Protocol of the Session on June 27, 2018

Man kann sich darüber ärgern, dass man das alles nicht mitgekriegt hat. Aber ich finde, das Ergebnis ist gut, und deshalb freuen wir uns darüber,

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

dass der Senat an dieser Stelle so weit vorangegangen ist zu sagen: Ja, wir nehmen die Sorgen und Bedenken der Polizistinnen und Polizisten selbstverständlich ernst und wir nehmen aber genauso ernst dieses wichtige Element des Miteinanders zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern, der Gesellschaft insgesamt, wir brauchen Transparenz, wir brauchen Bürgernähe und wir brauchen natürlich auch eine Möglichkeit, um Vorwürfe jeder Art entkräften, überprüfen und gegebenenfalls auch nachvollziehen und nachverfolgen zu können. Mehr ist es nicht, aber weniger ist es auch nicht. Und es ist wichtig, dass es jetzt zu dieser Entscheidung kommt.

(Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Für die Fraktion DIE LINKE bekommt Frau Schneider das Wort. Vielleicht möchten Sie auf das vorbereitete Manuskript zurückgreifen?

– Ich brauche es auch nicht, danke.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Vor fast genau drei Monaten diskutierten wir an diesem Ort über die Anträge der LINKEN und der FDP zur Einführung der individuellen Kennzeichnungspflicht für Polizeibedienstete. Die Anträge wurden überwiesen. Ich erinnere mich, dass ich ankündigte, dass wir uns nicht damit abfinden würden, falls die Regierungsfraktionen die Problematik erneut aussitzen wollten. Deshalb freue ich mich heute, dass sich die Koalition nach der noch einmal sehr interessanten Expertenanhörung im Innenausschuss entschlossen hat, die Kennzeichnungspflicht einzuführen. Das ist eine gute Entscheidung und das sage ich gern.

(Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN, ver- einzelt bei der SPD und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Deshalb ist es für uns in diesem Falle zweitrangig, dass die Innenbehörde die Entscheidung gefällt hat – das sage ich an die Adresse von Herrn Gladiator –, bevor die parlamentarische Beratung abgeschlossen ist, obwohl das gegenüber der Bürgerschaft nicht gerade von Respekt zeugt. Für uns war die Einführung der individuellen Kennzeichnungspflicht auch in geschlossenen Einsätzen ein wichtiges Anliegen, seit wir 2008 in die Bürgerschaft eingezogen sind. Wir haben seither vier Anträge gestellt, viele Anfragen, zuletzt die Große Anfrage zum Verfahren gegen Polizeibedienstete, die

öffentliches Interesse an der Problematik der Identifizierbarkeit von Polizeibeamten hervorgerufen hat. Wir sind aber froh, dass nicht nur wir, sondern auch andere Fraktionen und Mitglieder der Bürgerschaft auf dieser Baustelle lange gearbeitet haben, sodass am Ende einer langen Auseinandersetzung eine hoffentlich gute Lösung im Sinne der Stärkung der Grund- und Bürgerrechte erreicht wird.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktions- los)

Es ist wirklich sehr bedauerlich, dass die CDU diesen Schritt nicht mitgehen will. Ich möchte auf das mantramäßig und auch heute wieder vorgetragene Argument eingehen, die Forderung nach der Kennzeichnungspflicht beruhe auf Misstrauen. Das ist ja wahr. Bürgerrechte als Freiheits- und Abwehrrechte sind notwendiges Misstrauen in den Staat, der dazu tendiert, in die Freiheitssphäre der Menschen eindringen zu wollen. Deshalb will ich den Vorwurf allgemein nicht zurückweisen. Ich kann ihn aber als Vorwurf nicht akzeptieren. Auch der Richtervorbehalt bei bestimmten polizeilichen Maßnahmen, zum Beispiel Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler, beruht letztlich auf einem Misstrauen. Die Konstruktion der Gewaltenteilung – nehmen wir die Kontrolle der Exekutive durch die Legislative – beruht auf Misstrauen. Sind Sie von der CDU deshalb gegen die Kontrolle der Exekutive?

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktions- los)

Misstrauen – jetzt zitiere ich den Juristen und langjährigen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Adolf Arndt –:

"Misstrauen ist eine demokratische Tugend. Wo Misstrauen nicht wacht, wächst kein Vertrauen. Ohne Vertrauen kann ein Staat den Tag nicht überdauern."

Es geht uns aber ausdrücklich nicht um ein spezielles Misstrauen gegen die Polizei, es geht uns nicht um ein Feindbild, wie dieser Herr Wendt suggeriert, der es mit Recht und Gesetz persönlich bekanntlich nicht so genau nimmt.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Es geht uns um das Recht der Bürgerinnen und Bürger, ihr polizeiliches Gegenüber im Zweifelsfall identifizieren zu können. Das ist umso wichtiger, als die Polizei Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols ist. Transparenz und Kontrolle sind ein demokratisches Gebot. Dieses Recht der Bürgerinnen und Bürger korrespondiert im Übrigen mit der persönlichen Rechenschaftspflicht der Beamten. Sie ist im europäischen Kodex für Polizeiethik, den

(Antje Möller)

das Ministerkomitee des Europarats 2001 verabschiedet und der für die Mitgliedsstaaten den Charakter einer Selbstverpflichtung hat, folgendermaßen formuliert – ich zitiere –:

"Beamte mit Polizeibefugnissen sind auf allen Rangstufen persönlich verantwortlich und rechenschaftspflichtig für ihr eigenes Tun und Unterlassungen oder für ihre Anweisungen an Untergebene."

