Protocol of the Session on April 13, 2000

Ich habe das ja gestern schon gesagt, Frau Skrzepski, wir müssen nicht die Jugend schlecht reden, sondern wir müssen sie motivieren, sich in unsere Gesellschaft einzubringen. Das kann ein Beitrag sein. Ich will das hier noch einmal etwas untersetzen.

Deswegen, meine ich, geht es darum, alle diejenigen, die nach einer Ausbildung unser Land verlassen, auch wieder zurückzuholen. Natürlich ist jeder, der das Land verlässt und seine Qualifikationen, Fähigkeiten, Erkenntnisse erweitert, sehr willkommen. Ich meine, es geht einfach darum, hier Aktivitäten zu entwickeln, um diese jungen Menschen, nachdem sie eine Erwerbs- und Ausbildungsphase in anderen Ländern oder auch im Ausland absolviert haben, wieder in das Land zurückzuholen. Wandern und Wiederkommen ist somit für die Jugend eine lohnende Aussicht, für Politik und Wirtschaft ist es eine Investition in die Wettbewerbsfähigkeit der Region.

Was wird das nun konkret? Ich meine, es gibt bei uns im Lande offensichtlich kaum Wanderungs- und Rückkehrtraditionen. Auswanderungstraditionen, zum Beispiel nach Amerika, sind uns wohl bekannt, aber diese Men

schen sind ja nie wiedergekommen. Also sollten wir damit beginnen, Schüler- und Jugendaustausche frühzeitiger zu fördern. Und wer von Ihnen, meine Damen und Herren, anlässlich des zehnjährigen Jahrestages der Grenzöffnung in Schlagsdorf dabei war, der hat festgestellt, dass Gymnasiasten aus Nordwestmecklenburg und dem Nachbarlandkreis in Schleswig-Holstein noch nicht einmal miteinander sprechen. Der Jugend- und Schüleraustausch müsste zuerst in Deutschland beginnen. Ich meine, es ist hier auch wichtig, dass Jugendliche Erfahrungen sammeln, die ihnen das Leben und Arbeiten außerhalb der gewohnten Region leichter machen. Das hilft auch, Ängste vor anderen Kulturen und vor der Fremde abzubauen.

Wichtig sind Sprachkenntnisse. Man kann nicht früh genug beginnen, Kindern Fremdsprachen beizubringen, ob über den Kindergarten oder in der Schule. Die spielen eine große Rolle und jeder, der damit zu tun hat, weiß – bis hin zu den Fragen, die wir gestern diskutiert haben, Internetnutzung und so weiter –, wo Sprachkenntnisse notwendig sind. Ebenso sollten wir in der Ausbildungs- und Studienzeit mehr Praktika und Einsätze im Ausland anbieten und in anderen Bundesländern fördern. Gleiches gilt für eine begrenzte und geförderte Arbeitsaufnahme im Ausland oder staatliche Hilfe für das Mitmachen im Europäischen Freiwilligenjahr. Solche Aufenthalte außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern bereichern und erweitern die Horizonte unserer Jugend. Mit Sicherheit haben diese Aufenthalte eine unmittelbare Wirkung auf die weitere Ausgestaltung von Schule, Ausbildung und Arbeit vor Ort. Ich bin mir sicher, dass junge Fachkräfte in einem Betrieb eine enorme Bereicherung sind, wenn sie zuvor einige Monate in Schweden oder Estland gearbeitet haben.

Die Förderung der Mobilität ist jedoch nur die eine Seite. Wer zeitweise unser Land verlässt, darf zugleich auch nicht vergessen werden. Wer hier abwandert, braucht den roten Faden aus dem Labyrinth, damit er den Weg zurückfindet. Ich habe schon vor einem Monat vorgeschlagen, dass wir Rückholagenturen für die Integration in den einheimischen Bildungs- und Arbeitsmarkt einrichten sollten.

Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern Vermittlungsagenturen, die junge Leute nach außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern vermitteln. Warum, frage ich Sie, schaffen wir nicht Bedingungen, dass diejenigen, die das Land verlassen, Kontakt zur Heimat halten, nicht nur über die Familie, sondern beispielsweise über den ausbildenden Betrieb? Warum gibt es dort keine Vereinbarungen für die Zeit, wo der junge Mann oder die junge Frau unser Land verlassen hat? Warum schaffen wir nicht Möglichkeiten für diejenigen, die außerhalb von MecklenburgVorpommern sind, dass sie kostenlos Zugang zum Internet des Landes Mecklenburg-Vorpommern und so den kostenlosen Zugriff auf die Seiten der Regionalzeitungen haben beziehungsweise spezielle Chaträume für diese Jugendlichen eingerichtet werden? Ich kann mir noch viel, viel mehr vorstellen, ganz konkrete Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Kommunen und denjenigen, die zeitweilig unser Land verlassen. Ich meine, es muss hier die These gelten, wer das Land verlässt, darf sich nicht verlassen fühlen.

(Beifall Heidemarie Beyer, SPD)

Wir brauchen den Kontakt zu denjenigen, die zeitweilig das Land verlassen, damit sie eine Sorge spüren, dass sie

hier gewünscht sind, dass sie hierher zurückkehren. Diese Aufgabe gilt nicht nur für die Politik, sie gilt für Organisationen, Verbände, Parteien, Kirchen, Gewerkschaften und schließlich auch für den Staat selbst.

(Minister Dr. Gottfried Timm: Und für die Eltern natürlich.)

Ich meine, hier ist viel zu tun. Es geht darum, dass diejenigen, die von uns weggegangen sind – hoffentlich für eine befristete Zeit – zurückkommen können, um hier ihr Heimatland vorzufinden.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Neue Chancen müssen natürlich auch den „Rückwanderern“ eingeräumt werden. Deswegen ist es hier eine Herausforderung an die Arbeitsmarktpolitik. Sie dürften natürlich kein Land vorfinden, in dem alles beim Alten geblieben ist, ganz unabhängig davon, ob die Rückkehrer dann Ärzte, Existenzgründer, Computerspezialisten oder auch Drehbuchautoren sind.

Die neuen Verkehrs- und Kommunikationswege machen es im Gegensatz zur Auswanderungswelle zu Beginn des 19. Jahrhunderts möglich, heimisch zu bleiben und Verbindung zu halten. Das Land MecklenburgVorpommern vertreibt nicht seine jungen Menschen, sondern sorgt für Mobilität und Innovation zugleich.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Wandern und Wiederkommen sind für mich die Pole dieser neuen Arbeits- und Jugendpolitik. Diese Politik verstehe ich als eine wichtige Antwort auf die demographische Entwicklung.

Abschließend sei es mir noch gestattet, etwas zu der Forderung der Opposition zu sagen, die Landesregierung möge künftig jährlich Berichte zur demographischen Entwicklung vorlegen und Maßnahmen der Landesregierung sowie deren Wirkung erläutern. Es gibt ausreichend Material. Sie, meine Damen und Herren von der CDU, haben sich ja selber auf das Statistische Landesamt bezogen. Es werden darüber hinaus weitere Untersuchungen angestellt. Diese Berichte sind öffentlich zugänglich und sie werden ausgewertet. Ich meine, mit dieser Berichterstattung ist eigentlich diese Forderung nach Statistik weitreichend erledigt. Maßnahmen der Landesregierung und deren Wirkung werden in meinem Haus und in anderen Ministerien in verschiedenen Veröffentlichungen beleuchtet. Sie müssen nur gelesen werden, meine Damen und Herren von der CDU. Deswegen, meine ich, ist dieser Antrag ein bloßes Beschäftigungsprogramm für die Landesverwaltung. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Harry Glawe, CDU: Na, na, na, es geht um die Wirtschaft.)

Die Berichterstattung, Herr Glawe, ist nun wirklich keine Zukunftschance, die Sie hier einfordern.

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Beyer von der SPD-Fraktion. Bitte sehr, Frau Beyer.

