Protocol of the Session on January 31, 2001

… aber wenn ich das hier so höre, dann vergeht mir jegliche Poesie. Und, Herr Rehberg, wenn Sie von Bankrotterklärung reden, dann ist Ihre Amnesie, was die Verantwortung der CDU betrifft, viel mehr als eine Bankrotterklärung,

(Beifall bei Abgeordneten der PDS und einzelnen Abgeordneten der SPD – Volker Schlotmann, SPD: Offenbarungseid.)

es ist eher schon … Entschuldigen Sie, ich führe diesen Satz nicht weiter, um hier nicht allzu unparlamentarisch zu

werden. Und Lautstärke kann nicht verdecken, Herr Kollege Rehberg, dass Sie sich einfach nicht erinnern wollen oder in Ihrer Zeit bei Hansa tatsächlich den Bezug zur realen Politik in Mecklenburg-Vorpommern verloren haben.

(Beifall bei der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS – Heiterkeit bei Andreas Bluhm, PDS, und Annegrit Koburger, PDS – Zuruf von Reinhard Dankert, SPD – Dr. Armin Jäger, CDU: Das ist sein Niveau.)

Angesichts der Zeit will ich nur auf zwei Dinge eingehen und den Versuch machen, sie etwas weiter zu untersetzen. Sie sind schon genannt worden, zwei wesentliche Probleme, mit denen wir es hier zu tun haben. Zum einen ist das die rechnerische Unterrichtsversorgung. Und es ist nicht so, wie ich gestern in der Zeitung gelesen haben, dass sie bei 104 Prozent liegt, sondern sie liegt bei 100,4 Prozent. Das ist dann doch ein erheblicher Unterschied.

(Wolfgang Riemann, CDU: Recht hat er.)

Und in diesem Zusammenhang ist schon erwähnt worden, dass es erstmalig so ist in dieser Legislaturperiode, dass wir diese rechnerische Unterrichtsversorgung von 100,4 Prozent haben. Und das ist ein Erfolg. Aber selbst wenn wir – Herr Bluhm sagte das schon – auf 103 Prozent erhöhen würden, würde das die Probleme nicht erledigen, denn ein ganz wesentlicher Problemfall ist eben die Tatsache, dass eine ganze Reihe verfügbarer Lehrerstellen nicht besetzt sind oder nicht besetzt werden können.

Und besonders deutlich – auch das ist schon gesagt worden – wird das eben bei den Mangelfächern. Sowohl die betroffenen Fächer als auch der Lehrermangel sind nicht neu, auch wenn unsere liebe Opposition so tut, als sei dies heute so und als sei das alles erst nach 1998 entstanden.

(Zuruf von Sylvia Bretschneider, SPD)

Nein, meine Damen und Herren der CDU, schon 1992 – also zu Ihrer Regierungszeit, Frau Schnoor als Kultusministerin – wurde in der Antwort auf eine Kleine Anfrage meines Kollegen Bluhm auf Drucksache 1/2595 festgestellt: „Im Rahmen des Einstellungsverfahrens zum 24.08.1992 haben Bewerberinnen und Bewerber, die für die Besetzung der für die Bedarfsfächer Englisch, Französisch, Latein, Kunst und Gestaltung, Musik, Sozialkunde und Religion ausgeschriebenen Stellen vorgesehen waren, kurzfristig abgesagt bzw. haben neu eingestellte Lehrkräfte kurz nach Dienstantritt gekündigt.“ Ähnliche Antworten wurden 1994 und 1998 gegeben.

Eine der wesentlichen Ursachen dabei ist natürlich die Tatsache, dass der Bedarf gerade in diesen Fächern nach der Wende entweder neu entstanden oder wesentlich erhöht worden ist. Die dafür erforderlichen Lehrkräfte mussten erst ausgebildet werden und auch gegenwärtig übersteigt der Bedarf in diesen Bereichen offensichtlich die Ausbildungskapazität. Es handelt sich also um ein Loch, das nicht kurzfristig zu stopfen ist. Und in den genannten Fächern – auch darauf sei hingewiesen – ist natürlich Teilzeit kein Thema. Bei dem vorhandenen Bedarf und der Unterbedarfsdeckung kann von Teilzeit in diesen Bereichen natürlich überhaupt nicht gesprochen werden.

Und wenn wir über diesen Bereich reden, dann müssen wir natürlich auch über die Ursachen reden. Und wir müssen auch darüber reden, wieso Lehrer abwandern. Herr

Kollege Rehberg hat das hier so dramatisch zelebriert. Ich will nur darauf hinweisen, dass in der Antwort auf eine Kleine Anfrage von Frau Beyer, SPD, im Jahre 1992 Folgendes geantwortet wurde von der damaligen Regierung und der damaligen Kultusministerin: „Von 456 Lehrkräften, die ein Einstellungsangebot erhalten haben, haben 136 Lehrkräfte ihre Stelle zum Schuljahresbeginn nicht angetreten bzw. wieder aufgegeben.“ Weiter heißt es: „Als Gründe wurden Einstellungsangebote aus anderen Bundesländern … und die Wohnraumsituation genannt.“

(Heike Polzin, SPD: Gab’s also auch schon. Hört, hört!)

