Protocol of the Session on April 13, 2000

Ich komme gleich zu den Zahlen, Herr Glawe, damit Sie das auch nicht nur als allgemeine Behauptung hören.

(Harry Glawe, CDU: Na denn mal los! – Wolfgang Riemann, CDU: Wir konnten ja schließlich keine Mauer um dieses Land ziehen.)

Über die Fehler und die unsoziale Politik der CDU, die uns diese Demographie beschert hat, wäre es übrigens ganz hübsch, einen Bericht zu bekommen.

(Heiterkeit bei Harry Glawe, CDU)

Aber die Landesregierung – da bin ich mit Herrn Holter ganz einig – sollten Sie bitte schön mit einem solchen Begehr in Ruhe lassen. Lesen Sie doch wenigstens den Gesundheitsbericht. Da steht übrigens alles drin, was Sie an Demographie brauchen. Aber offensichtlich haben Sie den auch noch nicht gelesen

(Gesine Skrzepski, CDU: Doch.)

und nun kommen Sie mit Ihren Fragen.

Es ist doch so: Monat für Monat, Jahr für Jahr erscheinen amtliche Berichte des Statistischen Landesamtes und die Regierung als Ganzes wie die Ministerien geben genügend Fakten und Daten zu den Dingen heraus, die Sie in Ihrem Antrag aufgeschrieben haben. Es wäre doch wohl mehr als Zeitvergeudung, einen Bericht der Berichte zu verlangen.

Übrigens habe ich mir beim Lesen Ihres Antrages verwundert die Augen gerieben. Sie haben buchstäblich nichts ausgelassen, was man sozial fordern kann, und so liest sich der Antrag wie ein Warenhauskatalog. Arbeit wollen Sie, finanziell gesicherte Kindergärten und Schulen, natürlich auch Theater möchten Sie haben, ein hübsches Wohnumfeld ebenfalls, sprich ein Häuschen mit Garten, ferner ein familiengerechtes Arbeitsumfeld, Kinderfreundlichkeit, ein attraktives Vorpommern und so weiter, und so weiter.

(Harry Glawe, CDU: Und was haben Sie dagegen?)

Wir kennen nicht einen Antrag aus Ihrer Regierungszeit, wo Sie die Regierung aufgefordert hätten, eine solche Sozialpolitik zu betreiben, die das systematische demographische Ausbluten des Landes wenigstens eingedämmt hätte.

(Beifall Monty Schädel, PDS)

Sie machen es sich nun wirklich zu einfach, meine Damen und Herren von der CDU. Ihre enorme Vergesslichkeit kommt dazu. Sie heben einfach ab auf ein paar aktuelle demographische Daten von 1999, wonach im Vergleich zum Vorjahr 7.000 Menschen das Land verlassen haben und dass wir jetzt nur noch 1.791.578 Menschen im Land haben. Daraus kommt dann ein Schluss: Eine ordentliche Sozialpolitik muss her. Und wir sollen es Ihnen abkaufen, dass Sie es ernst und redlich meinen.

Ich möchte meinen Beitrag nicht als vordergründige Polemik verstanden wissen,

(Wolfgang Riemann, CDU: So ist es aber.)

aber die Benennung der Sünden der CDU ist nötig.

Nun zu den tatsächlichen Entwicklungstendenzen der vergangenen Jahre. Wodurch werden denn demographische Entwicklungstendenzen bestimmt? Zunächst durch Geburt, Tod und Wanderungsbewegung, das sind die drei Daten, um die es geht.

Schauen wir uns die Fakten der vergangenen zehn Jahre dazu an. Im Jahr 1990 gab es in Mecklenburg-Vorpommern 1.923.959 Menschen. Per 31.12.1998 wohnten in Mecklenburg-Vorpommern noch 1.798.689 Menschen, das heißt 125.270 weniger als 1990 – der erste Unterschied zu Ihren Zahlen, Herr Minister, Sie hatten 135.000 genannt. Die Wahrheit ist, dass in den vergangenen acht Jahren der Regierungszeit der CDU 125.000 Menschen das Land verlassen haben, und zwar vor allem in den ersten Nachwendejahren 1991 bis 1994. Dort verließen zwischen 30.000 und 11.000 Menschen pro Jahr das Land. Und wenn, Herr Minister – und hier bin ich im deutlichen Widerspruch zu Ihnen, aber das ist nicht das Wichtigste –, vor allem junge Leute das Land verlassen, dann fehlt es natürlich an jungen Müttern und Männern,

(Minister Helmut Holter: So ist es.)

die sich ihren Familienwunsch und ihren Kinderwunsch erfüllen können. Deswegen ist nicht die fehlende Geburtenrate der entscheidende Punkt, sondern das Ausbluten des Landes, das Weggehen junger Menschen aus diesem Land, die natürlich auch nicht zurückkommen, das sind die Wanderungsverluste demzufolge.