(Reinhardt Thomas, CDU: Da hättet Ihr mal Gysi reden lassen sollen! – Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Opposition hat uns einen Antrag zur

demographischen Entwicklung des Landes MecklenburgVorpommern vorgelegt. Das Ziel des Antrages ist eine Umkehr der negativen Entwicklung der Einwohnerzahlen durch eine konservative Wirtschafts- und Familienpolitik, eine Umkehr der Wanderungsquote von West nach Ost durch Erhöhung der Attraktivität Vorpommerns. Ich frage mich, warum ist es Ihnen auch nicht nur ansatzweise während Ihrer eigenen Regierungszeit gelungen.

(Beifall Annegrit Koburger, PDS – Heike Lorenz, PDS: Weil sie nur nach Standorten schielen.)

Sehen wir uns die zugrunde liegenden Zahlen doch etwas genauer an. So ist zum Beispiel in Bezug auf den Kreis Güstrow festzustellen, 80 Prozent der Gemeinden haben einen Männerüberschuss. 1998 haben 727 Personen aus dem Landkreis Güstrow mehr das Land verlassen als zugezogen sind, davon 267 Männer und 460 Frauen – also zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer. Insgesamt verließen 1.260 Frauen mehr als Männer unseren Landkreis.

Mit der hohen Abwanderungsquote junger Frauen ist nicht nur der Rückgang der Geburtenrate verbunden. Es ist besonders dramatisch, dass die Flexiblen, Mobilen und Leistungsstarken gehen. Sie gehen, weil für Frauen und Männer nach wie vor Erwerbstätigkeit und Familie hohe Werte sind und sie beides wollen. Sie gehen, weil sie eigenständig ihren Lebensunterhalt verdienen wollen

(Dr. Arnold Schoenenburg, PDS: Richtig, richtig.)

und weder von Eltern noch vom Staat abhängig sein wollen. Sie gehen, weil sie durch Kinder nicht zum Sozialfall werden wollen. Und sie gehen auch, weil sie sich ihres Wertes bewusst sind und sich mit Löhnen weit unter dem Tarif – besonders in frauentypischen Berufen – nicht zufrieden geben wollen.

Meine Damen und Herren! Hier ist sehr viel mehr notwendig, um diesen jungen Menschen eine Lebensperspektive zu geben, zum Beispiel die gute Ausbildung und Unterstützung beim Einstieg ins Berufsleben – vieles wurde schon gesagt, ich will es nur stichwortartig noch einmal aufzählen –, angemessene Tariflöhne für qualifizierte Arbeit statt Billiglohn, eine Frauenförderung, die Frauen den Weg auch in besserbezahlte Männerdomänen eröffnet, verbesserte Startbedingungen für Hochschulabsolventen, damit sie sich hier ansiedeln, Hilfe bei Existenzgründungen, ein vielfältiges Kultur-, Freizeit- und Sportangebot mit Möglichkeiten zur Begegnung und Kommunikation und auch ein Klima der Offenheit, Toleranz und Solidarität.

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Caffier?

Nein, jetzt nicht.

Keine Anfrage, das war bloß Händeschütteln.

Die Landeschefin der Jungen Union im Lande beklagt, dass das reiche Deutschland nicht in der Lage sei, eigenen qualifizierten Nachwuchs auszubilden.

(Vizepräsidentin Kerstin Kassner übernimmt den Vorsitz.)

Sie behauptet, Resultat ist die Abwanderung deutscher Wissenschaftler, die als Amerikaner Nobel-Preise erhalten. Sind diese Menschen nicht die besten Botschafter für unser Land und muss man nicht fragen, warum sie gehen und warum sie nicht wiederkommen, warum sie nicht einmal in ihrem Ruhestand wiederkommen, sondern es vorziehen, sich in einem europäischen Land in der Nähe der alten Heimat niederzulassen, nicht aber in Deutschland? Und waren wir vor zehn Jahren nicht alle froh, dass es möglich war, dass unsere Kinder im Ausland lernen, arbeiten und studieren können?