Artikel 16. Und im Kommentar zu einem anderen Artikel, nämlich Artikel 45, heißt es – ich zitiere –:

"Ohne die Möglichkeit, eine Polizistin, einen Polizisten persönlich zu identifizieren, wird der Begriff der Rechenschaftspflicht aus der Perspektive der Öffentlichkeit sinnentleert."

Wir als Bürgerschaft nehmen die Perspektive der Öffentlichkeit ein, das heißt der Bürgerinnen und Bürger, ohne berechtigte Belange der Polizeibediensteten aus dem Auge zu verlieren. Deshalb unterstützen wir von der LINKEN aus Überzeugung, dass zur individuellen Kennzeichnung nicht der Name, sondern eine kodierte Kennzeichnung verwendet wird.

Wir werden den weiteren Prozess konstruktiv und kritisch begleiten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN, vereinzelt bei der SPD und den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Das Wort bekommt Herr Jarchow für die FDP-Fraktion.

Die Zettel liegen hier immer noch.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Anmeldung der CDU heute zur Aktuellen Stunde suggeriert einen Zusammenhang zwischen zwei Themenbereichen mit G20, der aus meiner Sicht so nicht besteht.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜNEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Das Thema Rote Flora, das muss ich hier keinem sagen, beschäftigt dieses Haus, beschäftigt diverse Regierungen, auch die CDU-Regierung, schon seit vielen Jahren. Der unmittelbare Zusammenhang, der hier zu G20 hergestellt wird, hat sich aus den bisherigen Ergebnissen des Sonderausschusses G20 nicht ableiten lassen.

(Dennis Gladiator CDU: An welchen Sitzun- gen hast du teilgenommen? Hast du ge- schlafen? – André Trepoll CDU: Das hat Herr Scholz schon drei Tage nach dem Gip- fel gesagt!)

Ich weiß nicht, bei welchen Sitzungen Sie waren.

Bei jeder Nachfrage an die Polizei, an den Verfassungsschutz, welche Erkenntnisse es auf direkte Einflussnahme aus der Roten Flora gebe, wurde uns immer gesagt …

(Dennis Gladiator CDU: Bist du jetzt auch noch ein Unterstützer von der FDP?)

Ich bin kein Unterstützer, ich stelle nur fest, was ich gehört habe.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜ- NEN, der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Nur durch Sachlichkeit wird man nicht gleich zum Unterstützer, lieber Herr Thering.

(Vizepräsidentin Barbara Duden übernimmt den Vorsitz.)

Ich glaube, das sind zwei verschiedene Dinge.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜ- NEN, der LINKEN und bei Nebahat Güçlü fraktionslos)

Der andere Bereich ist die Kennzeichnungspflicht für Polizisten. Auch dieses Thema, das dürfte uns nicht neu sein, beschäftigt uns nicht erst seit G20 und ist nicht erst dadurch aktuell geworden, sondern dieses Thema behandeln wir hier, wie ich hörte, seit zehn Jahren.

(Zuruf: Zu hektisch geworden!)

Der erste Antrag der FDP zu diesem Thema datiert aus dem Jahre 2011 und wurde wie auch weitere Anträge, die wir in dieser Frage gestellt haben, damals leider abgelehnt. Insofern ist das Ganze nicht neu; das ist nicht besonders tagesaktuell und aus meiner Sicht auch keine direkte Konsequenz aus G20.

(Zuruf: Dann erkläre mal die Eile des Sena- tors!)

Die habe ich nicht zu erklären, weil ich hier nicht den Senat, sondern die FDP vertrete, die sich seit Jahrzehnten dafür einsetzt, dass diese Kennzeichnungspflicht eingeführt wird, und sich jetzt freut, dass das so ist.

(Beifall bei der FDP, der SPD und den GRÜ- NEN)

Die Expertenanhörung wurde hier bereits erwähnt: Von sechs Experten waren vier für die Kennzeichnungspflicht. Wir haben mittlerweile mit Hamburg acht Bundesländer, die die Kennzeichnungspflicht für größere Einsätze eingeführt haben. Wir haben in der Europäischen Union, in ganz Europa, glaube ich, drei Länder, die die Kennzeichnungspflicht nicht haben. Insofern glaube ich nicht, dass das der Weltuntergang ist, wenn wir sie jetzt auch einführen.

(Beifall bei der FDP, der SPD, den GRÜ- NEN, der LINKEN und bei Nebahat Güçlü (Christiane Schneider)