Protocol of the Session on April 13, 2000

„Abgelehnte Asylanträge haben zur Folge, dass es zu einer Ausreise oder Abschiebung kommen muss“, werden

jetzt einige sagen. „So sind die Gesetze“, gibt es ebenso leichtfertig andere Meinungsäußerungen dazu. Doch ich frage: Wollen die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern und die Abgeordneten dieses Landtages dieses wirklich? Will der Gesetzgeber in diesem Land das wirklich? Oder ruht der Gesetzgeber Mecklenburg-Vorpommerns, die Abgeordneten dieses Landtages, sich nur darauf aus, angeblich nichts tun zu können?

Sei es, wie es sei! Da es in Mecklenburg-Vorpommern nicht nur dieses eine Kind gibt, das dadurch, dass es nicht deutsch ist, von einer Abschiebung bedroht ist, sondern etwa 900 bis 1.000 Kinder von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern in unserem Land leben – genaue Zahlen waren leider vom Innenministerium nicht zu erhalten –, möchte ich von dem Einzelfall trotzdem wegkommen. Denn der vorliegende Antrag hat nicht zum Ziel, lediglich für das im Neubrandenburger Klinikum geborene Baby gleiche Bedingungen zu schaffen, wie sie den anderen in diesem Krankenhaus Geborenen mit den deutschen Eltern gewährt werden. Es geht um all die nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen, die es nach selbst erfahrener Flucht teilweise hierher verschlagen hat, die hier mit zwei, drei, sechs, zehn oder auch zwölf Jahren und mit unterschiedlichen Erfahrungen und Erlebnissen im Gedächtnis angekommen sind oder auch erst hier geboren wurden, um die etwa 1.000 Kinder und Jugendlichen, die heute überwiegend konzentriert mit anderen Ausländerinnen und Ausländern in den Lagern der gemeinsamen Unterkünfte für Asylbewerber untergebracht sind, seit zwei, drei, vier, sechs, ja sogar acht Jahren. Es geht um die etwa 1.000 ausländischen Kinder und Jugendlichen, die oftmals besser deutsch als ihre eigene Sprache sprechen, die in der Schule die deutsche Rechtschreibung und Grammatik lernen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Das ist schwer genug. – Heiterkeit bei Annegrit Koburger, PDS)

Es geht um die etwa 1.000 ausländischen Kinder und Jugendlichen, die aus Regionen der Welt zu uns kommen, in denen sie von Krieg und Bürgerkrieg, von Hunger und Unterernährung bedroht sind, aus denen sie vor Umweltund Naturkatastrophen flüchteten. Es geht um etwa die 1.000 Kinder und Jugendlichen, die in den Reden der gestrigen Aktuellen Stunde „Jugend und Zukunft“ nur eine untergeordnete Rolle spielten, wenn überhaupt. Denn diese Jugend ist nicht die deutsche Jugend. Für diese Jugend kann nichts gemacht werden, denn diese Jugend muss wieder ausreisen oder wird abgeschoben. Und wir können nichts machen.

Und da ja selbst die Härtefallkommission des Landes, wenn auch aufgrund der nur eingeschränkten Arbeitsund Entscheidungsmöglichkeiten, entschieden hat, dass nichts zu machen ist, können sich der Innenminister und die Abgeordneten ja beruhigt zurücklehnen. Sie haben ja nicht entschieden, dass nichts zu machen ist und dass abgeschoben werden soll. Und weil es nicht ins Gesetz passt – Asyl ist nun mal, auch bei Minderjährigen, nur aufgrund politischer Verfolgung zu gewähren –, schieben wir eben ab. Pech gehabt, dass die Kleinen sich noch nicht politisch in dem Land betätigt haben, das sie teilweise noch nicht einmal gesehen haben, in das sie jetzt abgeschoben werden, da sie ja keine Deutschen sind.