(Wolfgang Riemann, CDU: Manche kommen schon zurück.)

Manche, aber selten.

Wir haben heute einen Anteil der bis zur 25-jährigen Bevölkerung im Land von unter 30 Prozent. Damit sind wir immer noch das jüngste Bundesland in Deutschland, aber dieses Verhältnis wird sich in den kommenden Jahren rasant verändern, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich nicht rigoros ändern. Für diese rigorosen Änderungen sehe ich auch unter einer SPD/PDSRegierung wenig Möglichkeiten.

(Wolfgang Riemann, CDU: Aber uns haben Sie das vorgeworfen.)

Die Prognose des Gesundheitsberichtes besagt, dass im Jahr 2020 in Mecklenburg-Vorpommern noch 1.614.000 Menschen leben werden. Und noch ein paar Zahlen, weil das wichtig ist, nicht nur weil die Zahlen Spaß machen: Gab es noch 1990 12.706 Eheschließungen und 23.503 Geburten, wurden 1998 nur noch 6.903 Ehen geschlossen und 12.246 Kinder geboren. Wo dafür die Ursachen liegen, ist ganz klar. Das heißt, innerhalb von acht Jahren haben wir einen Rückgang der Eheschließungen und der Geburten um fast 50 Prozent. Ich will ja nicht sagen, dass die CDU nun schlichtweg an allem schuld ist.

(Wolfgang Riemann, CDU: Na!)

Eheschließung und Kinder zeugen sind nun mal Privatsache. Aber dennoch, meine Damen und Herren von der CDU, muss doch wohl gesehen und gesagt werden, dass sich in der aktuellen statistischen Entwicklung der Demographie, die Sie heute so vehement beklagen, langfristige Tendenzen widerspiegeln.

(Beifall Heike Lorenz, PDS)

Demographie ist vor allen Dingen langfristig. Diese Tendenz hat gewiss komplexe Ursachen. Aber hervorstechend, wenn man sich das Ursachen- und Bedingungsgefüge anschaut, sind die wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsbedingungen. Dazu hat die Politik der CDU in Land und Bund die Weichen gestellt.

Jetzt komme ich zu den Weichen. PDS-unverdächtige Wissenschaftler haben die entscheidende Ursache für die sich rasch verschlechternden demographischen Daten längst ausgemacht und nur darauf kann ich mich in der Kürze der Zeit beziehen. Die entscheidende Ursache ist der Niedergang der Wirtschaft, namentlich die Deindustrialisierung des Landes, nach der politischen Wende 1990. Die Erwerbstätigkeit nahm durch den Strukturwandel in Industrie und Landwirtschaft abrupt ab. Der enorme Einbruch bei den Industrieinvestitionen seit 1995 hat sich inzwischen in einer Schrumpfung der Wertschöpfung und der Beschäftigungszahlen fortgesetzt. Zur Beschreibung dieses Faktes ist die Kennziffer Industriebeschäftigte je 1.000 Einwohner bestens geeignet. Sie betrug 1988 im Bezirk Rostock 125, im Bezirk Schwerin 120 und im Bezirk Neubrandenburg 101, also so hoch war der Anteil der in der Industrie Beschäftigten auf 1.000 Einwohner. 1991 gab es in Mecklenburg-Vorpommern noch 53 in der Industrie Beschäftigte auf 1.000 Einwohner – das ist bereits eine Halbierung –, 1994 noch 29 und 1998 ganze 25. Die größten Betriebe des Landes sind heute mit Abstand die staatlichen Verwaltungen, also die Landesregierung, die Stadtverwaltungen der kreisfreien Städte, und erst dann folgt mit 1.919 Beschäftigten im Baugewerbe und im Schiffbau die Hegemann-Gruppe. Das ist das größte Unternehmen im ganzen Land.

(Jürgen Seidel, CDU: Aber das werden Sie ja nun ändern.)

