkeiten der Sicherungsverwahrung für so genannte Hangtäter erheblich, ganz erheblich erweitert worden. Für mich gibt es derzeit keine Anhaltspunkte, dass diese gesetzlichen Grundlagen nicht zum Schutz vor gefährlichen Straftätern ausreichen. Vor allem besteht ja gerade im Hinblick auf das, was Herr Thomas vorgetragen hat zur Zielgruppe, nämlich Mehrfachtäter, Täter, bei denen bei der Erstbegehung klar ist, dass es sich um psychische Auffälligkeiten handelt, gerade bei denen besteht ja die erweiterte Möglichkeit, bei der Sicherungsverwahrung ganz klar zu sagen, wir lassen dich erst wieder frei, wenn wir während der Therapie, die vorgeschrieben ist, wenn wir da eine positive Prognose haben. Also, um diese Fallgestaltung geht es gerade nicht.

Und hiervon ausgehend sage ich, es darf nicht sein, dass wir für eine möglicherweise nur eingebildete Fallgruppe, mehr emotional als sachlich fundiert, dass wir für diese Fallgruppe einen sehr weitgehenden, verfassungsrechtlich äußerst zweifelhaften Eingriff in Verfahrensrechte vornehmen

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig.)

und Grundrechte beschädigen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Sehr wahr.)

Nach den immer gleichen Vorschlägen der eben aufgezählten Bundesratsinitiativen soll nachträglich ein rechtskräftiges Urteil verschärft werden. Das ist für sich allein schon äußerst bedenklich, verstößt gegen elementare Grundsätze. Und es ist nicht so, dass Anknüpfungspunkt für diese Verböserung ein strafbares Verhalten während der Haftzeit sein soll. Wenn wir ein strafbares Verhalten während der Haftzeit haben, haben wir keinerlei Probleme, in einem neuen Urteil die dann dadurch aufgetretene Gefährlichkeit zu berücksichtigen und entsprechend Sicherungsverwahrung anzuordnen. Also, das sind nicht die Fälle.

Erfasst werden sollen ganz offenkundig auch nicht die Fälle, in denen sich während der Sozialtherapie des einzelnen Gefangenen eine Diagnose ergibt, die so schwer ist, dass die Unterbringung nach dem PsychKG gerechtfertigt wäre. Das soll auch nicht sein. Damit hätten wir auch keine Probleme, denn dann würde die Unterbringung nach dem PsychKG erfolgen, sondern – und das ist das Problematische – es soll allein entscheidend sein das allgemeine Verhalten des Straftäters im Vollzug. Also, allgemeine Beobachtung durch den Vollzugsbeamten des allgemeinen Verhaltens soll dazu ausreichen, dass wir den schärfsten Eingriff vornehmen, den uns das Strafrecht überhaupt bietet, nämlich die Sicherungsverwahrung. So geht es auf keinen Fall!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD und PDS)

Und deshalb bitte ich Sie, lehnen Sie den Antrag ab.

Lassen Sie mich aber auch noch in die Zukunft gerichtet Folgendes sagen: Sollte es neue Erkenntnisse geben, die ein Tätigwerden erforderlich erscheinen lassen, dann wird Mecklenburg-Vorpommern selbstverständlich seinen Teil dazu leisten, dieses Problem dann allerdings in rechtsstaatlich einwandfreier Weise zu lösen. – Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Schoenenburg von der PDS-Fraktion. Bitte sehr, Herr Schoenenburg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal möchte ich anlässlich des von Herrn Thomas angesprochenen NordSüd-Gefälles aus dem Nähkästchen plaudern. Auch zu DDR-Zeiten gab es ein ausgesprochenes Nord-SüdGefälle in der Kriminalität, was bis heute – und damals auch nicht – nicht ergründet werden konnte. Wir hatten in den DDR-Bezirken in Sachsen und in Thüringen ein auffallend geringeres Kriminalitätsniveau als in MecklenburgVorpommern. Völlig unverständlich, wenn man von dem Grundsatz ausgeht, dass die Kriminalität in Ballungsräumen höher sein sollte. Und niemals konnte man zu DDRZeiten die Ursachen dafür aufklären, man hat sie bis heute nicht aufgeklärt. Und auch heute ist Mecklenburg-Vorpommern natürlich in der Kriminalitätsbelastung viel höher als Sachsen oder Thüringen. Und da sage ich doch mal: Wenn man auf die DDR schaut, kann es wohl nicht von der besonders laschen Behandlung von gefährlichen

Straftätern im Norden der DDR abhängig gemacht werden. Also man muss die Ursachen schon ein bisschen tiefgründiger anfassen.

(Reinhard Dankert, SPD: Bei dem rot- grünen Trauma, das Herr Thomas hat!)

Aber – wie auch immer – die CDU ist wieder einmal auf Sicherheitstrip. Gestern früh haben wir zu dieser Thematik das drogenpolitische Manifest der CDU gehört.

(Heiterkeit bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Und wenn ich die Vorträge der CDU richtig begriffen habe, dann meinen Sie, ein Deutscher kifft nicht, schon gar nicht öffentlich, Saufen ist allerdings jedermanns eigenes Bier und ein anerkannter Massensport.