„Wir können leider nichts machen, aber wenn du verhungerst, melde dich doch beim Deutschen Roten Kreuz in Jerewan. Wir haben Geld für eine Hilfslieferung gesammelt.“ „Die Caritas in Hanoi hat eine Kleiderkammer mit

unseren abgelegten Klamotten eröffnet.“ „Unsere deutschen SFOR-Soldaten zeigen, wie Granatsplitter aus dem Oberschenkel entfernt werden können, und können auch bei Amputationen behilflich sein.“

(Unruhe bei der CDU)

„Auch die Arbeiterwohlfahrt hat einen Hilfskonvoi zusammengestellt, damit ihr in Albanien nicht so viel hungern müsst, wenn wir euch dorthin abschieben.“ – Äußerst makaber, liebe Kolleginnen und Kollegen, doch ich hoffe, Sie haben alle Ihr Gewissen schon beruhigt. Aber das werden Sie schon bei unterschiedlichsten Hilfsorganisationen getan haben. Alle werden schon geholfen haben, damit die, die wir von hier wegschicken, abschieben, dort genug zu essen haben, nicht frieren und nicht mit den Minen spielen müssen.

Das Wichtigste ist, dass gemacht wird, was Gerichte entschieden haben. Auch wenn diese Entscheidungen höchst fragwürdig sind und der Gesetzgeber hier endlich handeln müsste und könnte. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, können handeln. Niemand im Land ist so im Recht und in der Pflicht zu handeln wie Sie und wir hier im Parlament des Landes.

Denn wenn Gerichte in Mecklenburg-Vorpommern 1999 noch feststellten: „Trotz der beschriebenen Verbesserungen der Versorgungslage sind etwa 70 Prozent der Bevölkerung nicht in der Lage, ihre Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung von internationalen humanitären Aktionen sicherzustellen. Das zeigten auch die Angaben zum durchschnittlichen offiziellen Familieneinkommen, das jetzt bei circa 15 USDollar pro Monat liegt“, frage ich mich doch, wie wir – Sie und ich – ruhig sein können, wenn zum Beispiel Kinder von eineinhalb Jahren und zweieinhalb Jahren, zurzeit noch im Asylbewerberheim in Bellin im Uecker-RandowKreis untergebracht, in so eine Region – hier ging es um Armenien – zurückgeschickt werden sollen.

Aber vielleicht noch eine Kostprobe aus Gerichtsentscheidungen zur Ablehnung von Asylbegehren. „Die Versorgungslage hat sich dabei in jüngster Zeit leicht verbessert. Die Lebensmittelversorgung ist von Frühjahr bis Herbst gut, es gibt ausreichend Frischobst, Gemüse und Fleisch aus armenischer Produktion. Im Winter muß die Lebensmittelversorgung der armenischen Bevölkerung durch internationale Hilfslieferungen weiterhin unterstützt werden, und zwar sowohl mit Lebens- als auch mit Heizmitteln.“ Den Winter werden sie ja wohl schon irgendwie überstehen, oder? Und wenn wir sie jetzt abschieben, bis zum Winter werden sie ja noch genug Zeit haben, um sich eine Behausung zu suchen.

(Georg Nolte, CDU: Mützen werden gebraucht.)

Und ansonsten gibt es ja auch noch die „starken Familienbanden“ auf dem Kaukasus, die gegenseitig Hilfe zusichern. Das wird schon nicht so schlimm kommen. Doch, kommt es, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach Ansicht der Gerichte besteht „keine erhebliche Gefahr für Leib und Leben“ von Kindern, die zum Beispiel nach Armenien abgeschoben werden sollen. Die Gerichte stellen zwar fest, dass in dem Land etwa 40 bis 50 Prozent nicht das sechste Lebensjahr erreichen und 60 bis 70 Prozent der Kinder unterernährt sind, doch die Schlussfolgerungen sind die genannten haarsträubenden. Der Tenor bei armenischen Kindern wie bei irakischen, türkischen, vietnamesischen und den vielen anderen lautet: Dieses ist

halt landestypisch und nichts Besonderes für die Person des Antragstellers oder der Antragstellerin. Ein Aufenthalt hier wird nicht gewährt, weil Not und Elend eben zum Land gehören und alle dort betrifft. Die Kinder und Jugendlichen hatten ja eigentlich noch ein bisschen Glück, dass sie wenigstens einige Zeit hier verbringen konnten.