Dass sich das bis heute leider nicht geändert hat, ist sicher kein Grund zum Jubeln, aber es sei mal darauf hingewiesen, dass wir bestimmte Entwicklungen schon seit längerer Zeit haben.

Es sei natürlich auch auf Gründe dafür hingewiesen. Natürlich ist die unterschiedliche Bezahlung in Ost und West ein Problem, natürlich sind, exemplarisch genannt, Arbeitsbedingungen für unsere Lehrer ein Problem, die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung des Berufs ist auch ein ganz wesentliches Problem, um junge Leute für den Lehrerberuf zu motivieren, und natürlich ist auch die Tatsache, dass wir – Herr Präsident, ich komme sofort zum Schluss – das Lehrerpersonalkonzept überarbeiten müssen und dass wir nach Wegen suchen müssen, um zu neuen Lösungen, die der entsprechenden Entwicklung angepasst sind, zu kommen, Herr Bluhm hat darauf auch schon hingewiesen, unbedingt notwendig. Und natürlich vertreten die verschiedenen Seiten dabei verschiedene Interessen, aber es geht darum, einen Kompromiss zu finden, der am Ende das wichtigste Interesse, nämlich das Interesse unserer Schüler auf eine gute Ausbildung, realisieren kann. – Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und PDS)

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Polzin von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Frau Polzin.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Riemann ist leider nicht da, ihn wollte ich noch mal explizit begrüßen und ihm wenigstens eine Frage vorweg nehmen, nämlich die nach meiner Bekanntheit mit Lehrerproblemen. Das könnte ich schon mal vorher sagen: Ich weiß, wovon ich rede, wenn wir bei der heutigen Thematik sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Bevölkerungsschwund, wegbrechende Arbeitsplätze, gravierender Vertrauensverlust in der Nahrungsmittelbranche, Rentenproblem, Finanzlöcher, das ewige Mistwetter – die Opposition singt die Schauerballade nach der Melodie von Rudi Carrell: „Und schuld daran ist nur die SPD“

(Heiterkeit bei Volker Schlotmann, SPD: Ja.)

und nun eine neue Strophe oder Katastrophe

(Zuruf von Dr. Armin Jäger, CDU)

mit dem Titel „Der Unterrichtsausfall in MecklenburgVorpommern“. Lohnt es sich eigentlich, unter diesen Umständen und nach diesen Tönen, die ich heute auch wieder gehört habe, erneut zu beteuern, dass die Unterrichtsversorgung Priorität in der Bildungspolitik der Koalition hat? Der Minister, meine ich, hat detailliert dargestellt, wie intensiv wir uns mit diesem Problem befassen und um eine Minimierung kämpfen.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Die rechnerisch hundertprozentige Unterrichtsversorgung fängt natürlich in der Praxis nicht jeden Krankheitsfall, nicht jede Grippewelle und nicht jede nicht besetzte Stelle auf, aber sie ist doch wohl ein Schritt, der zu Ihren Amtszeiten, Frau Schnoor, nicht denkbar war.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Angesichts der Thematik habe ich meine alten Vertretungspläne von 1992 bis 1994 mal wieder herausgekramt. Ich war nämlich diejenige, die in solchen Zeiten ganz schnell eine Lösung finden musste, wenn es morgens hieß, drei Lehrer fehlen und nun sieh mal zu, wie können wir es kompensieren, wir können die Kinder nicht auf den Hof schicken. Ich weiß, wie oft mir selbst der Angstschweiß auf der Stirn stand, um noch etwas herauszuholen. Aber das war auch zu Ihren Amtszeiten durchaus so, Frau Schnoor, und ich sehe da kaum Unterschiede. Leider, an und für sich müssten wir ja langsam mal etwas besser werden durch die bessere Unterrichtsversorgung.

In Spitzenzeiten mussten wir teilweise – 1992 habe ich das detailliert bei uns nachgelesen – sogar ganze Klassen tageweise zu Hause lassen, weil kein Lehrer zur Verfügung stand. Ich kann mich nur nicht erinnern, dass wir dafür eine Kultusministerin verantwortlich gemacht haben,

(Harry Glawe, CDU: In welcher Schule waren Sie denn da?)

denn damals hat man wirklich versucht, Ursache und Wirkung zueinander zu bringen. Nur damals waren die landesweiten Erfassungen ja noch auf einem anderen Level, wie jeder Insider weiß, und ich weiß nicht, offensichtlich leiten Sie daraus das Recht ab, jetzt und heute den Katastrophenzustand auszurufen. Den hatten wir, wenn man es so bewerten will, jedes Jahr zur Winterzeit, und nicht nur in Mecklenburg-Vorpommern. Der Ländervergleich zeigt, dass der Unterrichtsausfall in unserem Land keinesfalls an der Spitze liegt. Offensichtlich kann auch keine CDU/CSU-Regierung in Bayern verhindern, dass Lehrer erkranken oder in vorzeitigen Ruhestand treten.

