Protocol of the Session on November 22, 2017

Mindestlohnbewertung ist eigentlich keine grundsätzliche Frage, sondern nur eine Frage der Höhe des Mindestlohns. Oberhalb eines moderaten, Armut verhindernden Mindestlohns gibt es negative Mengeneffekte in großem Umfang, mit anderen Worten: Arbeitslosigkeit. Und das ist auch der Grund, weshalb Ökonomen eigentlich alle gegen Mindestlohn sind. Wobei ich hinzufügen möchte, es hängt tatsächlich von der Höhe ab. Deshalb würde ich, wenn die Leute festgestellt haben, 8,50 Euro waren noch kein Problem, jetzt sagen, okay, aber höhere Mindestlöhne sind es eben sehr wohl. Ein Mindestlohn von 12 oder 13 Euro ist bestimmt oberhalb eines vernünftigen und moderaten Mindestlohns. Und völlig klar ist, dass ein Mindestlohn, der bundesweit gilt, in jedem Fall nur falsch sein kann, weil die Arbeitsmarktbedingungen in allen Regionen sehr unterschiedlich sind. Wenn überhaupt Mindestlohn, dann müsste man ihn differenzieren, genauso wie das bei gewerkschaftlichen Lohnverhandlungen auch der Fall ist. Völlig klar, dass wir die Forderung der LINKEN ablehnen und natürlich würden wir auch die 12 Euro ablehnen, die unser Bürgermeister gefordert hat. – Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Vielen Dank, Herr Dr. Kruse. – Es hat sich noch von der Fraktion DIE LINKE Frau Dr. Ensslen zu Wort gemeldet. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist ja schon einmal gut, dass wir uns hier im Raum

mehrheitlich darüber einig sind, dass es einen Mindestlohn geben soll. Die Berufung auf die Tarifautonomie aus Teilen dieses Raums scheinen mir doch nur Scheingefechte zu sein. Das sind diejenigen, die sich sonst nicht so besonders intensiv auf die Tarifautonomie berufen.

(Detlef Ehlebracht AfD: Woher wissen Sie das denn?)

Aber DIE LINKE will mehr,

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Alexander Wolf AfD: Das haben wir gemerkt!)

und zwar wollen wir mehr für genau diejenigen, die am allerwenigsten haben. Der Kollege Celik hat es schon gesagt, es geht hier um die Armutsfestigkeit des Mindestlohns, das heißt um die Frage, wie viel bleibt denn im Alter, wenn wir 12 Euro Mindestlohn haben. Und selbst der reicht eben nicht für die Armutsfestigkeit. Dafür braucht es einen Mindestlohn, dafür müssen wir uns dahin bewegen, einen Mindestlohn von 13 Euro zu haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Herr Schwieger hat es bereits angesprochen. Natürlich gibt es auch noch mehr Faktoren für die Altersfestigkeit und gegen Altersarmut, insbesondere die Rentenversicherungsfrage. Wir haben aktuell einen Rentenwert, der zu niedrig ist, und wir haben ein absinkendes Rentenniveau bis 2030 auf 43 Prozent. Wir werden uns erinnern, dass es der Erste Bürgermeister war, der daran nicht so ganz unbeteiligt war. Ich kann es mir nicht verkneifen, das Stichwort Agenda 2010 zu nennen. Aber Herr Schwieger will ja nicht über alle Stöckchen springen, hat er eben noch einmal wiederholt. Diesen Spruch empfinde ich eher als einen Offenbarungseid, nämlich dann, wenn man inhaltlich nichts mehr entgegenzusetzen hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Kein Wunder, denn eigentlich müsste Rot-Grün dem Antrag zustimmen. Für mich geht es aber nicht um Stöckchen, sondern um Menschen, die Tag für Tag mit wenig Geld auskommen müssen, was ihnen bleibt. Das heißt, die tägliche Sorge, kann ich meine Wohnung bezahlen, was kann ich mir zu essen kaufen. Alles, was extra dazukommt, birgt die Gefahr, in die Schuldenfalle zu geraten: Rechnungen, Mahnungen, Gerichtsvollzieher, Resignation.

Rot-Grün weist darauf hin, dass die Tarifverhandlungen notwendig sind, um auch in städtischen Betrieben zu höheren Löhnen zu kommen. Herr Schwieger sagt, das Tarifgefüge sei zu berücksichtigen. Deswegen meint er, das Mindestlohngesetz mache keinen Sinn. Ich frage mich, ob Herr Schwieger eigentlich einmal das aufgehobene Landesmindestlohngesetz gelesen hat. Da ist doch nicht die Rede davon, dass der Mindestlohn mit dem Gesetz über Nacht in Kraft tritt. Vielmehr wird