Mich erinnert die gegenwärtige Diskussion an längst vergangene Zeiten in der DDR, an den Mief der geistigen und räumlichen Begrenztheit, an die Selbstüberschätzung und Intoleranz und deshalb kam mir wohl ein Satz aus der Predigt von Joachim Gauck auf dem Evangelischen Kirchentag 1988 wieder in den Sinn, wo er sagte: „Wir wollen gehen dürfen, damit wir wiederkommen können.“ Wir wollen junge Menschen gehen lassen, damit sie wiederkommen. Und hier unterstütze ich Ihre Vision, Herr Minister Holter, hundertprozentig.

Und ich möchte das aus meinem eigenen Erleben in meiner eigenen Familie mal belegen, wo ein 18-Jähriger, der zum Schüleraustausch in den USA ist, zu der Erkenntnis kommt, Deutschland hat mich viel mehr geprägt, als ich es jemals geahnt habe. Ich könnte mir vorstellen, in meinem Leben ein paar Jahre in der Entwicklungshilfe im Ausland zu arbeiten, aber ich möchte eine Familie haben und ich möchte mit dieser Familie in Deutschland leben. Ich denke, das ist eine ganz gute Erfahrung und Erkenntnis, die ich sehr vielen Jugendlichen wünsche. Deshalb ist für mich die Unterstützung von Auslandspraktika genauso wichtig wie die Rückholbegleitung. Auch die „Denkwerkstatt 2020“ von Arbeitsminister Holter ist eine Möglichkeit, ideologische Hürden zu überwinden und das Land mit Hilfe prominenter Denker und Praktiker fit für die Zukunft zu machen.

Die Themen Zukunft der Arbeit, Perspektiven im Ostseeraum, die Entwicklung der Region Ostdeutschland und die Osterweiterung der EU machen einen weiteren Aktionsradius und die Weite des Horizontes deutlich. Ich bin überzeugt, wenn wir in dieser Breite diskutieren, Chancen aufzeigen und die Menschen in unserem Land mitnehmen, dann wird es uns auch gelingen, ein Klima der Toleranz, der Offenheit und Mitmenschlichkeit zu schaffen, nach dem sich viele sehnen. Uns ist die Zielrichtung des vorliegenden Antrages zu begrenzt und deshalb lehnt die SPD-Fraktion diesen Antrag ab. – Danke.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Beyer.

Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Herr Dr. Schoenenburg von der PDS-Fraktion.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Art und Weise, wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU, Ihre Oppositionsrolle verstehen und wie Sie das auch wiederum an diesem Antrag deutlich machen und an dem Auftritt von Herrn Glawe, macht es schwer, ernst zu nehmende, langfristig fortbestehende Entwicklungsprobleme des Landes sachlich zu diskutieren.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Harry Glawe, CDU: Das ist Ihre Auffassung.)

Das ist wirklich schade.

Sie schreiben in Ihrer Begründung: „Die Politik muss sich stärker als bisher dazu bekennen, dass die demographische Entwicklung zu den wesentlichsten Einflussfaktoren der Zukunft des Landes gehört.“ Richtig, kann man nur dazu sagen. Nur zu dieser fundamentalen – in Anführungsstrichen – Erkenntnis gehört wirklich kein besonderer Scharfsinn. Ein Land mit ständig sinkender Bevölkerung ist eben kein gesundes Land und stellt sich auf Dauer selbst in Frage. So ernst steht das Problem. Und es ist mit einem Bekenntnis zur Demographie und damit, dass man sich sozusagen mit Wünschen die eigenen Augen vernebelt, natürlich überhaupt nichts getan.

An wen richten Sie eigentlich Ihre Botschaft? Das ist die erste Frage, meine Damen und Herren von der CDU. Eine zweite Frage ist doch wohl erlaubt: Sollten Sie nicht vor allem an Ihre eigene Tür klopfen, Selbstkritik üben und Buße tun?

(Wolfgang Riemann, CDU: Ja, ja, da sind Sie ein gutes Beispiel für Buße tun.)

Denn Sie haben doch wohl in den verflossenen Jahren in Mecklenburg-Vorpommern als die regierende und politisch dominierende Partei dafür gesorgt, dass sich die Demographie so entwickelt hat, wie sie eben heute ist.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)