(Harry Glawe, CDU: CDU gibt’s in Bayern nicht. – Dr. Ulrich Born, CDU: Die haben CSU-Regierung.)

Fast ist es mir peinlich, hier über Selbstverständlichkeiten zu reden, aber das Problem liegt nun mal am Faktor Mensch. Bei kranken Beamten stapeln sich die Akten höher, die Arbeit des Lehrers kann nicht liegen bleiben. Papier ist geduldig, Kinder sind es in der Regel nicht. Vertretungsunterricht und auch Ausfall werden also nie ganz zu vermeiden sein.

(Dr. Ulrich Born, CDU: Ja, ja.)

Das ist schlecht, aber irgendwo auch gesetzmäßig. Eine Horrormeldung ist aber erst dann berechtigt, wenn der Ausfall signifikant größer ist als in Vorjahren oder signifikant größer als in anderen Ländern. Beides ist nicht der Fall. Worüber reden wir hier also? Worüber reden wir, wenn wir bei fachfremd erteiltem Unterricht alles Mögliche inszenieren? Beispielsweise der Zusammenhang der Landesvorsitzenden: Nur weil im Sozialkundeunterricht so viel fachfremd erteilter Unterricht stattfindet, hat die Regierung im Kampf gegen Rechtsextremismus versagt.

(Volker Schlotmann, SPD: Hört, hört!)

Nee, ne? Ich habe auch schon überlegt, wenn der Wind von rechts kommt, ob es dann dunkel wird, oder ob hohe Schuhe wärmer sind als braune.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Also um einfach mal die Logik vollständig zu machen, das wird doch einfach ein bisschen schlicht und billig. Ich stelle dann auch mal die Frage: Ist denn jetzt nur noch der Sozialkundelehrer für Erziehung zuständig? Das lässt ja an und für sich diese Behauptung zu.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Und da sind wir nämlich genau bei dem grundsätzlichen Problem:

(Harry Glawe, CDU: Wollen wir mal nach vorne gucken.)

Warum inszenieren Sie dieses? Ich werde im zweiten Teil meiner Rede – das drohe ich jetzt schon mal an, ich komme noch mal –

(Wolfgang Riemann, CDU: Ist das ‘ne Drohung?)

auf einige detaillierte Anfragen und Aussagen hier noch eingehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und einzelnen Abgeordneten der PDS)

Das Wort hat der Abgeordnete Herr Born von der CDU-Fraktion. Bitte sehr, Herr Born.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Ja, Herr Ministerpräsident, Schule ist eben nicht nur ein Problem von Lehrern, weil ich gerade schon Ihre Bemerkung hörte „Schulpolitiker“. Nein, das ist ein Problem, was die ganze Gesellschaft betrifft. Und wenn die Unterrichtsversorgung und vor allen Dingen die Qualität nicht stimmen, dann spüren wir die Auswirkungen in unserer gesamten Gesellschaft. Die Auswirkungen reichen bis in die berufliche Ausbildung, sie reichen bis in die berufliche Tätigkeit von Jugendlichen. Die Klagen aus der Wirtschaft sind ja nicht zu übersehen und zu überhören und leider sind diese Klagen berechtigt. Das unterstreichen die jüngst dargestellten Ergebnisse der Realschulabschlussprüfungen aus dem Schuljahr 1999/2000. In einem so elementar wichtigen Fach wie Mathematik, Grundvoraussetzung für fast jeden Ausbildungsberuf, versagt nahezu jeder vierte Jugendliche. Die Folge davon ist, dass an einer beruflichen Schule des Landes im gewerblichen Bereich nahezu 54 Prozent der Auszubildenden die Berufsschulprüfung nicht bestanden haben und die Negativbilanz lässt sich leider mühelos fortsetzen.

Und, Herr Professor Kauffold, wenn Sie das prozentual hier beziffern, weil wir gerade bei Mathematik sind, bei nur 0,4 Prozent die 67 Lehrer, die weggehen, dann muss ich Ihnen sagen, das sind 67 Lehrer zu viel, die das Land verlassen. Es ist in der Tat so, Sie brauchen den Lehrern nicht mehr zu kündigen, weil leider die Lehrer diesem Land kündigen. Und hier muss dringend eine Änderung, eine fundamentale Änderung herbei, das darf so nicht weitergehen.