da im Einzelnen aufgeführt, wie die Wege zum Mindestlohn sind. Da stand auch zum Beispiel, für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Freien und Hansestadt Hamburg wird der in Paragraf 5 bestimmte Mindestlohn durch das tarifliche Arbeitsentgelt im öffentlichen Dienst gesichert. Das heißt also, die Stadt hatte den Auftrag, sich einzusetzen für den Mindestlohn. Ich sage nur – und da bemühe ich das griechische Sprichwort hic Rhodus, hic salta –, fangen wir hier in Hamburg an, fangen wir an, die Lebensbedingungen zu verbessern. Fangen wir mit einem Mindestlohn von 12 Euro an.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Dr. Ensslen. – Es hat sich noch Herr Schwieger von der SPD-Fraktion gemeldet.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Eine aufgeregte Debatte, bei der es um die Überweisung an den Fachausschuss gehen soll, ist ja eher selten. Ich kann kein Griechisch, aber ich kann Latein und das hörte sich für mich verdammt nach Latein an,

(Beifall bei Stephan Gamm CDU und bei Dr. Alexander Wolf AfD)

aber das macht nichts. DIE LINKE und der Mindestlohn ist ja eine Geschichte, die uns hier über Jahre verbindet. Ich darf einmal daran erinnern, 2013 bei der Einführung des Landesmindestlohngesetzes hat sich DIE LINKE enthalten. 2015 bei der Abschaffung des Landesmindestlohngesetzes hat DIE LINKE sich auch enthalten.

(Zuruf von Heike Sudmann DIE LINKE)

Nicht so aufgeregt, ich weiß, es tut weh.

(Cansu Özdemir DIE LINKE: Sie sind aufge- regt!)

Dann schauen wir einmal auf Länder, wo DIE LINKE mitregiert. Brandenburg: Zugegebenermaßen gibt es dort ein Landesmindestlohngesetz, 9 Euro, das sind genau 16 Cent mehr als das Bundesmindestlohngesetz. Wenn Sie sagen, die Lebenshaltungskosten müssen berücksichtigt werden, dann kann ich einmal auf Berlin verweisen, auch dort regiert DIE LINKE mit, seit August Landesmindestlohngesetz, 9 Euro, 16 Cent mehr als das Bundesmindestlohngesetz. Zum Schluss meiner Rede hatte ich schon darauf hingewiesen, Thüringen, Herr Ramelow, Ministerpräsident der LINKEN, kein Mindestlohngesetz, weil man dort auch auf das Bundesmindestlohngesetz vertraut. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Franziska Grun- waldt CDU)

Vielen Dank, Herr Schwieger. – Gibt es weitere Wortmeldungen? –

(Dr. Carola Ensslen)

Die sehe ich nicht. Dann kommen wir zur Abstimmung.

Wer den Antrag der LINKEN aus Drucksache 21/10914 an den Ausschuss für Soziales, Arbeit und Integration überweisen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegenprobe. – Enthaltungen? – Damit hat das Überweisungsbegehren die Zustimmung erhalten.

Vielen Dank.

Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 37, Druck- sache 21/10913, Antrag der FDP-Fraktion: Realen Bedarf in der Kindertagesbetreuung ermitteln.

[Antrag der FDP-Fraktion: Realen Bedarf in der Kindertagesbetreuung ermitteln – Drs 21/10913 –]

Wer dieses Abstimmungsergebnis nicht beraten möchte, der kann auch gern nach draußen gehen oder es still machen. Es gibt ja auch die Möglichkeit, mit Händen und Füßen zu reden. – Vielen Dank.

Es geht um den Antrag der FDP-Fraktion. Diese Drucksache möchte die CDU-Fraktion an den Familien-, Kinder- und Jugendausschuss überweisen.

Wird hierzu das Wort gewünscht? – Herr Oetzel von der FDP-Fraktion, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause in den letzten Jahren oft über die Qualität in der Kindertagesbetreuung debattiert und angesichts der Kita-Initiative werden wir das in den nächsten Wochen und Monaten sicher auch weiter intensiv tun. Heute wollen wir aber den Fokus setzen und ein anderes Thema beleuchten, welches für die Eltern in Hamburg auch eine hohe Relevanz hat. Fakt ist nämlich, dass wir nicht nur das bekannte Qualitätsproblem in den Kindertagesstätten haben, sondern dass wir aufgrund verschiedener Effekte, zu denen ich gleich komme, nicht in der Lage sind, den realen Bedarf in der Kindertagesbetreuung abzubilden.

Ich habe im Sommer dieses Jahres eine Kleine Anfrage an den Senat gerichtet bezüglich einer akuten Kita-Platz-Not, zu der uns von Eltern berichtet wurde, dass es in bestimmten Bereichen elendig lange Wartelisten in den Kitas geben soll, zu denen wir nachfragen wollten. Ich habe in der Folge dann aus den betroffenen Kitas erfahren, dass dort mehrere Leitungen mehrere Stunden zusammengesessen, die Wartelisten ausgewertet haben und uns dafür gelobt haben, endlich nimmt sich einmal jemand dieses Themas an und endlich können wir einmal nach außen hin über unsere

Wartelisten berichten, dass das wirklich ein reales Problem ist. Ich war dann außerordentlich erstaunt, als ich die Senatsantwort bekommen habe. Da war von den stundenlangen Erhebungen, die es da offensichtlich gegeben hat, nichts mehr zu sehen. Wir haben nur die Antwort bekommen, dass es solche Wartelisten in Hamburg nicht gibt.