Ein anderer erschütternder Fakt verbirgt sich hinter dem Begriff der Beschäftigungsquote. Sie stellt das Verhältnis von arbeitsfähiger und arbeitstätiger Bevölkerung dar. Die Beschäftigungsquote ist 1998 in MecklenburgVorpommern auf ein Rekordtief von 50,3 Prozent gesunken. Übrigens, den niedrigsten Wert hat der Uecker-Randow-Kreis mit 45,4 Prozent. Das ist zugleich auch der

Kreis, der die höchsten Einwohnerverluste im Land hat, zusammen mit Rügen.

(Gesine Skrzepski, CDU: Ja.)

Während das Land in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 8,5 Prozent der Bevölkerung verlor, ist der Uecker-Randow-Kreis allein von 1990 bis 1994 um 9 Prozent der Einwohner geschrumpft. Bis heute hat der Kreis 11.000 Menschen verloren, 11 Prozent der Bevölkerung. Das ging einher mit dem fast völligen industriellen Kahlschlag des Altkreises Ueckermünde, der seit den Zeiten des alten Fritzes ein Industriekreis war. Heute hat der Uecker-Randow-Kreis noch ganze 16 Industriebeschäftigte auf 1.000 Einwohner. 16!

Auf die entsprechenden langfristigen Tendenzen hat meine Fraktion den Landtag bereits 1995 aufmerksam gemacht, selbstverständlich ohne von der CDU-Fraktion eine vernünftige Reaktion zu erfahren. Und nun kommen Sie im Jahr 2000 und fordern, die Regierung solle sich jetzt nachhaltig für Industrieansiedlungen einsetzen.

(Harry Glawe, CDU: Das müssen sie ja auch.)

Sie tut es übrigens auch ohne Ihre Aufforderung.

(Zuruf von Harry Glawe, CDU)

Aber haben Sie wirklich schon vergessen, meine Damen und Herren von der CDU,

(Wolfgang Riemann, CDU: Sie haben nicht einen Industriebetrieb nach Uecker-Randow gebracht.)

dass es 1989 im heutigen Mecklenburg-Vorpommern noch 1,1 Millionen abhängig Beschäftigte gab? Im März 1992 waren es noch 670.000 und im März 1999 gab es gerade noch 595.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Das ist innerhalb von zehn Jahren ein Rückgang auf etwas mehr als 50 Prozent. Wenn wir schon bei der Analyse sind, dann wollen wir auch festhalten, dass der Bevölkerungsrückgang in der Region Westmecklenburg seit 1993 zum Stillstand gekommen ist. Ähnliches gilt für Rostock, mittleres Mecklenburg. In der Region mecklenburgische Seenplatte hat sich der Rückgang verlangsamt. Keine Trendwende gibt es insgesamt für Vorpommern.

(Jürgen Seidel, CDU: Stimmt nicht.)

Dass das in einzelnen Kreisen unterschiedlich ist, ist auch klar. Dass diese differenzierte Bevölkerungsentwicklung vor allem von zwei Faktoren bestimmt ist, nämlich von der Beschäftigtenentwicklung in der jeweiligen Region und der Nähe wirtschaftlicher Entwicklungszentren, weiß jeder, der sich etwas ernsthafter mit den anstehenden Fragen beschäftigt.

Die in Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren von der CDU, vor sich gehenden Niedergangsprozesse in der Wirtschaft unseres Landes waren einer der Hauptgründe,

(Wolfgang Riemann, CDU: Aber welche Ursachen das hat, danach fragen Sie nicht.)

warum sich die PDS entschlossen hat, in Regierungsverantwortung zu gehen.

(Beifall bei einzelnen Abgeordneten der PDS – Wolfgang Riemann, CDU: Weil in den letzten 20 Jahren nicht in die Industrie investiert worden ist unter Ihrer Verantwortung. Weil wir nicht wettbe- werbsfähig gewesen sind. Das wissen Sie doch!)

Ach, Herr Riemann, Ihre Reden sind so dümmlich, dass es sich gar nicht lohnt, darauf eine Antwort zu geben.

Wir sehen seit 1998 noch keine Kehrtwendung in der wirtschaftlichen, sozialen und demographischen Entwicklung des Landes, keine. Das zeigt zunächst einmal nur, wie schnell es gehen kann – hören Sie zu, Herr Riemann –,