Das war jetzt nur ein kleiner Ausschnitt, der zeigen sollte, dass die Situation drängend ist, nicht nur einen Einzelfall betrifft und erst recht nichts mit Säbelrasseln zu tun hat.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Es ist purer Ernst und bestimmt auch nicht nur ansatzweise ein Thema, jedenfalls nicht für mich, mit dem mal eben so Politik gemacht wird. Gern gebe ich Ihnen weitere Informationen, empfehle jedoch andererseits einfach mal einen Besuch in den Flüchtlingsheimen in den Wahlkreisen.

Diese Fakten sollten jedoch auch erst einmal dafür reichen, dass hier im Parlament und auf der Regierungsbank niemand, absolut niemand sagen kann, er habe davon nichts gewusst. Niemand kann sich aus der Verantwortung stehlen, damit nichts zu tun gehabt zu haben, wenn Minderjährige aus Mecklenburg-Vorpommern in Gebiete von Krieg, Hunger, Elend, Umwelt- und Naturkatastrophen abgeschoben wurden und werden.

Was kann dagegen nun getan werden? Da der Landesgesetzgeber keinen Zugriff auf das Asylrecht hat, kann der Landtag hier leider nicht Asyl gewähren. Das ist bekannt und es steht auch gar nicht auf dem Papier der Landtagsdrucksache. Dort steht, dass Mecklenburg-Vorpommern eine Verantwortung hat, und die haben wir mindestens, mindestens für die Menschen, die bereits hier sind. Es geht hier nicht darum, dass wir von irgendwoher Menschen wieder hierher holen, auch wenn ich nichts dagegen hätte und mich auch weiterhin für offene Grenzen für alle einsetzen werde.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Es soll ja auch Menschen geben, die eine Ausländerflut sehen. Darum geht es hier aber nicht. Es geht darum, dass die Menschen, die nach Flucht und Strapazen, die nach zum Teil jahrelangem Aufenthalt hier in unserem Land leben, groß geworden sind, dass diese Menschen nicht sehenden Auges in Gefahrengebiete abgeschoben werden sollen. Und bei diesem Antrag geht es auch noch nicht einmal darum, alle die, die es bisher hierher zu uns geschafft haben, hier zu behalten, damit es ihnen hier bei uns besser geht als dort, wohin sie abgeschoben werden.

Herr Schädel, gestatten Sie eine Anfrage des Abgeordneten Nitz?

(Peter Ritter, PDS: Bei der Einbringung gibt es keine Anfrage. – Annegrit Koburger, PDS: Bei der Einbringung gibt es so was nicht.)

Wenn, dann auch am Ende.

Es geht hier um eine der schwächsten Gruppen, um die Minderjährigen. Und es geht in diesem Antrag nicht darum, dass die Minderjährigen, natürlich gehören die Eltern auch immer dazu, alle für heute und für alle Zeiten hier bleiben sollen. Es geht einzig und allein darum, dass wir das Ausländergesetz ausnutzen und einen zunächst sechsmonatigen Abschiebestopp erlassen, damit eine

bundeseinheitliche Regelung zum Umgang von Abschiebung mit Minderjährigen gefunden wird und dann vielleicht hier eine neue Politik gestaltet werden kann.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Die rechtlichen Möglichkeiten dafür sind gegeben. Und ich werde schauen, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, wie Sie dann heute hier – und nicht wie am vergangenen Wochenende in Münster –, wie Sie hier heute entscheiden werden.

Rechtlich geht dieses nach dem Paragraphen 54 des Ausländergesetzes „Aussetzung von Abschiebungen“. Und es geht um nicht mehr. Es geht nicht um Asylgewährung, es geht nicht um einen ständigen Aufenthalt, es geht um die Aussetzung von Abschiebung, und das für lediglich zunächst sechs Monate. Zitat des Paragraphen: „Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, daß die Abschiebung von Ausländern aus bestimmten Staaten oder von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein oder in bestimmte Staaten für die Dauer von längstens sechs Monaten ausgesetzt wird. Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern, wenn die Abschiebung länger als sechs Monate ausgesetzt werden soll.“

Es geht in dem Antrag um den Abschiebestopp für Minderjährige und ihre Erziehungsberechtigten für lediglich sechs Monate. Dabei betrifft das auch noch nicht einmal alle die etwa 1.000 ausländischen Kinder und Jugendlichen unseres Landes, denn nicht alle sind aufgrund unterschiedlicher Aufenthaltsbedingungen zurzeit von einer Abschiebung bedroht.