Die Existenz von Wartelisten passt scheinbar nicht in die heile Senatswelt, in der jeder, der einen KitaPlatz in Hamburg will, auch automatisch einen bekommt. Aber jeder von uns hier, glaube ich, der im Kontakt mit Kitas ist, der auch selbst Kinder hat, die in die Kitas gehen, der weiß, dass es diese Listen gibt. Da hilft es auch nicht, und das ist der neueste Trend, der uns von einigen Eltern berichtet worden ist, dass jetzt diese Wartelisten umbenannt werden in Interessenlisten, damit es eben keine Wartelisten gibt. Das kann man machen, aber es ändert nichts an dem zugrunde liegenden Problem.

(Beifall bei der FDP)

Es ist für die betroffenen Eltern ärgerlich, aber ein größeres Problem sind diese Listen für die Darstellung des realen Bedarfs an Kita-Plätzen in Hamburg. Denn diejenigen Eltern, die auf so einer Interessen- oder Warteliste oder was auch immer irgendwo weit hinten stehen, die machen sich oft gar nicht erst die Mühe, sich auf den komplizierten Weg zu machen, einen Kita-Gutschein zu beantragen, und dementsprechend werden sie dann auch vom Senat nicht in den Blick genommen. Denn es heißt, jeder, der einen Gutschein beantragt, bekommt auch einen Platz. Darunter fallen dann die, die aufgrund der komplexen Antragslage erst gar keinen Gutschein beantragen. Man muss seine Geburtsurkunde teilweise vorlegen, Meldebestätigungen, Einkommensnachweise, Glaubhaftmachungen, Arbeitsverträge, Bescheinigung des Arbeitgebers, teilweise noch viele weitere Anträge und eine Vielzahl an möglichen Dingen, die noch dazugelegt werden müssen. Das ist ein immenser Aufwand. Da macht man sich nur auf die Reise, diese Dinge auch zu tun, wenn man zumindest die vage Hoffnung hat, in seiner Wunsch-Kita möglicherweise auch einen Platz zu bekommen.

Dieser blinde Fleck des Senats in Sachen Wartelisten verschleiert den realen Bedarf in der Kindertagesbetreuung und wir wollen hier mit unserem Antrag einen Vorschlag machen, wie wir dem zukünftig abhelfen können. Wir wollen, dass es objektive Kriterien gibt, wie diese Wartelisten, von mir aus auch Interessenlisten, geführt werden, damit wir einfach wissen, wie groß dieser zusätzliche Dunkelbedarf ist.

(Beifall bei der FDP)

Und wenn wir am Ende des Tages zu der Erkenntnis kommen, dass der zusätzliche Bedarf sehr gering ist, dann können wir uns alle gemeinsam auf

(Vizepräsident Dr. Kurt Duwe)

die Schulter klopfen und sagen, ist doch gut, dann ist hier offenbar die Unterversorgung nicht so schlimm, wie wir gedacht haben, aber es sollte im Interesse von uns allen sein, diesen blinden Fleck aus dem Weg zu räumen und zu schauen, dass wir wirklich wissen, wie groß der Bedarf in der Kindertagesbetreuung in Hamburg ist. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Oetzel. – Das Wort hat jetzt Herr Lohmann von der SPD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Der FDPAntrag geht von der Annahme aus, dass es in Hamburg einen erheblichen Mangel an Kita-Plätzen gibt und dass Träger häufig die Erfüllung zusätzlicher Bedingungen für eine Platzzusage von den Eltern einfordern. Ich würde einmal sagen, wir gehen jetzt einmal einen Schritt zurück, willkommen in der Realität, und schauen uns einmal an, wie es denn wirklich in Hamburg aussieht.

Vor allen Dingen wurden in den letzten Jahren sehr viele neue Betreuungsplätze geschaffen. Zurzeit werden rund 83 000 Kinder in Krippe, Kitas und in der Kindertagespflege betreut. Das sind fast hundert Prozent der Drei- bis Sechsjährigen. Jetzt muss ich einmal so ein bisschen schauen mit der Realität. Wenn fast hundert Prozent der Drei- bis Sechsjährigen in eine Kita in Hamburg gehen, wie soll es denn da zu flächendeckenden Wartelisten in den Kitas kommen? Denn die Kinder, die es in Hamburg gibt und die in die Kita wollen, sind alle versorgt. Es ist mir also ein Rätsel, wie man darauf kommen kann.

(Beifall bei der SPD)