Alles Weitere soll dann geklärt werden, so dass aber in dieser Zeit, in diesen sechs Monaten, keine Abschiebung von Kindern stattfindet, damit wir hinterher, wenn wir vielleicht zu einer Einigung kommen auf der Bundesebene, nicht sagen können: Tut uns leid, dass wir euch dahin schon abgeschoben haben und dass ihr zwischendurch irgendwie verhungert seid, tut uns leid, der Winter war dazwischen, konnten wir leider nichts machen.

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Damit erledigt sich aber das Problem.)

Darum geht es, um diesen Abschiebestopp!

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS)

Dieses kann genauso passieren – das ist vom Innenminister so zu erlassen oder der Innenminister kann vom Parlament natürlich dazu auch aufgefordert werden –, dieses kann genauso passieren, wie es zum Beispiel Rheinland-Pfalz im letzten Jahr tat und einen vorübergehenden Abschiebestopp für alle die erlassen hat, die eventuell dann später unter die so genannte Altfallregelung gefallen wären oder dann vielleicht auch gefallen sind.

Das ist genauso möglich, wie der Innenminister erlassen kann, dass Tschetschenen, auch wenn es gar keine in Mecklenburg-Vorpommern gibt, nicht in die Kriegsregion abgeschoben werden sollen. Paragraph 54 sieht vor, dass für „von in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen allgemein“ – und die von uns zur Berücksichtigung vorgeschlagene Gruppe ist genau zu definieren und einzugrenzen – aus humanitären Gründen die Abschiebung für zunächst einen begrenzten Zeitraum ausgesetzt wird,

unabhängig davon, ob der Asylantrag abgelehnt wurde oder nicht. Und was ist denn noch humanitärer, als Minderjährige davor zu bewahren, dass sie in Kriegs- und Krisenregionen abgeschoben werden, wo ihnen neben und zu den Gefahren für Leib und Leben vor allem auch psychische Schäden drohen?

Immer wieder in den Vorgesprächen wurde mir gesagt, das geht nicht und die Gesetze sind nun mal so. Bitte entschuldigen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen: Wer, wenn nicht der Landesgesetzgeber, soll denn die oberste Landesbehörde auffordern, wer, wenn nicht die Abgeordneten des Parlamentes, kann in diesem Land denn etwas machen? Lieschen Schulze oder Otto Mustermann auf der Straße? Dann kann dieses Parlament auch aufgelöst werden, wenn es sich – ich gehe von dem vorhandenen Willen aus – außerstande sieht, die Abschiebung von Minderjährigen in die beschriebenen Gebiete zu verhindern. Sie können also zusehen und abwarten, ob sich irgendetwas ändert, oder wir wollen gemeinsam diesen Abschiebestopp erlassen, damit Kinder davor bewahrt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Stimmen Sie dem Antrag zu und retten Sie die Kinder vor der Abschiebung in Kriegs-, Hunger- und Krisengebiete, wenigstens erst einmal für die nächsten sechs Monate, um in dieser Zeit eine Bundeseinheitlichkeit anzustreben! Ziehen Sie sich nicht zurück, weil Sie angeblich nichts machen können! Die Frage ist: Wollen Sie? – Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der PDS)

Vielen Dank.

Wir kommen jetzt zur Aussprache. Sie wurde mit einer Dauer von 30 Minuten im Ältestenrat vereinbart.

Wenn es dazu keinen Widerspruch gibt, hat als Erster das Wort der Abgeordnete Herr Thomas von der CDUFraktion.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich stelle zuerst einmal fest, das ist ein Antrag der PDS und kein Antrag der Fraktionen. Das auch an den Herrn Innenminister.

Sie wollen aus Situationen politisches Kapital schlagen,

(Unruhe bei einzelnen Abgeordneten der PDS)